Mittwoch, 6. November 2019 FINANZEN 29
Autokraten im Goldrausch
Russland, China und die Türkei wollen mit dem Edelmetall die Dominanz des Dollars brechen
CHRISTIANSTEINER
Die russische Notenbank gibtVollgas.
Seit AnfangJahr hat die Zentralbank
128 Tonnen Gold hinzugekauft und ihre
Reservenauf 2240Tonnen erhöht. Doch
auch die Nationalbanken in China und
der Türkei haben munter ihreReserven
aufgestockt, wieDaten desWorld Gold
Council zeigen.Woran liegt das?
Gut bei Misstrauen
Russland, China und dieTürkei sind
der Dominanz des Dollars überdrüs-
sig.Wladimir Putin ordnet der Mis-
sion Dedollarisierung fastalles unter.
Doch er ist nichtallein.Auch der schei-
dende Präsident der EU-Kommission,
Jean-ClaudeJuncker, hält es für «ab-
surd», dass Europa den Dollar für 80%
der Energieimporte verwendet, und
der chinesische Präsident Xi Jinping
hat sich schon mehrfach gegen den
wirtschaftlichen «Hegemonismus» der
USA gestellt.
Technisch gesprochen, ist Gold –
anders als andereWährungen, Aktien
oder Obligationen – ein Aktivum in
der Bilanz, daskeine Forderung gegen-
über Dritten darstellt.Es besteht da-
her kein Gegenparteirisiko. Etwas pla-
kativer hat es der amerikanische Präsi-
dent Herbert Hoover1933 formuliert:
«Wir haben Gold, weil wir denRegie-
rungen nicht trauenkönnen.»Für die
Autokratenin Russland, China und der
Türkei ist der Goldkauf daher ein wich-
tiges Puzzleteil inihrer Krisenpolitik.
Sie fürchtendenDollar, weil er so weit
verbreitet ist.
Anfällig für US-Sanktionen
Die US-Währung wird bei fast 90%
der internationalen Devisentransaktio-
nen verwendet und ist die Denomina-
tion von zwei Dritteln der internatio-
nalen Schulden.Fast alle internationa-
len Geschäfte mit Erdöl werdenin Dol-
lar abgewickelt. Diese Allgegenwart
des Dollars zwingt dieWirtschaft in
autokratischenLändern, sich an die in
Washington getroffenen geldpolitischen
Entscheidungen zu halten und dieWert-
schwankungen des Greenbacks mitzu-
tragen. Zudem macht sie alleLänder
anfällig fürWirtschaftssanktionen der
Amerikaner. DennWashington kann
so gut wie alle Unternehmen und alle
Banken, die Geschäfte in Dollar ma-
chen, faktisch kaltstellen und derenVer-
mögenswerte blockieren.
Doch trotz diesen Bedenken bleibt
der Dollar wichtig. Seine Bedeutung
hat sich seit2016 gar noch verstärkt,
wieDaten derBank für Internationa-
len Zahlungsausgleich zeigen.
Russland fördert denEuro
Russland befindet sich seit 2014 im Ver-
teidigungsmodus. Fünf Jahre amerikani-
sche Sanktionen haben derRegierung
ih re Grenzen aufgezeigt. Im April des
vergangenenJahres musste der Kreml
mit ansehen, wie die einschneidenden
Strafmassnahmen der USA gegen rus-
sische Unternehmen denRubel und
die Börse aufTalfahrt schickten. Hinzu
kamen Ängste, dass weitere Sanktio-
nen folgenkönnten, die beispielsweise
den AusschlussRusslands vom globalen
Zahlungssystem zurFolge hätten.
Präsident Putin fühlt sich daher
durch dieFinanzsanktionen der Ame-
ri kaner fast ebenso stark bedroht wie
durch die militärische Macht der Nato.
Zudem willder Kremlchef um jeden
Preis verhindern, dassRussland bei
einem Erdölpreisschock vonGeldern
aus demWesten abhängig wird. Er sieht
die Sowjetunion als mahnendes Bei-
spiel: Michail Gorbatschow hatte sich
verspekuliert und musste, als der Erd-
ölpreis stark gesunken war, im Westen
Kredite in Milliardenhöhe aufnehmen,
um den Kauf von Nahrungsmitteln zu
finanzieren. DerRest ist Geschichte.
