KULTUR
92 FOCUS 45/2019
In gleich zwei Filmen spielt Hollywoods Antiheld
Jesse Eisenberg
genussvoll
Der Verlierer schlägt zurückmit MännlichkeitsklischeesM
an muss wohl Jesse Eisenberg sein, um als junger, trendbe-wusster Amerikaner noch nie etwas von Rammstein gehört zu haben. Jener deutschen Brachialband, die internatio-
nal immens erfolgreich ist
und vor allem in den USA Kultstatus ge-
nießt. Jesse Eisenberg also, Hollywood-
Antiheld, der als Mark Zuckerberg in „The Social Network“ für einen Oscar nominiert wurde und nun die Haupt
rolle in der Gender-Satire „The Art of Self-Defense“ spielt, sitzt in der Lounge des Hotels „Bayerischer Hof“ in Mün-chen und fragt irritiert, ob Ramm
stein denn Metal spielt. Dann hätte deren Musik natürlich schon gut für den Sound
track gepasst.
Es geht um Maskulini
tät und Männlichkeitskli
schees, im Film und jetzt im Gespräch. Denn der Un-
derdog, den Eisenberg ver
körpert, muss erst mal ler
nen, woran er sich orientieren soll, wenn er virile Qualitäten erlangen will. Neben Karate empfiehlt ihm sein Meister, eben Metal zu hören, und weist ihn auf Völker mit einschlägig maskulinen Kulturen hin: die Deutschen und die Russen.
„Dieses Image hat wohl mit der allgemeinen
amerikanischen Wahrnehmung zu tun“, sagt Eisenberg lächelnd. „So wie für Frankreich die Stereotype ‚depressiv‘, ‚besinnlich‘ und ‚romantisch‘ gelten. Das martialische Klischee bei Deutschland geht natürlich auf den Zwei-ten Weltkrieg zurück.“ Bitterböse Gesellschaftssatire„The Art of Self-Defense“ ist eine schwarze
Komödie, die uns vorführt, wie sich der schlaksige Buchhalter Casey, der in der Fir-ma andauernd gedemütigt und bei Nacht auf der Straße von einer Motorradgang kranken-hausreif geprügelt wird, in einen Kämpfer und Rächer verwandelt. Angespornt durch Metal und ausgerüstet mit Karatetechniken.
Den Außenseiter, der zurückschlägt, gibt
Eisenberg nicht nur in dieser bitterbösen Gesellschaftssatire (auf DVD und per Stream bei iTunes, Amazon Prime, Magenta und Sky Store), er spielt ihn fast genauso im zwei
ten Teil seines brutal-komischen Horror-Hits „Zombieland“, der jetzt ins Kino kommt. Die Nerd-Rolle, die er in diversen Varianten der Brooklyn-Indie-Komödie „Der Tintenfisch und der Wal“ bis zu Woody Allens „Café Society“ darstellte, begleitet ihn durch sei-ne bisherige Karriere. Und selten scheinen Rollen-Image und wirkliche Person so sehr übereinzustimmen wie bei Jesse Eisenberg.
Der 36-jährige Schauspieler und Bühnen
autor stammt aus einer jüdischen Lehrer- und Künstlerfamilie in New York, leidet an Angststörungen und sucht im Gespräch etwas fahrig und stotternd nach den richtigen Antworten. Sich selbst mag er auf der Leinwand nicht sehen, bei Premieren seiner
Filme schleicht er sich aus dem Kino, sobald es dunkel gewor-
den ist.
Zugleich ist er ein Intellektueller, interessiert
am Weltgeschehen und an Deutschland. Erst mal will er über die Presselandschaft hierzu
lande mehr erfahren und über deren Umgang
mit AfD und Antisemitismus. Er ist ein intro-vertierter Wuschelkopf, den es nun aus seinem Brooklyn-Biotop mit Frau und Kind nach Bloo-mington/Indiana verschlagen hat. Dort hat er seinen Zweitwohnsitz.
