Neue Zürcher Zeitung - 08.11.2019

(Steven Felgate) #1

30 SCHWEIZ Freitag, 8. November 2019


INTERNATIONALE AUSGABE


Höhere Be iträge für die Stilllegung der AKW

Wegen sinkender Zinserträge sol len die Betreiber mehr Geld zurücklegen müssen – die Branche willsich dagegen mit allen Mitteln wehren


CHRISTOF FORSTER, BERN


Wenn die AKW-Betreiber nicht genug
Geld in die beidenFonds zur Stilllegung
und Entsorgung vonKernkraftwerken
einzahlen, erhöhen sich die Risiken für
dieSteuerzahler.DerBundhatalsoalles
Interesse,dassdiemutmasslichenKosten
für das Ende der Atomkraft möglichst
akkurat prognostiziert werden – auch
im Wissen darum,dass derAufwand für
Grossprojekte oft unterschätzt wird.Bei
den Stromkonzernen Alpiq, Axpo und
BKW dominiert hingegen die betriebs-
wirtschaftlicheLogik.HöhereFondsein-
lagen bedeuten weniger Gewinn oder
Mittel für Investitionen.


Verdoppelungder Beiträge


Die Berechnung der jährlichen Einlagen
hängt von diversenFaktoren wie An-
lagerendite,Teuerungsrate und Sicher-
heitszuschlägen ab. Der Bund überprüft
regelmässig, ob diese mit den gegenwär-
tigenRahmenbedingungen übereinstim-
men – nun war es wieder so weit. Und:
Nein, entschied der Bundesrat am Mitt-
woch undkorrigierte die Anlagerendite
und dieTeuerungsrate nach unten.Auf-
grund der derzeitigen Situation und des
Ausblicks auf denFinanzmärkten wird
die Anlagerendite von bis anhin 3,5 auf
2,1 Prozent gesenkt. DieTeuerungkor-
rigiert der Bundesrat von 1,5 auf 0,5
Prozent nach unten. Neu werden diese
Werte alle zwei bis dreiJahre überprüft
undkönnen bei wesentlichen Ände-
rungen der wirtschaftlichenRahmen-
bedingungen angepasst werden. Damit
sinktdie anrechenbareRealrendite aus
den Fondsmitteln von 2 auf 1,6 Prozent.
Diese Änderungen haben grosseAus-


wirkungen.Die jährlichen Einlagen aller
AKW-Betreiber steigen von derzeit 96
auf 184 MillionenFranken.Swissnuclear,
der Verband der AKW-Betreiber,pro-
testiert gegen diesen Entscheid des Bun-
desrats. Die Senkung derRealrendite sei
nicht nachvollziehbar. Die durchschnitt-
lichenRealrenditen beiderFonds lägen
seit ihrer Gründung deutlich über 2 Pro-
zent, teilte derVerband mit. DerVer-
bandrechnet aufgrund der neuenVor-
gaben mit zusätzlichen Beiträgen von
total 900 MillionenFranken, welche die
Betreiber leisten müssten. Dieses Geld
würde dann für den Umbau des Ener-
giesystems imRahmen der Energiestra-
tegie 2050 fehlen.
Als erfreulich bewertetSwissnuclear
hingegen denWegfall des Sicherheits-
zuschlags von 30 Prozent. Anstelle die-
ses pauschalenAufschlags werden neu
Risiken, Gefahren, Prognoseunsicher-
heiten und Chancen an verschiede-
nen Stellen eingerechnet. Die Schwei-
zerische Energie-Stiftung (SES) hin-
gegen kritisiert denWegfall. Eine von
der Stiftung inAuftrag gegebene Studie
kommt zum Schluss, dass Kostenrisiken
bei Nuklearprojekten stark unterschätzt
würden.Dabei seien Entsorgungspro-
jekte punktoKostenentwicklung mit
Neubauprojekten vergleichbar. Die Stu-
die von Oxford Global Projects legt eine
Sicherheitsmarge von 200 Prozent nahe.

Verbandbeklagt «Enteignung»


Noch etwas beunruhigt die Energie-
stiftung. «Axpo und Alpiq versuchen,
sich aus derVerantwortung zu stehlen,
indem sie die AKW inTochterfirmen
auslagern», sagt der SES-Geschäfts-
leiter Nils Epprecht.Damit entzögen

sie sich der Nachschusspflicht. So steige
das Risiko, dass dereinst der Bund und
dam it die Steuerzahler für die Entsor-
gung des Atommülls aufkommen müss-
ten. Eine weitereÄnderung betrifft
die Rückzahlung an die Betreiber von
überschüssigen Mitteln aus demFonds.
Überdeckungen werden indes laut

Bund bei derFestsetzung der Beiträge
berücksichtigt.Die Branchegeht da-
von aus, dass aufgrund der neuenRege-
lung und der höheren Einlagen über-
schüssige Mittel von mehreren Milliar-
den Franken für mehrals hundertJahre
in denFonds blockiertsein würden. Mit
dem Rückerstattungsverbot werden laut

Swissnuclear die Unternehmen auf dem
Verord nungsweg enteignet. Dies sei so-
wohl inrechtsstaatlicher als auch in ord-
nungspolitischer Hinsicht höchst pro-
blematisch. Die Betreiber drohen mit
rechtlichen Schritten. Die revidie rte
Stilllegungs- und Entsorgungsfondsver-
ordnung trittAnfang 2020 in Kraft.

