Handelsblatt - 30.10.2019

(Barry) #1

Kevin Knitterscheidt Berlin


W


er nicht weiß, was das US-Un-
ternehmen Formlabs produ-
ziert, könnte bei einem Besuch
der Deutschlandzentrale in
Berlin schnell auf die Idee kom-
men, die Firma produziere nahezu alles. Wie bei
einer Kunstausstellung hat das Start-up dort zahl-
reiche farbenfrohe Gegenstände ausgestellt, die auf
den ersten Blick nur wenig gemeinsam haben: Ein
Schuh, eine Prothese, ein Paar Zahnschienen, ja
selbst eine Vase werden dort präsentiert. Doch
Formlabs stellt diese Gegenstände nicht selbst her


  • sondern nur die Maschinen, mit denen sie produ-
    ziert werden.
    Mit 3D-Druckern ist Formlabs-Gründer Maxim
    Lobovsky – Anfang 30, kurzes braunes Haar, dunk-
    les Hemd, dunkle Hose – innerhalb weniger Jahre
    vom Forschungsassistenten am renommierten
    Massachusetts Institute of Technology (MIT) zum
    CEO und Inhaber eines Milliardenkonzerns gewor-
    den. Seine Vision war es, den 3D-Druck so einfach
    wie möglich zu realisieren – mit Geräten, die sich
    an einen handelsüblichen PC anschließen und auf
    dem Schreibtisch im Büro betreiben lassen. Heute
    ist Formlabs ein „Einhorn“. So werden ehemalige
    Start-ups bezeichnet, deren Firmenwert die Grenze
    von einer Milliarde US-Dollar überschritten haben.
    „Es gab anfangs einen großen Hype um 3D-Dru-
    cker für den Heimgebrauch, als die ersten Geräte
    auf den Markt kamen“, sagt Lobovsky dem Han-
    delsblatt. „Heute hingegen nehmen viele Hersteller
    eher Kunden aus der Industrie in den Blick.“ Das
    liege auch daran, dass sich die Erwartungen in den
    Markt für Konsumenten so nicht realisiert hätten.


„Man kann mit 3D-Druckern zu Hause zwar fast al-
les herstellen. Aber nicht jeder will Dinge zu Hause
herstellen“, so fasst der Gründer die erste Ernüch-
terung der Branche zusammen.
Trotzdem wächst der 3D-Druck weiter. Der glo-
bale Gerätemarkt soll Schätzungen der Branchen-
analysten von Smartech zufolge von rund zehn Mil-
liarden US-Dollar im Jahr 2018 auf rund 42 Milliar-
den US-Dollar im Jahr 2027 anwachsen.
Gründer Lobovsky hat es schon heute geschafft,
weltweit Hunderttausende seiner futuristisch aus-
sehenden Drucker mit den Namen „Form 1“ oder
„Form 3L“ an den Mann zu bringen. Denn auch
wenn heute immer noch kaum eine Privatperson
einen 3D-Drucker zu Hause stehen haben dürfte:
Der Bedarf für individuell konstruierte und schnell

gefertigte Produkte ist bei vielen Gewerbekunden
groß – wie zum Beispiel in der Medizintechnik, wo
viele Produkte exakt auf den Körperbau des Patien-
ten zugeschnitten sein müssen. Das gilt vor allem in
der Zahnmedizin, wo die Geräte in vielen Praxen
bereits im Einsatz sind.

