IKONEN
FOCUS 45/2019 27
jetzt eine Ausstellung in der Kunsthalle
Bremen zum Thema Ikonen. Mit 60 Wer-
ken schlägt die Schau einen Bogen quer
durch die Kunstgeschichte, blickt aber
auch auf die heutige Verwendung des
Begriffs. Lange schon bezeichnet das
Wort nicht mehr nur religiöse Andachts-
bilder, sondern alles Mögliche: ein Tennis-
match von Serena Williams oder Willy
Brandts Warschauer Kniefall, Spektakel-
architektur wie das Guggenheim Muse-
um in Bilbao oder Darth Vaders Röcheln.
Vordergründig erzählt die Bremer
Ausstellung eine Verfallsgeschichte.
Doch über Jahrhunderte der Aufklä-
rung und Säkularisierung hinweg ver-
schwindet das Ikonische nicht einfach,
es differenziert sich nur immer weiter
aus. Das späte 19. Jahrhundert erfindet
mit der Figur des Künstler-Märtyrers
einen neuen Typus des Heiligen, als
dessen Prototyp Vincent van Gogh gel-
ten darf. Mit seinen zahlreichen aurati-
schen Selbstporträts inszeniert sich der
Maler als Leidensmann und Prophet,
der in Verbindung mit dem Göttlichen
steht. Und diese Figur wirkt weit hinein
ins 20. Jahrhundert, vom Schamanen
Joseph Beuys bis zu Marina Abramo-
vic, die sich in ihren Performances in
Trance-Zustände begibt.
Uns fasziniert der Aufstieg – und der Fall
Während hier noch ganz der Topos der
Einzigartigkeit bedient wird, hat das Iko-
nische aber auch das Zeitalter der tech-
nischen Reproduktion schadlos überstan-
den. In Andy Warhols Factory wurden die
Marilyns und Jackies im Siebdruckver-
fahren hergestellt. Richard Prince fotogra-
fierte Marlboro-Anzeigen ab, und eines
dieser grobkörnigen Fotos eines Fotos
wurde für glatte 3,75 Millionen Dollar
versteigert. Marcel Duchamp adelte ein
handelsübliches Pissoir allein qua künst-
lerischer Signatur zu einem der einfluss-
reichsten Werke der Gegenwart.
Dabei belegt vielleicht niemand die
Macht des Ikonischen so sehr wie sei-
ne Feinde. Die Zeiten, als Ikonoklasten
mit geradezu religiösem Eifer Bilder ver-
brannten und Skulpturen zertrümmerten,
mögen zumindest in unseren Breitengra-
den vorbei sein. Aber jedes Mal, wenn
eine Reinigungskraft versehentlich ein
Kunstwerk zerstört, weil sie es für Müll
hielt, ist die Schadenfreude schier gren-
zenlos. Endlich, so der Impuls dahinter,
hat der „gesunde Menschenverstand“
bewiesen, dass wir es bei Kunstwerken
Popstars aus. Während Beyoncé und
Jay-Z sich mittlerweile schon im Louvre
einmieten müssen, um einen denkwür-
digen Moment hinzulegen, genügt Greta
ein Pappschild. Ihre Anhänger verehren
sie als Heilsbringerin, die uns vor der
nahenden Apokalypse retten wird. Ihre
Gegner spotten über die „Klimareligion“
und sehen in ihr das Blendwerk des Teu-
fels wirken. Auch bei Greta scheiden sich
die Geister letztlich an der Frage, ob sie
authentisch ist oder Fake.
Über solche Spitzfindigkeiten lächelt
Rihanna vom Fond ihrer Limousine aus.
Das Foto, das jetzt in ihrem Bildband
erscheint, macht einerseits auf angeblitz-
ten Paparazzi-Shot und strotzt zugleich
aus jedem Pixel vor Künstlichkeit. Alles
an diesem Bild ist falsch, wieder einmal
macht Rihanna alles richtig. Du willst
wirklich hinter die Kulissen blicken, fragt
sie? Bist du ganz sicher? Denn wie heißt
es bereits in einem ihrer frühen Hits:
„Baby, you got the keys. Now shut up and
drive, drive, drive.“n
Die einen verklären Ikonen zu Göttern,
andere begegnen ihnen mit Hass und Häme
doch immer nur mit „des Kaisers neuen
Kleidern“ zu tun haben. Als in diesem
Jahr auf der Kunstmesse Art Basel ein
Kind eine Skulptur beschädigte, berich-
tete sogar die „Bild“ darüber.
Ikonen wandeln auf einem schmalen
Grat. Dass jemand aus der Masse her-
ausragt, dass er die Kraft hat, eine Ära zu
prägen oder eine Bewegung loszutreten,
ist in unseren egalitären Gesellschaf-
ten ein nur schwer verdaulicher Gedan-
ke. Von den einen zu Göttern verklärt,
begegnen ihnen auf der anderen Seite
Häme und Hass. Schnell wird die Ikone
zum Götzen, die Prophetin zur Hexe.
Eine ähnliche Faszinationskraft wie der
Aufstieg eines Stars übt nur sein Fall aus.
Von diesen Ambivalenzen kann gerade
auch Greta Thunberg ein Lied singen. Das
Einmalige an dieser „Ikone der Klima-
bewegung“ besteht in ihrer Jugend und
ihrem marienhaft-puristischen Auftreten.
Greta braucht kein durchgestyltes Profil
eines Instagram-Influencers, sie kommt
ohne die Materialschlachten heutiger
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