Die Welt - 31.10.2019

(lily) #1

V


ielleicht hatte Roberto Gio-
lito einfach nur einen
schlechten Tag, als er das
„sechsäugige Monster“
schuf: den Fiat Multipla.
Mit sechs Scheinwerfern und einer
Speckfalte unter der Frontscheibe teste-
te der heute 57-Jährige die Geschmacks-
grenzen auf Deutschlands Straßen weit
aus. So weit, dass der deutsche Autoclub
ADAC das schon 20 Jahre alte Fahrzeug
erst in diesem Jahr zum hässlichsten Au-
to der Welt kürte. Das heißt: In den ver-
gangenen zwei Jahrzehnten sah kein
neueres Modell so grausam aus.

VON FLORIAN GEHM

Nicht allzu oft macht Fiat Chrysler
(FCA), der Konzern, der 2014 aus der Fu-
sion der italienischen und amerikani-
schen Unternehmen Fiat und Chrysler
entstand, mit Autos und Absatzzahlen
Schlagzeilen – was nicht zuletzt auch an
solchen Design-Irrungen liegen könnte.
Der Marktanteil von FCA ist in Deutsch-
land im Vergleich zur Konkurrenz ge-
ring. Auch deshalb war die Nachricht,
dass der italienisch-amerikanische Her-
steller nun mit dem französischen Opel-
Mutterkonzern PSA Gespräche über ei-
nen möglichen Zusammenschluss bestä-
tigt hat, wenig überraschend. „Es gibt
laufende Diskussionen, die darauf abzie-
len, eine der führenden Mobilitätsgrup-
pen der Welt zu schaffen“, schrieb FCA
in einer kurzen Meldung am Mittwoch-
morgen. Gegenwärtig habe man aber
nichts hinzuzufügen. Eine gleichlauten-
de Mitteilung gab es von PSA, eine Pres-
sekonferenz sei zunächst nicht geplant.
Mit dem Zusammengehen entstünde
ein Schwergewicht mit aktuell 190 Milli-
arden Euro Umsatz pro Jahr, 8,7 Millio-
nen verkauften Fahrzeugen und 410.
Beschäftigten. Gemessen am Absatz wä-
re es der viertgrößte Autokonzern nach
Volkswagen, Toyota und Renault-Nissan,
nach Umsatz die Nummer drei. In
Deutschland führte die Marke Volkswa-
gendie Liste der Pkw-Neuzulassungen

im September dieses Jahres mit einem
Marktanteil von 16,2 Prozent an. Dahin-
ter lagen Mercedes, BMW und Ford –
erst dann folgte mit Opel die erste Mar-
ke aus der potenziellen Fusion mit ei-
nem Marktanteil von 7,6 Prozent. Aus
dem FCA-Portfolio schafft es nur Fiat
mit einem Marktanteil von 2,9 Prozent
in die Liste der Top 15. Auch im heimi-
schen US-Markt belegt Fiat Chrysler mit
einem Marktanteil von nur 12,5 Prozent
den vierten Platz, muss sich neben Ge-
neral Motors und Ford auch Toyota ge-
schlagen geben.
Der Zusammenschluss wäre der vor-
läufige Höhepunkt einer Konsolidie-
rungswelle, die die Branche seit Langem
prägt. Die Devise der Fusion ist deshalb
klar: Nur gemeinsam können beide Kon-
zerne weiter überleben. Zumindest an
der Börse hätten die Unternehmen ge-
meinsam deutlich mehr Schlagkraft.
Peugeot-Chef Carlos Tavares soll den
Konzern nach Angaben des „Wall Street
Journals“ als Vorstandsvorsitzender füh-
ren, der FCA-Verwaltungsratsvorsitzen-
de John Elkmann, Enkel des langjährigen
Fiat-Bosses Giovanni Agnelli, würde die-
selbe Rolle beim neuen Unternehmen
einnehmen. Als zentrale Marken würde
Fiat Chrysler neben den genannten Pro-
duktreihen auch Alfa Romeo, Chrysler,
Dodge, Jeep, Lancia und Maserati mit in
die Auto-Hochzeit einbringen.
Laut eines Insiders könnten die Unter-
nehmen schon am Donnerstag eine Ver-
einbarung zur Fusion ankündigen. Das
sei vom Ergebnis der Verwaltungsratssit-
zung bei PSA am Mittwoch abhängig,
sagte eine mit dem Vorgang vertraute
Person der Nachrichtenagentur Reuters.
AAAuch der französische Staat, der nachuch der französische Staat, der nach
fffrüheren Unternehmensangaben 12,23rüheren Unternehmensangaben 12,
Prozent der Anteile von PSA und 9,
Prozent der Stimmrechte hält, könnte
den Deal abnicken – man verfolge die Ge-
spräche „besonders wachsam“, hieß es
von Seiten des Pariser Finanz- und Wirt-
schaftsministeriums. Dort bestätigte
man auch „die Entwicklung hin zu einer
Konsolidierung in der Automobilindus-