Neuartige Materialien


Doch auch die Hersteller von Massenprodukten fol-
gen dem Trend individuell angepasster Konstruk-
tionen. Etwa der Schuhhersteller New Balance: Vor
wenigen Wochen brachte das US-Unternehmen ei-
nen neuen Laufschuh heraus, dessen Sohle aus
3D-gedrucktem Kunstharz besteht. Das Material
hatte New Balance zusammen mit Formlabs entwi-
ckelt. Fügt man es wie in einer Wabenstruktur mit
vielen Hohlräumen dazwischen zusammen, ist der
so produzierte Schuh deutlich leichter als mit übli-
chen Materialien. Es ist der zweite Schuh, den New
Balance mit Formlabs produziert – der erste war in-
nerhalb weniger Monate ausverkauft.
Dass Formlabs den Sprung in die klassische Pro-
duktion geschafft hat, hat mit strategischen Wei-
chenstellungen zu tun, die Gründer Lobovsky in
den ersten Jahren nach der Gründung 2011 gestellt
hat. „Uns ist schnell klar geworden, dass additive
Fertigung nur als Nischenprodukt für den Heimge-
brauch geeignet ist“, so der 35-Jährige. „Deshalb
haben wir professionelle Anwender in den Fokus
genommen, die viel Wert auf Präzision und speziel-
le Materialeigenschaften legen.“
Wie im Fall von New Balance entwickelt Form-
labs diese häufig mit den Kunden zusammen. So
entstehen immer wieder neue Materialien, die sich
mit den Geräten von Formlabs in praktisch jede
Form bringen lassen. Selbst Keramik und Metall
können die Drucker mittlerweile verarbeiten – und
entwickeln sich damit für immer mehr Branchen
zu einer ernsthaften Alternative.
Regelmäßig lädt Formlabs Designer und Pro-
duktentwickler verschiedenster Branchen in seine
weltweiten Niederlassungen, um über neue An-
wendungsmöglichkeiten und die Bedürfnisse der
Kunden zu sprechen. Mindestens einmal im Jahr
reist Lobovsky selbst vom Hauptsitz in Somerset,
Massachusetts, nach Berlin, Singapur oder Japan,
um an diesen Treffen teilzunehmen. „Es ist span-
nend zu erleben, wie sich unsere Kunden über ad-
ditive Fertigung austauschen und zu neuen Er-
kenntnissen gelangen“, sagt der Gründer.
So ist aus dem einstigen Start-up, das seine erste
Million über den Crowdfunding-Dienst Kickstarter
einsammelte, ein globales Tech-Unternehmen ge-
worden. Branchenschätzungen zufolge kommt
Formlabs auf einen Jahresumsatz von mehr als 100
Millionen US-Dollar. Mehr als 550 Menschen sind
heute weltweit bei Formlabs beschäftigt – und
nicht wenige davon kommen aus Branchen, die zu
den Kunden von Formlabs zählen.
Oder von der Konkurrenz: Mit dem früheren
Chef von General Electric, Jeffrey Immelt, ist im
vergangenen Jahr ein Industrie-Veteran in den Ver-
waltungsrat eingezogen, der über Erfahrung und
Kontakte verfügt und so die Führung des noch jun-
gen Unternehmens weiter professionalisieren soll.
Daneben ist Immelt auch Vertreter eines wichtigen
Investors: Seit 2018 arbeitet er als Partner bei dem
Silicon-Valley-Wagniskapitalfonds New Enterprise
Associates, der im vergangenen Jahr 15 Millionen
US-Dollar bei Formlabs investierte und dem Unter-
nehmen so erst zur Milliardenbewertung verhalf.
Für die Zukunft will Lobovsky die Formlabs-Dru-
cker einerseits schneller, andererseits auch noch
vielseitiger einsetzbar machen. „Die Kosten je ge-
fertigtem Bauteil spielen für viele Industriekunden
bei der Massenproduktion eine wichtige Rolle.“ Das
ist in der additiven Fertigung noch häufig ein Pro-
blem, weil jedes Bauteil Schicht für Schicht aufge-
baut werden muss – was je nach Größe mehrere
Stunden dauern kann.
Formlabs umgeht das Problem, indem es seine
Drucker auch im Verbund anbietet – sodass mehre-
re Geräte gleichzeitig dasselbe Werkstück oder ver-
schiedene Prozessstufen davon fertigen, die an-
schließend von einem Roboterarm zur Weiterver-
arbeitung gegeben werden. Es dürfte nicht das
letzte Problem sein, das Formlabs lösen wird.

Maxim Lobovsky


Die Drucker-Kolonne


Der Gründer des Start-ups Formlabs mischt die


3D-Druck-Szene gehörig auf. Unternehmen nutzen die Geräte


der Firma nicht nur für Prototypen, sondern auch in


der Serienfertigung – wie ein namhafter Schuhhersteller.


Maxim Lobovsky:
3D-Druck für die
Serienfertigung.

The Washington Post/Getty Images

Familienunternehmen


des Tages


MITTWOCH, 30. OKTOBER 2019, NR. 209


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Formen für den
Zahnarzt: Formlabs
bietet Materialien
aus dem 3D-
Drucker für die
unterschiedlichsten
Anwendungen.

Formlabs
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