Neue Zürcher Zeitung - 06.11.2019

(Michael S) #1

8 NZZ Real Estate Days NZZ-Verlagsbeilage6. November 2019


Simon Haus nimmt den «Investor’s Choice» Award für das Proj ekt
«Hello Lenzburg» entgegen. NZZ RED 2019

Seit fünf Jahren find et an den


NZZ Real Estate D ays jeweils


der Wettbewerb «Trend Radar»
statt, bei dem interessante neue


Immobilien-Investment-Ideen


vorgestellt werden. Drei von


einer Jury ausgewählte Favoriten


präsentierensic h jeweils dem
anwesenden Branchenpublikum,


das dann seinen I nvestment-


Favoriten kürt. Das Rennen


ge macht hat dieses Jahr die


Axa-Versicherung mit dem Pro-
jekt «Hello Lenzburg».


«Hello Lenzburg»
Beim Projekt «Hello Lenzburg»der
Axa-Versicherunggehtesdarum, wie
preiswerter Wohnraumerneuert und er-
haltenwerdenkann. Wieviele instituti-
onelle Investorenhat auchAxa inihrem
Portfolio viele kleineMehrfamilienhäu-
ser aus den 1950erund 1960er Jahren.
Diese Liegenschaftenkommennun in
ein Alter, indem sich– wennman sie
nicht verkaufen will – die Frage stellt: sa-
nierenoderabbrechen und neu bauen?
Kernsanierenist zwareineOption, aber
oft bringtdasimFallvonstruktur-
schwachen Gebäuden(mit alten Grund-
rissen, ohneLift) wenig Mehrwert. Ab-
brechen und konventionell neu bauenist
umgekehrt nur schonwegen der hohen
Planungskostensoteuer, dassdie Men-
schen,die bisherindem Hausgelebtha-
ben,sichdas Wohnendortnachher
nicht mehrleistenkönnen.
Das Mehrfamilienhaus«Hello Lenz-
burg» beziehungsweisedasdorterst-
mals umgesetzte Hybridbausystem,
welches imRahmeneines Innovations-
projektsvon Innosuissemit der Firma


Renggliund der BernerFachhochschule
entwickelt worden ist, bieteteineAnt-
wort auf die Frage,obmoderne Woh-
nungennicht günstigerstelltwerden
können,ohnedassjedes Mal von Grund
auf neu geplant werdenmuss.Das Ge-
bäude kombinierteinekonventionelle
Unterkellerungaus Betonmit vorgefer-
tigtenModulen,die ihrerseits nicht ein-
fachaufeinandergestapelt, sondern inei-
neStahlkonstruktioneingefügt werden.
DankdiesemTragwerksindhöhereGe-
bäude möglich,und der Lärmpegelin-
nerhalb des Gebäudeswirddeutlich re-
duziert. Erschlossen werden die
Wohnungen übereinen Laubengangmit
vorgesetztemTreppen-und Liftturm.
Durch die Vorfertigung, die Standardi-
sierung der Immobilienund die resultie-
rende Skalierungkönnendie Kostenpro
Wohnung inZukunft deutlich gesenkt
werden, sodie Hoffnung.Die Liegen-
schaft in Lenzburghat Pioniercharakter,
und die Erfahrungen darausdienenwei-
teren Projekten als Grundlage.

Realitim
Ebenfalls indie Reihen der Finalistenge-
schafft hat esRealitim, ein von der Eid-
genössischenFinanzmarktaufsicht regu-
liertes Anlagegefäss, dasesqualifizierten
Anlegern erlaubt, übereinen imVoraus
definierten Zeitraumgezielt in dieIm-
mobilienentwicklungunddendaraus
generiertenMehrwertzuinvestieren.
DieserFokus reinauf die Wertsteigerung
von Entwicklungenist inder Schweiz ei-
neSeltenheit; üblichist es, Liegenschaf-
tenlangfristig imPortfolio zuhalten.
Organisiert als KmGK (Kommanditge-
sellschaftenfür kollektiveKapitalanla-
gen), sammelt RealitimGeld, das dann
übereinen Zeitraumvon rund neunJah-
renindie Entwicklungvon Wohnbau-
projekten investiert wird. AmEnde der
Laufzeit sindalle ProjekteoderLiegen-

Mit Hybridbausystem zum Sieg


ZumfünftenMal wurde die innovativsteAnlageidee gewählt.Von Andrea Martel


schaftenverkauft, und die Gesellschaft
wird aufgelöst. Die Strategie von Reali-
timbesteht darin, Grundstücke inEnt-
wicklungsgebietenoderIndustriebra-
chenzuerwerben,bei denen nochnicht
klarist,was überhaupt daraufgebaut
werdenkann. Danngehtesdarum, in
Kontakt mit denBehördenzügig ein
Bauprojektzuentwickeln undgenehmi-
genzulassen.DieserMehrwert, der
dankBaurechtund/oderBaugenehmi-
gungoderdurch die Umstrukturierung
eines Gebäudesentsteht, kommt dann
den Realitim-Investorenzugute. Teilwei-
sewerdendie Projektebereits indiesem
Stadiumverkauft, teilweisekümmert
sichRealitimaberauchumdie Realisie-
rungder Gebäude, vor allemimFall von
Stockwerkeigentum.Derzeit existieren

zwei Realitim-Gesellschaften. Realitim
I, die ausschliesslichinder Romandie
angelegtist, wurde 20 11 gegründet und
dürfteimLaufdes kommendenJahres
geschlossen werden.Die 20 16 gegründe-
te RealitimII, die mit einemSprungüber
den «Röstigraben»liebäugelt, ist derzeit
inder Investitionsphase.

Archilyse
Beimdritten Finalisten, Archilyse– der
Nameist eineKombination von Archi-
tekturund Analyse –,handelt essichum
ein PropTech-Unternehmendurch und
durch.Das 1997gegründete ETH-Spin-
off macht die Qualitätvon Architektur
und Liegenschaftenmessbar, vergleich-
bar und für jeden verständlich. Die Da-
ten der Immobilie –esgenügtdie Adres-

se und ein Grundrissplanals PDF,im
Optimalfall nochein Schnitt des Gebäu-
des –werdenverknüpft mit unzähligen
anderen Daten,hinzu kommt künstliche
Intelligenz: Das gibtdannSimulationen
und Analysenzur Aussichtaus einer Im-
mobilie,zur möglichenInnenausstat-
tung, zur verkehrstechnischen Er-
schliessungsowiezuden statischen,
thermischenundakustischenEigen-
schaften. Die Software, die den Kunden
als Service zur Verfügung gestellt wird,
misst die CharakteristikavonImmobi-
lienund stellt diese übereineSchnitt-
stelleProjektentwicklern, Architekten
und Investoren zur Verfügung. So
braucht es zumBeispiel nur nocheinen
Knopfdruck,umzusehen,obein ge-
plantes Gebäude bauzonenkonformist
oderobtatsächlich jederRaumdasKri-
teriumder Barrierefreiheit erfüllt. Auch
BIM-Files lassen sichmit der Software
überprüfen.Archilyseerkennt allfällige
Fehler,benennt die Bauteile und Flächen
richtig nach Baukostenplan sowie
SIA-Normenund liefertein völligstan-
dardisiertesBIM-Modell zurück.
Die Tools von Archilyse könnenEigen-
tümernauchAnregungenzur Mietpreis-
optimierunggeben.Sozeigt sichviel-
leicht, dassdie Wohnung,die ständig
leersteht, sehrdunkelist und deshalb
günstigervermietet werdensollte, wäh-
rendandernorts die gemesseneQualität
der Wohnung einehöhereMiete recht-
fertigenwürde. Auchdie Endnutzer, die
punkto Information immer amkürze-
ren Hebel sitzen,sollendemnächstin
den Genussvon Archilyse-Daten kom-
men,und zwarüberdie PlattformIm-
moScout24. Das erlaubt dannganzneue
Möglichkeiten bei der Wohnungssuche.

Andrea Martel ist Wirtschaftsredaktorin der NZZ
mit Schwerpunkt Immobilien und Mitglied der Jury
des Trend-Radars.

Keine Garantie für hohe Bodenpreise

SelbstfahrendeFahrzeuge haben Einfluss auf Preiseund Mobilität.Von Myra Rotermund


Auto nome Fahrzeuge gelten als Personentransport der Zukunft. shutterstock

Auto nome Fahrzeugehaben


das Potenzial, unser zukünftiges


Mobilitäts verhalten grundlegend
zu veränd ern. Die Reisezeit ist


keine verlore ne Zeit mehrund


dieNutzungstehtallenoffen.


Mit selbstfahrendenFahrzeugenwird
die Gesellschaft mobiler und die Abhän-
gigkeit vomgetaktetenÖV-Netz nimmt
ab. Diesführt zueiner Verschiebungder
Präferenzeninder Standortwahlfür
Wohnenund Arbeitenund damit zuei-
ner Veränderung der Bodenpreise. Auch
für die Auswirkungender höheren Mo-
bilitätsnachfragegibtesLösungen.


