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von boris herrmann
Berlin –„Danke,Sahra!Daswar’snochlan-
genicht“,hatDietmarBartschseinerbishe-
rigen Partnerin an der Fraktionsspitze der
Linken zum Abschied zugerufen. Tatsäch-
lich darf man davon ausgehen, dass von
Sahra Wagenknecht, 50, weiterhin zu hö-
ren sein wird: als Bundestagsabgeordnete,
als Buchautorin, als Talkshow-Profi, als
passionierte Streitfigur. Aber mit Wagen-
knechtindererstenReihederBerlinerPoli-
tik war’s das jetzt eben doch. Sie hatte be-
reits im März angekündigt, sich vom Frak-
tionsvorsitz zurückziehen zu wollen. In
dasChefbüronebenBartschwirdnunAmi-
ra Mohamed Ali, 39, einziehen.
Mohamed Ali setzte sich am Dienstag-
nachmittag in einer Kampfabstimmung
um den Fraktionsvorsitz gegen Caren Lay,
46, durch. Mohamed Ali erhielt im zweiten
Wahlgang 52 Prozent der Stimmen. Für
den männlichen Teil der Doppelspitze war
Bartsch,61, der einzige Kandidat, er wurde
mit knapp 64 Prozent wiedergewählt. Wa-
genknecht sagte nach der Wahl: „Ich gehe
mit mir im Reinen.“
Harmonischer als bisher wollen sie jetzt
fast alle sein bei der Linkspartei. Es gibt in
der Fraktion eine Sehnsucht, endlich nicht
mehralszerstrittenerHaufenwahrgenom-
men zu werden, sondern als arbeitsfähige
Mannschaft.DamitendendieGemeinsam-
keiten aber auch schon wieder. Es ist kein
Geheimnis, dass die Parteivorsitzenden
Katja Kipping und Bernd Riexinger sich
lieberCaren LayanderFraktionsspitzege-
wünscht hätten, und dass sich Bartsch
auch deshalb hinter Mohamed Ali stellte,
um Lay zu verhindern.
Dabei stehen Lay und Bartsch einander
politisch näher als Bartsch und Mohamed
Ali, die dem Wagenknecht-Flügel zuge-
rechnet wird. Bei dieser Wahl ging es aber
weniger um inhaltliche Konzepte als um
diekomplexeMachtarithmetikinderFrak-
tion. Diese wurde in den vergangenen Jah-
ren bestimmt vom sogenannten Hufeisen,
einem Zweckbündnis zwischen Bartschs
Reformer-Lager und dem antikapita-
listischen Wagenknecht-Fanklub. Knapp
die Hälfte der Abgeordneten sah sich aber
weder von der einen noch von der anderen
Hufeisenseite repräsentiert. Gerade
Bartsch hat langjährige Vertraute ver-
prellt, weil er trotz Wagenknechts Rechts-
schwenk in der Flüchtlingspolitik an dem
Bündnisfesthielt.ZudiesenVerprelltenge-
hörtauchLay.IhreKandidaturwarderVer-
such, das Hufeisen zu sprengen. Hinter
Mohamed Alis Gegenkandidatur steckte
der Plan, das Hufeisen zu retten. Insofern
ist diese Wahl allemal eine Richtungsent-
scheidung für die Linke. Die Richtung ist
nun ein beherztes „Weiter so!“.
DabeiverbandenmitWagenknechtsAb-
schied viele Abgeordnete die Hoffnung auf
einen Neuanfang. In der Partei macht sich
gerade zarte Aufbruchsstimmung breit,
nach dem Wahlerfolg in Thüringen robbt
sich die Linke auch in Umfragen auf Bun-
desebenewiederandieZehn-Prozent-Mar-
ke heran. Konsens herrscht darüber, dass
jetzt sogenannte Sachthemen im Vorder-
grund stehen müssen, wenn der Trend bis
zur nächsten Bundestagswahl anhalten
soll. Diese Einsicht scheint jedoch noch
nicht dazu zu führen, die gut einstudierte
Lagerbildung zu überwinden.
Beim Blick in die Lebensläufe der bei-
den Bewerberinnen um den Fraktionsvor-
sitz, werden wohl wenige daran zweifeln,
dass Lay die logischere Wahl gewesen wä-
re. Sie war Bundesgeschäftsführerin, stell-
vertretende Parteivorsitzende und Frakti-
onsvize.AufihremKerngebiet,derMieten-
politik, hat sie sich für höhere Ämter emp-
fohlen. Hätte sich Dietmar Bartsch laut
und deutlich für Lay ausgesprochen, wäre
wohl niemand gegen sie angetreten. Doch
Bartsch hat vernehmbar geschwiegen.
