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Das Ozonloch über dem Südpol hat sich so
früh geschlossen wie seit mehr als 30 Jah-
ren nicht mehr. Das ergaben Messungen
des Erdbeobachtungsprogramms der EU.
Für gewöhnlich wächst von August bis Ok-
tober ein Loch in der Ozonschicht und
schließt sich dann wieder. In der Strato-
sphäre über dem Südpol war es dieses Jahr
jedoch wärmer als gewöhnlich, weshalb
das Ozonloch nur auf zehn Millionen Qua-
dratkilometer wuchs – nicht einmal halb
so groß wie in den vergangenen Jahrzehn-
ten. Auf eine schnellere Erholung der Ozon-
schicht lässt das allerdings nicht schlie-
ßen, da es sich hier um ein ausgewöhnli-
ches Wetterereignis handelt. In den vergan-
genen Jahrzehnten erholte sich die Ozon-
schicht erst Ende November. So wird es
wohl auch in den nächsten Jahren wieder
sein. Ozon ist ein natürlicher Filter für die
im Sonnenlicht enthaltenen UV-Strahlen.
Entsteht ein Ozonloch, kommen die für Le-
bewesen gefährlichen Strahlen mit hoher
Intensität auf der Erdoberfläche an. smh
von hubert filser
W
ikinger gelten gemeinhin als
eher ruppige Zeitgenossen, als
bärtige Krieger und versierte Na-
vigatoren, die mit ihren schnellen Schiffen
die nördlichen Meere beherrschten und
auf ihren Raubzügen nicht eben zimper-
lich zu Werke gingen. Von Frauen war in
den gängigen Geschichten hingegen wenig
die Rede. Nun häufen sich aber die Hinwei-
se darauf, dass skandinavische Frauen be-
reits im 8. Jahrhundert eine hohe soziale
Stellung hatten. Dies belegt auch eine Stu-
die von Tübinger Forschern, die Knochen
und Zähne aus der Wikingerzeit vom 8. bis
- Jahrhundert und dem Mittelalter unter-
suchten und darüber im FachmagazinEco-
nomics and Human Biologyberichten. Ein
in den Zähnen gespeicherter Gesundheits-
marker zeigt, dass sich bei den Wikingern
beide Geschlechter gleich gut ernährten.
Basis der Studie waren umfassende bio-
logische und archäologische Daten zu
mehr als 15 000 menschlichen Skeletten
aus ganz Europa aus den vergangenen
2000 Jahren. Ein Forscherteam aus etwa
75 Bioarchäologen und Anthropologen hat-
te im Rahmen des Netzwerks „Global Histo-
ry of Health“ und des DFG-Sonderfor-
schungsbereichs „Ressourcen-Kulturen“
zu jedem Toten etwa 100 verschiedenen In-
dikatoren zusammengetragen, Zahnmerk-
male, Knochenmaße oder Abnutzungser-
scheinungen. Aus dem Datensatz gewin-
nen die Forscher Erkenntnisse über die
Entwicklung von Gesundheit, Ernährung,
Arbeitsbelastung und Gewalt in unter-
schiedlichen Regionen Europas, auch in
verschiedenen Jahrhunderten.
Aktuell werteten Laura Maravall und
Jörg Baten vor allem den Zustand der Zäh-
ne von Skeletten aus Skandinavien aus
und verglichen die Ergebnisse auch mit
entsprechenden Daten etwa aus dem Mit-
telmeerraum. Im Fokus stand dabei insbe-
sondere ein Merkmal, das sie lineare
Schmelzhypoplasie nennen. Bei Mangeler-
nährung und oder schwereren Erkrankun-
gen vor allem während der frühen Kind-
heit entstehen linienartige Schäden auf
den Zähnen. „Solche waagerechten Vertie-
fungen auf den Zähnen kann man heutzu-
tage noch bei armen Menschen in einigen
Regionen Indiens sehen“, sagt Baten.