Für Atomkraftwerk-Betreiberwerden dieKosten steigen. Im Bild einTeil desReaktors im AKWBeznau CHRISTIAN BEUTLER / NZZ

Neuer Chef für eine geschrumpfte Behörde


Martin Tschirren kümmert sich künftig als Vorsteher des Bundesamtes für Wohnungsbau umMietpreise und gemeinnützige Wohnungen


LARISSA RHYN


Wenn einem Chef ein Drittel desPer-
sonals gestrichen wird und er erst noch
einengrossenUmzugorganisierenmuss,
klingt das nach einem wenig begehrens-
wertenJob. Für einen Direktorenposten
bei einer Bundesbehörde gilt das aber
offensichtlich nicht. 33 Bewerber stie-
gen insRennen, um Direktor des Bun-
desamts fürWohnungswesen (BWO) zu
werden – und das,obwohl beider Be-
hörde eine grosseRestrukturierung im
Gang ist und sie demnächst ihren Stand-
ort nach Bern verlegen muss.
Bundesrat GuyParmelin (svp.) hatte
eine Findungskommissioneingesetzt,um
den Posten neu zu besetzen. Am Mitt-
woch gab er an einer Medienkonferenz
bekannt,dass MartinTschirren,der der-
zeit als stellvertretender Direktor beim


SchweizerischenStädteverbandarbeitet,
den Job bekommt. Die Stelle ist ab An-
fang 2020vakant, weil TschirrensVor-
gänger,ErnstHauri,pensioniertwird.Er
warzehn Jahreauf seinemPosten.

Der Degradierungentkommen


In den Schlagzeilen ist dasBWO meist
nur dann, wenn Diskussionen um den
gemeinnützigenWohnungsbau entbren-
nen oder derReferenzzinssatz verändert
wird. EineAusnahme gab es im letzten
Jahr: Da sollte es dem Bundesamt selbst
andenKragengehen.LauteinemBericht
der«Sonntags-Zeitung»hattederehema-
lige Chef desWirtschaftsdepartements,
Johann Schneider-Ammann(fdp.), das
Bundesamt abschaffen oder zum Büro
herabstufen wollen. DerAufschrei aus
der Region Solothurn liess nicht lange

aufsichwarten.RegionalePolitikerwoll-
ten«ihr»BundesamtinGrenchenvertei-
di gen. Sie sind gescheitert. Zwar bleibt
dem Bundesamt die Degradierung zum
Bürozumindestvorersterspart,dochder
Bundesrat entschied sich letztesJahr für
eineRestrukturierung:DasPersonalwird
um rund einen Drittel gekürzt und der
Standort von Grenchen nach Bern ver-
legt.DamithatTschirrensBehördekünf-
tig nur noch 25Vollzeitstellen. DenUm-
zug wird er gleich selbst leitenkönnen,
geplant ist er für Ende 2121.
Auf dieFrage, ob weitereReorga-
nisationen imBWO vorgesehen seien
oder ob die Behörde in Bern im Gegen-
teil gar wieder an Gewichtgewinnen
könnte, antwortete Bundesrat Parmelin:
«DieReorganisation ist entschieden und
wird nun umgesetzt, zurzeit sindkeine
weiteren Änderungen geplant.» Doch

das Bundesamt kam in derVergangen-
heit immer wieder unter Beschuss. Denn
die Frage, ob der Bund überhauptWoh-
nungspolitik betreiben soll, ist umstrit-
ten. Viele Bürgerliche sähen es lieber,
wenn in diesem Bereich nurnoch Kan-
tone, Städte und Gemeinden entschei-
den würden – oder der Markt ganz ohne
staatliche Eingriffe spielenkönnte.

BesserePositionierung nötig


Um weitere politische Angriffe zu ver-
hindern, muss Tschirren sein Bundes-
amt in Bern prominenter positionie-
ren. Keine einfacheAufgabe. Eines der
wichtigsten Geschäfte wird bereits ab-
geschlossen sein, wenn Tschirren sei-
nen Posten im März übernimmt. Am


  1. Februar stimmen die Schweizerin-
    nen und Schweizer über die Initiative


«Mehr bezahlbareWohnungen»ab. Sie
verlangt, dass jede zehnte neu gebaute
Wohnunggemeinnützigen Organisatio-
nen gehören soll. Der Bundesrat lehnt
die Initiative ab, will aber stattdessen zu-
sätzlichDarlehen in der Höhe von 250
MillionenFranken für den gemeinnützi-
gen Wohnungsbau zurVerfügungstel-
len. Damit hätte dasBWO mehr Geld
zur Verfügung, das es über den bereits
bestehendenFonds deRoulement ver-
teilenkönnte.
Wohnraumförderung wird aber über
die Initiative hinausein wichtiges Thema
bleiben.Daneben steht nächstesJahr
di e Erneuerung desRahmenmietver-
trags in derWestschweiz auf dem Pro-
gramm. Aber auch die demografische
Alterung oder der Klimaschutz im Ge-
bäudebereich werdenThemen sein, mit
denen sich Tschirren beschäftigen muss.

PK 80-32443-2


http://www.berghilfe.ch


Berghilfe-Proj ekt Nr .8960:


Neuer Barfussweg


sorgt für mehr Touristen.

Free download pdf