Einfluss autonomer Fahrzeuge
Esist keine Frage mehr, obselbstfahren-
deFahrzeuge dasMobilitätsangebot er-
weitern werden.Inder Landwirtschaft
findenNutzfahrzeuge ohneFahrzeug-
lenkendebereits vielseitige Anwendung.
Auchwennsichdie komplexereBeför-
derung vonPersonenlangsamer ent-
wickelt, werdensichauchhierautonome
Fahrzeuge durchsetzen.Siesindsiche-
rer, effizienter und günstiger.
Siesindsicherer,weil der Mensch als
lenkendeFehlerquelleentfällt. Heute
sindübersetzte Geschwindigkeit,Un-
aufmerksamkeit und der körperliche
Zustand des Fahrzeuglenkenden die drei
häufigstenUrsachenfür tödliche Un-
fälle imStrassenverkehr (TCS). Selbst-
fahrendeFahrzeuge sindeffizienter und
die Kostenfür einen Fahrer entfallen –
auchElterntaxis werden unnötig.Au-
sserdembieten siemehrals herkömmli-
cheFahrzeugebei ähnlichen Kosten
(durchschnittlich 50Rp./km), wie Studi-
endes Instituts für Verkehrsplanung
und Transportsystemeder ETHzeigen
konnten.Bei geteilterNutzung der Fahr-


zeuge (wieMobility) sinkendie Kosten
garauf 38Rappenpro Kilometer.
OhneFührerscheinpflichtkannzukünf-
tig die Mobilitäts- und Transportnach-
frage weitgehendmittels einer autono-
men Fahrzeugflottemit verschiedenen
Fahrzeugtypen (gross, klein,geteilt, pri-
vat gehalten,Cargo und soweiter) er-
bracht werden. Die beiden Systeme,
öffentlicherVerkehrund Individual-
verkehr, nähernsicheinanderan. Insbe-
sondereinweniger dicht besiedelten
GebietenundzuRandzeiten können
selbstfahrendeFahrzeuge eineinteres-
sante Alternative zumheutigenöffentli-
chenVerkehr (öV)mit wenig ausgelaste-
ten Grossfahrzeugen, hohen Fixkosten
und einer geringenTaktung sein. Das
Potenzial ist gross: Für den KantonZü-
richwurde ermittelt, dass nur 26der ins-
gesamt 396 ZVV-Linienrentabelsind
(ZürcherRegierungsrat, 2015).
Die Benutzung vonFahrzeugenohne
Lenkersteht allen offen.Davon profitie-
ren sowohlKinderals auchÄltereund
Menschenmit Beeinträchtigung. Die Be-
deutungfussläufigerDistanzen und der
Erschliessungsgütemit demöVwerden
unwichtiger. AuchEinkäufe könnenmit-
tels Kleinstfahrzeugemissionsarmgelie-
fert werden.Die Notwendigkeit, ein eige-
nes Fahrzeug zubesitzen, wirdsofür

viele hinfällig. Die Reisezeit imFahrzeug
kannproduktiv oderzur Erholungge-
nutzt werden.Damit nimmt die Bedeu-
tungder Reisezeit als verlorene Zeit ab.
Allediese Veränderungen werdenbe-
rücksichtigt, wennesumdie Wahldes
Wohn- oderGeschäftsstandortsgeht.
Die Kehrseite ist eineerhöhte Mobili-
tätsnachfrage aufgrundder höheren At-
traktivität des Reisens, neuerNutzer-
gruppenund der Leerfahrten.

Einflu ss auf den Bodenpreis
ImKantonZürichsind heute rund
32 Prozentder Bodenpreisunterschiede
auf die Erschliessung zurückzuführen.
Für den grösstenUnterschied der Bo-
denpreise ist die ReisezeitnachZürich
verantwortlich(18%),gefolgt vonder
NähezuArbeitsplätzen(5 %), der Er-
schliessung mit demöV(4%)sowie der
NähezuGeschäften(3 %), zur Autobahn
(1 %)oderzuGrundschulen(1 %). Ande-
reFaktoren,die den Bodenpreis mass-
geblich beeinflussen,sindbeispielsweise
dasGemeindesteuerniveauoderdieNä-
hezumZürichsee (Statistisches Amt
KantonZürich, statistik.info 2017 /05).
Mit selbstfahrenden Fahrzeugen sinkt
die Bedeutungaller Erschliessungsfak-
toren für den Bodenpreis. VomPotenzial
autonomerFahrzeuge profitieren Stand-

