Neue Zürcher Zeitung - 06.11.2019

(Michael S) #1

6INTERNATIONAL Mittwoch, 6. November 2019


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Nach den Bränden jetzt eine Ölpest


In Brasilien sind mehr als 2000 Kilometer Küste verseucht


NICOLE ANLIKER, RIO DEJANEIRO


An Brasiliens Nordostküste sind bereits
mehr als 320 Orte mit Öl verschmutzt.
Doch das Schlimmste, so versicherte
Brasiliens PräsidentJair Bolsonaro am
Sonntagabend in einemFernsehinter-
view, stehe noch bevor. «Was bisher an-
gespült und gesammelt wurde, ist nur ein
kleiner Anteil dessen, was ausgetreten
ist», sagte er, ohne Beweise vorzulegen.
Die Katastrophe, die allem Anschein
nach kriminellen Ursprungs sei, werde
sichweiter verschlimmern. Behörden


gaben am Montag allerdings bekannt,
dass es ihnen unmöglich sei zu wissen,
wie viel Öl noch an dieKüste gelangen
werde. Gewiss ist nur: Nach den ver-
heerendenWaldbränden im Amazonas-
gebiet wird das südamerikanischeLand
von einem neuerlichen Umweltdesaster
heimgesucht.

Ermittlungen laufen


Über die Herkunft der dicken schwar-
zen Rohölklumpen, die Brasiliens
Traumstrände EndeAugust erstmals er-

reicht haben, wird seitWochen speku-
liert.Am vergangenenFreitag haben die
Behörden nun die Betreiberfirma eines
griechischenFrachters mit dem Namen
«Bouboulina» für die Ölpest verant-
wortlich gemacht. «Alle Indizien füh-
ren zum griechischenFrachter», betonte
auch Bolsonaro am Sonntag.
Laut Untersuchungen, die sich auf
Satellitenbilder einer Privatfirma stüt-
zen, lief das Öl zwischen dem 28. und
dem 29.Juli rund 700 Kilometer vor der
brasilianischenKüste aus einemTanker.
NachAngaben der Behörden durch-

quertein de m Zeitraum nur derFrach-
ter «Bouboulina» derFirma DeltaTan-
kers Ltd. das Gebiet. Dieser legte am
15.Juli in PuertoJosé in Venezuela an
und zogvierTage später mitrundeiner
MillionBarrel Rohöl beladen in Rich-
tung Malaysia weiter.
Die Staatsanwaltschaft hat ein Er-
mittlungsverfahren gegenDeltaTan-
kers und den Kapitän der «Bouboulina»
eingeleitet.Das Unternehmen erklärte
darauf, die «Bouboulina» sei problem-
los an ihrem Ziel in Malaysia angekom-
men und habe dieFracht ohneVerluste
entladen. Es beteuerte, seine Unschuld
beweisen zukönnen.
Laut Studien des halbstaatlichen
EnergieriesenPetrobras stammt das
ausgelaufene Öl ausVenezuela. Dies
bestätigte auch die Umweltbehörde
Ibama. Der anfänglicheVerdacht, dass
das Öl aus einer venezolanischenFör-
deranlage oder Leitung entwichen war,
ist inzwischen aber widerlegt.Petrobras
konnte nachweisen,dass es sich bei dem
Öl um eine Mischungvon drei verschie-
denen venezolanischen Erdölfeldern
handelt. Dies erhärtete denVerdacht,
dass einTanker die Katastrophe verur-
sacht habenkönnte.
Einige der betroffenen Regionen
haben den Notstand ausgerufen. Bra-
siliens Marinechef nannte dieAuswir-
kungen der Ölverschmutzung am Mon-
tag beispiellos. Der Verteidigungsminis-
ter betonte derweil, wie schwierig es sei,
die Menge des ausgelaufenen Öls zu be-
rechnen. Dies ist nicht zuletzt auch dar-
auf zurückzuführen, dass das sehr dichte
Öl rund einen Meter unter derWasser-
oberflächeschwimmtunddahernichtper
Satellit geortet werden kann.Dieser Um-
stand macht auch die Bestimmung von
dessen Ursprung schwierig.Zwar ist laut
dem Marinechef in den vergangenenTa-
gen ein Rückgang des Ölsan den Strän-
den zu verzeichnen. DerVerteidigungs-
minister meinte aber:«Wir wissen nicht,
wie viel nochkommen wird.»Wie massiv
die Verschmutzung die Umwelt schädigt,

erklärtThiago Almeida von Greenpeace
Brasilien.Mangroven,Korallenriffe,Mee-
resfrüchte,Fische–alles,wassichimMeer
befinde, sei betroffen. ZahlreicheTiere,
unter anderem Meeresschildkröten und
Seevögel,wurden bereits tot an dieKüste
gespült.Almeida weist zudem darauf hin,
dass Zehntausende vonFischern nun um
ihren Lebensunterhalt bangten.
Eine Gruppe von Forschern der
Universität vonBahia (UFBA) hat die
Regierung jüngst aufgefordert, den Ge-
sundheitsnotstand auszurufen. In einer
Erklärungsprechen sie von Gesund-
heitsrisikenfür den Menschen, die von
dem Öl ausgehen und zumTod durch
Vergiftung führenkönnen. DieWissen-
schafter gehen davonaus, dass die gifti-
gen Substanzen über Hautkontakt oder
Einatmung absorbiert werdenkönnen.
ZahlreicheFischer und freiwillige Hel-
fer mit verdächtigenSymptomen sind
lautAlmeida bereits ins Spital eingelie-
fert worden.Weil manche Gifte in die
Nahrungskette gelangten, werde nun
geprüft, ob Meeresfrüchte und Speise-
fische ungeniessbar würden.