trie, die notwendig ist und in der Frank-
reich seinen Platz einnehmen will“.
Beide Autohersteller stehen unter
großem Druck, sind besonders gezwun-
gen, in autonomes Fahrenund Elektro-
mobilität zu investieren. Bisher besteht
hier, etwa im Vergleich zu Volkswagen
und BMW, großer Nachholbedarf. Fiat
Chrysler sucht bereits seit Langem nach
einem Partner, um Investitionen schul-
tern zu können und wollte sich in diesem
Jahr bereits mit Renault zum drittgröß-
ten Autohersteller zusammenschließen.
Doch die Gespräche scheiterten. Nach
monatelangen Verhandlungen zog Fiat
Chrysler im Juni seine Offerte zurück.
Die Schuld schoben sich Renault und
FCAgegenseitig zu – die Franzosen hät-
ten sich zu zögerlich gezeigt, die Italie-

ner und Amerikaner hätten zu viel Druck
gemacht und ihre Partner übergangen.
AAAber dieses Mal stehen beide Konzerneber dieses Mal stehen beide Konzerne
unter noch größerem Druck. „Die Fusion
wird kommen“, ist sich Automobilexper-
te Ferdinand Dudenhöffer sicher. „Fiat
braucht die Fusion unbedingt, sonst er-
liegt man drohenden CO 2 -Strafzahlun-
gen. Der Hersteller hat schließlich kaum
ein Elektroangebot“, so Dudenhöffer ge-
genüber WELT. Peugeot hingegen sei bis-
her nur in Europa aktiv und wolle mit den
USA einen zweiten großen Markt er-
schließen. Das Zusammenwachsen zwei-
er Milliarden-Konzerne müsste allerdings
zunächst von internationalen Wettbe-
werbshütern genehmigt werden. „Wenn
sich beide Konzerne einig werden, muss
die Fusion zunächst angemeldet werden


