Die Welt - 31.10.2019

(lily) #1

„Die Bäume wachsen nicht in den Himmel“: Finanzminister Olaf Scholz (SPD)


DPA

/MONIKA SKOLIMOWSKA

W


ir haben alles im
Griff, kein Grund
zur Panik, es läuft.
Das ist die Botschaft
die Bundesfinanzmi-
nister Olaf Scholz (SPD) bei der Präsen-
tation der Ergebnisse der aktuellen
Steuerschätzung offensichtlich verbrei-
ten wollte. Er zeichnete in ruhigem Ton
das Bild von einem Land, dem es trotz
aller weltwirtschaftlichen Unsicherhei-
tenweiterhin sehr gut geht. Es war ein
Bild, das nicht zu den zunehmend be-
sorgniserregenderen Stimmen aus der
Wirtschaft passt, die vor einer tiefen
wirtschaftlichen Talfahrt warnen, wie
gerade erst der Deutsche Industrie- und
Handelskammertag (DIHK).

VON KARSTEN SEIBEL

„Die Mehreinnahmen dieses Jahr rei-
chen, um die etwas geringeren Einnah-
men der Folgejahre auszugleichen“, sag-
te Scholz. Die Bundesregierung könne
alle Aufgaben dank ihrer „umsichtigen
Politik“ schultern, „hektische Korrektu-
ren“ seien nicht notwendig, schließlich


  • und das sollte niemand übersehen –
    würden die Steuereinnahmen weiter
    steigen, wenn auch nicht mehr ganz so
    dynamisch. Bund, Länder, Kommunen
    müssen nach Berechnungen des Ar-
    beitskreises Steuerschätzung im nächs-
    ten Jahr mit 1,7 Milliarden Euro weniger
    Einnahmen auskommen, als die Exper-
    ten noch in ihrer vorhergehenden


Schätzung im Mai erwartet hatten. Für
das laufende Jahr bleiben nach der Steu-
erschätzung erst einmal 2,6 Milliarden
Euro mehr in den Kassen.
Scholz ließ keine Zweifel, wem die
Bürger aus seiner Sicht dieses hohe
Steuerniveau zu verdanken haben: der
großen Koalition, für deren Fortbestand
er auch im Rennen um den SPD-Vorsitz
wirbt. „Wir tun richtig was und das
zahlt sich aus“, sagte Scholz. Durch „In-
vestitionen auf Rekordniveau“ und die
„Stärkung der Einkommen“ der Men-
schen leiste der Bund einen wichtigen
Beitrag, etwa durch die Erhöhung des
Kindergeldes. Auch mit der geplanten
Teilabschaffung des Solidaritätszu-
schlags habe die Regierung einen Im-
puls gesetzt. Wobei mahnende Worte,
die jedem Finanzminister gut zu Ge-
sicht stehen, auch bei Scholz nicht fehl-
ten. „Die Bäume wachsen nicht in den
Himmel“, sagte er, bevor womöglich die
Minister- oder die Parteikollegen zu-
sätzliche Ausgaben fordern.
Aber selbst für den aus seiner Sicht
unwahrscheinlichen Fall, dass Deutsch-
land tatsächlich in eine tiefgreifende
Wirtschaftskrise rutscht – bislang geht
die Bundesregierung für 2020 noch von
einem Wachstum des Bruttoinlands-
produkts von einem Prozent aus – habe
der Staat „alle Möglichkeiten, um gegen-
zuhalten“. Für eine Krise wäre man ge-
wappnet. „Wir könnten dagegenhalten,
da ginge es um viele, viele Milliarden“, so
der Finanzminister weiter. Er machte

