Die Welt - 13.11.2019

(Martin Jones) #1
on die zweitgrößte Unterorganisation der
CDU.
„Der alte weiße Mann ist System“, titel-
te die Schweizer „Wochenzeitung“. Die
deutsche Autorin und Mineralölkonzern-
Markenbotschafterin Sophie Passmann
erklärte: „Der alte weiße Mann sieht sich
als Mittelpunkt des Universums.“ Und so-
gar Daniel Günther, CDU-Ministerpräsi-
dent von Schleswig-Holstein, mit 46 ein
mittelalter weißer Mann, sagte kürzlich in
Richtung Friedrich Merz, nachdem der
mal wieder die Kanzlerin attackierthatte:
„Ich glaube, dass hier ein paar ältere Män-
ner, die vielleicht nicht das in ihrem Le-
ben erreicht haben, was sie erreichen
wollten, die Chance nutzen möchten, alte
Rechnungen zu begleichen.“
WWWas bedeutet Ihnen Alter, Herr Wulff?as bedeutet Ihnen Alter, Herr Wulff?
„Natürlich hat man im Alter Krankhei-
ten“, sagt Wulff, „natürlich stirbt man
bald. Aber ans Alter selbst denke ich
nicht.“ Mit 77, vor neun Jahren, hat er
noch mal das goldene Sportabzeichen ge-
macht. Bis er 70 war, ist er jeden Morgen
in den Wald zum Laufen. Er sagt, Alter be-
deute nichts. Wenn man etwas nicht mehr
kann, dann kann man es eben nicht mehr,
aaaber nicht das Alter sei daran schuld, son-ber nicht das Alter sei daran schuld, son-
dern das eigene Unvermögen. „Da muss
man selbstkritisch sein.“
Er sitzt aufrecht auf seinem Stuhl. Auf
dem beigen Polster blühen Rosen. Später,
wenn ich ihn darin sitzend fotografiere,
wwwird er sagen: „Na, jetzt seh ich ja wirklichird er sagen: „Na, jetzt seh ich ja wirklich
aaaus wie ein Opa.“ Dann sagt er wieder:us wie ein Opa.“ Dann sagt er wieder:
„Aber wo ich den Jüngeren recht gebe,
wenn sie über Alte lachen, die ihre Jugend
wwwie ein Gummiband hinter sich herzie-ie ein Gummiband hinter sich herzie-
hen.“ Anti-Aging-Produkte? „Lächerlich.
WWWer Angst vorm Alter hat, hat ein Pro-er Angst vorm Alter hat, hat ein Pro-
blem!“
Und dann erzählt er Folgendes. Das
war vor vier Jahren. Da ist er Zug gefah-
ren. Der war voll. Eine junge Frau bot ihm
einen Platz an. „Das war mir ein bisschen
peinlich. Ich habe natürlich nicht ange-
nommen. Ich habe gesagt: Na hören Sie
mal, ich fühl mich doch gar nicht alt.“ Da
hat ihm die Frau einen Kuss auf die Wange
gegeben. Aber Wulff hat sich zum ersten
Mal als alter Mann gesehen und gefühlt.
Und dann reden wir über den alten wei-
ßen Mann. „Was heißt das denn?“, fragt
WWWulff. „Das klingt so nach Sklavenzeitulff. „Das klingt so nach Sklavenzeit
und Herrschertum.“ Aber beherrscht der
weiße Mann denn nicht die Welt? Wulff
sagt: „Trumphat den alten weißen Mann
doch endgültig zur Witzfigur gemacht.“
WWWas Wulff stört, ist das Alter als „Syno-as Wulff stört, ist das Alter als „Syno-
nnnym für Krankheit, Geistesschwäche, dasym für Krankheit, Geistesschwäche, das
Nicht-mehr-arbeiten-Können“. Die Alten
hätten doch Erfahrung. Sie würden doch
gebraucht. Er macht eine Pause. „Wollen
wwwir auf das Alter wirklich verzichten?ir auf das Alter wirklich verzichten?
WWWollen wir auf Platon und Homer ver-ollen wir auf Platon und Homer ver-
zichten?“ Pause. Dann lauter: „Diese ver-
dammte Verhohnepipelung des Alters. Es
waren die Alten und die Frauen, die
Deutschland wiederaufgebaut haben.“
Frauenquote? „Brauchen wir nicht.“
Randnotiz: In der Senioren-Union sind
mehr Frauen als Männer. Wulff sagt:
„„„Wenn ich meine zwei Enkelinnen sehe,Wenn ich meine zwei Enkelinnen sehe,
sehe ich zwei, die später als Frauen garan-