Die Forscher interessierten sich vor al-
lem für starke Unterschiede zwischen Män-
nern und Frauen, die sie als Indiz für sozia-
le Ungleichheit werteten. Für die Zeit zwi-
schen dem 8. und 11. Jahrhundert ergab die
Analyse einen klaren Befund: Die Wikin-
gerfrauen aus ländlichen Regionen Skandi-
naviens waren ähnlich gut genährt wie die
Männer. Dies lasse auf eine weitgehende
Gleichstellung schließen, so Baten.
„Der relativ gute Ernährungs- und Ge-
sundheitszustand reflektiert die Entschei-
dung der Eltern, ihren weiblichen Nach-
wuchs ähnlich zu ernähren und bei Krank-
heit zu umsorgen wie die männlichen Nach-
kommen“, sagt Baten. Um ihre These zu
überprüfen, verwendeten die Tübinger
Wissenschaftler einen zweiten Indikator,
die Länge der Oberschenkelknochen. Die-
ses Maß gibt Auskunft über die Körperlän-
ge, die bei guter Ernährung und Gesund-
heit im Bevölkerungsdurchschnitt größer
ausfalle als bei Fehlernährung, so die For-
scher. Das Ergebnis hier: Die Wikingerfrau-
en waren fast ebenso groß wie die Männer.
Ein anderes Bild ergab sich für größere
Siedlungen Skandinaviens, etwa für das
norwegische Trondheim, die schwedi-
schen Städte Lund oder Sigtuna, eine frü-
he mittelalterliche Wikingersiedlung auf
dem Gebiet der heutigen schwedischen
Provinz Stockholm. „Die Frauen erreich-
ten dort nicht die Gleichstellungswerte wie
auf dem Land“, sagt Baten. Den Unter-
schied zwischen Stadt und Land erklärt
der Wirtschaftgeschichtler mit der Spezia-
lisierung auf Viehhaltung auf dem Land,
die vor allem für Frauen dort wirtschaftli-
che Vorteile und damit Ansehen brachte.
„Anders als beim Ackerbau, der wegen der
höheren Muskelkraft vor allem von Män-
nern betrieben werden musste, konnten
Frauen bei der Viehhaltung viel zum Fami-
lieneinkommen beitragen. Das hob wahr-
scheinlich ihre Stellung in der Gesell-
schaft“, sagt der Forscher.
Die Erkenntnisse passen zu einer Reihe
historischer Quellen, die Hinweise auf die
Gleichstellung von skandinavischen Frau-
en geben, allerdings stammen sie oft aus
späterer Zeit und schildern bisweilen Ein-
zelfälle. Der berühmte Händler, Spion und
Diplomat Ibrahim ibn Jakub aus dem da-
mals muslimisch geprägten Spanien wun-
derte sich im 10. Jahrhundert bei einem Be-
such im Wikingerort Haithabu, dass die
Frauen sich von ihren Männern scheiden
lassen konnten und dabei auch noch Unter-
stützung von der lokalen Gemeinschaft er-
hielten. „Solche Rechte hatten Frauen in
anderen Regionen Europas damals nicht“,
sagt Baten.
Einen weiteren Hinweis auf die Gleich-
stellung von Frauen in frühen Wikingerge-
sellschaften hatte jüngst auch eine Ge-
schlechtsbestimmung eines reich bestatte-
ten Wikingerskeletts aus der Siedlung Bir-
ka in Schweden ergeben. Aufgrund der Kör-
pergröße und vor allem der Grabbeigaben
waren Archäologen lange Zeit davon ausge-
gangen, dass es sich um einen militäri-
schen Führer gehandelt haben muss. Zwei
Pferde, Speer, Pfeile, Messer, zwei Schilde
und ein paar Steigbügel sowie vor allem
das Langschwert und die Streitaxt konn-
ten nur einem Wikingerkrieger gehört ha-
ben. Bis die Genanalyse und Knochenun-
tersuchungen ergaben, dass es sich eindeu-
tig um eine Frau gehandelt haben muss.