orte, dieheutezwarrelativschlecht
erschlossen sind,bei anderen Faktoren
wie Lärmemissionen, Landschaft, Steu-
erfuss, Besonnungund soweiteraber
punktenkönnten.Im Gegenzug ist ein
S-Bahnhof alleinzukünftig keinGarant
mehrfür hoheBodenpreise.
Generellist abernicht mit sinkenden
Preisen zurechnen,wahrscheinlicherist
eineKompensationdurch die anderen
Faktorenoderdurch einengenerellen
Mehrkonsumvon Fläche. Inder Ökono-
mie spricht man von einemRebound-
Effekt. Er besagt, dassEinsparpotenziale
nicht odernur teilweiseverwirklicht
werden,weil sie durch einehöhereNach-
frage kompensiertwerden.

Ausblick
Zusammengefasst bergen autonome
Fahrzeuge viel Potenzial. Insbesondere
Menschen,die heute wenig mobil sind,
könnenprofitieren.Siekönnenlängerin
den eigenenvierWändenwohnen. Wir
allewerdenunabhängigerinunserer
Standortwahl für Wohnenund Arbeiten
und könnenden individuellen Bedürf-
nissenjenseits der Erreichbarkeit mehr
Gewicht geben.Autonome Fahrzeuge
könnenden öVdortergänzen,wodie
Rentabilität heute geringist. Davon pro-
fitierendie Nutzenden und die Allge-
meinheitgleichermassen.Auf der an-
derenSeite wird aufgrundder neuen
Nutzergruppen,der Leerfahrten und des
gestiegenen Reisekomforts mit mehr
und längerenFahrten und damit einer
Nachfragezunahme gerechnet.Diese
Entwicklungwirduns vor raumplaneri-
scheundgesetzgeberischeHerausforde-
rungen stellen.Siebietetaberauchviele
Chancen.Gemeindenund Grundeigen-
tümer können sich vorbereiten,indem
sie den Fokus auf die Entwicklungeines
attraktivenAngebotsjenseitsder Er-
reichbarkeitsfaktorenlegen.

Neue Preispolit ik für Mobilität
Der Individualverkehr und der öffent-
liche Verkehr werdenheute unterschied-
lichbepreist.Der öVwird aus politi-
schen Gründen subventioniertund ist
zudeminden seltenstenFällenrenta-
bel –die Kostenträgt die Gesellschaft.
Der Individualverkehr wirdsowohlsub-
ventioniertals auch besteuert. Ander
Schnittstelleder Systemehaben geteilt
genutzte, selbstfahrendeFahrzeuge das
Potenzial, dasöffentliche Angebot pro-
fitablerzumachen und die Qualitätzu
verbessern.
Statt einer getrenntenBetrachtung von
zweiMobilitätssystemen –Individual-
verkehr und öffentlichemVerkehr –bie-
tet sichzukünftig die Inanspruchnahme
der öffentlichenRessourcenals Massfür
die Bepreisungan. Diese kannander
Fahrzeuggrösse(Grundfläche), der tat-
sächlichenAuslastungdes Fahrzeugs
undderUmweltbelastungermittelt wer-
den,unabhängig davon,obessichum
ein privat gehaltenesFahrzeugoderum
ein Fahrzeugdes öffentlichenVerkehrs
handelt. Die Höhedes Preises und die
GewichtungderFaktorenkönnen empi-
risch begründet seinund/oder auf eine
lenkende Wirkungabzielen.Einzigdie
GrundversorgungallerLandesteile wird
nötigenfalls mittels Subventionen sicher-
gestellt. Einsolches Systemführt zur
Kostenwahrheit und damit zueiner effi-
zienten Nutzung begrenzterRessourcen
und bietetgleichzeitigdie Möglichkeit,
bei Bedarf lenkend einzugreifen.

GrundlagediesesArtikels bildet die Abschlussarbeit
«Der Einfluss autonomer Fahrzeuge auf die Bevölke-
rungsverteilung zwischen S tadt und Periph erie:
Fallbeispiel Schweiz» entstanden im Rahmen des
MAS in Real Estate am CUREM der Universität
Zürich. Die Arbeit wurde mit dem CUREM For-
schungspreis un d dem Wüest-Partner-Förderpreis
ausgezeich net. Weitere Recherchen stammen aus
der beruflichen Tätigkeit Myra Rotermunds in der
Unternehmensbera tung bei KPMG Schweiz.
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