Neue Zürcher Zeitung - 14.11.2019

(Marcin) #1

Donnerstag, 14. November 2019 ∙Nr. 265∙240.Jg. AZ 8021Zürich∙Fr. 4.90 ∙€4.


Uli Hoeness: Sein Abgang beim FC Bayern markiert eine Zeitenwende im deutschen Fussball Seite 14


Diplomatenaussagen

belasten Trump

Erste öffentliche Anhörung in der Ukraine-Affäre


Ein Hauptzeuge hat in der
Impeachment-Untersuchung
gegen PräsidentTr ump eine
Überraschung parat. –
Republikaner versuchen
Gegensteuer zu geben.

PETER WINKLER,WASHINGTON

Die Erwartungen sind zu Anfang wohl
mancherortsenttäuscht worden. Dieerste
öffentliche Anhörung imRahmen der
Impeachment-Untersuchung des ameri-
kanischenRepräsentantenhauses gegen
Präsident DonaldTr ump verlief in den
ersten dreieinhalb Stunden in erstaunlich
geordnetenBahnen.Das hing vor allem
damit zusammen, dass in der Startphase
Anwälte die Befragung der Zeugen über-
nahmen, die auf die sonst übliche politi-
sche Schaustellerei verzichteten.

Mehr an Biden interessiert


Inhaltlich dagegen gab es durchaus eine
Überraschung in der Befragungvonzwei
Diplomaten desAussenministeriums. Der
geschäftsführende Botschafter in Kiew,
WilliamTaylor, hatte bereits in der Zeu-
genaussage hinter verschlossenenTüren
vor einigenWochen eineüberzeugende
Auslegeordnung der Ukraine-Affäre
gemacht.Erhatte im Detail dargelegt,
dass es zwei Kanäle zwischenWashing-
ton und Kiew gab, einenregulären, über
die Diplomaten und Sicherheitsexperten,
undeinen irregulären, unterder Leitung
vonTr umps AnwaltRudy Giuliani.
Am Mittwoch enthüllteTaylor einen
weiterenTelefonanruf, der wohl am an-
schaulichsten illustriert, wieTrump die
Ukraine und das strategische Ringen mit
Moskau wahrnimmt: alsWerkzeug, das er
für seine politischen Pläne nutzen kann.
Es ging um einTr effen am 26.Juli, einen
Tag nach dem ominösenTelefongespräch
zwischenTr ump und dem ukrainischen
PräsidentenWolodimir Selenski, das die
ganze Ukraine-Affäre insRollen brachte.
Taylor traf sich zusammen mit dem
amerikanischen EU-Botschafter Gordon
Sondland mit Selenski in seinem Büroin
Kiew.Sondland war neben Giuliani eine
Hauptperson in der Schattendiploma-
tie, dieTr ump gegenüber der Ukraine
verfolgte. Nach demTr effen hätten sich
Tr ump und Sondland perTelefon bespro-
chen, berichteteTaylor.Dabei, dies habe
ein Mitarbeiter deutlich hörenkönnen,
habe sichTr ump nach dem Stand der
«Untersuchungen» erkundigt. Es geht
um die Ermittlungen der Ukrainer gegen
den demokratischen Präsidentschafts-
bewerberJoe Biden und dessen Sohn
Hunter sowie zu einerVerschwörungs-
theorie überdieWahlbeeinflussung von
20 16. Diese Untersuchungen sollTr ump
alsVorleistung für bereits beschlossene
Militärhilfe und einTr effen mit Selenski
imWeissen Haus gehabt haben wollen.
Auf NachfrageTaylors habe Sondland er-
klärt, die Bidens interessierten den Präsi-
denten halt mehr als die Ukraine.
Demgegenüber wurde im Hearing am
Mittwoch ebenso deutlich, worum es der
offiziellen Diplomatie der USA gegen-
über der Ukraine geht.Taylor trat zusam-

