Neue Zürcher Zeitung - 14.11.2019

(Marcin) #1

14 MEINUNG & DEBATTE Donnerstag, 14. November 2019


Uli Hoenessins einer Zeit als Spielerbeim FC Bayern München: Er machte dieBayern als Manager und Präsident zur Nummer1inDeutschland. FRED JOCH / IMAGO


Ein Modell, wie es nie


wieder möglich sein wird


Niemand führte einen Fussballklub in Deutschland erfolgreicher als Uli Hoeness. Die Methode


Hoeness setzte auf Identifikation und Abgrenzung. Sein Rückzug als Präsident des FCBayern


markiert nicht nur für den Klub eine Zeitenwende.Von Stefan Osterhaus


Niemand wird bestreiten wollen,dass Uli Hoeness
eineausserordentlicheFigurimdeutschenFussball
ist – und darüber hinaus. Schon als Spieler war die
Liste seiner Erfolge eindrücklich genug,um ihn zu
den grösstenFussballern seiner Zeit zu zählen: Er
war Welt- und Europameister sowie mehrmaliger
Europacup-Sieger. Assoziiert aber wird Hoeness
nichtmitseinenErfolgenalsFlügelstürmervonBay-
ernMünchenunddemdeutschenNationalteam.Die
Laufbahn,dieernachdemFussballeinschlug,hebt
ihnheraus:EristderMacherderBayern.
AlsderenMastermindwährendvierJahrzehnten
steht er für Superlative. Er machte dieBayern als
ManagerundPräsidentzurNummereinsinDeutsch-
landundverschaffteihneneinensolchenVorsprung,
dassdie Konkurrenzbisweilenresignierte.Daswird
staunend quittiert,ebenso zwanzig Meistertitel,elf
Cup-SiegeundzweiChampions-League-Erfolge,die
Rekord umsätze ,vondenenderletztebeieinerDrei-
viertelmilliardeEurolag.


Solitär im Klubfussball


NunaberstehtnichtnurdenBayern,sondernauch
demgesamtendeutschenFussballeineZeitenwende
bevor .AmFreitagwirdHoenessaufderJahreshaupt-
versammlungderBayerninderMünchnerOlympia-
halle seinAmt als Präsident zurVerfügung stellen.
Mancher mag sich nicht nur den FCBayern Mün-
chen,sondernauchdieBundesligakaumohneHoe-
nessvorstellen.AlsstetspräsenteFigurerzeugteer
mitseinenAuftritten Resonanz. Hoenesswurdege-
hört,ganzgleich,waser sagte. Kein andererFunk-
tionärhatteeinesolcheöffentlicheWirkungwieer.
SprachHoeness,sohörtediegesamteBranchezu.
Sein Rückzug ist ein geradezu epochaler Akt.
Denn im Klubfussball der Gegenwart ist Hoeness
nicht nur in Deutschland ein Solitär – er hat ein


Modell etabliert,daseinzigartig ist.Mit patriarcha-
lemGehabeführteerdieBayern.Docheslagnicht
an der selbstherrlichenPose, dass er sich von den
ebenfallsnichtuneitlenMäzeneninSpanienundIta-
lien oder deutschen Nachahmern unterschied. Nie
schoss Hoeness eigenes Geld in denVerein. Sein
Credo war stets, dass der Klub eine wirtschaftliche
Basisbenötigt,dieUnabhängigkeitverspricht.Esge-
lang ihm, sogenannte strategischePartnerschaften
mitdeutschenKonzernenzuschliessen,dievielKa-
pital einbrachten,ohne dass je mehr als einViertel
der gesamten Anteile derBayern veräussert wor-
denwären.Frühdrängteerzudemaufden Baueines
eigenenStadions.
Kopiert worden ist das Modell häufig, doch an
keinemanderenOrtkonnteeserfolgreichinstalliert
werden.EinennennenswertenKonkurrentenhatder
FC Bayern in der Liga seitJahren nicht.Und auch
der Vergleich mit demAusland fällt glänzend aus.
Einen Klub wie dieAC Milan,die zu Zeiten Silvio
BerlusconisnochausserReichweitefürdieMünch-
nerwar ,habendieBayernnunmehrweithintersich
gelassen.DerRückzugdesGönnersBerlusconimar-
kiertedenAbschwungfürMilan.
Aufwelche WeiseaberhatHoenessseinSystem
etablierenkönnen?EsistmehralsblossdieAdminis-
tration technischerVorgänge, mehr als dieAnalyse
von Zahlenwerk und mehrals spo rtlicher Sachver-
stand.EsistvielmehrdasErgebnisvonWeltklasse-
Ambitionen, die denBayern-Macher vom ersten
Augenblick an trieben.In seinen besten Zeiten ge-
nügteihmderFussballnichteinmal.Hoenesswagte
sich weit hervor, äusserte sich zu gesellschaftlichen
und politischenFragen. Er provozierteKontrover-
senundüberschrittmancheGrenze,ammarkantes-
tenjene zumSteuerbetrug,fürden erim Jahr20 14
eineHaftstrafezuverbüssenhatte.
Wennersichnunzurückzieht,dannbedeutetdies
auch,dassseinezahlreichenKritik ereinliebgewon-

