Neue Zürcher Zeitung - 06.11.2019

(Michael S) #1

Mittwoch, 6. November 2019 ∙Nr. 258∙240.Jg. AZ 8021Zürich∙Fr. 4.90 ∙€4.


Robert Habeck und Manfred Weber: Zwei Stimmen zur Zuk unft EuropasSeite 10


NZZ REAL EST


ATE DAYS


VERLAGSBEILAGE

Fast jeder zweite


Imam ist Türke


Uni Freiburg legt Übersicht über hiesige Imame vor


Die Skepsis gegenüber
«Import-Imamen» ist in der
Schweiz gross – auch weil immer
wieder Hassprediger auftauchen.
Doch für eineAusbildung im
Inland gibt es grosse Hürden.

SIMON HEHLI

Geraten Imame in der Schweiz in die
Schlagzeilen, sind es meist schlechte
Nachrichten. Es geht dann um einen
Somalier, der inWinterthur Hasspredig-
ten hält. Um einen in der Ostschweiz tä-
tigenKosovaren, der physische und sexu-
elle Gewalt gegen seine Gattin ange-
wandt haben soll. Oder um einen Iraker,
der in Kriens den Gläubigen riet, ihre
Frauenkörperlich zu züchtigen. Gleich-
zeitig hat die hiesige Gesellschaft zuwei-
len hohe oder gar unrealistische Erwar-
tungenan dieislamischen Prediger: Sie
sollen eine Schlüsselrolle bei der Inte-
gration von muslimischen Immigrantin-
nen und Immigranten spielen und einer
Radikalisierung vorbeugen.
Die Gläubigen selber erhoffen sich
nicht nurreligiöse Orientierungshilfe,
sondern sehen im Imam darüber hinaus
einenJugendarbeiter, jemanden, der
bei den Amtsstellen vermittelt, oder ein
moralischesVorbild. Und da sind auch
noch die Behörden in den Herkunfts-
ländern, die zuweilen Einfluss nehmen
wollenauf die Gemeinden und deren
Leiter. Dieses Spannungsfeld habenFor-
scher des Schweizerischen Zentrums für
Islam und Gesellschaft (SZIG) an der
UniversitätFreiburg untersucht. So ist
erstmals eine umfassende Übersicht
über die Imame in der Schweiz und ihre
Bildungswege entstanden, inklusive poli-
tischer Empfehlungen.
Die Zahl der Imame ist deutlich klei-
ner, als es die grosse öffentlicheAuf-
merksamkeit vermuten liesse: Es gibt
hierzulande rund 130 Prediger, die über
einen längeren Zeitraum in islamischen
Gemeinschaften tätig sind. Es handelt
sich fast ausschliesslich um Sunniten.
Knapp 60 Imame sindTürken. Die –
vorwiegend ausKosovo und Nordmaze-
donien stammenden–Albaner werden
von 40 Imamen betreut, von denen 30 in
Vollzeit arbeiten.Zudem gibt es 13bos-
nische Imame und ungefähr 15 bis 20
aus dem arabischenRaum. Die Unter-
schiede bezüglich Mentalität undAus-
bildung sind immens. «Der Bereich der
Imame istein fast unüberschaubares
Dickicht», sagt der Co-Autor der Stu-
die, SZIG-Direktor Hansjörg Schmid.

Abgrenzunggegen«Ungläubige»


Das trifft insbesondere für den arabi-
schenRaum zu. Einen schlechtenRuf
haben Imame, die in Saudiarabien stu-
diert haben, von ihnen gibt es in der
Schweiz rund einDutzend – vorwie-
gend Albaner. Der imWüstenstaat herr-
schende wahhabitische Islam sei stark
von Abgrenzung gegen alle «Ungläu-
bigen» geprägt und damit sehr proble-
matisch für eine pluralistische Gesell-
schaft, betont Schmid.Dass die Medien
oft ein Studium in Saudiarabien mit

einer salafistisch-extremistischen Ge-
sinnung gleichsetzen, hält er dennoch
für nicht haltbar.
Entscheidend ist laut Schmid, welche
Motivation dem Entscheid zugrunde
liegt, für dieAusbildung nach Saudi-
arabien zu gehen. So sind für manche
Nachwuchsimame – gerade aus einkom-
mensschwachenRegionen Ex-Jugosla-
wiens – die grosszügigen Stipendien des
saudischen Staates sehr attraktiv. Das
Gleiche gilt für die Möglichkeit, in un-
mittelbarer Nähe der heiligen Stätten von
Mekka und Medina zu studieren und die
Arabischkenntnisse aufzubessern.
Natürlich gebe es auch Studenten,
die explizit wegen der wahhabitischen
Interpretation des Islams nach Saudi-
arabien gingen, halten dieAutoren der
Studie fest. Dabei handle es sich «jedoch
meist um Menschen, denen eine im All-

tagverankerte Glaubenspraxisfehlt und
die ein Identitätsmoment in derreligiö-
sen Lehresuchen». Dass der Ort der
Ausbildung nur begrenzteAussagekraft
hat, zeigt sich für Schmid am Beispiel
von Qaasim Illi. DerKonvertit, eine der
Führungsfiguren desradikalen Islami-
schen Zentralrats, hat einen Grossteil
seines Studiums in Islamwissenschaften
in der Schweizabsolviert.