aber klar, dass er nicht damit rechne,
dass solche Eingriffe erforderlich wer-
den. Offen ließ Scholz die Frage, was der
Bund mit den vier Milliarden Euro plant,
die er 2019 laut Steuerschätzung zusätz-
lich zur Verfügung hat. Laut Haushalts-
gesetz fließt ein solcher Überschuss – zu
dem auch noch geringere Zinsausgaben
und nicht abgerufene Mittel für Investi-
tionen kommen – in die Asylrücklage.
„Das ist aber nur ein Weg“, sagte Scholz,
das werde noch festgelegt.
Wo das Geld aus SPD-Sicht hingehen
sollte, machte der stellvertretende SPD-
Vorsitzende Achim Post deutlich. „Jetzt
kommt es darauf an, auch weiterhin die
richtigen Prioritäten zu setzen: Wir
brauchen zum Beispiel die Grundrente.“
Gerade das will der haushaltspolitische
Sprecher der CDU/CSU, Eckhardt Reh-
berg, verhindern. Dauerhafte Steuersen-
kungen oder strukturelle Mehrausgaben
wie die Grundrente könnten mit den
einmaligen Steuermehreinnahmen die-
ses Jahres nicht finanziert werden. Er
hat eine andere Idee: „Ich schlage vor,
die Steuermehreinnahmen des Bundes
in diesem Jahr vollständig für den Digi-
talfonds zu verwenden.“ Hier werde das
Geld am dringendsten gebraucht, um
zügig die Schulen zu digitalisieren und
den Breitbandausbau voranzutreiben.
Mit Blick auf die kommenden Jahre dür-
fe man nicht vergessen, dass der erste
Soli-Abbauschritt um rund zehn Milliar-
den Euro ab 2021 in der Steuerschätzung
noch nicht berücksichtigt sei, da er noch
nicht endgültig beschlossen sei.
Vertreter der Wirtschafthaben ganz
andere Vorstellungen, was mit den nach
wie vor hohen Steuereinnahmen zu ge-
schehen hat: Sie wollen, dass die Bun-
desregierung Vorsorge betreibt. „Die Fi-
nanzpolitik sollte allen vorhandenen
Spielraum nutzen, um sich frühzeitig
auf die härteren Zeiten einzustellen“,
sagte BDI-Hauptgeschäftsführer Joa-
chim Lang. Wenn Wachstumsaussichten
sich verschlechterten und die Produkti-
on in der Industrie falle,müsse der Staat
mehr dafür tun, öffentliche Investitio-
nen zu steigern und die Bedingungen für
private Investitionen zu verbessern. Es
sei höchste Zeit, jetzt damit zu begin-
nen, ein Sofortprogramm zur Stärkung
der privaten und öffentlichen Investitio-
nen auszuarbeiten. „Klug wäre, die Un-
ternehmenssteuern zu modernisieren
und die steuerliche Belastung der Unter-
nehmen spürbar auf ein wettbewerbs-
fähiges Niveau zu senken“, so Lang. Die
Schuldenbremse biete dafür die not-
wendigen finanziellen Freiheiten.
In die gleiche Richtung gehen die For-
derungen des Bunds der Steuerzahler
(BdSt). „Bürger und Betriebe müssen
am anhaltenden Steuerboom beteiligt
werden – schließlich haben sie das Geld
hart erarbeitet“, sagte BdSt-Präsident
Reiner Holznagel. Ziel müsse es sein,
die Steuerbelastung vor allem für die
Mittelschicht zu senken. Er verlangte
die Abschaffung des Solidaritätszu-
schlags für alle und eine Reform des
Einkommensteuertarifs. Die kommen-
den Wochen werden zeigen, welche
Auswirkungen die jüngste Steuerschät-
zung für die praktische Politik hat. Die
große Koalition will Anfang November
die Bilanz der ersten Hälfte der Legisla-
turperiode präsentieren und Ziele für
die zweite definieren. Mitte November
wird der Haushaltsausschuss die letzten
Änderungen im Haushaltsentwurf für
das Jahr 2020 vornehmen. Da werden
noch einige Wünsche geäußert werden.