tiert nicht rumgeschubst werden.“ Pause.
Dann: „Ich habe mehr Frauen im Leben
bewundert als Männer.“
Männer in Elternzeit? „Absolut ver-
nünftig. Gab es bei mir leider nicht. Ohne
meine Schwiegermutter hätte ich das
nicht geschafft.“ Wulff wird ernst. Er will
nicht über seine Frau reden. Nur so viel:
Da ist eine Schwere in ihm. „Sie können ja
schreiben, dass es nicht einfach war in
meinem Leben.“ Häufig hat Wulff seine
zzzwei Söhne alleine mit dem Kinderwagenwei Söhne alleine mit dem Kinderwagen
durch den Ort geschoben. „Die Leute ha-
ben komisch damals geschaut.“ Wulffs
Männlichkeit ist das Gegenteil von to-
xisch, sie ist tief humanistisch.
WWWulff, faktisch ein alter weißer Mann,ulff, faktisch ein alter weißer Mann,
ist inhaltlich das Gegenteil davon. Ist die
CDU zu links geworden? „Man ist doch
aaauch nicht links, weil man jetzt Fahrraduch nicht links, weil man jetzt Fahrrad
fffährt und vorher Pferde hatte.“ Und dieährt und vorher Pferde hatte.“ Und die
Homoehe? „Was ist falsch daran, wenn
Menschen glücklich zusammenleben?“
Wir reden über Knieoperationen. Über
fffehlende Aufzüge an Bahnsteigen. Überehlende Aufzüge an Bahnsteigen. Über
WWWulffs Vater, „ein überzeugter Europäer“,ulffs Vater, „ein überzeugter Europäer“,
der in Hagen im Gestapo-Gefängnis saß.
„Als er wieder nach Hause kam, haben wir

ihn nicht gefragt, wie es ihm ging. Wir sa-
hen es.“ Wulff erinnert sich an den 9. No-
vember 1938. Er war fünf damals. Er ist bei
seiner Großmutter. Die SA zieht betrun-
ken durch das Dorf zum Judenfriedhof.
WWWulffs Großmutter sagt damals: „Dasulffs Großmutter sagt damals: „Das
sind böse Leute, der Herrgott wird sie
bestrafen.“
Wie soll man mit der AfD umgehen?
„Es gibt Leute, mit denen kann man nicht
reden. Wollen Sie mit Hitler und Freisler
üüüber Menschlichkeit diskutieren“, ant-ber Menschlichkeit diskutieren“, ant-
wortet er und sagt hinterher: „Aber das
Leben ist nicht schwarz-weiß. Auch Na-
tionalsozialisten haben sich bekehren las-
sen.“ Wulff sagt auch: „Wo es eine Chance
aaauf Diskussion gibt, muss man sie nutzen.uf Diskussion gibt, muss man sie nutzen.
Das ist unsere demokratische Pflicht. Wir
müssen uns anbieten. Und das Gegenüber
muss merken, dass wir es ernst meinen.“
WWWulff schenkt Tee nach. „Wissen Sie,ulff schenkt Tee nach. „Wissen Sie,
da ist ein Bild, das ich im Leben nicht ver-
gessen werde. Das ist das Bild einer jüdi-
schen Großmutter, die mit ihren zwei En-
kelkindern ins Gas von Auschwitzgeführt
wwwird. Das Bild war nach dem Krieg in derird. Das Bild war nach dem Krieg in der
Zeitung. Und die, die das gemacht haben,
dürfen nicht wiederkommen.“ Sehen Sie

das in der AfD? „Nein, das sehe ich da im
Moment nicht. Ich mache mir deswegen
keine Sorgen. Aber ich will es nicht mal
ansatzweise dazu kommen lassen. Und
das sage ich Ihnen, ich bin kein Pazifist,
wenn es darum geht, das zu verhindern.“
Dann steigen wir wieder in seinen Mer-
cedes. Ein Schaltwagen übrigens. Es ist
dunkel geworden. In den Häusern der
Siedlung brennen Lichter. Wulff erzählt
von seiner Schul- und Studienzeit. Er war
mit dem Sohn von Konrad Adenauerbe-
fffreundet. „Und dann saßen wir da beimreundet. „Und dann saßen wir da beim
Bundeskanzler zu Hause. Und er schenkte
uns Rotwein ein. Und er fragte, Otto,
schmeckt er dir? Und ich sagte, jawohl,
Herr Bundeskanzler. Und er meinte,
nimm noch einen Schluck. Und ich mein-
te, jawohl, Herr Bundeskanzler. Und er
fffragte noch mal, schmeckt er dir. Und ichragte noch mal, schmeckt er dir. Und ich
sagte, sehr gut, Herr Bundeskanzler. Und
er meinte, Otto, das kann ich dir jetzt sa-
gen, Alkoholiker wirst du garantiert nicht,
das kannste dir nicht leisten.“ Der Wein
war ein Franzose von 1937.
„Schön, dass Sie da waren“, sagt Otto
WWWulff. „Und wenn ich mal in Berlin bin,ulff. „Und wenn ich mal in Berlin bin,
dann trinken wir auch einen Rotwein.“

„Ich habe mehr


FRAUEN


im Leben


bewundert als


Männer“


Vermeintlich Progressive sind sich einig:


Der alte weiße Mann ist an allem schuld.