Als besonders grosse Bedrohung
sieht der Präsident den Dollar. Die
russische Notenbank zog 2018 den
Stecker und stiess innerhalb von drei
Monaten fast alle ihre amerikanischen
Staatsanleihenim Wert von mehr als
100 Mrd. $ ab. Dafür deckte sich die
Notenbank mitYuan, Gold, Euro und
Yen ein. Zudem soll eine Initiative
dafür sorgen,dass Unternehmen, die
Verträge auf lokaleWährungen um-
stellen, belohnt werden. Laut Daten
der Notenbank ist der Euro auf dem
bestenWeg, den Dollar im Handel
Russlands mit der EU und Chinazu
überholen.
Doch die DiversifizierungRusslands
weg vomDollar ist teuer.Dader Yuan
im vergangenenJahr schwächelte und
der Dollar eher zulegte, musste Mos-
kau einenWertverlustvon einigen Mil-
liarden einstecken.
Chinawill den Yuan stärken
Peking ist weniger von US-Sanktio-
nen betroffen.Trotzdem versucht China
nicht nur,den Dollar zu verbannen, son-
dern auch, die eigeneWährung als glo-
bales Zahlungsmittel zu etablieren. Den
grössten Erfolgerzielte dasLand 2015,
als der InternationaleWährungsfonds
(IMF) beschloss, den chinesischenYuan
zur fünftenWährung in seinem prestige-
trächtigenWährungskorb für Sonder-
ziehungsrechte zu machen.Chinasetzt
zwar vergleichsweise wenig auf Gold.
Anders als inRussland machen die
Goldreserven bloss einen kleinenTeil
der gesamtenReserven aus. Dennoch
hat China seine Goldbestände massiv
ausgebaut und seit 2015 auf fast 20 00
Tonnen verdoppelt.
Das Reich der Mitte will seine Ziele
durch seineWirtschaftsmacht erreichen
und denRohstoffhandel yuanisieren.
Deshalbhat dieKommunistischePar-
tei vor, eigene Handelsplätze in China
zu schaffen. Zudem will China mit sei-
ner neuen Seidenstrasse nichtsGeringe-
res, als die wirtschaftlicheVorherrschaft
der USA in derWelt infrage zu stellen.
Dank Krediten inYuan soll die chinesi-
scheWährung dem Dollar denRang ab-
laufen.Peking hat vor allem dieLänder
ausserhalb des europäischen Einfluss-
bereiches imVisier.
Dollarschulden in derTürkei
DieTürkei scheint derweil zum neuen
Russland zu werden. DieRegierung
unter Erdogan setzt immer mehr auf
Gold. Die Käufe habenrasant zuge-
nommen. Der Dollar indes wird in der
Türkei für viele Unternehmen zum Pro-
blem. Dies liegt aber nicht an den von
Trump angedrohten Sanktionen, die die
türkischeWirtschaft «zerstören» sol-
len, sondern an der verheerendenWirt-
schaftspolitik von Erdogan.Das Land
leidet unter einer hohen Inflation.Da
sich vieleFirmen in Dollar verschuldet
haben, ihre Einkünfteaber in derschwa-
chen Liraerzielen, haben sie Probleme,
ihrenVerpflichtungen nachzukommen.
DieAufrufe des Präsidenten an die
Bevölkerung, Lira zu kaufen, fruchten
nicht wirklich. Goldkäufe braucht die
Türkei nicht nur, um vom Dollar loszu-
kommen,sondernauch beimVersuch,
die schwächelnde türkischeWährung
zu stabilisieren.
Venezuela ganzvorne
Ganz vorne in der Statistik der Besitzer
der prozentual grössten Goldreserven
ist dasRegime inVenezuela.DasLand
leidet ebenfalls unter amerikanischen
Sanktionenund befindet sich in einer
grossenWirtschaftskrise. Dass dieReser-
ven so stark angestiegen sind, hat auch
damit zu tun, dass derRest der Gelder
ausgegeben wurde. Gold ist für Maduro
zur letzten Zuflucht geworden, um sein
Militär zu bezahlen.
Zudem hält sich hartnäckig das Ge-
rücht, wonach dasRegime in Caracas
von denRussen für Erdöllieferungen
mit Gold bezahlt wird.
DemDollar die Stirn bieten und daher Goldreserven anhäufen–GegenspielerderUSA versuchen das im grossen Stil. EPA
TAGESGESPRÄCH
Adecco-Aktien
stemmen sich
gegen den Trend
Der Personaldien stleister
erzielt deutlich weniger Gewinn
NATALIE GRATWOHL
Die Aktien derAdecco-Gruppe sind am
Dienstag zunächst unter Druck geraten,
haben dann aber ins Plus gedreht. Die
Titel gingen0,8% fester aus dem Han-
del, während der Gesamtmarkt (SMI)
0,6% tiefer schloss. DerPersonaldienst-
leisterhat mit einemsoliden Quartals-
ergebnis die Erwartungen der Analy-
tiker erfüllt. Die Aktien hatten jüngst
einen guten Lauf. SeitJahresbeginn
haben sie um 28% zugelegt und sind da-
mit stärker gestiegen als der SMI.Vor
dem Hintergrund der wirtschaftlichen
Abschwächung ist die Kursentwick-
lung der frühzyklischen Aktienerstaun-
lichrobust verlaufen. Denn ebenso wie
die KonkurrentenRandstad und Man-
power spürt auch dieAdecco-Gruppe
Konjunkturflauten besonders. Im Ab-
schwung bauenFirmen zuerst befristete
Stellen ab; sie bauen aber auch als Ers-
tes wieder temporäre Stellen auf, sobald
die Konjunktur wiederFahrt aufnimmt.
Die Konjunkturschwäche spiegelt
sich im ErgebnisvonAdecco. Der Um-
satz sank im dritten Quartal um knapp
2% auf 5,9 Mrd. €. Bereinigt umWech-
selkurseffekte und um die unterschied-
liche Anzahl Arbeitstage,betrug der
Rückgang 4%. Schon seit mehreren
Quartalen ist die Umsatzentwicklung
rückläufig.Unter dem Strichresultierte
ein Reingewinn von 179Mio.€, was
einemRückgang um 34% gegenüber
demVorjahr entspricht.Laut demKon-
zernchef Alain Dehaze hat sich zwar
das Geschäft in Nordamerika abge-
kühlt, aber in vielen europäischenMärk-
ten stabilisiertsichdas Marktumfeld. Es
seienkeine Anzeichen für eineRezes-
sion zu erkennen,sagte Dehaze.
Der Personaldienstleister hat bei
der Publikation der Quartalszahlen be-
kanntgegeben, dass er sich von der im
Gesundheitswesen aktiven US-Toch-
ter Soliant Health trennt. DieTrans-
aktion passt in die Strategie der Gruppe.
Adeccokonzentriert sich ausser auf digi-
tale Initiativen vermehrt auf Marken, die
si ch global ausbauen lassen. Zudem will
der nach wie vor stark in der klassischen
Vermittlung vonTemporärstellen ver-
ankertePersonalvermittler zunehmend
das höhermargige Geschäft wie dieVer-
mittlung von Hochqualifizierten oder
den Bereich Outsourcing ausbauen.
Die Anstrengungen führten bereitszu
einerVerbesserung der Margen. Die ope-
rativenFortschritte würden allerdings
stärker zumTragenkommen, wenn sich
das Marktumfeld wieder verbesserte.
Mit Blick auf dieKonjunkturaussichten
sind die Unsicherheiten allerdings nach
wie vor gross, weshalb denkonjunktur-
anfälligenTiteln derPersonaldienstleis-
ter Adecco, Randstad und Manpower
derzeit dieKursphantasie fehlt.
Euro/Fr.
1,0991-0.02%
Dollar/Fr.
0,99260.46%
Gold($/oz.)
1484,70-1.55%
SMI
10272,98-0.62%
DAX
13148,500.09%
DowJones
27492,630.11%
Stand 22.1
Erdöl(Brent) 2Uhr
62,971.38%