Neue Zürcher Zeitung - 14.11.2019

(Marcin) #1

Donnerstag, 14. November 2019 ZÜRICH UND REGION 19


Die Gegner der ÜberbauungAu-Park in Wädenswil


operieren teilweise mit fragwürdigenArgumenten SEITE 20


Einst verbreitete das «Select»-Haus Pariser Flair –


nun ist es umfassend renoviert worden SEITE 21


Dasaus Gelberbsenprotein, Erbsenfasern,Sonnenblumenöl undWasser hergestellte Planted-Chicken kommtinStreifen aus der Maschine und wirdvakuumiert anRestaurants geliefert. BILDER ANNICK RAMP / NZZ


Das Poulet aus der Erbse


Das Zürcher Jungunternehmen Planted stellt Poulet aus pflanzlichen Zutaten her – nun erhöht es die Produktion


DANIEL FRITZSCHE (TEXT),
ANNICK RAMP (BILDER)


Mittagszeit imRestaurant Kraftwerk
an der Sihl. ZweijungeFrauen blicken
in die Menukarte. «Planted-Chicken?»,
fragt die eine. «Nein, das ist nichts für
mich», sagt die andere. «Ich binVegeta-
rierin.»Pascal Bieri lächelt, während er
die Unterhaltung vom Nebentisch aus
verfolgt. «Damüssen wir nochAufklä-
rungsarbeitleisten»,sagter.Planted-Chi-
cken, das ist die Erfindung des 34-Jähri-
genunddreierweitererGründer.Ander
ETH produzieren sie täglich bis zu 300
KilogrammPouletfleisch–ohnedassda-
für ein Tier sterben muss.
Ihr«Chicken»bestehtausvierpflanz-
lichen Zutaten,dieraff iniertkombiniert
undverarbeitetwerden:Gelberbsenpro-
tein,Erbsenfasern,Sonnenblumenölund
Wasser.Das Resultat ist verblüffend.So-
wohl optisch als auch geschmacklich ist
ein Unterschied zu echtemPouletfleisch
kaum auszumachen. Das mag auch an
der gelungenen Präsentation und der
Würze liegen. Im «Kraftwerk» wird das
Chicken mit Cannellinibohnen, Pak
Choi, Cipolotti und Shiitakepilzen ser-
viert. «Mirschmeckt’s», sagt Bieri und
nimmt noch einen Löffel. DieFrauen
vom Nebentisch schielen neugierig auf
den bald leerenTeller.
Fleischkonsum ohneTierleid, das
ist einTrend, der in den letztenJahren


enormFahrt aufgenommen hat. Inves-
toren stecken Millionen von Dollars in
Star tups wie Mosa Meat oder Beyond
Meat. Den Hype spüren auch Bieri und
seine Geschäftspartner.Vor zwei Jahren
haben sie ihr Projekt lanciert; imJuni
haben sie ihreFirma Planted formell
gegründet. Und Ende Oktober haben
sie ihre ersteFinanzierungsrunde er-
folgreich abgeschlossen. Prompt haben
sie 7 MillionenFranken eingesammelt.
Zu den Geldgebern zählen bekannte
Namen wie derVegi-PapstRolf Hiltl
oder derDenner-Erbe Philippe Gay-
doul.Auch dieETH Foundation sprach
Gelder aus ihrem Spin-off-Fonds.

An der ETH wird es zu eng


«Es wird vielVertrauen in unsgeste ckt»,
sagt Pascal Bieri. «Das wollen wir nicht
enttäuschen.» Mittlerweile beschäftigt
Planted 13 Mitarbeiter, bald sollen es 20
sein. Zum Gründerteam gehören neben
Bieri sein Cousin Lukas Böni und Eric
Stirnemann, beidesETH-Lebensmittel-
ingenieure, sowie ChristophJenny.
Noch produzieren die Geschäftspart-
ner ineinem Gebäude derETH. Doch
der Raum wird knapp. «Wir kommen an
den Anschlag», sagt Bieri.Darum steht
schon bald ein Zügeltermin an. Letzte
Woche haben dieJungunternehmer den
Mietvertrag für grössereRäumlichkei-
ten in «The Valley» inKemptthal unter-

schrieben.Auf dem ehemaligen Maggi-
Areal werden sie ihr Produkt weiter ver-
bessern – nichthinterdicken Mauern
wie in einem Schlachthof, sondern mög-
lichst transparent.«Wir haben nichts zu
verstecken», sagt Bieri.
Heute steht Planted-Chicken auf
den Speisekarten diverserRestaurants
in Zürich und Umgebung – so zum Bei-
spiel in denFilialen der gesundenFast-
Food-Kette Not Guilty oder in den
Kantinen der SV-Group.Ab nächs-
tem Jahr solle es auch in denRegalen
eines Grossverteilers zu finden sein,
sagt Bieri. Entsprechende Verhand-
lungen seien auf gutemWeg. Kontakte
wurden unter anderem am diesjährigen
Kickstart in Zürich, einem Startup-För-
derprogramm, geknüpft (siehe Zusatz).
Auch den Schritt insAusland bereitet
das ETH-Spin-off vor.
Parallel dazu feilt das Planted-Team
weiter an seinem Erbsenpoulet. Immer
wieder hinterfragtes sich selber. «Alles
ist ‹work in progress›», sagt Bieri. Ihre
Firma funktioniere dabei wie einTech-
Startup. «Wir quantifizieren allesund
diskutieren ausschliesslich daten-
basiert.» So führen sie regelmässig Um-
fragen zum Geschmack ihresPoulets
durch, zurTextur, zur Konsistenz, zum
«Biss» und zu vielem mehr. «Das mag
etwas abstrakt wirken, funktioniert für
uns aber gut», sagt Bieri.Auch mit her-
kömmlichen Fleischproduzenten steht

das Startup inKontakt. «Wir testen,
kochen, entwickeln weiter.» Anders als
in der traditionellen Fleischindustrie, wo
schon eine neue Chiliwurst eine grosse
Innovation sei, müsse hierviel Grund-
lagenforschung betrieben werden.

«Wir arbeitenan den Kosten»


Das Planted-Chicken verbessert sich
so schrittweise wie ein Computerpro-
gramm; die derzeitigeVersion trägt die
Nummer1.5. Ab nächstemJahr soll
dann das «Poulet 2.0» bereitstehen. Die
Produktion wird zudem laufend skaliert.
«Wir arbeiten an denKosten» , sagt Bieri.
Gastrobetriebeerhalten das Kilogramm
Chic ken momentan für 25Franken.
Wenn Bieri so über sein Produkt
spricht, dann wirkt das ziemlich tech-
nokratisch. Der HSG-Absolvent gibt
nicht denWeltverbesserer – auch wenn
er diese Argumente für pflanzenbasier-
ten Fleischersatz ebenfalls aufLager
hat. Grundsätzlich sei es klar, dass eine
10- Milliarden-Welt nicht wie heute er-
nährt werdenkönne. «Es braucht neue,
effizientere, nachhaltigere und gesün-
dereWege», sagt er. Die Leute umerzie-
hen will er aber nicht.«Das wird nicht
funktionieren»,sagt Bieri,der einst mit
Kollegen dieGrünliberalen des Kantons
Luzern gegründet hat. Die fleischlose
Alternative müssesogut und so güns-
tig sein, dass dieKonsumenten aus eige-

nemAntrieb wechselten.Dogmatisch ist
auch seinTeam nicht.Darin gibt es ein
breites Spektrum an Ernährungsformen:
vom Flexitarier bis zumVeganer.
Über solche Kategorien zu streiten,
seiabersowiesonichtzielführend,findet
Bieri.Er kann sich eine Zukunft vorstel-
len,ind erKundenaneinerProteintheke
freizwischentierischenundpflanzlichen
Proteinen auswählen. In einer solchen
Zukunftgeheesdannvielleichtgarnicht
mehrdarum,eineperfekteImitationvon
Flei schzuerzielen,sondernganzeinfach
darum, «gut schmeckende, nahrhafte
texturierte Proteine» zukonsumieren.
Diese Zukunft hat bereits begonnen –
zumindest wenn man dem euphorischen
Startup-Gründer zuhört.

40 Partnerschaften


dfr.·Planted war eines von 57 Start-
ups, die am diesjährigen Kickstart-För-
derprogramm im Zürcher «Kraftwerk»
teilgenommen haben. Über mehrere
WochenhabendieJungunternehmenaus
der ganzenWelt mit Schweizer Gross-
unternehmen wie Coop, Swisscom oder
Credit Suisse zusammengearbeitet. 40
Partnerschaften in den BereichenFood,
Fintech oder Cybersecurity sind daraus
entstanden.Das Kickstart-Programm
fand diesesJahr zum vierten Mal statt.
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