Focus - 02.11.2019

(Barré) #1
Fotos:

P. Stüber/plainpicture, P. Henning

82 FOCUS 45/2019

O


b morgens am
Bahnhof, mittags im
Stau oder abends
an der Supermarkt-
kasse – kaum etwas
nervt so sehr wie quälende
Minuten oder gar Stunden,
in denen nichts vorangeht.
Warten, das bedeutet für uns
meist Langeweile, Ungeduld
und Ohnmacht. Und so gilt
Wartezeit als verlorene Zeit.
Aber muss das so sein? Wie
sähe unser Leben aus, wenn
wir uns freuen könnten, weil
uns ein Moment des Inne-
haltens geschenkt wird?
Wenn wir dankbar lächeln
würden, weil der Zug zehn
Minuten Verspätung hat?
Klingt absurd?
Der moderne Kampf gegen
das Warten hat glücklicher-
weise nicht alle Lebensbe-
reiche erfasst – denken wir
nur an die Adventszeit oder
die „freudige Erwartung“
der Schwangerschaft. Zu
warten heißt dort, gespannt
und beseelt hinzufiebern auf
die Geschenke, die Geburt,
das Beisammensein. Auch
im Alltag ist die Vorfreude
das Glück der Wartenden.
Dabei steigert das Hinaus-
zögern unser Verlangen oft
sogar noch. Der Philosoph
Walter Benjamin bekann-
te, dass ihm „Frauen um so
schöner schienen, je getros-
ter und länger ich auf sie
zu warten hatte“. Niemand
möchte ewig auf sein Glück
warten. Doch wer gar nicht
mehr warten kann und alles
sofort will, der bringt sich

um die Vorfreude und um
das große Glück der Erfül-
lung: Erdbeeren im Winter,
Lebkuchen im Sommer – die
ständige Verfügbarkeit ent-
wertet die Dinge.
Bloß, wie ist das morgens
am Bahnhof oder an der
Bushaltestelle – worauf soll
man sich da freuen außer
auf einen Tag voller Arbeit?
Wie wäre es, wenn wir ein-
fach die kurze Auszeit vom
hektischen Alltag genießen?
Kleine und im Grunde harm-
lose Zwangspausen sind wie
ein Sandkorn im Getriebe
der pausenlosen Verwer-
tungsmaschinerie. Indem wir
uns auf das Warten einlas-
sen, können wir diese Pause
nutzen, statt uns darüber
zu ärgern. Warum also nicht
mal aussteigen aus der Rou-
tine, um dort anzukommen,
wo wir gerade sind? Warum

nicht einfach mal die Bahn-
hofsarchitektur bewundern,
im Moment verweilen, den
Atem spüren oder uns von
einem Tagtraum davontra-
gen lassen? Wir können
all das tun oder es lassen –
beim Warten sind wir frei.
Schließlich kommen Zug
und Bus ja nicht schneller,
nur weil wir genervt sind.
Geduld ist die Fähigkeit
zu warten – und die „Tugend
des Denkens“, wie schon
Adorno wusste. Wer komple-
xe Sachverhalte verstehen
will, muss abwarten können.
Und auch ein fruchtbarer
Einfall muss reifen, die freie
Entfaltung und die Innova-
tion brauchen Zeit. Bevor
Isaac Newton den Apfel vom
Baum fallen sah und die
Gravitationslehre begründe-
te, saß er wartend im Garten.
Als Martin Luther sich fast

ein Jahr lang auf der Wart-
burg verstecken musste und
die Langeweile ihn beina-
he zermürbte, übersetzte er
die Bibel ins Deutsche. Nur
wer warten kann, ohne sich
gleich darüber zu ärgern, für
den öffnet sich das Tor zur
Muße, zur Kreativität – und
schließlich auch zu unseren
Mitmenschen.
Nicht ohne Grund ist die
Bereitschaft zu warten seit
jeher Ausdruck der Liebe.
Aber auch in guten Freund-
schaften hört man sich zu
und lässt sich Zeit. Zeit
ist das vielleicht schönste
Geschenk und ein Zeichen
des Respekts. Geduld ver-
bindet die Menschen – und
je tiefer wir miteinander ver-
bunden sind, desto länger
sind wir bereit, aufeinander
zu warten. Zugleich kann
das Warten ein Möglich-
keitsraum zufälliger Begeg-
nungen sein – wenn wir die
Vereinzelung überwinden
und den Mut aufbringen,
am Bahnhof oder der Super-
marktkasse mit Fremden ins
Gespräch zu kommen. Dann
vergeht auch die Wartezeit
schneller – und das Warten
lässt uns lächeln. Es ist dann
keine verlorene, sondern
geschenkte Zeit. n

Von Timo Reuter

MEINUNG

Timo Reuter,
35, ist Autor von
„Warten. Eine ver-
lernte Kunst“. Das
Buch erscheint am
4.11. bei Westend

Erhöhte Vorfreude Kunstfans stehen vor der Tate Gallery in London an

Meist ärgern wir uns, wenn wir Schlange stehen müssen oder uns rote Ampeln aufhalten.


Dabei bergen solche Pausen die Chance des Innehaltens und der Entschleunigung


Lob des Wartens


Buchautor


  1. Das Setzen eines Sensors erfordert ein Einführen des Sensorfi laments unter die Haut. Der Sensor kann bis zu 14 Tage lang getragen werden. 2. Eine zusätzliche Prüfung der Glukosewerte mittels eines Blutzucker-Messgeräts
    ist erforderlich bei sich schnell ändernden Glukosespiegeln, weil die Glukosewerte in der Gewebefl üssigkeit die Blutzuckerwerte eventuell nicht genau widerspiegeln, oder wenn das System eine Hypoglykämie oder eine anstehende
    Hypoglykämie anzeigt, oder wenn die Symptome nicht mit den Messwerten des Systems übereinstimmen. 3. 81% der Teilnehmer einer Erstanwenderstudie stimmten der Aussage zu, dass sie durch FreeStyle Libre mehr Freiräume
    gewonnen haben. Daten liegen Abbott Diabetes Care vor.
    Das FreeStyle Libre 2 Lesegerät ist sowohl in mg/dL als auch mmol/L erhältlich. Die FreeStyle LibreLink App kann beim initialen Setup sowohl auf mg/dL als auch mmol/L eingestellt werden. FreeStyle, Libre und damit verbundene
    Markennamen sind eingetragene Marken von Abbott Diabetes Care Inc. in verschiedenen Ländern. Apple und das Apple Logo sind Marken von Apple Inc., mit Sitz in den USA und weiteren Ländern.
    © 2019 Abbott | ADC-2019-DE-1314 | September 2019 | sense & image


DIABETES?


Mehr erfahren unter
0800 80 80 620
http://www.LibreInfo.de

4 von 5 Verwender erleben durch


FreeStyle Libre mehr Freiräume^3

Free download pdf