So wird nun Sahra Wagenknecht, die
mit Abstand bekannteste Politikerin der
Linksfraktion, ausgerechnet von einer der
unbekanntesten abgelöst. Wenn man sich
im Parteivorstand nach Mohamed Ali er-
kundigt, dann heißt es, man kenne sie bis-
her zu wenig, um das einschätzen zu kön-
nen. Selbst ihre Unterstützer geben zu,
dasssiebislangnichtunbedingtzudenpo-
litischenSchwergewichtenderFraktionge-
hörte.Aber das war in diesem Fall offenbar
kein Hindernis, sondern eher eine Chance.
DieneueChefinwarbislangwederimPosi-
tiven noch im Negativen aufgefallen. Sie
hatte weder Wagenknecht noch Kipping
oder Bartsch öffentlich kritisiert. Das kön-
nen in dieser Partei die wenigsten von sich
behaupten. Das machte sie aber auch für
Abgeordnete jenseits ihres linken Lagers
wählbar – undzur Überraschungssiegerin.
LayundihreUnterstützer hattendurch-
auseinkalkuliert,dasseseineGegenkandi-
datin geben würde. Aber sie haben sicher
nicht mit dieser Gegnerin gerechnet. Die
Meinungsführerinnen im Wagenknecht-
LagerwieSevimDağdelenoderHeikeHän-
selwärendefinitivnichtmehrheitsfähigge-
wesen, heißt es aus Fraktionskreisen.
Die neue Fraktionsvorsitzende Amira
MohamedAlisitzterstseit2017imBundes-
tag. Sie wurde in Hamburg geboren, lebt
aber seit vielen Jahren in Oldenburg, wo
auch ihr Wahlkreis ist. Die Rechtsanwältin
hateinedeutscheMutterundeinenägypti-
schen Vater. Gerade zum Markenkern der
Linken,zursozialen Frage, hatman vonihr
bislang wenig gehört. Auch parteiinterne
Kritiker räumen ein, dass sie sich bei ihren
Schwerpunktthemen Verbraucherschutz
und Tierschutz gut auskenne. Aber ob das
reicht, um in die Fußstapfen von Gregor
Gysi und Sahra Wagenknecht zu treten?
EinAbgeordnetersagt,ergebeinderFrak-
tion „große Irritationen“, dass Mohamed
Ali aus dem Nichts in die erste Reihe ge-
hievtwurde.EsseiBartschwohldarumge-
gangen, eine möglichst schwache Co-Vor-
sitzende neben sich zu haben. Nach neuer
Harmonie klingt das nicht.
Berlin – Der türkische Präsident Recep
Tayyip Erdoğan hat klargestellt, dass er
die Abschiebung von Anhängern der Ter-
rormiliz Islamischer Staat (IS) nach Euro-
pa als politisches Druckmittel einsetzen
will. Erdoğan verwies am Dienstag darauf,
dass die Abschiebungen europäischer
Staatsbürger bereits begonnen habe. „Ihr
mögt das auf die leichte Schulter nehmen.
Aber diese Türen können sich öffnen“,
warnte Erdoğan in Ankara. Aktueller Hin-
tergrundsinddrohendeEU-Sanktionenge-
gen Ankara wegen türkischer Erdgasboh-
rungen vor Zypern. Am Montag hatte die
Türkei der Bundesregierung die Ankunft
von neun Rückkehrern in dieser Woche
angekündigt.
Europa sei angesichts der Rückführun-
gen in „erheblicher Aufregung und Panik“,
sagte Erdoğan. Tatsächlich ist die Bundes-
regierung zwar darüber informiert, dass
die Türkei weitere Abschiebungen mut-
maßlicher IS-Anhänger nach Deutschland
plant. Darunter sollen sich auch Personen
befinden,gegendieVerfahrenbeiderBun-
desanwaltschaft laufen. Bislang wird in
Berlin allerdings nicht damit gerechnet,
dass mit der Abschiebung von IS-Sympa-
thisanten oder gar IS-Kämpfern in größe-
rer Zahl aus der Türkei zu rechnen ist. Nur
in relativ wenigen Fällen soll es sich um
Personen handeln, die im Verdacht stehen,
als IS-Kämpfer in Syrien gewesen zu sein.
