POLITIK
Fotos: Kay Nietfeld/dpa, ddp images
30 FOCUS 45/2019
A
ls Thüringens CDU-Chef
Mike Mohring nach der
desaströsen Wahlnacht in
Richtung Berlin aufbricht,
ahnt er bereits, was ihn
erwarten wird: Blumen,
ein Küsschen von der Vor-
sitzenden, eines von der
Kanzlerin und viele mitleidsvolle Worte.
So ergeht es den Wahlverlierern im Kon-
rad-Adenauer-Haus am Montag danach.
Viele Parteifreunde kennen das, seit vie-
len Wahlen.
Doch Mohring hat sich fest vorgenom-
men, aus dieser Routine auszubrechen.
Raus aus der Defensive! Rein in die Ge-
schichtsbücher?
Die versammelten Mit-
glieder des CDU-Präsidiums
trauen ihren Augen nicht, als
sie noch vor der Sitzung am
Montag in den Agenturmel-
dungen lesen: Mohring will
Gespräche mit der Linkspartei
führen. Wörtlich sagt er: „Wir
müssen Verantwortung über-
nehmen, damit das Land auch
weiter vorankommen kann.“
Und: „Ich brauche nicht Ber-
lin, um zu wissen, was für
Thüringen wichtig ist.“
Wenig später, inzwischen
im CDU-Bundesvorstand,
wird Mohring noch konkreter:
„Ich brauche das Vertrauen
und die Freiheit, dass ich mit
ihm reden kann. Ramelow ist
inhaltlich leer. Und wir wer-
den als Union alles mit ihm
machen können. Ich halte es
sonst nicht durch, wenn wir
nicht reagieren“, notieren Sit-
zungsteilnehmer.
Das sitzt. Im Jahr 30 nach
dem Mauerfall, 25 Jahre nach
der berühmt-berüchtigten Rote-Socken-
Kampagne von CDU-Generalsekretär
Peter Hintze und nur Stunden nach einem
Wahlkampf, in dem Mohring selbst immer
wieder betont hatte, dass es zu keinerlei
Zusammenarbeit mit Linkspartei oder AfD
kommen wird, vollzieht er allem Anschein
nach eine radikale Wende.
Doch dieses Manöver soll keine zwölf
Stunden Bestand haben. Später versichert
er, es sei so nie geplant gewesen. Am
selben Abend noch tritt Mohring erneut
vor die Presse und sagt: „Ich kann mir
keine Situation vorstellen, dass die ab-
gewählte rot-rot-grüne Landesregierung
durch die Unterstützung der CDU in eine
neue Regierungsverantwortung gehoben
wird. Das schließt sich aus.“ Und die
Öffentlichkeit bekommt es zur Sicher-
heit schriftlich: „Keine Koalition mit Linke
oder AfD“ steht auf der Pressemitteilung,
die der Landesvorstand Thüringen noch
am Abend verschickt.
Zwölf Stunden, die das gesamte Dilem-
ma der CDU zeigen: Wie hält sie es mit
den politischen Rändern? Wie reagiert sie
im Osten auf die neuen Volksparteien AfD
und Linke, wie im Westen auf
die regelmäßig zweistelligen
Grünen? Wie weit kann sich
die CDU noch modernisieren,
ohne unkenntlich zu werden?
Wie gespalten ist die Partei
nach 14 Jahren Kanzlerschaft
von Angela Merkel? Und vor
allem – ist die Parteivorsitzen-
de Annegret Kramp-Karren-
bauer überhaupt noch in der
Lage, die vielen Meinungen,
Flügel und Lager innerhalb
der CDU zusammenzuhalten?
