Handelsblatt - 30.10.2019

(Barry) #1

Frank M. Drost Berlin


D


as Vermögensbarometer der Spar-
kassen-Finanzgruppe bietet eine
Überraschung. In der repräsentati-
ven Umfrage der Sparkassen-Finanz-
gruppe über das Anlageverhalten
der Deutschen standen jahrelang Immobilien an
erster Stelle. Doch im jüngsten Vermögensbarome-
ter rangiert nicht mehr das „Betongold“ in der Prä-
ferenz ganz oben – sondern Aktien.
Auf die Frage: „Welche Geldanlageformen halten
Sie in der Niedrigzinsphase für geeignet?“, ent-
schieden sich 42 Prozent für Aktien, Direktinvesti-
tionen und Wertpapiere. Das ist ein Plus von 18
Prozentpunkten im Vergleich zum Vorjahr. Mit 29
Prozent stehen Investment- und Immobilienfonds
an zweiter Stelle – erst an dritter Position rangieren
die Immobilien mit 17 Prozent. Im Vorjahr waren
es noch 31 Prozent. Der Grund: Immobilien sind
für viele Verbraucher zu teuer geworden.
„Für knapp die Hälfte der Befragten spielt bei
der Entscheidung für eine Geldanlage eine Rolle,
dass der Zins so gut wie abgeschafft wurde“, sagte
der Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giro-
verbands, Helmut Schleweis, am Dienstag bei der
Vorstellung des Vermögensbarometers in Berlin.
Dadurch steigt die Bereitschaft der Deutschen,
mehr Risiko bei der Geldanlage einzugehen, wenn
dadurch eine höhere Verzinsung winkt. Während
das in der Vergangenheit bei 18 Prozent der Befrag-
ten der Fall war, sind es in diesem Jahr 21 Prozent.
Offensichtlich ziehen die Deutschen damit langsam
Konsequenzen aus der Zinssituation – auch wenn
die Mehrheit noch Risiken bei der Geldanlage
scheut.

Die Sparkasse ist wenig zimperlich


Dass Verbraucher nur Minizinsen für Einlagen er-
halten, liegt an der ultralockeren Geldpolitik der
Europäischen Zentralbank (EZB). Banken müssen
seit September 0,5 Prozent Negativzinsen zahlen,
wenn sie überschüssige Mittel bei der EZB parken.
Angesichts der schlechten Ertragslage
gehen immer mehr Banken dazu
über, nicht nur keine Zinsen zu zah-
len, sondern Negativzinsen für die
Einlagen ihrer privaten Kunden ein-
zuführen. Bei den Banken, die das be-
reits gemacht haben, differieren die
Freibeträge für Privatkunden nach
Recherchen des Vergleichsportals
Biallo.de zwischen 100 000 Euro
und drei Millionen Euro. Zwar hat
das Landgericht Tübingen entschie-
den, dass bei Altverträgen das soge-
nannte Verwahrentgelt nicht nach-
träglich per Klausel im Preisaushang
eingeführt werden darf. Individuelle
Vereinbarungen seien allerdings
möglich.
Selbst die Sparkassen haben un-
ter Beweis gestellt, dass sie wenig
zimperlich sind, wenn es um die
Kündigung von Prämiensparverträ-
gen geht. Jüngst kündigte die Spar-
kasse München, die zu den Groß-
sparkassen zählt, 28 000 solcher
Verträge. Langjährige Sparer
müssen die Kündigung hinneh-
men, wenn sie die einmal ver-
einbarte Bonusstaffel ausge-
schöpft haben, urteilte der
Bundesgerichtshof. Dass die
Sparkassen einen großen
Imageschaden wegen der
Kündigung von Altverträgen
in Kauf nehmen, zeigt, wie
sehr die Geldhäuser unter
dem Niedrigzins leiden.
Die anhaltenden Niedrigzinsen spie-
len für 44 Prozent der Befragten eine wichtige Rol-
le bei Geldanlageentscheidungen. 40 Prozent be-
stätigen, dass sie ihr Sparverhalten an die niedri-
gen Zinsen angepasst haben oder planen, dieses zu
tun – ein Zuwachs von fünf Prozentpunkten.
Gleichwohl ist das anlagefähige Kapital der Bundes-

bürger noch beträchtlich. „Im Moment sind 63
Prozent der privaten Kundeneinlagen bei Sparkas-
sen, also 480 Milliarden Euro, täglich fällige Gelder,
die sich kaum noch über den Zins vermehren und
der Inflation ausgesetzt sind“, sagte Schleweis.
Einerseits werden Aktien und Fonds also als ge-
eignetste Anlageform gesehen, andererseits legen
die Deutschen das meiste Geld weiterhin einfach
zur Seite. „Der Wunsch, jederzeit auf das Ersparte
zugreifen zu können, ist auch in diesem Jahr offen-
bar höher als der Wunsch nach Rendite“, versucht
der Sparkassenpräsident zu erklären.
Die ultraniedrigen Zinsen haben natürlich auch
ihr Gutes. Immobilienkredite sind relativ günstig zu
kriegen. Doch die Preisentwicklung in dieser Anla-
geklasse macht vielen Immobilien-Interessenten ei-
nen Strich durch die Rechnung. „Attraktive Wohn-
lagen werden immer teurer“, sagte Sparkassenprä-
sident Schleweis. Zudem würden die Nebenkosten
bei Kauf oder Bau die Preise weiter in die Höhe
treiben. Nach eigenen Angaben fehlt es der Hälfte

derjenigen, die sich gegen eine Immobilie entschie-
den haben, am Eigenkapital. Für 14 Prozent sind
die Preise schlicht zu hoch.

Solide Finanzierung wichtig


Trotz dieser Rahmenbedingungen planen laut
dem Vermögensbarometer im Durchschnitt 31
Prozent der Menschen im Alter zwischen 20 und
50 Jahren den Erwerb einer Immobilie. Der
Wunsch nach den eigenen vier Wänden ist in der
Altersgruppe der 20- bis 29-Jährigen mit 50 Pro-
zent am stärksten ausgeprägt. Mehr als die Hälfte,
56 Prozent, wollen ihre Immobilie ausschließlich
selbst nutzen, ein Fünftel hat Interesse, das jewei-
lige Objekt ausschließlich zu vermieten. Ein knap-
pes Viertel strebt eine Kombination von Selbstnut-
zung und Vermietung an.
Aufschluss gibt die Umfrage auch darüber, wie
die Verbraucher die selbst genutzte Immobilie fi-
nanzieren würden. Demnach würden sich 39 Pro-
zent bis zu 60 Prozent des Kaufpreises verschul-

Die Deutschen


entdecken


die Aktie


Wegen der Niedrigzinsen steigt die Bereitschaft, bei der


Geldanlage mehr Risiko einzugehen. Das ist ein zentrales


Ergebnis des Vermögensbarometers der Sparkassen-


Finanzgruppe. Immobilien sinken dagegen in der Gunst


der Anleger.


dieKLEINERT.de / Thomas Kuhlenbeck

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Geldanlage

MITTWOCH, 30. OKTOBER 2019, NR. 209


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