Neue Zürcher Zeitung - 06.11.2019

(Michael S) #1

18 ZÜRICH UNDREGION Mittwoch, 6. November 2019


Wenn Zürich


wächst, wächst


Klein- Zürich


stets mit


Alle 55 000 Gebäude der Stadt sind auf einem


Modell im Massstab 1:1000 detailliert nachgebildet.


Von Adi Kälin (Text) und Joël Hunn (Bilder)


«EineWucht», schreibt ein Besucher auf
Tripadvisor. Ein Freund habe ihm den
Tipp gegeben, sich dieses Stadtmodell
im Amtshaus IV anzuschauen, und es
sei tatsächlich umwerfend.Auf weit über
100 Quadratmetern ist ganz Zürich mi-
nuziös nachgebaut worden. «Ambiente
angenehm», Preis-/Leistungs-Verhältnis
grossartig,weilEintrittgratis,stehtweiter
in der Besprechung. Das Modell ist zwar
nicht in erster Linie einAngebot fürTou-
risten,während der Bürozeiten im Hoch-
baudepartementanderLindenhofstrasse
19 ist es aber fast immer frei zugänglich.

Jährlich 180 neueObjekte


Ähnliche Modelle gibt es auch in andern
Städten, das zürcherische ist aber beson-
ders,weilesso vollständigistundakkurat
nachgeführt wird. Zudem ist es nicht nur
zur Freude und Erbauung der Besuche-
rinnen und Besucher hergestellt worden.
In erster Linie ist es ein Arbeitsmodell,
das verschiedene Abteilungen der Stadt-
verwaltung benützen.Das Baukollegium
oder die Denkmalpflegekommission hal-
ten hier ihre Sitzungen ab undkönnen
gleichamModellimMassstab1:1000aus-
testen, wie sich ein Neubau in die Um-
gebung einfügt.Bauprojekte sind weiss
bemalt und heben sich so von den brau-
nen bestehenden Gebäuden ab.
Um immer auf dem neusten Stand zu
sein , müssen jährlich etwa180 Objekte

ausgewechselt werden. Manchmal wer-
den,wennsichineinemGebietvielverän-
dert hat,auch ganze Platten neu gemacht.
DasStadtmodellbestehtaus104Elemen-
ten, die 120 auf 90 Zentimeter gross sind.
Betreut wird das Modell vom Architek-
turmodellbauer PhilippWaller und einer
Lernenden. Die beiden sind demRegie-
Betrieb von Immobilien Stadt Zürich an-
geschlossen,derunteranderemzuständig
ist für den Unterhalt der städtischenVer-
waltungsbauten und Schulhäuser.
Ende der1960erJahre begann die
Arbeit.Vier Personen arbeiteten per-
manent am Modell, zusätzlich wurden
externe Modellbauer hinzugezogen. Der
Bau dauerte fast15 Jahre. Seit 30Jah-
ren kümmert sich PhilippWaller um die
Unterhalts- und Nachführarbeiten.

Farbanschlag in den Achtzigern


In seinerWerkstatt in Altstetten ent-
stehen auch die Urmodelle für Archi-
tekturwettbewerbe oder beispielsweise
das Tastmodell für dasTheaterspektak-
tel, dank dem sich auch Blinde auf dem
Festivalgelände orientierenkönnen.Wal-
ler nimmt zudem als Experte die Lehr-
abschlussprüfungen für die neuen Archi-
tekturmodellbauerinnen und -bauer ab,
vondeneninderDeutschschweizproJahr
neun ausgebildet und diplomiert werden.
In den1980erJahren ereignete sich
in «Klein-Zürich» eine Katastrophe von

einer Grössenordnung, wie sie derrea-
len Stadt glücklicherweise erspart geblie-
ben ist. Bei einemFarbanschlag wurden
grosseTeile des Modells zerstört. Erste
Versuche, die Häuschen zu putzen, schlu-
gen fehl.Darauf habe man sie wenigstens
beige angemalt, damit dieFarbe weniger
auffallen sollte, sagt Waller.Doch diese
war so dicküber die Holzklötzchen ver-
teilt, dass die Gebäude nicht mehr die
richtigeForm hatten. Deshalb werden
seither die betroffenen Platten eine um
die andere ersetzt.
Momentan hatWaller eine Platte mit
dem Bahnhof Oerlikon in Arbeit. In den
letztenJahren sind das Gleisfeld erwei-
tertundvielePlätzeundGebäudeneuer-
stellt worden. Da lohnt es sich, das ganze
Gebiet nachzubauen.Wie immer wird
zuerst der Katasterplan per Siebdruck
auf das Flugzeugsperrholz aufgebracht,
dann werden die einzelnenTeile ausge-
sägt und in der richtigen Abfolge auf die
Grundplatte geleimt. Schliesslichkom-
men die einzelnenBauten dran.Früher
mussteWallernochvorOrterkunden,wie
ein Gebäude nachgebaut werden muss.
Heute orientierter sicham digitalen 3-D-
Modell.Bei neuen Projekten holt er sich
die Pläne derBaueingabe.
Natürlich gab es immer wieder auch
Stimmen, die das hölzerne Stadtmodell
für überholt hielten, doch im Amt für
Städtebau, dem das Modell gehört, über-
wogenschliesslichdieArgumentefürdes-

DerBlickvom Üetlibergkann hiergeschützt vorWind undWetter genossenwerden.


Gebietsplanung Neu-Oerlikon beimBahnhof.

Im Modell stehen braune Klötzchen für bestehendeBauten,weisse für Projekte.

Wer momentan den Stadtmodellraum
besucht, kann einige Grossprojekte
entdecken. Der grösste Eingriff ist sicher
die Einhausung der Autobahn in
Schwamendingen, die als weisses Projekt
bereits im Stadtmodell integriert ist.
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