Der Finanzminister


sieht die Steuerschätzung


als Beleg für gute


Regierungsarbeit. Diesem


Weiter-So-Ansatz können


Wirtschaftsvertreter


angesichts rückläufiger


Aufträge in der Industrie


wenig abgewinnen


„Keine hektischen Korrekturen“


329,


316,


113,


37,


795,


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793,


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796,


Bund


Länder


Kommunen


EU


Gesamt


Mehr als erwartet


Quelle: Bundesfinanzministerium


Entwicklung der Steuerschätzungen für das Jahr ����


Nov. ���� Mai ���� Nov. ���� Mai ���� Okt. ����


335,


332,


121,


37,


826,


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Bund


Länder


Kommunen


EU


Gesamt


Weniger als erwartet


Quelle: Bundesfinanzministerium


Entwicklung der Steuerschätzungen für das Jahr ����


Nov. ���� Mai ���� Nov. ���� Mai ���� Okt. ����


10


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10 WIRTSCHAFT DIE WELT DONNERSTAG,31.OKTOBER


dieser im vergangenen Jahr den einsti-
gen US-Konkurrenten und Glyphosat-
Hersteller Monsanto übernommen hat.
Während der knapp einstündigen Te-
lefon-Pressekonferenz standen juristi-
sche Fragen – und eben nicht Umsätze
und Gewinne – im Vordergrund. „Die
Zahl der Klagen sagt nichts darüber aus,
ob diese begründet sind oder nicht“,
versuchte Baumann die neue Rekord-
zahl bei den Gylphosat-Klagen zu relati-
vieren. „Die Zahl der Klagen ist auch
keineswegs indikativ für einen Ver-
gleich.“ Tatsächlich haben die Spekula-
tionen darüber, ob und wann der Kon-
zern mit seinen vielen Klägern einen
Vergleich schließen könnte, zuletzt an
Dynamik gewonnen. Erst zu Monatsbe-
ginn war ein ursprünglich für Oktober
anberaumter Prozess auf Anfang 2020
verschoben worden.
Das soll die im Sommer gestarteten
Mediationsverhandlungen erleichtern,
zu der ein Bundesrichter in Kalifornien
die Streitparteien verpflichtet hatte. Ei-
nige Beobachter hatten die Verschie-
bung auch als Zeichen dafür gewertet,
dass neue Bewegung in die Glyphosat-
Prozesse gekommen ist und ein Ver-
gleich immer wahrscheinlicher wird.

auf „öffentlich zugängliche Daten“. Das
sei etwa doppelt so viel wie in der ge-
samten ersten Hälfte dieses Jahres. Mit
einem deutlichen Anstieg der Klagen sei
daher zu rechnen gewesen.
Die gewaltige Zahl stellte einmal
mehr die übrigen Nachrichten aus dem
Bayer-Konzernin den Schatten. Dabei
konnte Baumann für das dritte Quartal
positive Zahlen vermelden. So ist der
Umsatz trotz des schwierigen weltwirt-
schaftlichen Umfelds im Sommer wäh-
rungsbereinigt um über fünf Prozent
auf 9,8 Milliarden Euro gewachsen. Und
während eine Reihe von Konkurrenten
die eigenen Prognosen zuletzt deutlich
nach unten korrigieren mussten, hält
der Leverkusener Konzern weiter an
seinem Ausblick von 43,5 Milliarden Eu-
ro beim Umsatz und von 11,5 Milliarden
Euro beim Ergebnis vor Steuern fest.
An der Börse wussten die Investoren
das zu schätzen. Kurz nach Vorlage der
Zahlen legte die Bayer-Aktie um knapp
drei Prozent zu und gehörte zeitweise
zu den größten Gewinnern im Börsen-
barometer Dax. Doch das Gesprächs-
thema Nummer eins bei Bayer ist und
bleibt die riesige Klagewelle, die über
den Konzern hereingebrochen ist, seit

E


s ist eine gewaltige Prozesslawi-
ne, und sie wird rasend schnell
größer: Insgesamt 42.700 Klagen
wegen Glyphosat sind mittlerweile ge-
gen den Bayer-Konzern anhängig. Ver-
glichen mit dem Zeitpunkt der offiziel-
len Übernahme von Monsanto im Juni
vergangenen Jahres haben sich die ein-
gereichten Klagen gegen das Pestizid
und seine möglichen Krebsgefahren da-
mit etwa verfünffacht.