men mit seinemVorgesetzten im State
Department, GeorgeKent, als Zeuge auf.
Beide stellten die Beziehungen zu Kiew
in denRahmen der globalen amerikani-
schen Strategie, in der China undRuss-
landalsKontrahenten betrachtet werden.
Gegenüber der Ukraine sei es seit 20 14
immer darum gegangen, demLand bei
der Abwehr der russischen Aggression
beizustehen und ihm eineWiedergeburt,
frei vom russischenJoch, zu ermöglichen,
sagteKent.Dafür hätten auch mehr als
13000 Ukrainer auf ukrainischem Boden
ihr Lebengelassen. UndTaylor ergänzte,
dieser Beistand sei durchausauch im
nationalen Sicherheitsinteresse der USA
und der europäischen Staaten, die an das
Recht auf Selbstbestimmung glaubten.
Die Demokraten versuchten in den
Fragen anTaylor undKent klarzumachen,
dass esTr ump imFall der Ukraine nie um
eine wirkliche Bekämpfung derKorrup-
tion gegangen sei, weil eine solche über
dieregulären Kanäle betrieben werde.
Kent sagte, dieKorruptionsbekämpfung
habe immer zu den primären politischen
Zielen der USA gegenüber der Ukraine
gezählt, um die Investition von amerika-
nischen Steuergeldern zu schützen und
beispielsweise auch ausländische Inves-
titionen zu erleichtern. Dies versuche
man mit der Stärkung der Institutionen
von Staat und Bürgergesellschaft zu er-
reichen.Das habe auch gegenüber der
Gasfirma Burisma gegolten, die Hunter
Biden in denAufsichtsrat geholt hatte.
Nie habe man versucht, Untersuchungen
gegen Burisma zu verhindern.Vielmehr
habe man eineWiederaufnahmederKor-
ruptionsuntersuchungen gegen Burisma
und seinen Besitzer Mykola Slotschew-
ski angestrebt, weil diese vermutlich von
bestochenen Strafverfolgern eingestellt
worden seien, sagteKent.

Alles nur Einbildung?


Taylor widersprach der Darstellung,
Tr ump sei es beiseiner Forderung nach
Untersuchungen um die generelleKor-
ruptionsbekämpfung gegangen. Selenskis
Wahl imFrühling und seine ersten Amts-
handlungen hätten auch auf diesem Ge-
biet eine wahreAufbruchstimmung in der
Ukraine geschaffen und die Hoffnungen
geweckt,dass entschlossengegenKorrup-
tion in denJustizbehörden vorgegangen
werde. Dennoch habeTr ump eine uner-
klärlicheAbneigung gegenüber Selenski
an denTag gelegt.Dasei ihm klargewor-
den, sagteTaylor, dass die offizielle ame-
rikanischePolitik von etwas anderem,In-
offiziellem überlagert worden sei.
DieRepublikaner versuchten ihrer-
seits zu betonen, eskönnekein Erpres-
sungsmanöver gegeben haben,weilkeine
Forderungen erfüllt worden seien und die
Militärhilfe dennoch ausbezahlt worden
sei. Sie wiesen zudem mehrfach darauf
hin, dass die angebliche Erpressung nur
das Ergebnis einer Interpretation von
Aussagen aus dritter Hand sei. Der Abge-
ordnete JimJordan,ein besondersenga-
gierterVerteidiger des Präsidenten, warf
Taylorrecht unverhohlen vor, er habe
sich das alles doch nur eingebildet.Auch
Tr ump selber übernahm dieseVerteidi-
gungslinie auf seinemTwitter-Konto.
International, Seite 5

DAVID RAMOS/GETTY

Die grosse Last


der Porteadoras


Die spanische Exklave Melilla und der sie umgebende Norden Marokkos leben vom
Grenzhandel. Zehntausende von marokkanischenFrauen schleppen jedenTag fünf-
zig bis hundert Kilogramm schwereLastensäcke aus Melilla in ihrLand – dank einer
Gesetzeslücke zollfrei. Den Handel gibt es schon seitJahrzehnten, aber heute ist das
Geschäft derPorteadoras, derTr ägerinnen,härter denn je. International,Seite 9

Zürcher Beizen sollen bis 2 Uhr offen


bleiben dürfen – Quartiere wehren sich


Stadtrat legt Eckpunkte für Testversuch im näch sten Somme r vor


ANDRÉ MÜLLER


«Mediterrane Nächte» verspricht sich der
Zürcher Gemeinderat davon: Einige Zür-
cherBars undRestaurants dürfen 2020
versuchsweise an Sommerwochenenden
ihreGäste zwei Stunden länger draussen
bewirten. IhrenAussenbereich müssen
Bars an derLangstrasse dann beispiels-
weiseerst um 2 Uhr morgens schliessen.
Das Stadtparlament hat einenVorstoss
von Nicole Giger (sp.) und Andri Silber-
schmidt (fdp.) imFrühling deutlich gut-
geheissen.Das Sicherheitsdepartement
hat am Mittwoch im Amtsblatt nun die
Eckpunkte diesesVersuchs dargelegt: Die
Beizen profitieren nur an jeweils zwei
Wochenenden von den längeren Öff-
nungszeiten. Die Betriebe in den Stadt-
kreisen 1,2 und 8 sind am 11./12.Juli
und am1./2.August an derReihe,die-
jenigen in den Kreisen 3 bis 5 und 9 am
18./19.Juli und8./9.August und diejeni-
gen in denrestlichen Kreisennochmals
je eineWoche später. Man wolle denVe r-
such wissenschaftlichbegleiten und aus-
werten lassen, teilt das Sicherheitsdepar-
tement weiter mit.