Ein Ostküsten-Nerd im Mittleren Westen –
entdeckt er dort seine Männlichkeit beim Holzfällen? „Nein, wir kaufen unser Brenn
holz schon klein gehackt“, sagt er. „Und ich gehe auch nicht auf die Jagd.“
Was Indiana und den Mittleren Westen be-
trifft, habe man ohnehin falsche Vorstellun-
gen. „Da gibt es diesen brillanten Bürger-
meister von South Bend, Pete Buttigieg, ein 37-Jähriger, offen schwul, der sich bei
den Demokraten um die Präsident-
schaft bewirbt“, sagt er begeistert. „Und wir leben in einer hyperintel-lektuellen Umgebung, Bloomington
ist quasi das Brooklyn des Mittleren Westens, nur mit etwas mehr Grün außenrum.“ Ihre Nachbarin in der Uni-Stadt war die jetzige Chefin des
Münchner NS-Dokumentationszen
trums, Mirjam Zadoff. Männlichkeit versus DummheitSo sieht er sich als Vater auch
nicht in der Rolle des Familien-ernährers und -verteidigers. „Da gibt’s nichts zu verteidigen, weil mein Sohn ja nicht in Gefahr ist“,
sagt er. „Und wenn es auf dem
Spielplatz Knatsch gibt, versuchen
wir, das friedlich zu regeln. Ich gehe
natürlich nicht hin und stoße ein anderes
Kind weg. Ich will auch nicht, dass mein Sohn das als Verhaltensmuster mitbekommt. Das betrifft sowohl unser Leben in Brooklyn als auch das in Indiana.“
Überhaupt hat Eisenberg mit Abziehbild-
maskulinität ein Problem, weswegen ihm die Filmsatire sehr aus dem Herzen spricht. „In dem Begriff liegt für mich schon eine gewisse Dummheit. Weil er ja irgendwie unterstellt, dass man damit etwas präsentiert. Die Werte, mit denen wir erzogen wurden, bezogen sich eher auf intellektuelle Fähigkeiten. Auf phi
losophisches Denken, aber auch darauf, gute Familienmitglieder zu sein.“ Nach einer klei-nen Pause fügt er hinzu: „Und meine Schwie-germutter kümmert sich um Opfer familiärer Gewalt, insofern legt meine Frau zum Beispiel großen Wert darauf, dass ein starker Mann auch ein Verbündeter sein sollte, der mithilft, die Rechte von Frauen in der Gesellschaft zu schützen.“
Und wie hält er es mit Kampfsport, den sei
ne Filmfigur so perfekt beherrscht? Mit acht machte Eisenberg damit erste Erfahrungen und nahm für ein paar Wochen Karateunter-richt. „Das machten Anfang der neunziger Jahre irgendwie alle Stadtkinder, Karate war gerade sehr angesagt, auch als Folge der ‚Karate Kid‘-Filme“, sagt er. „Man nannte die Schulen McDojos in Anspielung auf McDo-nald’s, weil sie überall in den USA aus dem Boden schossen. Aber ich hab es gehasst – ich war der Kleinste im Kurs und musste mit meiner Schwester hingehen.“
Für den Film absolvierte er nun ein dreiwö
chiges Training. Ist aus dem Film-Nerd jetzt also ein Kämpfer geworden? „Nach dem Dreh haben meine Frau, die ziemlich klasse darin war, und ich Karate etwas fortgesetzt“, sagt Eisenberg. „Aber für Schauspieler ist es natür
lich typisch, für einen Film eine bestimmte Fähigkeit zu entwickeln, die man dann doch gleich wieder verlernt.“
n
HARALD PAULI
Horror-Spaß
In Teil zwei von „Zombie
land“ darf Eisenberg wieder
gemeinsam mit Woody
Harrelson, Abigail Breslin und Emma Stone Jagd auf
Untote machen