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Fotos: Charles Duprat/Courtesy Galerie Thaddaeus Ropac/Estate Sturtevant, Paris, imago images
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600 Millionen Dollar zur reichsten Musi-
kerin weltweit. Und es dürfte weiter berg-
auf gehen.
In Kooperation mit dem französischen
Luxusunternehmen LVMH hat Rihan-
na in diesem Jahr ein komplett neues
Modehaus gegründet. Fenty wird von
der Branche als Revolution gefeiert, und
das nicht nur weil damit erstmals eine
schwarze Frau an der Spitze eines Luxus-
labels steht. Sondern auch weil Rihanna
als Designerin weder Erfahrung noch
Expertise aufweist.
Rihanna steht für radikale Subjektivität
Was sie stattdessen mitbringt, sind 77 Mil-
lionen Follower auf Instagram, vor allem
aber ein unbezahlbares Maß an Authen-
tizität. Rihannas Geschäftsmodell lautet
Glaubwürdigkeit. Dass sie mit dem gän-
gigen Mode- oder Musikbusiness nichts
zu tun hat, ist kein Manko, sondern der
Beleg, dass in dieser „Coco Chanel des
- Jahrhunderts“ echtes Genie wirkt.
Eine neue Ära in der Mode könnte daher
auch insofern anbrechen, als Fenty einen
Paradigmenwechsel vom Markenkult
hin zum Personenkult markiert. Ein Tra-
ditionshaus wie Louis Vuitton mag für
Luxus, Qualität, Erfahrung stehen. Ehr-
bare Werte. Aber nichts im Vergleich zu
den multiplen Charakterzügen Rihannas,
deren Kernkompetenz – das Vereinen von
Paradoxien – ganz wunderbar mit der
So ist das erwähnte Phaidon-Buch
natürlich kein profaner Bildband, son-
dern eine „visuelle Autobiografie“, in
der Rihanna als „Autorin“ geführt wird.
Erhältlich ist das Opus in drei verschie-
denen, limitierten Editionen, denn je
geringer die Auflage, desto mehr hat
der Besitzer Rihanna für sich allein,
da spielen religiöser Fetischismus und
Warenfetischismus reibungslos inei-
nander. Die „Luxury Supreme“-Version
kostet 5500 Dollar und kommt in einem
goldplattierten Einband, als handele es
sich um eine Reliquie.
Und auch in Bezug auf ihr neues Label
betont Rihanna, ihr Ziel sei es, „ehrli-
che“ Mode herzustellen. „Ich bin nicht
das Gesicht meiner Marke, sondern die
Muse, und meine DNA muss von vorne
bis hinten in ihr stecken. Niemand soll auf
meine Website gehen und sich denken:
,Rihanna würde das nie tragen.‘“ Überall
dort, wo Rihanna draufsteht, muss auch
Rihanna drin sein, und das ist durchaus
wörtlich zu verstehen.
Jesu Abbild im Tuch der Veronika
Blut, Schweiß und Tränen beglaubigen
Ikonen von den Anfängen des Christen-
tums bis zu heutigen Popstars. Die erste
Ikone, die sogenannte Vera icon, entstand,
als Christus auf seinem Leidensweg nach
Golgatha sein Gesicht ins Schweißtuch
der Veronika drückte. Die wahre Ikone
ist kein menschengemachtes Bild, son-
dern etwas Gottgegebenes, ein materieller
Abdruck des Heiligen. In ihr ist Gott prä-
sent, ohne dass die Ikone Gott ist. Daher
die Ambivalenz von Nähe und Ferne, die
bei Ikonen immer mitspielt und die auch
jedes Rihanna-Foto perfekt durchexerziert
- unser Begehren, von ihnen berührt zu
werden und sie zu berühren.
Wem das zu weit hergeholt ist, der sollte
nach New York gehen, wo das Auktions-
haus Julien’s Auctions am vergangenen
Wochenende eine Strickjacke von Kurt
Cobain versteigerte, die der Nirvana-Sän-
ger 1993 fünf Monate vor seinem Tod bei
einer „Unplugged“-Session des Musik-
senders MTV trug. Das graugrüne Teil sei
nie gewaschen worden und habe einen
braunen Fleck auf einer Jackentasche,
ja sie rieche nach Kurt Cobain – so wur-
de die Jacke vorab zur Reliquie stilisiert,
in der der Leib des Heiligen gleichsam
anwesend ist. Das Ergebnis: ein Zuschlag
bei 334 000 Dollar.
Was in den 2000 Jahren zwischen Jesus
Christus und Kurt Cobain geschah, zeigt
Vielschichtigkeit und Widersprüchlich-
keit unserer zunehmend ausdifferen-
zierten Gegenwartsgesellschaft korres-
pondiert. Rihanna verbindet Lässigkeit
mit Eleganz, Püppchenhaftigkeit mit
Leck-mich-Attitüde, sie ist Sexsymbol
und Feministin, knallharte Geschäftsfrau
und kiffender Punk. Sie spielt stets nach
ihren eigenen Regeln.
Angesichts der ersten Fenty-Entwür-
fe, die jenseits des alten Filialensystems
ausschließlich online vertrieben werden,
hat mancher Beobachter nach der Kohä-
renz der Marke gefragt. Die Antwort
ist ganz einfach. Ob Frühling, Sommer,
Herbst, Winter, Fenty wird immer nur
einen Trend verfolgen: radikale Subjek-
tivität. „Sei ganz du selbst!“ – Rihannas
Toleranzedikt klingelt in Teenagerohren
so süß wie in den Diversitätsabteilungen
globaler Firmenimperien.
Auch wenn sie die Künstlerin der Stun-
de ist: Der Kult um Rihanna folgt Mecha-
nismen, die mindestens so alt sind wie das
jüdisch-christliche Abendland. In einer
Ikone erscheint das Heilige, das Einzig-
artigkeit mit Ewigkeit verbindet und so
auch uns aus dem Alltag zu erheben ver-
spricht. Dafür aber dürfen wir es bei der
Ikone nicht bloß mit einem Bild (oder
einem Kleidungsstück) zu tun haben,
sondern müssen glauben, dass der ange-
betete Star „selbst“ in seinen Produkten
steckt.
Kurt Cobains Jacke wurde zum Heiligtum einer
Generation – und ungewaschen teuer versteigert
Warhols Wahrheit: Marilyn für alle In seiner Factory vervielfachte der Künstler die Filmdiva.
Dieses Triptychon schuf die US-Künstlerin Elaine Sturtevant 2004 nach Warhols Vorbild
FOCUS 45/2019