Handelsblatt - 30.10.2019

(Barry) #1

J. Hildebrand, T. Sigmund Berlin


R


oland Koch, Christian
Wulff oder Günther
Oettinger – im sagen-
umwobenen Anden-
pakt sammelten sich
einst die Gegner von CDU-Chefin An-
gela Merkel. Offiziell ist der Geheim-
bund nie bestätigt worden, aber sein
politischer Einfluss beschäftigte lange
Zeit die Öffentlichkeit.
Nach der verheerenden Wahlnie-
derlage der CDU in Thüringen meldet
sich mit Roland Koch nun ein angeb-
liches Mitglied des Paktes im Politik-
magazin „Cicero“ zu Wort und rech-
net mit der Politik von Kanzlerin Mer-
kel ab. Im Kern beklagt Koch den
Verlust von Mut, Konfliktwillen und
-fähigkeit. Und die Aufgabe von Frei-
heit und wehrhaftem Staat als zentra-
le Werte der Union.
Die Veröffentlichung des Textes
trifft zusammen mit einer Funda-
mentalkritik von Friedrich Merz. Der
CDU-Wirtschaftspolitiker feuerte in
einem ZDF-Interview geradezu eine
Breitseite auf die Kanzlerin ab. Ihre
Regierung bezeichnete er als „grot-
tenschlecht“. Sein Eindruck sei,
„dass sich seit Jahren über dieses
Land wie ein Nebelteppich die Untä-
tigkeit und die mangelnde Führung
durch die Bundeskanzlerin legt“.
Altkanzler Helmut Kohl pflegte zu
sagen: Rache ist ein Gericht, das kalt
serviert wird. In der CDU-Spitze be-
gann jedenfalls unmittelbar danach
ein Versuch, die Motive von Merz zu
erforschen, der im Dezember vergan-
gen Jahres im Rennen um den Partei-
vorsitz knapp gegen Merkels Wunsch-
kandidatin Annegret Kramp-Karren-
bauer verloren hatte. Bereitet da

jemand einen zweiten Anlauf vor?
Ein Sturz der gewählten CDU-Vor-
sitzenden sei mit der Partei nicht zu
machen, so die Einschätzung auch
bei Leuten, die Merz wohlgesonnen
sind. Merz wolle Unruhe erzeugen
und so ein schnelles Ende der Koaliti-
on mit der SPD herbeiführen, um
sich selbst noch einmal im Rennen
um die Kanzlerkandidatur ins Spiel
zu bringen.
Es wurde daran erinnert, dass die
Junge Union mit ihrem Vorsitzenden
Tilman Kuban kürzlich auf ihrem so-
genannten Deutschlandtag das
Comeback von Merz vorbereitet und
ihm eine große Bühne mit Standing
Ovations und Sprechchören ver-
schafft hatte. Die amtierende CDU-
Chefin Kramp-Karrenbauer wurde
nur pflichtschuldigst unterstützt.
Kramp-Karrenbauer müsse endlich
liefern und die Partei aus der Merkel-
Lethargie befreien, heißt es aus dem
Merz-Lager. Wenn die CDU sich wie-
der deutlich über 30 Prozent bewe-
ge, dann werde sich auch die Kritik
an der Parteichefin legen, so die Ana-
lyse. Wenn sie aber unter dieser
Schwelle verharre, dann werde es
schwierig für ihre Ambitionen, Kanz-
lerkandidatin zu werden.
Das weiß auch Kramp-Karrenbau-
er. Sie selbst hat immer wieder be-
tont, über die Kanzlerkandidatur
werde Ende 2020 entschieden. Wer
die Führungsfrage jetzt stellen wolle,
solle das auf dem Parteitag im No-
vember in Leipzig tun, forderte
Kramp-Karrenbauer ihre Gegner ge-
rade heraus. Dort ist allerdings keine
Abstimmung dazu vorgesehen. Merz
könnte in der Aussprache jedoch sei-

