Neue Zürcher Zeitung - 14.11.2019

(Marcin) #1

38 REFLEXE Donnerstag, 14. November 2019


Präsident Selenski undder Bankenskandal


Alte Geister jagen

die Ukraine

MatthiasBenz, Wien· DieVergangenheit und die
Zukunft liegen manchmal sehr nahe beieinander.
In der Ukraine hat sich der junge Präsident Se-
lenski aufgemacht,das Land nach vorne zu führen,
und tatsächlich hat er mit umtriebigem Optimis-
mus Dinge angepackt, die für die Ex-Sowjetrepu-
blik eineRevolution bedeutenkönnten. So soll im
kommendenJahr erstmals das Kaufen undVer-
kaufen vonAckerland zugelassen werden, womit
die «Kornkammer Europas»endlich ihr landwirt-
schaftlichesPotenzial besser erschliessenkönnte.
Auch sonst verspricht SelenskiWachstum, Moder-
nisierung, Kampf gegenKorruption, mehr Chancen
für die Menschen – der «Rohdiamant» Ukraine soll
zum Glänzen gebracht werden.
Doch dann wird die Ukraine immer wieder von
Geistern derVergangenheit heimgesucht. Die-
ses Eindruckskonnte man sich nicht erwehren,
als dieseWoche das Nationale Anti-Korruptions-
Büro denrenommiertenBanker Oleksandr Pisa-
ruk,Chef einer der wichtigsten ausländischenBan-
ken im Land,in dieMangel nahm.Es ging um Pisa-

ruks Vergangenheit alsVizechef der Nationalbank
kurz nach dem Euromaidan-Umsturz. Die Noten-
bankräumte damals im vonkorrupten Machen-
schaften geplagtenBankensektor auf, und nach all-
gemeiner Einschätzung leistete sie dabei hochpro-
fessionelle Arbeit. Aber jetzt taucht derVorwurf
auf, eine kleineBank sei bevorteilt worden. Offen-
bar haben manche eineRechnung mit den damali-
gen Reformern aus der Notenbank offen.
Der Fall riecht nach selektiverJustiz – ein Grund-
übel in der Ukraine. Gleichzeitig haben nämlich die
Behörden kaum einenFinger gerührt, um den gröss-
ten Bankenskandal der letztenJahre juristisch zu
verfolgen.Bei der PrivatBank haben die Ex-Eigen-
tümer rund um den berüchtigten OligarchenKolo-
moiski mutmasslich über5Mrd.$ in die eigenen
Taschen abgezweigt. Doch auch Präsident Selenski
hat dies nie klarals Verbrechen benannt und verur-
teilt.Womöglich steht er seinem Ex-Geschäftspart-
ner Kolomoiski zu nahe.Aber auch für Selenski gilt:
Um in die Zukunft zu blicken, muss man sich erst
von den Geistern derVergangenheit lossagen.

ChristofLeisinger, NewYork· Das Geschäft mit der
Milchistnichteinfach,schongarnichtfürdieBauern.
Wer aber dachte, die Schwierigkeiten beschränkten
sich auf Europa, der irrt. Denn am Dienstag hat mit
dem amerikanischen Milchverarbeiter DeanFoods
ein Riese der Branche Insolvenz angemeldet.Das in
Dallas ansässige Unternehmen hatte zu diesem Zeit-
punkt 60 Produktionsstätten, in denen rund15 000
Beschäftigte den weissenRohstoff für Kunden in
allen 50 amerikanischen Gliedstaaten verarbeiteten.
DeanFoods ist offensichtlich in eine Strukturkrise
geraten.Sie hat sich am serbelndenAktienkurs schon
eineWeile ablesen lassen.Der Blick auf die Entwick-
lung deroperativen Zahlen zeigt, dass die Erlöse bei
beachtlicherVerschuldung seit einiger Zeit in der
Tendenz zurückgehen, während dieKosten deutlich
angezogen und zuletzt zu Quartalsverlusten in Serie
geführt haben.Der in jüngster Zeit gestiegene Milch-
preis mag kurzfristig eineRolle spielen.
Das Grundproblem jedoch ist, dass DeanFoods
nicht innovativ genug war und zu stark auf Massen-
produktion gesetzt hat.So erzielte der Nahrungsmit-

telverarbeiter im vergangenenJahr zwei Drittel sei-
ner Umsätze mit Flüssigmilch und denRest mit Pro-
dukten,diekeine allzu üppigeWertschöpfung zulies-
sen. DieseKonstellation ist ungemütlich – auch für
den Schweizer InvestorRemo Stoffel.Er ist mit sei-
ner VVValue Vals AG seit vergangenemJahr einer
der grössten Aktionäre von Dean Foods.
Erstens istFrisch- und Flüssigmilch ein Massen-
geschäft, und dieVerhandlungsposition der Gross-
abnehmer ist sehr stark.Viele von ihnen versuchen,
Kunden mit «Frischmilch-Schnäppchen» in ihre Ge-
schäfte zu locken. Ob ihnen das aufDauer gelingen
wird, ist offen. Denn zweitens ändern sich dieKon-
sumgewohnheiten. Ähnlich wie in Europa ist auch
in den USA die Nachfrage nachFrischmilch zu-
rückgegangen. ClevereVerarbeiter versuchen des-
wegen, mitMarkenproduktenhöhereMargen zu er-
zielen.Allerdings ist nicht nur der Marketingaufwand
enorm, sondern immer mehr Grosskundenkontern
mit Eigenmarken.Darum bleibt der Druck auf die
Milchverarbeiter hoch,auf die Landwirte sowieso.
Es sei denn, sie findenlukrativeNischen.

Insolvenz von Dean Foods


Einfach Milch verkaufen

reicht nicht mehr

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