„Dies mag nur ein Einzelfall gewesen sein,
deutet aber ebenfalls darauf hin, dass Wi-
kingerfrauen eine vermutlich stärkere Stel-
lung hatten als in anderen Regionen“, so Ba-
ten. Völlige Gleichstellung habe es im Mit-
telalter aber auch in Skandinavien nicht ge-
geben, so durften Frauen etwa auf den
Thing-Versammlungen nicht mitentschei-
den.
Aber in vielerlei Hinsicht war die Gleich-
stellung besser als in anderen Regionen Eu-
ropas. Für Frauen aus dem Mittelmeer-
raum ergab die Tübinger Studie eine Un-
gleichstellung, jedenfalls waren deren Ge-
sundheitswerte aus den Zähnen im Mittel
deutlich schlechter als bei den Männern.
Baten hält es für möglich, dass die star-
ken, gleichberechtigten Frauen der Wikin-
gerzeit im 8. Jahrhundert konkrete literari-
sche Vorbilder waren, etwa für die Walkü-
ren, die in der nordischen Mythologie als
mächtige Geistwesen den Göttervater
Odin begleiten und tote Krieger vom
Schlachtfeld ins Jenseits geleiten. „Diese
Frauen in den nordischen Ländern könn-
ten populäre Mythen über die Walküren ge-
nährt haben: Sie waren stark, gesund und
hochgewachsen“, sagt Baten.
Diese Interpretation geht dem Bonner
Mediävisten Rudolf Simek zu weit. „In den
Sagas stand nirgendwo, dass sie groß und
stark waren. Walküren waren jenseitige
Wesen, Totendämonen. Zu Kriegerinnen
werden sie erst spät im Mittelalter, man
vermischt sie begrifflich mit den sogenann-
ten Schildmädchen, den vereinzelt in der
mittelalterlichen Literatur auftretenden
Königstöchtern, die mangels Brüdern in
die Schlacht ziehen.“ Im realen Leben der
Wikinger aber spielten die starken Frauen
eine offenbar größere Rolle, als Wikinger-
forscher lange Zeit annahmen.
Die niederländische Organisation The Oce-
an Cleanup, einst angetreten, um die Welt-
meere vom Müll zu befreien, möchte nun
auch Kunststoffe aus Flüssen fischen. Bei
einem groß angelegten Event präsentierte
das Team um Gründer Boyan Slat vor weni-
gen Tagen seine neuste Erfindung, den kas-
tenförmigen „Interceptor“ – zu deutsch
„der Abfangjäger“. Das Gerät, eine Art
schwimmender Kasten, soll Müll mit ei-
nem wasserdurchlässigen Fließband in
große Tonnen im Inneren eines Schiffs
transportieren. „In den nächsten fünf Jah-
ren möchten wir 1000 Flüsse auf aller Welt
mit dem Interceptor ausrüsten“, sagte der
25-jährige Slat. Viele Meeresbiologen blei-
ben hingegen weiter kritisch gegenüber
den Jubelmeldungen.
Vor nicht allzu langer Zeit hat The Ocean
Cleanup schon einmal die Aufmerksam-
keit und die Kritik von Wissenschaftlern
auf sich gezogen. Unter großem medialen
Getöse hatte die Organisation einen Müll-
fänger getestet, der auf dem offenen Meer
an der Oberfläche schwimmendes Plastik
abschöpfen sollte. Der erste Versuch im ver-
gangenen Jahr scheiterte, als ein Teil der
U-förmigen Konstruktion abbrach. Ein hal-
bes Jahr später endlich meldeten sie den
ersten Erfolg; das modifizierte System
sammelte wie geplant Plastik aus dem offe-
nen Meer.
Doch an der Kritik aus der Wissenschaft
änderte das wenig: Zu groß sei das Pro-
blem in den Meeren, als dass so eine Platt-
form helfen könne – man müsse vielmehr
verhindern, dass das Plastik überhaupt in
die Ozeane gelange, so die Einschätzung
vieler Experten.
Auch Melanie Bergmann vom Alfred-
Wegener-Institut in Bremen kritisierte
von Beginn an das Konzept von Gründer
Boyan Slat – und sieht auch in dem Fluss-
reiniger keine langfristige Lösung. Schlim-
mer noch: Das System könnte der Flora
und Fauna mehr schaden als nützen. „In
asiatischen Flüssen herrschen andere öko-
logische Bedingungen vor als in europäi-
schen oder afrikanischen Flüssen. All das
muss berücksichtigt werden“, sagt Berg-
mann.