VON ANJA ETTEL

Auffällig ist vor allem, wie rasant sich
die Zahl der Klagen wegen Glyphosat
gerade in den vergangenen Wochen er-
höht hat. Im Juli meldete der Konzern
noch rund 18.400 Klagen, seitdem hat
sich diese Zahl mehr als verdoppelt. Der
Anstieg sei „offensichtlich“ darauf zu-
rückzuführen, dass die Kläger-Anwälte
ihre Werbeausgaben signifikant erhöht
haben, bemühte sich Konzernchef Wer-
ner Baumann um eine Erklärung.
Allein für TV-Werbung habe die Klä-
gerseite im dritten Quartal schätzungs-
weise mehr als 50 Millionen Dollar, um-
gerechnet rund 45 Millionen Euro, aus-
gegeben, sagte er und bezog sich dabei

Baumann wollte dazu keine Stellung
nehmen. „Die Details zu den Fällen un-
terliegen der Vertraulichkeit“, sagte er.
Und betonte, dass der Konzern weiter-
hin gute Argumente habe, um sich ge-
gen die erhobenen Ansprüche zu vertei-
digen. „Wir bekommen auch vonseiten
unserer Kundschaft extrem starke Un-
terstützung für das systemrelevante To-
talherbizid“, so Baumann. Bayer sei
„nach wie vor von der Sicherheit Gly-
phosat-basierter Produkte überzeugt“.

Gleich mehrfach verwies er darauf,
dass das Unternehmen bei einem Ver-
gleich bestimmte Kriterien erfüllt sehen
will. „Wir haben immer gesagt, dass wir
die Mediationsgespräche konstruktiv
und lösungsorientiert vorantreiben“,
sagte er. Allerdings müsse das Ergebnis
dieser Gespräche für Bayer „wirtschaft-
lich akzeptabel“ und so strukturiert
sein, dass es den Verfahrenskomplex zu
einem „vernünftigen Abschluss“ bringe.
Gemeint ist damit eine Lösung, die
für den Konzern finanziell erträglich ist
und gleichzeitig einen Schlusspunkt un-
ter das Thema der Glyphosat-Prozesse
setzt. Analystenschätzungen, wonach
die finanzielle Schmerzgrenze für Bayer
bei einem Vergleich bei rund 20 Milliar-
den Dollar liegen könnte, wollte Bau-
mann nicht kommentieren: „Wir wis-
sen, dass es ein breites Spektrum an
Schätzungen gibt. Hierzu nehmen wir
keine Stellung“, sagte er knapp.
Bayer hatte Monsanto im vergange-
nen Jahr für rund 56,5 Milliarden Euro
übernommen und damit nicht nur die
Expertise des US-Genspezialisten ein-
gekauft, sondern sich auch ein gewalti-
ges Prozessrisiko ins Haus geholt. Das
meistverwendete Pestizidder Welt

steht im Verdacht, Krebs beim Men-
schen auszulösen. Allerdings ist diese
Frage in der Forschung hoch umstrit-
ten, was die vielen anhängigen Ge-
richtsverfahren umso komplizierter
macht. Die anhaltende Unsicherheit
über die Prozessrisiken und ihre Folgen
haben der Bayer-Aktie bereits einen er-
heblichen Wertverlust beschert. Das Pa-
pier hat seit Juni 2018 gut ein Drittel an
Wert eingebüßt. Auf der Hauptver-
sammlung im Frühjahr war Baumann
daher als erstem Dax-Chef überhaupt
die Entlastung verweigert worden.
Mittlerweile hat der Konzern ein um-
fangreiches Sparprogramm auf den Weg
gebracht und sein Portfolio gestrafft.
Insgesamt bringen die geplanten Ver-
käufe rund 9,3 Milliarden an Erlösen
ein. Nach Abzug der Steuern bleibe da-
mit „ein gewisser Puffer“, um den Kon-
zern weiter zu entschulden und Investi-
tionen vornehmen zu können, sagte Fi-
nanzvorstand Wolfgang Nickl.
Womöglich muss Bayer dieses Polster
in Zukunft aber noch in ganz anderer
Sache zum Einsatz bringen. Nämlich
dann, wenn am Ende der vielen tausend
Glyphosat-Prozesse eben doch irgend-
wann ein Vergleich stehen wird.