Bundesaußenminister Heiko Maas
(SPD)hattedieTürkeiamMontagaufgefor-
dert, zügig weitere Informationen zur ge-
planten Abschiebung von mutmaßlichen
Anhängern der Terrormiliz nach Deutsch-
land zu liefern. Wenn betroffene Personen
einen „Bezug zu IS-Kampfhandlungen“
hätten, wolle man veranlassen, dass sie
sich in Deutschland vor der deutschen
Gerichtsbarkeitverantwortenmüssen.Be-
nötigtwürden aber„ausreichend gerichts-
feste Beweise“, um jemanden in Haft zu
nehmen oder vor Gericht zu stellen.
Bei den Rückkehren, die in dieser Wo-
che in Deutschland erwartet werden, han-
delt es sich um fünf Frauen, zwei Männer
und zwei Kinder mit deutscher Staatsbür-
gerschaft. Zu den erwarteten Rückkehren
gehöreeinesiebenköpfigeFamilieausNie-
dersachsen, berichteteZeit Online.DieFa-
milie sei erst im Januar dieses Jahres in die
Türkei eingereist und im März festgesetzt
worden. Ein Aufenthalt in Syrien sei nicht
bekannt.DieFamiliesollallerdingsVerbin-
dungen in die islamistische Szene in Nie-
dersachsen haben.
Angekündigt sei auch die Abschiebung
einer Konvertitin aus Hamburg-Tonndorf,
berichtete die Deutsche Presse-Agentur
unter Berufung auf Sicherheitsbehörden.
Nach Angaben ihrer Anwältin Ina Franck
solldieFrauaus demLagerAinIssainSyri-
en ausgebrochen sein. Der Mann, mit dem
sie in das einstige IS-Gebiet ausgereist
war, soll schon vor Jahren getötet worden
sein. Nach Darstellung der Anwältin sei die
Frau geläutert.
Aus der Opposition im Bundestag kam
Kritik an der Bundesregierung. Sie habe
„das Thema vor sich hergeschoben und
den Kopf in den Sand gesteckt“, sagte der
stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzen-
de Stephan Thomae im Deutschlandfunk.
Esseiaberbesser, dasseindeutscherStraf-
täter oder Terrorist sich in einem deut-
schen Gefängnis befinde „als irgendwo im
Nahen Osten vielleicht auf der Flucht“ mit
der Möglichkeit, unkontrolliert nach
Deutschland zurückzukehren. dbr
Berlin – Gerade hat er noch zackig „Zu-
gleich“ gerufen, die Losung seiner Panzer-
grenadiere, da zeigt sich auf einmal ein Lä-
cheln auf den Lippen von Pascal Kisch-
nick. Dann geht alles ganz schnell: Aus
demLächelnwirdeinLachen,dannumrin-
gen ihn seine Eltern und Verwandten,
Smartphones werden gezückt, Fotos ge-
macht. „Erleichterung“ empfinde er, sagt
der 17-Jährige aus Mecklenburg-Vorpom-
mern, als alles vorbei ist. Kischnick ist ei-
ner von beinahe 400 Rekruten, die am
Dienstag auf dem Platz vor dem Reichstag
ihr Gelöbnis abgelegt haben.
Zuvorherrschteeineernste,angespann-
te Atmosphäre bei der ersten öffentlichen
Vereidigungder Rekruten vor dem Reichs-
tagsgebäude seit sechs Jahren. Das Areal
war von 900 Polizisten und 50 Feldjägern
weiträumig abgesperrt. Eine angemeldete
Gegendemonstration, an der laut Polizei
etwa hundert Menschen teilnahmen, fand
am Holocaust-Mahnmal statt. Zu weit
weg,alsdassmansievonderEhrentribüne
mit den 1750 geladenen Gästen aus Politik,
Kirche und Gesellschaft hätte hören kön-
nen.
Bei Temperaturen nahe null Grad harr-
ten die angehenden Soldaten eineinhalb
Stundenaus.InihrerAnspracheversicher-
te ihnen Bundesverteidigungsministerin
Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) ihre
Unterstützung.„DieBundeswehristeinun-
verzichtbarer Teil unserer Gesellschaft“,
sagte sie und versprach ihnen für ihre Auf-
gabe „beste Rahmenbedingungen“. Mit
aufdenWeggabdieVerteidigungsministe-
rindenRekruteneinenSpruchausdenAn-
fangszeiten der Bundeswehr, die an die-
sem Tag ihren 64. Geburtstag feiert: „Nur,
was lebenswert ist, ist es auch wert, es zu
verteidigen“sagtedieMinisterin underin-
nerte an die Bindung von Staat und Bun-
deswehr an die Werte von Demokratie,
Rechtsstaatlichkeit und Menschenwürde.