Aber ist das wirklich so? Ein Hausbesuch


bei Otto Wulff (CDU), Präsident der


Senioren-Union, 86 Jahre


E


r holt uns mit dem Mercedes
am Bahnhof Schwerte ab.
Professor Doktor Otto Wulff
steht neben seinem Auto und
wwwinkt. Groß ist er. Er trägtinkt. Groß ist er. Er trägt
Bluejeans, weißes Hemd und Tweed-Ja-
ckett, dazu eine grün glänzende Paisley-
Krawatte, durch die eine Nadel gestochen
ist. Der Nadelkopf ist ein Wolf. „Altes Fa-
milienerbstück“, wird er später sagen.
WWWahrscheinlich 200 Jahre oder älter.ahrscheinlich 200 Jahre oder älter.
Durch eine randlose Brille guckt er mit
schnellen Augen auf die Welt.

VON FRÉDÉRIC SCHWILDEN
AUS SCHWERTE

Er steuert die Limousine mit einer de-
mütigen Kraft, dass man zum ersten Mal
das Wort Straßenkreuzer begreift. Auf
dem Rücksitz liegen ein verpackter Strauß
Blumen und ein Gehstock mit einem sil-
bernen Griff. Otto Wulff hat uns zu sich
eingeladen. Wir wollen über alte weiße
Männer sprechen. Wir wollen über ihn
sprechen.
Schwerte ist eine mittelgroße Stadt 20
Kilometer von Dortmund. Wir fahren zu
seinem Haus, ein gutbürgerliches, bun-
desrepublikanisches – Villa wäre ihm als
WWWort bestimmt zu obszön –, vielleicht ausort bestimmt zu obszön –, vielleicht aus
den 60er-Jahren. Glasbausteine. Im Ein-
gangsbereich Jagdtrophäen, ein altes Red-
nerpult, ein Foto von Gorbatschow, Zei-
tungsausschnitte – alles ordentlich ge-
rahmt. Wir gehen ins Wohnzimmer. „Kaf-
fffee oder Tee? Sie können auch Wein ha-ee oder Tee? Sie können auch Wein ha-
ben.“ Der Kamin knistert. Es riecht ange-
nehm nach Rauch. Auf einem Tisch hat
WWWulff Gebäck arrangiert, das gute Porzel-ulff Gebäck arrangiert, das gute Porzel-
lan herausgeholt. „Den Schrank da drüben
hat wahrscheinlich schon Mozart gese-
hen.“ Wulff hat ihn in Wien gekauft, er
stand zur Kaiserzeit bei einem Impresa-
rio.
WWWulff geht in die Küche. Er sagt so wasulff geht in die Küche. Er sagt so was
wwwie, eigentlich bräuchte er die große Kü-ie, eigentlich bräuchte er die große Kü-
che ja gar nicht mehr. Er ruft ins Wohn-
zimmer, er sei ja die meiste Zeit alleine.
Der Blick durch das Wohnzimmer. Wieder
gerahmte Erinnerungen. Otto Wulff als
Mauerspecht. Otto Wulff und seine Frau.
Lithografien, Kupferstiche, Landschafts-
malerei. Eine Goethe-Handschrift. Eine
große Bibliothek. Zehn Meter Bücher. Pe-
ter Scholl-Latour. Umberto Eco. Enzyklo-
pädien. Literaturlexika. „Langlauf in
Lappland“, „Der neue Hausarzt“, „Knaurs
KKKulturführer Deutschland“. Die Insignienulturführer Deutschland“. Die Insignien
westdeutschen Bildungsbürgertums ste-
hen in Reih und Glied.
Durch eine Fensterfront blickt man in
den Garten. Grüner Rasen liegt unter
dunkelgrau-feuchtem Novembernachmit-
tag. Auf der Fensterbank: zwei Matrjosch-
kas, zwei Keramikeulen. Davor: ein Stuhl
aaaus der Parlamentarischen Gesellschaft inus der Parlamentarischen Gesellschaft in
Bonn. Von 1969 bis 1990 war Otto Wulff –
1 933 geboren, 1953 in die CDU eingetreten


  • Mitglied des Deutschen Bundestages. Er
    war Direktor der Deutschen Bank, Hono-
    rarprofessor für Entwicklungs- und Fi-
    nanzrecht. Seit 2002 ist er Bundesvorsit-
    zender der Senioren-Unionder CDU, mit
    5 4.000 Mitgliedern nach der Jungen Uni-


8


- Belichterfreigabe: ----Zeit:Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Zeit:-Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Zeit:-Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: ---Zeit:---Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe:


Belichter: Farbe:Belichter: Farbe:Belichter:


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13.11.1913.11.1913.11.19/1/1/1/1/Pol5/Pol5 AFREYE 5% 25% 50% 75% 95%

8 POLITIK DIE WELT MITTWOCH, 13. NOVEMBER 2019


FRÉDÉRIC SCHWILDEN (2)

NA, JETZT SEH ICH


JA WIRKLICH AUS


WIE EIN OPA


OTTO WULFF,


als das Foto im Sessel gemacht wird


,,


Der 86-jährige Otto Wulff,
Präsident der Senioren-Union,
in seinem Wohnzimmer in Schwerte

Die Krawattennadel von Otto Wulff ist ein Wolf und schon seit über hundert Jahren in Familienbesitz


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