  • sowohl bei der EU-Kommission als auch
    bei den US-Behörden“, erklärt Wettbe-
    werbsrechtler Georg Jochum.
    Üblicherweise erfolge eine Anmel-
    dung sogar weltweit; allerdings wären
    Europa und die USA die am stärksten
    vom Zusammenschluss betroffenen
    Märkte. Wenn die Marktwächter keine
    marktbeherrschende Stellung erkennen
    würden, gäbe es grünes Licht für die Fu-
    sion. „Da der drittgrößte Autohersteller
    der Welt entstehen soll, wäre auch eine
    Fusion unter Auflagen denkbar“, so Jo-
    chum. Das könnte verhindern, dass FCA
    und PSA in bestimmten Marktbereichen
    ein Übergewicht entwickeln. Dennoch:
    Der Automarkt ist ohnehin von wenigen
    großen Herstellern geprägt, die ihre Ge-
    schäfte weltweit führen. „Deswegen ge-
    he ich davon aus, dass in den wesentli-
    chen Segmenten keine marktbeherr-
    schende Stellung entstehen wird“, er-
    klärt Jochum. Rechtlich stünde der Fusi-
    on dann nichts mehr im Wege.
    Auch intern könnten sich die Verhält-
    nisse zwischen den einzelnen Marken
    verschieben. Der Verlierer, befürchtet
    Autoexperte Dudenhöffer: Opel. „Die
    neue Formation wird für große Überka-
    pazitäten in Europa sorgen“, erklärt der
    Chef des Center Automotive Research
    (CAR) in Duisburg. So verfügten Fiat
    und Peugeot auf dem Kontinent bereits
    über eigene Entwicklungszentren, eine
    zusätzliche Dependance in Rüsselsheim
    brauche es nicht mehr. Das gelte auch für
    Fabriken und Fertigungsanlagen.
    „Ich gehe davon aus, dass es ein neues
    Jobabbau-Programm geben wird“, so der
    Branchenkenner. Da Personal in Italien
    leichter einzusparen sei, dürfte sich Opel
    Anpassungen auf Forschungs-, Entwick-
    lungs- und Fertigungsseite unterwerfen
    müssen. Gleichzeitig zögen mit Alfa und
    Maserati zwei Premium-Marken in den
    neuen Konzern ein. „Diese würden Opel
    in das Volumengeschäft drängen – und
    dort wartet bereits Fiat mit seinem An-
    gebot als interner Konkurrent“, prophe-
    zeit Dudenhöffer. Trotzdem reagierten
    die Märkte begeistert auf die Pläne: In


Paris und Mailand legten die Kurse von
PSA und Fiat Chrysler zeitweise um je-
weils mehr als acht Prozent zu. Die Aktie
der französischen Opel-Mutter kletterte
sogar auf den mit 27,06 Euro höchsten
Stand seit elfeinhalb Jahren. Der Kurs
von Konkurrent Renault gab um gut vier
Prozent nach. „Eine solche Kombination
beider Unternehmen würde ein Unter-
nehmen mit wahrscheinlich dem besten
oder einem der besten Autogeschäfte in
Nordamerika, Lateinamerika und Euro-
pa schaffen“, kommentierten die Analys-
ten der US-Bank JP Morgan.
Führen dürfte die Umstrukturierung
PSA-Chef Tavares als neuer starker
Mann. Er mache, was notwendig sei, so
Branchenexperte Stefan Bratzel. „Er ist
sich auch nicht zu fein, die Brechstange
aaauszupacken.“ Möglich wird das aber nur,uszupacken.“ Möglich wird das aber nur,
wenn der Pariser Konzern die Führung
im neuen Unternehmen übernehmen
könnte. „Eine Fusion unter Gleichen
wwwürde nicht funktionieren“, erklärte derürde nicht funktionieren“, erklärte der
Direktor des Centers of Automotive Ma-
nagement (CAM). Gemeinsame Plattfor-
men, Werksschließungen oder das mögli-
che Ende von „Zombie-Marken“ wie Lan-
cia seien sonst nicht durchsetzbar.
Lediglich kulturell könnte der Zu-
sammenschluss an solchen Personal-
oder Richtungsentscheidungen schei-
tern – wie schon die gegenseitigen
Schuldzuweisungen beim Verhand-
lungs-Aus mit Renault offenbarten.
Denn was bei der geplanten Fusion ent-
stehen würde, wäre nicht weniger als
ein kaum zu steuernder, multilateraler
Riesenkonzern. Fiat Chrysler hat sei-
nen Sitz in den Niederlanden, seine
operative Zentrale in London. Im Kon-
zern aufgegangen sind 2014 ein italieni-
sches und ein US-amerikanisches Un-
ternehmen. Die französische Groupe
PSA schluckte im August 2017 die deut-
sche Automarke Opel und mit ihr die
britische Tochter Vauxhall. Wer die ge-
rade genannten Länder addiert, der er-
kennt das Ergebnis der Fusion: Es
droht ein sechsäugiges Monster – der
Fiat Multipla der Auto-Welt.

Wurde vom ADAC
zum hässlichsten Auto
der Welt gewählt:
Der Fiat Multipla

FIAT

HÜBSCHER


durch Hochzeit


Fiat Chrysler und PSA wollen fusionieren.


