Handelsblatt - 30.10.2019

(Barry) #1

E


twa 480 vor Christus setzt ein Sturm
dem Heer des Perserkönigs Xerxes
schwer zu, als es auf dem Griechen-
land-Feldzug den Hellespont über-
quert. Der Despot ließ daher die

hochschlagenden Wellen der Meerenge zur Stra-


fe mit 300 Rutenschlägen züchtigen. Jetzt legt


Bundesjustizministerin Lambrecht den Entwurf


für ein Verbandssanktionengesetz vor: Dort wer-


den juristische Personen („Verbände“) mit drasti-


schen Geldbußen für Straftaten belegt, die Mana-


ger aus dem Unternehmen heraus begehen. Das


ist sinnlos und trifft obendrein die Falschen.


Unternehmen können für Straftaten ihrer Ma-


nager bislang nur per Ordnungswidrigkeit mit


begrenztem Bußgeldrahmen geahndet werden.


Jetzt soll der Sanktionsrahmen für größere Un-


ternehmen auf zehn Prozent des Konzernumsat-


zes angehoben werden. Ferner sollen Unterneh-


men für derartige Straftaten ihrer Manager


grundsätzlich immer verfolgt werden, nicht


mehr nur, wenn dies den Ermittlungsbehörden


angemessen erscheint. Mit alledem sollen juristi-


sche Personen „empfindlich“ getroffen und


rechtstreue Wettbewerber geschützt werden. Der


Gesetzentwurf verweist zudem auf eine breite


rechtspolitische Tendenz zu Unternehmenssank-


tionen in der EU und ihren Mitgliedstaaten.


All dies überzeugt nicht: Mit der Buße will der


Staat Verhalten steuern, also abschrecken. Ein


„Verband“ (AG, GmbH, KG et cetera) ist aber nur


ein Stapel Papier beim Notar. Wirtschaftlich tref-


fen Unternehmenssanktionen nicht die Handeln-


den, sondern die Anteilseigner; sie zahlen die Ze-


che. Dass es sinnlos ist, Unternehmen über die


Anteilseigner steuern zu wollen, zeigt sich in der
Aktiengesellschaft am deutlichsten: Das Gesetz
schneidet sie von der Geschäftsführung ab. Mit
Hauptversammlungsreden lässt sich nicht für
Compliance sorgen. Dennoch sind die Aktionäre
das Ziel: Gerichte verweigern Unternehmen den
Regress gegen die Verantwortlichen; sie können
sich gegen die Bußen auch nicht versichern. Hie-
ran ändert der Gesetzentwurf – bezeichnender-
weise – nichts.
Unternehmenssanktionen treffen bewusst die
Falschen. Das ist Sippenhaft. Die aber verbietet
die Verfassung. Obendrein schützt das Bundes-
verfassungsgericht die Aktie – und besonders
stark, wo sie persönliche Freiheit des Einzelnen
im vermögensrechtlichen Bereich sichert. Die In-
vestition in Aktien dient der Altersvorsorge und
sichert damit persönliche Freiheit: Das gilt nicht
für Richter und andere Beamte – deren Altersvor-
sorge speist sich aus dem Steueraufkommen der
Gemeinschaft. Für Lebensversicherer, Versor-
gungswerke, Rentenkassen, Selbstständige und
Freiberufler ist der freiheitssichernde Charakter
der Aktienanlage demgegenüber zentral.
Weil sie die Falschen treffen, verfehlen Unter-
nehmensbußen auch ihren Zweck, Verhalten zu
steuern: Nach der Monopolkommission ist es
„zweifelhaft, ob selbst eine drastische weitere Er-
höhung der verhängten Geldbußen zu einem
ausreichend tief greifenden Bewusstseinswandel
führen wird“. Sie empfiehlt, die Handelnden
stärker ins Visier zu nehmen.
Entsprechend geben die USA, das klassische
Land der „corporate fines“, der Suche nach den
individuell Verantwortlichen heute wieder

höchste Priorität. Deutsche Studien zeigen, dass
Unternehmensbußen die schwarzen Schafe un-
ter den Managern nicht von ihren Taten abhal-
ten. Deren Triebfedern liegen anderswo. Die
deutsche Justizministerin arbeitet also mit über-
holten kriminologischen Prämissen. Ganz ver-
werflich wird es, wo der Staat Verbände aus fis-
kalischen Gründen straft.
Hohe EU-Unternehmensbußen sind kein Vor-
bild: Dass sie steigen, belegt ihre Vergeblichkeit
und zwingt dazu, auch dort endlich die Grund-
rechte der Anteilseigner in den Blick zu nehmen.
Eine klare deutsche Position wird auch in der EU
gehört: Sippenhaft ist ein ernstes Thema.
Die Sanktionierung der Falschen ermöglicht es
den wahren Übeltätern, sich ins Fäustchen zu la-
chen, verbittert die grundlos Betroffenen und
untergräbt den Rechtsfrieden. Die Justizministe-
rin lässt nicht nur, wie Despot Xerxes, die Wellen
auspeitschen, sondern obendrein die Bootsbesit-
zer. Richtiger wäre es, die Justiz besser auszustat-
ten und geltende Gesetze straffer umzusetzen.
Auch die Justizministerin hat Zweifel an ihrem
Vorhaben. Denn sie nimmt hoheitliches Handeln
von der Sanktionierung aus: Behördenversagen wie
in Lügde, Bremen oder bei den Brandenburger
Krebsmedikamenten bleibt also ungesühnt, obwohl
das dortige Leid die Dieselkrise in den Schatten
stellt. Der Gesetzgeber sollte von Unternehmens-
sanktionen absehen. Mindestens sollten Sanktio-
nen Pflichtverletzungen der Anteilseigner voraus-
setzen, wenn sie schon die Zeche zahlen sollen.

Keine


Sippenhaft


Firmen sind nicht für Strafen von Managern


verantwortlich, findet Alexander Reuter.


Der Autor ist Partner bei der Kanzlei Görg und
war zuvor Justiziar in der Industrie.

Markus Schiemann [M]

Gerichte


verweigern


Unterneh-


men derzeit


den Regress


gegen die


Verant-


wortlichen.


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Gastkommentar


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MITTWOCH, 30. OKTOBER 2019, NR. 209


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