ne Kritik wiederholen. Die Reaktion
des Parteitages wäre dann zumindest
ein öffentlicher Gradmesser für die
Stimmungslage in der Partei.
In der Bundesregierung selbst
kommt die Kritik von Merz nicht gut
an. Gesundheitsminister Jens Spahn
(CDU) und Innenminister Horst See-
hofer (CSU) wiesen den Vorwurf des
Wirtschaftratsvizes umgehend zu-
rück. Wenn er sich die Halbzeitbilanz
der Großen Koalition anschaue,
„dann finde ich, hat diese Bundesre-
gierung ziemlich viel umgesetzt“, sag-
te CDU-Präsidiumsmitglied Spahn.
„Ich teile die Kritik von Friedrich
Merz nicht“, sagte auch der CSU-Eh-
renvorsitzende Seehofer am Rande
eines Treffens europäischer Innenmi-
nister in München. Er betonte, das
Thema darüber hinaus nicht weiter
kommentieren zu wollen: „Aber
nach langer politischer Erfahrung
weiß ich, dass in einer solchen Lage
Disziplin die beste Eigenschaft ist.“
Ausgerechnet Seehofer, der die Uni-
on und die Koalition vor einem Jahr
in eine Zerreißprobe führte, vertei-
digt nun Merkel und ruft zur Ge-
schlossenheit auf – „das sind derzeit
schon tolle Tage in der Union“, kom-
mentiert ein CDU-Politiker.
Der Wirtschaftsflügel fordert, dass
die Union solide Regierungsarbeit lie-
fert, ohne allerdings zu weitgehende
Zugeständnisse an die Sozialdemo-
kraten zu machen. „Die CDU ist die
Partei, die verantwortlich regieren
will“, sagte Unionsfraktionsvize Cars-
ten Linnemann (CDU). Gleichzeitig
müsse man das Profil schärfen und
Haltung zeigen. „Das schließt eine
Zusammenarbeit mit der Linken ge-

nauso aus wie faule Kompromisse bei
der Grundrente.“
Dass der thüringische CDU-Chef
Mike Mohring nun Gespräche mit der
Linkspartei führen will und nicht von
der Bundes-CDU gestoppt wurde,
sorgt gerade bei Wirtschaftspolitikern
für Unmut. „Allein die Tatsache, dass
im CDU-Bundesvorstand ernsthaft
über eine mögliche Zusammenarbeit
mit den Kommunisten der Links-Par-
tei diskutiert wurde, zeigt doch, in
welche falsche Richtung sich die Par-
teiführung und das Kanzleramt ent-
wickelt haben“, sagte Christian von
Stetten, Chef des einflussreichen Par-
lamentskreises Mittelstand der Uni-
onsfraktion. „Ich bin nicht bereit,
diese Entwicklung widerspruchslos
zu akzeptieren.“
„Entscheidend ist, mit welchem
Ziel Gespräche geführt werden und
welcher Eindruck damit vermittelt
wird“, sagte Wolfgang Steiger, Gene-
ralsekretär des CDU-Wirtschaftsrats.
„Eine Koalition der CDU mit der Lin-
ken und auch ein anderes Konstrukt,
um Rot-Rot-Grün in Erfurt wieder in
den Sattel zu helfen, wäre die grund-
sätzlich falsche Schlussfolgerung aus
dem Wahlergebnis.“
Und Reinhold von Eben-Worlée,
Präsident der Familienunternehmer,
erinnerte die CDU daran, dass Lud-
wig Erhard ihr Markenkern sei.
„Marktwirtschaftliche und sozialisti-
sche Prinzipien sind nicht kompati-
bel“, sagte er. „Dieses geistige Erbe
Erhards ist in der GroKo bereits teil-
weise unter die Räder gekommen.“
Führten die Gespräche in Erfurt in ei-
ne Koalition mit der Linken, „bliebe
davon gar nichts mehr übrig“.

Union


Merz contra Merkel


Mit seinem Generalangriff auf Kanzlerin Merkel wirbelt der CDU-Wirtschaftspolitiker die Union auf.


imago images/Emmanuele Contini

Ich teile die


Kritik von


Friedrich Merz


nicht.


Horst Seehofer
Bundesinnenminister

CDU-Politiker Merz:
„Die Untätigkeit und die man-
gelnde Führung Merkels legt
sich seit Jahren wie ein
Nebelteppich über das Land.“

Murat Tueremis/laif

Wirtschaft & Politik
MITTWOCH, 30. OKTOBER 2019, NR. 209

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