Daraus würde einer der größten


Autohersteller der Welt entstehen


12


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12 WIRTSCHAFT DIE WELT DONNERSTAG,31.OKTOBER


E


iner bezeichnete die 737 Max als
„fliegenden Sarg“. Ein anderer
schimpfte, er würde lieber lau-
fen, als jemals wieder in ein Flugzeug
dieses Typs zu steigen. Ein Dritter klag-
te, der Hersteller „tischt hier nur Halb-
wahrheiten auf“. Am Dienstag trat Bo-
eing-Chef Dennis Muilenburg zum ers-
ten Mal vor dem US-Kongress in Wa-
shington auf – und musste sich harte
Kritik anhören. Der Manager wurde im
Handelsausschuss des Senats „gegrillt“,
wie die Amerikaner sagen. Eine gute Fi-
gur gab Muilenburg dabei nicht ab.

VON STEFAN BEUTELSBACHER

Es war der Jahrestag des ersten Ab-
sturzes einer 737 Max. Und Muilenburg
tat zunächst das, was die Senatoren von
ihm erwarteten: Er zeigte Reue. Deutli-
cher als je zuvor. „Es tut mir sehr leid“,
sagte Muilenburg. „Wir wissen, dass wir
Fehler gemacht haben.“ Die beiden Un-
fälle der Boeing-Flugzeuge seien unter
seiner Aufsicht geschehen.
Muilenburg, Chef eines Weltkon-
zerns mit 150.000 Mitarbeitern, wirkte
nervös. Er rutschte oft auf seinem
Stuhl hin und her, seine Stirn glänzte.
Es war ein wichtiger Auftritt für Mui-
lenburg, vielleicht der bisher wichtigs-
te seiner Karriere. Denn der Mann ist
auf einer Mission: Er will Amerika und
die ganze Welt davon überzeugen, dass
Boeing sichere Flugzeuge baut. Derzeit
muss die 737 Max weltweit am Boden
bleiben. Und das bedeutet für das Un-
ternehmen einen enormen wirtschaft-
lichen Schaden.
Der Auftritt am Dienstag dürfte Bo-
eing wenig geholfen haben. Aber Mui-
lenburg hatte es auch nicht einfach. An-
hörungen im amerikanischen Kongress
gelten als extrem unangenehm. Sie sind
eine Art Schauspiel, in dem es nicht nur
darum geht, neue Informationen zu ge-
winnen. Es geht auch darum, ein öffent-
liches Exempel zu statuieren. Wirt-
schaftsbosse werden kritisiert, unter-
brochen, angeschrien.
Muilenburg wirkte in die Enge getrie-
ben. Aber in seltenen Momenten wagte
er auch Angriffe. Die richteten sich ge-
gen die amerikanische Luftfahrtbehör-
de FAA. Auf die Frage, warum die 737
Max nicht früher Startverbot erhielt,
antwortete er: Die FAA habe den Fall ge-
prüft und schließlich die Flugerlaubnis
erteilt. Es war eine Strategie, die viele
erwartet hatten. Muilenburg versuchte,
einen Teil der Verantwortung auf die
Regulierer abzuschieben.
Tatsächlich ist die Sache kompliziert.
Nicht ein einzelner, sondern eine ganze
Reihe von Fehlern führte zu den Abstür-
zen. Am Freitag hatten die Ermittler ih-
ren Bericht zu dem Unfall nahe Jakarta
vorgestellt. Alles begann demnach mit
dem Techniker eines Zulieferers in Flo-
rida, der einen Sensor falsch eingestellt
hatte. Später, am Himmel über Indone-
sien, lieferte der Sensor falsche Daten
und verwirrte die Computer der Boeing.
Und die Piloten handelten falsch, weil
sie sich mit dem System nicht richtig
auskannten. Die Maschine des Billigflie-
gers Lion Air stürzte ins Meer, alle 189
Passagiere kamen ums Leben.
Im Zentrum der Kritik steht das
Steuerungsprogramm MCAS, das von
Boeing eigens für die 737 Max entwi-
ckelt wurde. