Neue Zürcher Zeitung - 14.11.2019

(Marcin) #1

Donnerstag, 14. November 2019 WIRTSCHAFT 27


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Tesla baut «Gigafactory»


im Grossraum Berlin


Elektroautoherstel ler wählt deutschen Standort für Grossprojekt in Europa


MICHAEL RASCH, FRANKFURT


Eine bessere Gelegenheit für die An-
kündigung hätte sich Elon Musk kaum
aussuchenkönnen. Bei derVerleihung
des Goldenen Lenkrads in Berlin, einer
Veranstaltung von «Auto-Bild»und
«Bild am Sonntag», kündigte das Mas-
termind von Tesla – im Beisein der Gran-
den der deutschenAutoindustrie – den
Bau einer Gigafabrik unweit der deut-
schen Hauptstadt an. In der Nähe des
geplanten neuen Flughafens BER will
Tesla künftig denKompakt-SUV Mo-
del Y sowieBatterien bauen und dar-
über hinaus ein Design- und Entwick-
lungszentrum in Berlin etablieren. Mit
der Ankündigung setzt Musk einAus-
rufezeichen zu einem Zeitpunkt, an dem
deutsche Hersteller wie VW, Daimler
und BMW in grossem Stil in die Elek-
tromobilität einsteigen.


7000 neue Arbeitsplätze?


Details gab der in Südafrika geborene
Visionär nicht bekannt. Offenbar war
der 48-jährige Musk überraschend zur
Preisverleihung in Berlin gekommen.
Auf derTesla-Website finden sich noch
keine Informationen zu dem Projekt.
Dass der amerikanische Elektroauto-
hersteller in Europa eine grosseFabrik
bauen will, war schon länger bekannt.
Musk hatte durchblicken lassen, dass
Deutschland seinFavorit unter verschie-
denen Standorten sei. MehrereBundes-
länder hatten sich Hoffnungen auf die
Ansiedlung der Gigafabrik gemacht,
unteranderem Niedersachsen und das
Saarland. Berlin und Brandenburg hatte
allerdings niemand auf derRechnung –
wohl nicht zuletzt deshalb, weil Berlin
als wirtschaftsfeindliche Stadt gilt.Auch
Frankreich hatte sich demVernehmen
nach Hoffnungen gemacht, das Prestige-
objekt zu erhalten.
Nach früheren Angaben soll die
Fabrik bereits Ende 2021 den Betrieb
aufnehmen, was allerdings sehr ambitio-
niertklingt.Laut Angaben der Berliner
Wirtschaftsverwaltung vom Mittwoch
werden rund 6 000 bis 7000 Arbeits-
plätze in Deutschland entstehen. Die
Fabrik soll in der brandenburgischen
Gemeinde Grünheide, rund 35 Kilo-
meter südlich derHauptstadt, hochgezo-
gen werden.Wie viel Platz benötigt wird,
ist noch unklar. InReno (US-Gliedstaat
Nevada) umfasst die Gigafactory 1 von
Tesla etwa 53Hektaren. Dort werdenbis
anhin jedoch nurBatterien gebaut.


Die Gigafactory 2 ist eine Photovol-
taikfabrik, die von derTesla-Tochter So-
larCity in Buffalo (NewYork) gemie-
tet wird.Ausserhalb der USA existiert
nur noch in Schanghai eine grosseFer-
tigungsstätte, die Gigafactory 3 für den
Bau der Modelle 3 und Y sowie fürBat-
terien, in der erst vor kurzem die Pro-
duktion angelaufen ist. In Europa mon-
tiert das Unternehmen bis jetzt in den
Niederlanden einigeFahrzeuge der teu-
reren Modellreihen S und X. Musk hatte

in derVergangenheit aber klargemacht,
dass er die Zukunft derFirma vor allem
im Model 3 und im Model Y sieht.
In einer Zeit, in der dieAutoindustrie
weltweit mit Problemen kämpft, wobei
die deutschen Herstellerdavon beson-
ders betroffen sind,könntedieFreude
überTeslas Standortwahl kaum grösser
sein.FerdinandDudenhöffer, der Lei-
ter des CenterAutomotiveResearch
(CAR) der UniversitätDuisburg-Es-
sen, hält dieAnkündigung von Musk

für eine gute Nachricht für denAuto-
standort Deutschland. DerWettbewerb
habe schon immer dafür gesorgt, besser
und schneller zu werden. Insofern sei die
Ankündigung vonTesla auch eine gute
Nachricht für VW, Daimler und BMW.
Teslas Entscheidung für Deutschland
verleihe der Elektromobilität mehr
Fahrt als hundert Gipfel im Kanzleramt.

Eine Reihevon Problemen


Tesla ist weltweit ein Pionier beim bat-
terieelektrischenFahren. DerTausend-
sassa Elon Musk hat aus dem Stand
ein kleines Imperium für denBau von
Elektroautos undBatterien geschaffen.
SeinKonzern hat inzwischen fünf ver-
schiedene Modelle am Start und plant
denBau eines elektrischenLastwagens.
Der Einstieg in die Massenfertigung hat
Tesla jedoch vor erhebliche Probleme
gestellt und immer wieder zu grösseren
Rückschlägen geführt. Zudem kämpft
Musk damit, das Unternehmen nachhal-
tig indie Gewinnzone zu führen. Im drit-
ten Quartal hatTesla immerhin über-
raschend wieder einen Gewinn vermel-
det. Die Sicherstellung einer hinreichen-
den Liquidität und einesVerbleibens in
der Gewinnzone dürfte aber eine Her-
ausforderung bleiben.

Die bisher einzige«Gigafactory»von Tesla ausserhalb der USA steht in der Nähe von Schanghai. ALY SONG / REUTERS


Das Rennen um


die Batterien ist eröffnet


Mehrere Grossp rojekte für deutsche Produktionsstätten


MICHAEL RASCH, FRANKFURT

DerPaukenschlag ist geglückt. Die An-
kündigung von Elon Musk, die erste
europäische «Gigafabrik» vonTesla un-
weit von Berlin zu bauen, dürfte der
Elektromobilität in Deutschland mehr
Schwung verleihen. In derAutobranche
ist jedoch umstritten, ob besser Herstel-
ler oder Zulieferer in die Produktion
vonBatterien beziehungsweiseBatte-
riezellen einsteigen sollen. Der im Mai
alsDaimler-Konzernchef abgetretene
DieterZetsche sagte jüngst, er würde
die gigantischeBatteriefabrik vonTesla
in Nevada aufkeinenFall haben wollen.
Der Markt fürBatterien verändere sich
zu schnell, da sei es falsch, jetzt auf eine
einzigeTechnologie zu setzen.
Das Management desVolkswagen-
Konzerns sieht das anders, dieWolfsbur-
ger wollenBatteriezellen in Zusammen-
arbeit mit dem schwedischen Startup
Northvolt herstellen.Das gemeinsame
Zellwerksoll in Salzgitter entstehen.
In einem Interview mit dem «Handels-
blatt» schränkt der Einkaufsvorstand
von VW, Stefan Sommer, jedoch ein,
dassVolkswagen nur in der Anfangszeit
in eineeigene Zellenfertigung investie-
ren wolle, um den Einstieg in dieTech-
nologie zu schaffen.Langfristig sei es
aber nicht dasZiel, die Zellfertigung
komplett imKonzern zu haben.Das En-
gagement sei der Situation geschuldet,
dass man eine gigantische Industrie in
sehr kurzer Zeitaufbauen müsse.

Asiaten sindführend


Sommer sieht vor allem die Zulieferer in
derVerantwortung. Die deutschen Zu-
lieferer gäben einen grossen Anteil ihres
Marktes auf, wenn sie sich gegen die
Zellfertigung entschieden, sagte Som-
mer. Etwa 20 bis 30% derWertschöp-
fung, welche die Zulieferer bisher für die
Produktion einesAutos bereitstellten,
entfielen künftig auf dieBatterie. Con-
tinental aus Hannover, einer der gröss-
ten Zulieferer derWelt, scheut bis jetzt
das finanzielle Risiko,eine eigene Pro-
duktion vonBatteriezellen aufzuziehen.
Offenbar sind viele Manager der Mei-
nung, dass derVorsprung der asiatischen
Hersteller, welche die Branche derzeit
dominieren, mit der bestehendenTech-
nologie kaum aufzuholen ist. Und die
Technologie und die Leistungsfähigkeit
künftigerBatterienistnicht abschätzbar.
Die gemessen in Gigawattstunden
(GWh) weltweit grössten Hersteller
vonBatterien für Elektroautos waren
im ersten Halbjahr 20 18 Panasonic (5,9
GWh,Japan),CATL (5,7, China),BYD
(3,3, China) und LG Chem (2,8, Süd-
korea).CATL war der erste grosse Her-
steller, der denBau einerBatteriefabrik
in Deutschland angekündigt hat. Statt
der anfänglich geplanten 240 Mio.€will
derKonzern nun sogar 1,8 Mrd. € in
denBau einesWerks in Erfurt investie-

ren, das in der erstenAusbaustufeeine
Kapazität von 14 GWh proJahr haben
soll. Einer der grössten Abnehmer wird
BMW sein. Der MünchnerKonzern will
in den nächstenJahren Zellen imWert
von4Mrd.€von dem chinesischen Zu-
lieferer beziehen, wovon einAuftrags-
volumen von 1,5 Mrd. € auf die geplante
deutsche Fabrik entfällt. Letztlich bezie-
hen fast alle grossen Hersteller mindes-
tens einenTeil ihrer Zellen vonCATL.

Deutsch-französische Initiative


Das JointVenture zwischenVolkswagen
und Northvolt will den zweiten Produk-
tionsstandort in Deutschland aufziehen.
Wolfsburgrechnet ab demJahr 2025 mit
einer jährlich benötigtenBatteriekapa-
zität in Europa und Asien von 300 GWh.
DieWolfsburger wollen ab 2025 etwas
mehr als3Mio. E-Fahrzeuge weltweit
absetzen, einen Marktanteil von 20%
in diesem Segment. Experten gehen da-
von aus, dass die Schaffung einer Pro-
duktionskapazität von 10 GWh rund
1Mrd.€kostet.Auf die Industriekom-
men also gewaltige Investitionen zu,
die letztlich die Käufer mittragen müs-
sen. Mit dem französischenAutobauer
PSAPeugeot Citroën und seiner deut-
schenTochter Opel sowie demBatterie-
hersteller Saft formiert sich ein weite-
res Konsortium zumBau vonBatterie-
zellen. LG Chem will zudem massiv in
seineFabrik inPolen investieren.
Die Unternehmen spekulieren auch
auf Geld vom Staat. Bundeswirtschafts-
minister Peter Altmaier hat bereits
1Mrd.€anFördergeldern für die Her-
stellung vonBatterien bereitgestellt.Da-
für soll es rund 30 Bewerber geben, zu
denen angeblich derBatteriehersteller
Varta, der ChemiekonzernBASFsowie
dieAutobauer BMW und PSA gehören.
Altmaier will laut Medienberichten bis
Ende desJahres dreiFirmenkonsortien
zurFörderung auswählen. Sein französi-
scher Amtskollege Bruno Le Mairehält
weitere 700Mio.€für solcheVorha-
ben bereit. Deutschland undFrankreich
haben vereinbart, dass dies- und jenseits
des Rheins jeweils eineBatteriefabrik
entstehen soll. In Münster soll zudem ein
Forschungsstandort für die Produktion
undWiederverwertung von Lithium-
ionenbatterien entstehen.Dafür hatFor-
schungsministerin Anja Karlyczekgut
50 0Mio.€zugesagt.Weitere2 00 Mio.€
sollen vom westdeutschen Bundesland
Nordrhein-Westfalen (NRW)kommen.
Fachleute sehen den Aktionismus
kritisch: DiePolitik überschätze die Be-
deutung derBatteriezellenproduktion,
sagtFerdinandDudenhöffer von der
UniversitätDuisburg-Essen. Die Risi-
ken seien enorm, und dieWertschöp-
fung sei gering. Nach der Ankündigung
vonTesla sollte überdacht werden, wie
sinnvoll die staatlichen Fördermittel
seien. Die Steuergelderkönnten besser
eingesetzt werden.

Brandenburg überzeugt mit Ökostrom


Ht. Berlin· Die geplante Gigafabrik von
Tesla soll in der Nähe von Berlin, aber
auf dem Boden des Bundeslandes Bran-
denburg gebaut werden.Das bezeich-
nete Ministerpräsident DietmarWoidke
als «hervorragende Nachricht für unser
Bundesland». Man habesich seit länge-
rem in intensiven Gesprächen und mit
guten Argumenten dafür eingesetzt.
Woidke nannte drei Gründe, die für
den Standort sprächen.Erstens die hohe
Dichte an Universitäten und Hoch-
schulen in derRegion Berlin. Zwei-
tens sei Berlin (woTesla in Ergänzung
zurFabrik ein Ingenieurs- und Design-
zentrum errichten will) ein «Magnet für
die ganzeWelt».Drittens habe Branden-
burg den Platz und denRohstoff der Zu-
kunft zurVerfügung, nämlich erneuer-
bare Energien.Tesla seien Zusagen für
«übliche Subventionen» im Rahmen
des EU-Beihilferechts gemacht wor-
den, führte MinisterpräsidentWoidke
aus,ohne eine Summe zu nennen. Man
sei noch in Diskussion und werde alles

tun, um diese Investition zu einem Er-
folg für den Investor – und vor allem
auch für Brandenburgzu machen.
Auf Ebene der Bundesregierung
waren Beihilfen hingegen nochkein
Thema: «Es ist bisher nicht über Sub-
ventionen gesprochen worden.Klar ist,
dassTesla (...)genauso behandelt wer-
den wird wie alle anderen Unternehmen
im Bereich vonAutomobil undAuto-
motiv», sagte der deutscheWirtschafts-
ministerPeter Altmaier.Auch er sprach
von einem grossartigen Erfolg für den
Standort Deutschland. Man habe nun
die Chance,inden nächstenJahren zu
einem internationalen Zentrum für den
Zukunftsbereich Elektromobilität und
Batteriezellen-Produktion zu werden.
Es habe einen intensivenWettbewerb
zwischen verschienenen europäischen
Ländern gegeben. DerTesla-Chef Elon
Musk selbst erklärtederWebsite «Auto
Express», die Unsicherheit über den Bre-
xit habe es zu riskant gemacht, eine Gi-
gafabrik in Grossbritannien anzusiedeln.

Musk lässt deutschen
Minister alt aussehen
Kommentar auf Seite 13

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