nenes Feindbild verlieren werden.Niemand hat im
deutschenFussballjeineinemsolchenMassepolari-
siertwieUliHoeness.DemzufolgeistdasImagedes
Managerseinrechtspezielles. EshatsichimLaufe
der Jahrzehnte gleich mehrfach gewandelt.Als er
imAltervonnur27JahrenbeidenBayernbegann,
verzeichnetederKlubSchuldeninHöhevonumge-
rechnet3,5MillionenEuro,dies beieinemUmsatz,
dernichteinmaldoppeltsohochwar.Hoenesstrieb
dieProfessionalisierungvoran,erverwiesdiedamals
stär kere KonkurrenzausMönchengladbachundaus
HamburgindenachtzigerJahrenaufdiePlätze.
Gepflogenheiten kümmerten ihn nicht weiter.
DieArroganz,mitderHoenessauftrat,wargeradezu
sprichwörtlich.ErpflegteFehdenwiejenemitdem

Trainer ChristophDaum.Er machte Gerüchte um
dessen Kokainkonsum öffentlich und vereitelte so
dieBerufungDaumszumdeutschenBundestrainer.
Der Bayern-Anhang stilisierte ihn daraufhin zum
Retter des deutschenFussballs. Und weil es immer
wieder Nachrichten über caritative Aktionen des
Managersgab,weildie FührungdesUnternehmens
BayernMünchenalssolideerschien,weildieBilan-
zen von Mal zu Mal besser ausfielen und dieBay-
ernamEndeaufBetreibenvonHoenesssogarnoch
zu einem Benefizspiel für den altenKonkurrenten
St.Pauli anreisten,dessenFans Hoeness zuvor mit
Kleingeldbeworfenhatten,emanzipierteersichall-
mählichvomImagedesrücksichtslosenPatrons.
Vielmehr wurde die Anerkennung vonJahr zu
Jahr grösser, was sich auch in derAuszeichnung
zum «Unternehmer desJahres» ausdrückte. Dies
animiert e Hoeness wohl, immer wieder inTalk-
shows auch zu politischenThemen Stellung zu be-
ziehen–undauchnachverbüssterHaftalswieder-
gewählterBayern-Präsident dasWort zu ergreifen.
Trotz allenKontroversen wurde er gründlich ver-
klärt: 2013, kurz bevor die Steueraffäre öffentlich
wurde ,inderen FolgesichsogardieBundeskanzle-
rinAngelaMerkel«enttäuscht»vonHoenesszeigte,
fragteder«Spiegel»allenErnstes:«TaugteralsVor-
bildfüreinganzesLand?»
Kann es da überraschen, dass Hoenesssich an-
gesichts solch m edialer Ehrerbietung bis heute er-
folgreich als ein Desperado des Establishments in-
szeniert? Als einer, dem alleTüren offen standen,
aberdernichtsaufKonventionengab?Dabeiwardas
Bild,dasvonUliHoenesskursierte,nievielmehrals
eineProjektion:derguteGutsherr;derweisePatri-
arch;derfreundlicheUnternehmer.Fasterschienes
so, als manifestiere sich in derRezeption derFigur
dieSehnsuchtnacheinemKapitalismusmitmensch-
lichemAntlitz.Er wäre sicher der Letzte gewesen,
dergegeneinesolcheZuschreibungprotestierthätte.
Hoenessaber stand für einen Entwurf, der ausser-
halb desFussballs gar nicht so aussergewöhnlich
war,wieesmancherglaubt.Esgehörtvielmehrzur
Geschichte der Bundesrepublik:die soziale Markt-
wirtschaft,dersogenannterheinischeKapitalismus.
GetriebennichtblossvonKonzernen,sondernvon
Mittelständlern,vonLeutenwieHoeness,derneben
seinerLeidenschaftfür Bayern München noch als
Wurstfabrikantunternehmerischtätigwar.
SoetablierteHoenessdasMünchnerModell.Es
war stark auf ihn zugeschnitten. Die gutsherrliche
ArtwirkteimInnern,gegenüberdeneigenenLeuten,
häufigsegensreich.Eswirdschwerfallen,jemanden
zufinden,dervomHofeHoenessSchlechteszube-
richtenweiss.ErstkürzlichrieferineinerFussball-
Talkshow an, um den von ihm protegierten Sport-
chef Hasan Salihamidzic gegen dessen Kritiker zu
verteidigen.
Nachau sse nwieder umwusstesichHoenessstrikt
abzugrenzen,auch dies zählte zumTeil seiner Stra-
tegie. Das Motto des Klubs lautet «Miasan mia» –
«wirsindwir»—,eineSelbstvergewisserung,dieauch
in schwierigen Momenten identitätsstiftend ist.Sie
besagtallerdingsauch,dassdiesogenannteBayern-
FamiliesichvorallemdeneigenenRegelnverpflich-
tet sieht. So hatte Hoeness wenig Scheu,um Spie-
lerder KonkurrenzauchumderengezielterSchwä-
chungwegenzuwerben.
Dabei waren dieBayern allerdings stets auch
ein Vorbild für die Gegnerschaft, wenn es um die
Führung des Klubs ging. Die Integration ehemali-
ger Profis, die beim Anhang beliebt waren, gelang
ihnen auf geradezu mustergültigeWeise.Wer hin-
gege nvonaussenhinzukam,derhatteesschwerim
MünchnerFussball-Clan.