Bayer kämpft gegen Zehntausende neue Glyphosat-Klagen


Mehr als ein Jahr nach der Monsanto-Übernahme steigt die Zahl auf rund 42.700. Gesundheitsgefahren durch den Unkrautvernichter sind nicht bewiesen


WIR BEKOMMEN


EXTREM STARKE


UNTERSTÜTZUNG


FÜR DAS


TOTALHERBIZID


WERNER BAUMANN,


Bayer-Chef


,,


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chnitzel, Wurst und Braten vom
Schwein – alles teurer. Die
Schweinepest in China lässt in
Deutschland die Preise in die Höhe
schnellen. Seit einem Jahr grassiert
schon die Afrikanische Schweinegrippe
im Reich der Mitte, dem weltweit größ-
ten Produzenten und Konsumenten von
Schweinefleisch. Das tückische Virus ist
für den Menschen zwar ungefährlich,
doch für die Tiere schnell tödlich.
„Es ist die gefährlichste Krankheit,
die die Schweineindustrie je erlebt hat“,
sagte Cui Ernan vom Unternehmensbe-
rater GavekalDragonomics in Peking.
Die Hälfte des Schweinebestands in
China wurde bereits dahingerafft. Auch
der Weltmarkt reicht nicht, um die Ver-
sorgungslücke zu füllen.
Überall kaufen Importeure aus China
jetzt Schweinefleisch – in Brasilien, den
USA und eben auch in Europa. Während
sich deutsche Bauern über höhere
Schlachtpreise freuen, müssen Verbrau-
cher beim Metzger tiefer in die Tasche
greifen. Die Preise für Schweinefleisch
stiegen im September um 8,3 Prozent
im Vergleich zum Vorjahresmonat, wie
Thomas Els von der Agrarmarkt-Infor-
mationsgesellschaft (AMI) am Mitt-
woch berichtete. Die Preise für Fleisch-
und Wurstwaren insgesamt legten in
diesem Zeitraum um 5,4 Prozent zu. So
kostet das Kilogramm Schweinehack
heute 5,81 Euro – nach 5,38 Euro vor ei-
nem Jahr. Ähnlich kletterte der Preis für
Schweineschnitzel von 7,10 Euro auf
7,39 Euro. Für Schweinebraten muss
heute 6,18 Euro das Kilogramm hinge-
legt werden. Vor einem Jahr waren es
noch 5,60 Euro.
So schnell wird sich China von der
Schweinepest und den verheerenden
Folgen für seine Schweinehaltung aber
nicht erholen. Nach allen Erfahrungen
wird es „bestenfalls fünf Jahre,
schlimmstenfalls viele, viele Jahre“ dau-
ern, sagte Ernan. Dafür sei eine massive
Transformation der Industrie von den
heute in China weit verbreiteten Klein-
züchtern zu Großbetrieben mit stren-
gen biologischen Kontrollen nötig.
Schon heute hat die Schweinepest in
China mehr als eine Billion Yuan, umge-
rechnet 127 Milliarden Euro, an direkten
wirtschaftlichen Schäden angerichtet,
wie Li Defa von Chinas Landwirt-
schaftsuniversität schätzte. Die Zahl
wollte der führende Tierexperte eigent-
lich geheim halten. „Sie sollte nicht an
die Öffentlichkeit“, hieß es in seinem
Umfeld. Doch geriet die als „realistisch“
eingeschätzte Kalkulation aus einem In-
dustrieforum an die Öffentlichkeit, weil
mutige Journalisten die Zahl berichte-
ten. Dass das wahre Ausmaß der Seuche
vertuscht wird, ist typisch für den Um-
gang mit solchen Krisen in China, ver-
hindert aber immer wieder ein schnel-
les und wirksames Vorgehen. Ein gan-
zes Jahr nach dem ersten Fall im August
2018 musste Vizepremier Hu Chunhua
einräumen: „Die wirkliche Lage der Epi-
demie ist viel schlimmer, als uns be-
wusst war.“ dpa/jmi

Preise für


Schnitzel und


WWWurst steigenurst steigen


Schweinepest in China


beeinflusst Märkte weltweit


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