BundestagspräsidentWolfgangSchäub-
le (CDU) schlug in seiner Gelöbnisanspra-
cheeinenBogenzurdeutschenWiederver-
einigung. Schäuble nannte die Bundes-
wehr eine „Armee der Einheit“, die nicht
einen „Staat im Staat“, sondern „ein Vor-
bild für die gesamte Gesellschaft“ darstel-
le. Zugleich mahnte er: „Den Frieden zu
schaffen, ist nicht kostenlos, das hat einen
moralischen Preis.“ In einer globalisierten
Welt, in der auch entfernte Konflikte weit-
reichende Auswirkungen auf Deutschland
hätten, dürfe man sich aber „nicht weg-
ducken, wo es eines deutschen Beitrags
bedarf“. thomas jordan
Abschied nach vier Jahren: Sahra Wagenknecht (links) trat als Co-Fraktionschefin
ab, Amira Mohamed Ali (rechts) bildet nun ein Duo mit Dietmar Bartsch. DPA, IMAGO
Islamisten als Druckmittel
Erdoğan droht Europa, er werde IS-Anhänger abschieben
Der Demokratie dienen
Vor dem Reichstag legen Bundeswehr-Rekruten Gelöbnis ab
Mainz – Der AfD-Abgeordnete Joachim
Paul ist als Vorsitzender des Medienaus-
schusses des rheinland-pfälzischen
Landtages abgewählt worden. Für seine
Abwahl stimmten am Dienstag die Aus-
schussvertreter von SPD, CDU, FDP und
Grünen. Paul, der auch Vize-Fraktions-
chef der AfD in Rheinland-Pfalz ist, war
nicht zu der Sondersitzung des Gremi-
ums am Dienstag in Mainz erschienen.
Er zählt zu den prominentesten AfD-
Vertretern im Land, er kandidiert am
kommenden Samstag für das Amt des
Landesvorsitzenden seiner Partei. Die
anderen vier Fraktionen im Landtag
hatten seine Abwahl beantragt, weil sie
Hinweise zu rechtsextremem Gedanken-
gut bei Paul sehen. Paul wird unter
anderem vorgeworfen, vor Jahren einen
Beitrag für eine NPD-nahe Zeitschrift
verfasst zu haben. Dies hat er wieder-
holt bestritten. Paul selbst zweifelt die
Rechtmäßigkeit der Sondersitzung zu
seiner Abwahl an und will das rechtlich
prüfen lassen. Er warf dem rheinland-
pfälzischen Landtagspräsidenten Hen-
drik Hering (SPD) vor, dieser habe sich
über Regelungen der Geschäftsordnung
des Landtages hinweggesetzt. dpa
Madrid – Nur zwei Tage nach den Parla-
mentswahlen in Spanien haben der
geschäftsführende Premierminister
Pedro Sánchez, der auch die Sozialisti-
sche Arbeiterpartei (PSOE) führt, und
der Vorsitzende des linksalternativen
Bündnisses Unidas Podemos (UP), Pa-
blo Iglesias, eine Absichtserklärung
über die Bildung einer Regierungskoali-
tion geschlossen. Allerdings verfügen
beide Fraktionen zusammen nur über
155 der 350 Sitze des Abgeordnetenhau-
ses. Für eine Mehrheit wären sie auf die
Unterstützung der katalanischen Sepa-
ratisten angewiesen. In Madrid werden
die Chancen für eine derartige Koalition
als eher gering angesehen. Bei den Wah-
len am Sonntag haben PSOE und UP
9,1 Millionen Wähler hinter sich ge-
bracht, die drei Parteien des rechten
Spektrums aber 10,2 Millionen.tu
Frankfurt – Im hessischen Offenbach
sind drei IS-Verdächtige wegen der
Planung eines Anschlags festgenom-
men worden. Die Männer sollen Vorbe-
reitungen getroffen haben, um im
Rhein-Main-Gebiet mit Sprengstoff
oder Schusswaffen möglichst viele Men-
schen zu töten, teilte die Frankfurter
Staatsanwaltschaft am Dienstag mit.