Indoktrinierte Kinder


Eine negative Presse haben auch die
von der türkischenReligionsbehörde
Diyanet entsandten und besoldeten
Imame. Immer wieder gibt es Berichte,
dassVertreter des hiesigen Diyanet-
AblegersTürkisch-Islamische Stiftung
für die Schweiz (Tiss) türkische Kin-
der nationalistisch indoktrinierten –
etwa wenn die Schüler Schlachten aus
der türkischen Geschichte nachspielen
müssten. Kürzlich wünschtedieTiss den
türkischen«Helden»aufFacebook viel
Erfolg bei der Invasion der kurdischen
Gebiete inSyrien. Dennoch hält Hans-
jörg Schmid einen Generalverdacht
gegenüber türkischen Imamen für nicht
angebracht. «Sie sind instruiert, in der
Schweiz sehr vorsichtig aufzutreten und
sich aus den politischen Debatten her-
auszuhalten.»
Es gibt auch erste türkischstämmige
Imame,die hierzulande aufgewachsen
sind und einzig den SchweizerPass besit-
zen. Sie haben den extraauf Angehörige
der zweiten oder dritten Generation in
Europa zugeschnittenen Lehrgang inter-
nationaleTheologie in derTürkei absol-
viert. Kämen diese Männer als Imame in
die Schweiz zurück, habe das für Diya-
net grosseVorteile, schreiben dieAuto-
ren der Studie. Die Behördekönne ihren
«Einfluss auf die türkische Diasporaaus-
bauen, indem Generationen eingebun-
denwerden, deren Bindung an dieTürkei
nur noch schwach ausgeprägt ist».

«Das Interesse am Euro nimmt zu»


Klaus Regling vomRettungsfonds ESMsieht eine grössere Rolle der Einheitsw ährung


tf./cei.· Ist die Euro-Krise ausgestanden,
oder sind die Probleme derWährungs-
union nuraufdie langeBank geschoben
worden? KlausRegling, der Chef des
Euro-Rettungsfonds ESM, zeichnet im
Interview mit der NZZ ein äusserst posi-
tives Bild von derWährungsunion.Vo n
einem Graben zwischen Nord- und Süd-
europa will er nichts wissen.Vielmehr
hätten die Staaten, denen in der Krise
der Zugang zu denFinanzmärkten ab-
handengekommen sei, hart an sichge-
arbeitet und einschneidendeWirtschafts-
reformen umgesetzt.Das gelte vor allem
für Griechenland. Italien ist derweil eine


Ausnahme in der SichtReglings, dessen
Fonds in den vergangenen achtJahren
rund 300 Milliarden Euro an Krediten
für Euro-Staaten gesprochen hat.
Die Debatte in der deutschen Öffent-
lichkeit beobachtetRegling mit eini-
gem Unmut.Während der Euro-Krise
sei dort derTeufel an dieWand gemalt
worden, kritisiert der parteilose Nord-
deutsche.Vor Hyperinflation und gigan-
tischenVerlusten für die Steuerzahler
habe man gewarnt. Doch nichts von die-
sen Schwarzmalereien sei eingetroffen.
«Dadurch haben dieseFundamental-
kritiker an Glaubwürdigkeit verloren.»

Bei der Platzierung von Anleihen des
ESM stelltRegling bei Investoren eine
wachsende Bedeutung der Einheits-
währung fest. «DasInteresse am Euro
nimmt zu.» Als wichtigen Grund nennt
Reglingdie amerikanischeRegierung
und deren Opposition gegenüber dem
Multilateralismus. Dies beeinflusse die
Zentralbanken und Handeltreibenden.
Regling erwähnt ferner die Iran-Sank-
tionen, bei denen die USAihrRechts-
denken extraterritorial durchsetzen
wollten. Es gebe gute Gründe für eine
stärkere internationaleRolle des Euro.
Wirtschaft, Seite 25

Islam in der Schweiz
Frauenbild:Toxische Männlichkeit ist
keine islamische Exklusivität. Seite 12

Prediger:Der Umgang mit bosnischen
Imamen ist problemlos. Seite 15

Zürich


auf einen Blick


Es gibt wohl niemanden, der Zürich so gutkennt wie PhilippWaller. Seit 30Jahren
kümmert er sich um das Modell, auf dem alle rund 55 000 Gebäude der Stadt im Mass-
stab 1:10 00 nachgebildetsind. Jährlich müssen etwa180 Objekte ausgewechselt wer-
den. Das Modell im Amtshaus IV ist der Zeit sogar voraus:Das neueFussballstadion
auf dem Hardturmareal stehtbereits. Zürich undRegion, Seite18,

JOËL HUNN / NZZ

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