Kritikan der Regierung


Umweltorganisationen, Experten und
hiesige Medien warfen derRegierung
vor, zu langsam auf die Ölpestreagiert
zuhaben.Siebegründendiesunterande-
rem damit,dass der Umweltminister den
sogenanntenNotfallplanfürVorfällevon
Ölverschmutzung imWasser erst gut 40
Tage nach demAuftreten der ersten Öl-
klumpen aktiviert hat. Einwohner der
betroffenen Gebiete hatten sich deshalb
selbst an die Säuberung derKüste ge-
macht.Mittlerweilewurdenmehreretau-
send Soldaten in dieRegionen geschickt,
um zusammen mit der Umweltschutz-
und der Erdölbehörde die Ölteppiche im
Meer zu identifizieren,Reinigungsarbei-
ten vorzunehmen und die Schäden ein-
zudämmen. Über 4000 Tonnen Öl sind
laut offiziellen Angaben bereits von den
Stränden entfernt worden.

Touristen stehen an einem durchÖlverschmutzten Strand an der brasilianischen Nordostküste in Conde. ADRIANO MACHADO / REUTERS


Nigerias Kampf gegen den Schmuggel lässt Benin leiden


Die grösste Volkswirtschaft Afrikas hat für Waren seine Grenzen geschlos sen – für das Nachbarland hat das katastrophal e Auswirkungen


FABIAN URECH


An normalenTagen gehört der Grenz-
übergang bei Seme, der direkt amAtlan-
tik liegt, zu den geschäftigsten in ganz
Afrika. Hunderte vonLastwagen pas-
sieren täglich die Grenze,Tausende von
Händlern transportieren ihreWaren in
Kleinwagen, auf Karrett en oder in gros-
sen Taschen auf die andere Seite. Beid-
seits versprechenDutzende von Geld-
wechslern den Ankömmlingen gute
Wechselkurse, unzähligeTaxifahrer wer-
ben lauthals umKundschaft.
Seit über zwei Monaten aber ist der
Grenzübergang, der die beiden west-
afrikanischen Staaten Nigeria und
Benin verbindet, weitgehend verwaist.
Am 20.August hat Nigeria denWaren-
verkehr über seineLandesgrenzen mit
sofortigerWirkung verboten.Zuerst galt
die Massnahme nur fürReis, im Okto-
ber wurde sie auf sämtlicheWaren aus-
geweitet.DasVerbot betrifft die Gren-
zen zu allen Nachbarstaaten, also auch
zu Niger, Tschad und Kamerun. Benin,
dessen Hafen in Cotonou ein wichtiger
Handelsplatz für Nigeria ist, spürt die
Folgen der Schliessung aber in beson-
derem Masse.


RegerSchmuggel


NigeriasPräsidentMuhammaduBuhari,
der die Grenzschliessung verantwor-
tet, begründete die überraschende
Massnahme mit der Bekämpfung des
Schmuggelgeschäfts. «Wir können nicht
zulassen, dass der Schmuggel in solch
alarmierendenAusmassen fortgesetzt
wird»,sagteerimAugust.Tatsächlichgilt
die Grenze zwischen dem mit rund 200
Millionen Einwohnern bevölkerungs-


reichsten StaatAfrikas und seinem klei-
nen Nachbarn seit langem als Schmugg-
ler-Hotspot.Weil bei der offiziellen Ein-
fuhrvielerProduktenachNigeriaerheb-
licheImportsteuernanfallen,lassenviele
Händler ihreWaren aus Übersee nach
Cotonou liefern und schmuggeln diese
auf demLandweg nach Nigeria.
Dass das finanziell sehr attraktiv ist,
zeigt der Handel mitReis:Während die-
ser in Nigeria mit einem Importzoll von
70 Prozent belegt ist, beträgt die ent-
sp rechende Steuer in Benin lediglich
7 Prozent. DerRe-Exportnach Nige-
ria ist zwar illegal, er war aber während
Jahren gängige Geschäftspraxis – und
aufgrund einer kaumkontrollierbaren
Grenze von über 700 Kilometern und
der oftkorrupten Zollbeamten einre-
lativ risikoarmes Geschäft. In gewissen
Jahren importierte Benin ausThailand
so vielReis, dass jeder Einwohner pro
Jahr 150 Kilogramm hättekonsumie-
ren müssen. Geschmuggelt werden aber
auch viele weitereWaren – etwaAutos,
Zucker, Tomaten, Drogen oderWaffen.
Die Weltbank schätzt, dass insgesamt
rund 80 Prozent aller Importe Benins
nach Nigeria weitertransportiert wer-
den, in den meistenFällen illegal.
Nigerias Präsident hielt,was ein offe-
nes Geheimnis war, nun offenbar für
nicht länger akzeptabel. Buhari hat seit
seinemAmtsantritt wiederholt verspro-
chen, Nigerias Abhängigkeit von Erdöl
zu vermindern und dieWirtschaft zu
diversifizieren. Heute entfallen rund 95
Prozent der Gesamtexporte desLandes
auf den Erdölsektor.Angesichts der ge-
schmuggeltenWaren hatten Initiativen
etwa zur Stärkung des einheimischen
Reisanbaus bisher kaum Erfolgschan-
cen. Zugleich leidet Nigeria auch am