Die Pläne seien religiös motiviert gewe-
sen, die Beschuldigten sollen sich be-
reits in der Vergangenheit als Anhänger
der Extremisten-Miliz Islamischer Staat
zu erkennen gegeben haben. Der Staats-
anwaltschaft zufolge handelt es sich bei
den Verdächtigen um einen 24 Jahre
alten Deutschen mazedonischer Her-
kunft sowie einen 22 und einen 21 Jahre
alten türkischen Staatsangehörigen. „Es
wurde rechtzeitig eingeschritten, so-
dass eine Gefahr verhindert werden
konnte“, sagte Oberstaatsanwältin Nad-
ja Niesen. Konkrete Anschlagsziele sei-
en bislang nicht bekannt.reuters
Düsseldorf – Trotz des beschlossenen
Kohleausstiegs könnte im Ruhrgebiet
im Sommer 2020 noch ein neues Stein-
kohlekraftwerk ans Netz gehen. Lang-
wierige Reparaturarbeiten hatten die
Inbetriebnahme von Datteln 4 (FOTO: DPA)
immer wieder verzögert; seit 2017 be-
sitzt der Energiekonzern Juniper be-
reits die erforderlichen Genehmigun-
gen. „Ich werde den Bund nicht dazu
drängen, 1,5 Milliarden Euro dafür zu
bezahlen, dass das modernste Kohle-
kraftwerk der Welt nicht ans Netz geht“,
sagte NRW- Ministerpräsident Armin
Laschet (CDU) in Düsseldorf. Sinn des
Kohleausstiegs sei die Reduzierung von
CO2. Wenn Uniper für Datteln 4 also
ältere Kraftwerke schneller abschalte
als geplant „und die CO2-Bilanz danach
besser wird, ist das doch in Ordnung“,
so Laschet. jana
Brüssel – Der französische Kandidat
für die neue EU-Kommission unter
Ursula von der Leyen hat die erste Prü-
fung im Europaparlament bestanden.
Der Rechtsausschuss bescheinigte dem
Unternehmer und ehemaligen Minister
Thierry Breton am Dienstag, dass keine
finanziellen Interessenkonflikte vorlie-
gen, wie der Piraten-Abgeordnete Pa-
trick Breyer mitteilte. Breton war von
Präsident Emmanuel Macron nachno-
miniert worden, da die erste französi-
sche Kommissions-Kandidatin Sylvie
Goulard vom EU-Parlament abgelehnt
worden war. Von der Leyen will am
- Dezember die Nachfolge von Jean-
Claude Juncker antreten. Vorher wird
das EU-Parlament jedoch über ihr ge-
samtes Team abstimmen.dpa
Berlin – Bundeskanzlerin Angela Merkel
unddieSpitzenvonCDUundUnionsfrakti-
on haben den Kompromiss zur Grundren-
tevehementverteidigt.InderFraktionssit-
zungamDienstagwarb dieCDU-Vorsitzen-
de Annegret Kramp-Karrenbauer für die
amSonntagerzielteVerständigung mitder
SPD. Der Kompromiss sei zwar nicht das
Ergebnis, wie es die Union allein umge-
setzt hätte, aber vertretbar, sagte sie nach
Teilnehmerangaben. Die Forderungen der
SPD seien zunächst deutlich weiter gegan-
gen. Nun habe die Union durchgesetzt,
dass es bereits im Jahr 2025 eine Revision
des Gesetzes und seiner Wirksamkeit ge-
ben soll. Die Einkommensprüfung solle
umfassend sein, und die Freibeträge für
Rentner,diein denGenussderGrundrente
kommen wollen, seien niedriger als von
der SPD gefordert. Auch würden dabei die
Partnereinkommen berücksichtigt.
Fraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU)
kündigte an, dass es keinen Gesetzentwurf
zurGrundrentevorAbschlussderParteita-
ge von CDU und SPD geben werde. In der
Union gibt es die Sorge, die SPD könnte als
BedingungfüreineFortsetzungderKoaliti-
on weitere Forderungen in Bezug auf die
Grundrente stellen. Brinkhaus räumte ein,
dass er sich ein anderes Ergebnis ge-
wünscht habe. Er könne aber angesichts
derpolitischenGesamtlageempfehlen,die-
sen Weg zu gehen.
Nach Teilnehmerangaben wurde die
VereinbarungvondenAbgeordnetenüber-
wiegend positiv aufgenommen. Es habe
nur wenige kritische Stimmen gegeben,
hieß es. Auch der prominenteste Kritiker
des Kompromisses, Fraktionsvize Carsten
Linnemann vom Wirtschaftsflügel der
CDU, lehnte die Vereinbarung nicht rund-
wegab.ErstellteallerdingsdreiBedingun-
gen: Es müsse klar sein, was geschehe,
wenndervereinbarteelektronischeDaten-
austausch zwischen den Finanzämtern
und der Rentenkasse nicht funktioniere.