Funktioniert das System


auch ohne den Schöpfer?


InalldenJahrendesErfolgeswarHoenessderFix-
punktdiesesSystems.EsstrahltebisnachEngland.
SelbstAlex Ferguson,legendärerTrainer bei Man-
chester United, bewundert die Art undWeise der
MünchnerKlubführungundempfiehltsiezurNach-
ahmung:BayernseieinVerein ,deraufderrichtigen
Grundlagegeführtwerde–vonehemaligenSpielern,
diedie «AusrichtungdesKlubswirklichbestimmen.
EsisteingrossartigerKlub.»
Den Bayern gelang also, woran so viele andere
Klubs scheitern: eine Genealogie des Erfolges zu
etablieren, und zwar mit vertrautemPersonal, was
denFansdieIdentifikationleichtermacht,jasieso-
garzwangsläufigerscheinenlässt.EinsolcherKlub
wirdkaumjeGefahrlaufen,alsbeliebigwahrgenom-
menzuwerden.ErwirdstetsmehrseinalseinPro-
jekt,mag dieses auch nochso erfolgreich sein – so
wie der ausAbu Dhabi finanzierte englische Meis-
terManchesterCityoderdervonKataralimentierte
französische ChampionParis Saint-Germain. Und
dienächsteGenerationstehtinMünchenschonbe-
reit:DerehemaligeBayern-GoalieOliverKahnsoll
Ende2021denVorstandschefRummeniggebeerben.
AlldieseDingekannsichHoenesszugutehalten,
undzwarimBewusstsein,dasseseinesolcheKarriere
wiedieseinewohlniewiedergebenwird.DieFrage
allerdings, die die Bayern drängt, ist eine ganz an-
dere.DennHoeness’WerkstehtdieultimativePrü-
fung noch bevor: DieKonstruktion, die er hinter-
lässt, muss beweisen, dass sie ohne ihren Schöpfer
aufhohemNiveaufortbestehenkann.

Den Bayern gelang, woran so


viele andere Klubs scheitern:


eine Genealogie des Erfolges


zu etablieren, und zwar


mit vertrautem Personal, was


den Fans die Identifikation


leichter macht, ja sie sogar


zwangsläufig erscheinen lässt.

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