«Das Mass ist voll»


DerVersuch wird zudem beschränkt auf
bestehende Gastwirtschaften mitAus-
senbereichen, die sich nicht in bestimm-
ten lärmempfindlichen Gebieten befin-
den.Lautsprecher und Live-Musik sind
nicht erlaubt, zudemkönnen Betriebe, bei
denenes zu laut wird und die zu wenig da-
gegen tun, von künftigen «mediterranen


Nächten» ausgeschlossen werden. Mit all
diesen Einschränkungen bleibt dieStadt
nicht ganz unerwartet hinterdemPostu-
lat des Gemeinderats zurück. Garkeine
Freude amVersuch, trotzreduziertem
Umfang, hat die neue Gruppe «Innen-
stadt alsWohnquartier».Darinvertreten
sind unter anderem Quartiervereine in
der Innenstadt und des Kreises 4. «Das
Mass ist voll», schreibt die Gruppe in einer
Mitteilung. Man werde «mit allen Mitteln


  • politisch und juristisch – gegen die medi-
    terranen Nächte und gegen denKommer-
    zialisierungs-, Eventisierungs- und Libe-
    ralisierungswahn kämpfen».


«Etwas mutlos»


«Wir planen,Rekurs gegen denVersuch
einzulegen», sagtFelix Stocker, ehema-
liger SP-Gemeinderat undVertreter der
Gruppe.Allerdings müsse man noch ge-
wisse juristische Abklärungen vorneh-
men.DasBundesgericht habe 20 18 einen
Entscheid getroffen, der dieRestauration
in Innenhöfen einschränke. «Das nehmen
wiruns alsVorbild.»Wenn derVersuch
nur punktuell erfolge, könne man ihn zu-
dem gar nicht wissenschaftlich untersu-
chen.Völlig unklar sei auch, wie es nach
derTestphase weitergehe. Die «mediter-
ranen Nächte» seien aber bloss derTr op-
fen, der dasFass zum Überlaufen bringe,
weshalb man die Gruppe gegründet habe.
Die Immissionen seien in der Innenstadt
jetzt schon sehr gross, sagt Stocker. «Es
geht uns darum, diese alsWohnquartier
zu erhalten–auch für sensitivePersonen
wie Ältereund Kinder.»

Auch die Promotoren der länge-
ren Öffnungszeiten machen Einwände.
Nicole Giger sagt zwar,sie begrüsse, dass
etwas umgesetzt werde. Man habe aller-
dings imPostulat nicht vorgesehen, dass
derVersuch auf wenigeWochenenden
und Kreisereduziert werde. «Ich finde
das schade und etwas mutlos. Ich frage
mich, ob sich daraus eine guteBasis für
eine verlässlicheAuswertung ergibt.»
Andri Silberschmidt ist grundsätzlich zu-
frieden mit demVersuch. «Ichbin über-
zeugt, dass dieseTestphase das‹Schreck-
potenzial› der mediterranen Nächte ver-
mindert.» Unverständlich findet er die
Reaktion der Gegner: «Einige Quartier-
ve reine blockieren die Idee seitTag 1
komplett.» Es brauche Gesprächsbereit-
schaft von beiden Seiten.
Mathias Ninck, der Sprecher des
Sicherheitsdepartements, sagt, dass mit
der Beschränkung auf sechsWochen-
enden demRuhebedürfnis der Anwoh-
nerRechnung getragen werden solle –
man habe einenWeg in der Mitte, zwi-
schen den Interessen vonWirten und
jenen der Quartierbevölkerung,finden
müssen. Sofernes nichtan allen sechs
Wochenendenregne, bringe derVer-
such auf jedenFall Erkenntnisse. Im
Rahmen der wissenschaftlichen Beglei-
tung würden die verschiedenen Inter-
essengruppen von Beginn weg in den
Test einbezogen, sagt Ninck. DieDurch-
führung desVersuchs werde auf jeden
Fall anspruchsvoll: «Jeder Beizer muss
ohne grossenAufwand sehen, ob er
seine Öffnungszeiten verlängern darf
oder nicht.»

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