Friedrich Merz hat sein
Urteil schon lange gefällt. Am
Wahlabend packte der 63-Jäh-
rige seine „Merkel-muss-weg-
Botschaft“ zunächst in die
Warnung, die CDU könne
„dieses Wahlergebnis nicht
mehr ignorieren oder einfach
aussitzen“. Daraufhin erhielt
er aus der Partei so viel Zustim-
mung, dass er sich ermuntert
fühlte, die Schlappe in Thürin-
gen gleich zur Generalabrech-
nung mit seiner alten Konkur-
rentin zu nutzen. Seit Jahren legten sich
„wie ein Nebelteppich die Untätigkeit
und die mangelnde Führung durch die
Kanzlerin“ über das Land, sagte er dem
ZDF. Das gesamte Erscheinungsbild der
Bundesregierung sei „einfach grotten-
schlecht“. Er könne sich nicht vorstel-
len, dass „diese Art des Regierens in
Deutschland“ noch zwei Jahre so weiter-
gehen könne.
Damit ging Merz, der seine knappe
Niederlage gegen Kramp-Karrenbauer
nie verwunden hat, zum Angriff über. Im
Mittelpunkt steht dabei die Kanzlerin,
aber auch die von Merkel favorisierte
CDU-Vorsitzende Kramp-Karrenbauer.
Zwar betont Merz immer wieder, dass
er, wie versprochen, loyal zu AKK stehe –
auch „in schwierigen Zeiten“. Doch im
gleichen Atemzug sagt er, die CDU-Che-
fin sei „nicht die Einzige, die im Mit-
telpunkt der Kritik zu stehen hat“. Und
natürlich weiß einer wie Merz genau,
dass auch Kramp-Karrenbauers Image
leidet, wenn er Merkel und die ganze
Bundesregierung angreift. Schließlich
gehört AKK dazu. Doch Merz nimmt das
in Kauf. Seit dem Beginn von Kramp-Kar-
renbauers Pannenserie im Frühsommer
nutzen er und seine Helfer im Wirtschafts-
lager der CDU jede Gelegenheit, um klei-
ne Nadelstiche gegen die beiden mäch-
tigsten CDU-Frauen zu setzen, Zweifel zu
säen oder sich durch betont kämpferische
Auftritte wie beim Deutschlandtag der
Jungen Union als bessere Alternative zu
empfehlen: „Wenn Sie wollen, dass ich
dabei bin, dann bin ich dabei.“
Die Junge Union hilft Merz
Einer seiner treuesten Unterstützer ist
Tilman Kuban. Der Chef der Jungen
Union war es denn auch, der bei der
CDU-Vorstandssitzung am Montag nach
der Thüringen-Wahl als Erster den offe-
nen Angriff auf Kramp-Karrenbauer wag-
te. Angesichts der Lage müsse „jetzt in
der CDU die Führungsfrage geklärt“
werden, sagte der 32-jährige Niedersach-
se. Die Parteimitglieder und die Wähler
der CDU seien „zutiefst verunsichert“.
So könne es „einfach nicht mehr wei-
tergehen“.
Kramp-Karrenbauer reagierte sofort.
„Ich bin zur Vorsitzenden gewählt wor-
den“, erinnerte sie die Runde mit Nach-
druck. Und über die Kanzlerkandidatur
werde erst 2020 gesprochen. „Wenn es
jemand vorher entscheiden will, dann
soll er es sagen und sich in drei Wochen
auf dem Bundesparteitag stellen.“ Das
klang selbstbewusst, doch in Wahrheit
ist AKK schon jetzt dazu gezwungen, im
Ringen um die innerparteiliche Macht
den letzten Trumpf auszuspielen: Da sie
ihre Gegner nicht mehr zur Loyalität
verpflichten kann, hilft nur noch die Auf-
forderung zum Duell – in der Hoffnung,
dass vor allem Friedrich Merz kneifen
wird.
In der CDU wird darüber spekuliert, wer als Erster
aufsteht und sagt: Annegret, es geht nicht mehr
»Das ist nicht
eine Folge
gesellschaft
licher Ent
wicklungen,
es ist das
Versagen von
politischer
Führung«
Roland Koch,
Ex-Ministerpräsident