Larissa Holzki, Christoph Kapalschinski
Düsseldorf, Hamburg
P
etersilie im Supermarkt züchten – mit
so einer Idee lassen sich heute 90 Mil-
lionen Euro einsammeln. Die Investo-
ren des Londoner Geldgebers Atomi-
co sind sich jedenfalls sicher: Indoor-
Farming sei „ein Megatrend, der unsere Gesell-
schaft verändern wird“, und ließen einen Geldre-
gen auf die Gemüsegärten los. Die drei Gründer
von Infarm werden also bald in noch viel mehr Su-
permärkten Minigewächshäuser für Salat und
Kräuter aufstellen können. Sie sind nicht das einzi-
ge Berliner Start-up, das zuletzt mit seinem Ge-
schäftsmodell Investoren überzeugen konnte.
In der deutschen Start-up-Metropole herrscht
Goldgräberstimmung. Schon bis zum Ende des
dritten Quartals konnten deutsche Start-ups insge-
samt über fünf Milliarden Euro Investitionssumme
verzeichnen. Das hat die Beratung EY für das Han-
delsblatt berechnet. So viel Geld gab es seit Beginn
der EY-Studien 2015 nicht mal in einem gesamten
Jahr für die Start-ups. Der Wert liegt sogar 50 Pro-
zent über dem Vorjahreszeitraum – und weckt Be-
fürchtungen, dass sich eine Blase bildet.
Dabei ist Deutschland noch weit von den Sum-
men entfernt, die in den USA oder auch in Groß-
britannien abgerufen wurden. In den USA flossen
allein im ersten Halbjahr Investments von umge-
rechnet insgesamt 60 Milliarden Euro in Start-ups
- im Schnitt 13,33 Millionen Euro in 4500 Finanzie-
rungsrunden. Britische Start-ups sammelten in 537
Finanzierungsrunden durchschnittlich annähernd
so viel ein, nämlich 12,48 Millionen Euro. Trotzdem
sind Klagen über knappe Mittel nicht mehr ange-
bracht: Deutschland liegt in diesem Zeitraum und
mit einem Schnitt von 8,46 Millionen Euro pro
Runde etwa gleichauf mit Frankreich, und im drit-
ten Quartal ist der Schnitt weiter gestiegen.
Entsprechend herrscht Feierlaune. Gerade erst ha-
ben sich die deutschen Gründer in München mit
Stargast Barack Obama bei ihrer Leitkonferenz Bits
& Pretzels selbst gefeiert. Nun warnen erste Investo-
ren, sie könnten bald aus dem Höhenrausch erwa-
chen. Denn der WeWork-Schock in den USA hat
auch die hiesige Szene aufgeschreckt: Das gehypte
Coworking-Start-up von Gründer Adam Neumann ist
kurz vor dem geplanten Börsengang knapp an der
Pleite vorbeigeschrammt. Die Bewertung von fast 47
Milliarden Dollar zum Jahresbeginn ist verpufft.
Christian Miele, Partner beim Berliner Geldgeber
Eventures und Vorstand im Start-up-Verband, wer-
tet den Fall als Warnung für die gesamte Branche.
Der WeWork-Gründer Neumann sei zwar ein „raff-
gieriger Scharlatan“, sagt der Spross der Waschma-
schinen-Dynastie Miele. Dessen „übler Charakter
konnte allerdings nur deshalb enttarnt werden,
weil schon seit vielen Jahren eine Blase im An-
marsch ist, nicht nur in Deutschland.“ Drastische
Worte, die zeigen: Die Geldgeber treibt die Sorge
um, auf Übertreibungen reinzufallen – zumal die
deutsche Konjunktur abkühlt.
Family-Offices werden vorsichtiger
Das lässt auch potenzielle Kapitalgeber der Ventu-
re-Fonds in Deutschland vorsichtiger werden. Wäh-
rend Eventures noch im Juli melden konnte, mit
335 Millionen Euro seinen größten Fonds mit Mit-
teln unter anderem von Family-Offices und Famili-
enunternehmern geschlossen zu haben, läuft das
Fundraising anderswo inzwischen offenbar zä-
her. Matthias Grychta, Partner beim Hamburger In-
vestor Neuhaus Partners, hat gerade begonnen,
Mittel für seinen vierten, bislang größten Frühpha-
senfonds einzusammeln. Unterstützt von der Ham-
burger Förderbank IFB sollen bis Ende 2020 so 100
Millionen Euro zusammenkommen. Doch ob das
angestrebte First Closing bei 35 Millionen Euro wie
erhofft bis Ende 2019 gelingt, ist noch offen. Denn
Grychta merkt, dass insbesondere deutsche Fami-
ly-Offices und Unternehmerfamilien wieder zu-
rückhaltender werden.
Sie teilen nach seinen Worten eine Befürchtung:
„Es könnte sein, dass wir uns gerade auf dem Hö-
hepunkt der Start-up-Welle befinden und die Be-
wertungen bald wieder zurückgehen“, sagt Grych-
ta, der seit zwei Jahrzehnten in Tech-Firmen wie
Blau Mobilfunk und Next Kraftwerke investiert.
Von Panik sind Investoren und Gründer aber weit
Weckruf für
Gründer
Start-ups bekommen so
viel Risikokapital wie
noch nie. Doch der Fall
WeWork und
Konjunktursorgen
lassen die Investoren
vorsichtiger werden.
Die Branche glaubt
indes, dass sie aus
früheren Krisen die
richtigen Schlüsse
gezogen hat.
©Thomas Meyer / OSTKREUZ
WeWork-Zen-
trale in den
USA: Probleme
mit der Unter-
imago images / Levine-Roberts nehmenskultur.
Titelthema
Start-up-Finanzierung
MITTWOCH, 30. OKTOBER 2019, NR. 209
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