Auch müsse klar sein, was passiere, wenn
die Kosten höher seien als vereinbart, und
auch, wenn die zur Gegenfinanzierung ge-
planteFinanztransaktionssteuernichtrea-
lisiert würde.
ZuvorhatteKanzlerinAngelaMerkelin-
nerparteiliche Kritik an dem Koalitions-
Kompromiss bereits öffentlich zurückge-
wiesen. „Man kann seitens der CDU nicht
sagen, dass wir keine Grundrente wollten“,
sagte Merkel auf dem Arbeitgebertag in
Berlin.VielmehrhabeschondiefrühereAr-
beitsminister Ursula von der Leyen (CDU)
in der Zeit der schwarz-gelben Koalition
zwischen 2009 und 2013 eine sogenannte
Lebensleistungsrente einführen wollen.
Dies habe auch im Unions-Regierungspro-
grammgestanden.„Hierhatkeinerdenan-
deren erpresst“, sagte Merkel und wies da-
mit Kritik eines Teils des Unions-Wirt-
schaftsflügels an der SPD zurück.
Merkel verteidigte auch die Einkom-
mensprüfung als sinnvoll, die statt einer
umfassenderen Bedürftigkeitsprüfung
mitdemKoalitionspartnerverabredetwor-
den war. Es gebe ein Gerechtigkeitspro-
blem,weilübervieleJahredieWirtschafts-
leistung stärker gewachsen sei als die Löh-
ne, sagte die Kanzlerin. Es sei ein Niedrig-
lohnsektorentstanden,indemBeschäftig-
te auch mit Beitragszahlungen von mehr
als35JahrenkeineausreichendenRenten-
ansprüche erwerben könnten. Die Union
habe eine Reform nun während drei Legis-
laturperiodenversuchtundkönnedasPro-
jektjetztnichtineinevierteLegislaturperi-
ode schieben. Auch für sie sei „es eine
Glaubwürdigkeitsfrage geworden“, sagte
Merkel:„DasswirinderviertenLegislatur-
periode vor die Menschen ziehen und sa-
gen, pass mal auf: aber beim nächsten Mal
kommt bestimmt die Grundrente, damit
machen sie sich irgendwann auch lächer-
lich“, sagte die Kanzlerin.
CSU-LandesgruppenchefAlexanderDo-
brindt sagte, er sei ausgesprochen zufrie-
den mit dem Beschluss zur Grundrente.
Dieser sei ein „gelungenes Werkstück“
und eine Verbesserung gegenüber frühe-
ren Vorschlägen. Dobrindt forderte die
SPD auf, nach der Einigung zur Grundren-
te im Koalitionsausschuss endlich das
„Jammerlappenimage“ abzulegen. Die So-
zialdemokratensollten jetztselbstbewusst
in ihren Parteitag Anfang Dezember ge-
hen, so Dobrindt. nico fried
DEFGH Nr. 262, Mittwoch, 13. November 2019 (^) POLITIK 5
Mathematik des Hufeisens
Auf die mit Abstand bekannteste Linken-Abgeordnete folgt eine der unbekanntesten: Als Nachfolgerin von Sahra Wagenknecht an der Spitze der
Bundestagsfraktion setzt sich überraschend Amira Mohamed Ali durch. Das hat viel mit den komplexen Machtverhältnissen in der Partei zu tun
Bundestagspräsident Schäuble und Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer gratulieren den Rekruten. FOTO: M. KAPPELER/DPA
Merkel verteidigte die Einkommensprü-
fung als sinnvoll. FOTO: GETTY IMAGES
Erwartet werden fünf Frauen,
zwei Männer und zwei Kinder mit
deutscher Staatsbürgerschaft
Viele sehen hinter Mohamed Alis
Aufstieg den wiedergewählten
Fraktionschef Dietmar Bartsch
Drei Anläufe seien für die Reform
nötig gewesen: „Da machen Sie
sich auch irgendwann lächerlich“
AfD-Politiker abgewählt
Linke wollen koalieren
IS-Anhänger festgenommen
Neues Kohlekraftwerk
Hürde genommen
KURZ GEMELDET
„Hier hat keiner den anderen erpresst“
Kanzlerin Merkel verteidigt die Grundrente – sie sei eine Frage der Glaubwürdigkeit
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