Schmuggel in die andere Richtung:Weil
Benzin hier stark subventioniert wird,ist
es nur etwa halb so teuer wie in Benin.
Entsprechend lukrativ istes, den sub-
ventioniertenTreibstoff illegal ins Nach-
barland zu bringen.

Regierung zeigtsich unbeirrt


Obwohl die Grenzschliessung in Nige-
ria und den Nachbarländern eine hitzige
Kontroverse ausgelöst hat, gibt sich die
Regierung um Präsident Buhari unbeirrt
und verweist auf diebereits erzielten Er-
folge. Bei den verschärften Grenzkon-
trollen seien in den letzten zwei Mona-
ten Schmuggelwaren imWert von meh-
rere n hundert Millionen Dollarkon-
fisziert worden, teilte ein Minister
jüngst mit.Dazu gehörten über 430 000
Kanister Benzin, 360 Autos sowie
32 800 SäckeReis.Auch seien die Ein-
fuhren am Hafen der nigerianischen
Millionenmetropole Lagos deutlich
angestiegen. LokaleReisproduzenten
sprachen zudem davon, dass ihre Ab-
sätze deutlich angezogen hätten.
Keine Erwähnung findetin d en offi-
ziellenRegierungserklärungen dieTat-
sache,dass sich der Preis vieler Produkte
in den letztenWochen teilweise massiv
verteuerte.Ein SackReis kostet heute
mehr als doppeltso viel wieAnfangAu-
gust. Zudem werden in lokalen Medien
auch frustrierte nigerianische Händler
zitiert, die aufgrund der Grenzschlies-
sung ihrenJob verloren haben.
Verschiedene Beobachter verwei-
sen überdies auf dieTatsache,dass der
Warenschmuggel durch die Schliessung
der kontrollierten Grenzübergängekei-
nesfalls eingedämmt, sondern zu gros-
sen Teilen lediglich umgeleitet wird. In

Cotonou, so schreibt die Nachrichten-
agenturAFP, ist das illegale Benzin aus
Nigeria weiterhin leicht erhältlich. Und
beim thailändischenReis sind gewisse
Händler dazu übergegangen, die Ware
vor demTransport in Säcke abzufüllen,
die üblicherweise für nigerianischen
Reis verwendet werden.
Besonders gravierend sind dieAus-
wirkungen für Benin.Vor dem Grenz-
übergang bei Seme warten laut loka-
len Medienberichten seitWochen über
tausendLastwagenauf eineWeiterfahrt.
Viele lokale Händler sind ohne Arbeit
und haben sich jüngst zu Strassenpro-
testen versammelt.Auch dieRegierung

Benins hat längst ihren Unmut kund-
getan.Für das kleineLand mit rund 11
Millionen Einwohnern bedeutet die uni-
laterale Massnahme Nigerias eine fast
schon existenzielle Bedrohung:Rund
die Hälfte der Einnahmen derRegie-
rung wird mit dem Hafen in Cotonou
generiert. Setzt sich der Einbruch der
Importe hier fort, klafft in der Kasse des
ohnehin armen Staatseine riesige Lücke.
In der nigerianischen Hauptstadt
Abuja stossen die Nöte des kleinen
Nachbarn indes auf wenigVerständnis.
Am Sonntag kündigte dieRegierung an,
di eGrenze bleibe bis mindestensEnde
Januar geschlossen.

Liquidation einer exklusiven
Villen-Einrichtung in Küsnacht

Im Auftrag der Erben gelangt das
komplette Inventar (wiez.B.
2Zeichnungen von Gustav Klimt,
Silbergegenstände, 40 neuwerti-
ge Hermès u. Chanel Foulards/
Schals) im Detail zumVerkauf.

Freie Besichtigung undVerkauf:
Donnerstag, 7. Nov.bisMontag, 11. Nov.2019 von9bis17 Uhr
(Samstag von9bis 15 Uhr, Sonntaggeschlossen)
Weinmanngasse 121, 8700 Küsnacht ZH

Bilder aufwwwww.hoss-liquidator.ch
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