„Beim Abschöpfen des Plastiks holt der
Müllsammler auch das für das Ökosystem
wichtige organische Material wie Blätter
und Äste aus dem Fluss – das zeigen sogar
die Videos, die The Ocean Cleanup selbst
veröffentlich hat“, sagt Ökologe und Fluss-
experte Christian Laforsch von der Univer-
sität Bayreuth. „Sie sind eine wichtige Nah-
rungsgrundlage für alle im Fluss lebenden
Organismen.“
Meeresbiologin Bergmann sieht zudem
ein Problem in einem Teil des Plastiks, der
so klein ist, dass er von der Strömung un-
ter die Oberfläche gezogen wird. Größere
Kunststoffteile zersetzten sich zusätzlich
bereits im Fluss zu Mikroplastik, wenn sie
etwa an dem feinen Sand des Flussbettes
reiben. „Das Mikroplastik, dessen Wir-
kung auf die Umwelt noch kaum erforscht
ist, kann der Ocean Cleanup bisher nicht
abschöpfen“, sagt sie. Das sei zwar kein
Punkt gegen den Müllsammler, der zumin-
dest grobe Kunststoffteile abschöpfe.
Dass der Ocean Cleanup sich nun auf die
Flüsse konzentrierte, sei ein Schritt in die
richtige Richtung – doch bestehe in den
Flüssen dasselbe Problem wie auf dem of-
fenen Meer, so Bergmann. Wer wirklich
wirksam und nachhaltig etwas gegen die
Plastikverschmutzung in Gewässern tun
möchte, müsse viel früher ansetzen, statt
technische Lösungen zu suggerieren.
„Wenn das Waschbecken überläuft, wische
ich ja auch nicht zuerst das übertretende
Wasser auf, sondern drehe zunächst den
Hahn zu.“ Das Geld, das in die Entwicklung
der Ozean-Lösung und nun für die Flüsse
investiert wurde, hätte man besser in die
Erforschung von Plastikalternativen inves-
tiert, so Bergmann.
„Die Lösung wird nicht darin bestehen,
so wie bisher weiterzumachen und auf
Müllsammler zu setzen“, sagt auch Meeres-
biologin Stefanie Werner vom Umweltbun-
desamt. Vielmehr müsse die generelle Plas-
tikproduktion reduziert werden. Die Hälf-
te allen Mülls, der an europäischen Strän-
den gefunden wird, besteht aus Einwegpro-
dukten aus Kunststoffen, deren Einsatz
zum Großteil verzichtbar ist, so Werner.
Der neue Flussmüllsammler, da sind sich
die Experten einig, ist eine vergleichsweise
ineffiziente Methode und steht damit eher
am Ende der Kette aller möglichen Lö-
sungsansätze. leon kirschgens
Männer und Frauen waren
gleich gut ernährt. Das war
keineswegs selbstverständlich
Der Plastikmüll-„Abfangjäger“ für Flüsse. FOTO: IMAGO
Dienten die Frauen Skandinaviens
als Inspiration für die Walküren
aus der nordischen Mythologie?
Ozonloch schließt sich
Messungen am Südpol zeigen deutliche Verkleinerung
Wickie und die starken Frauen
Bereits vor Jahrhunderten waren die Geschlechter in Skandinavien offenbar gleichgestellt.
Das schließen Archäologen aus der Analyse Tausender menschlicher Skelette
Das große
Reinemachen
Umstrittenes Start-up will Flüsse von Plastik befreien
Wäre das Geld besser
für die Erforschung von
Plastikalternativen eingesetzt?
(^16) WISSEN Mittwoch, 13. November 2019, Nr. 262 DEFGH
Schäden an den Zähnen verraten, ob ein Mensch einst Hunger leiden musste. FOTO: UNIVERSAL IMAGES GROUP VIA GETTY
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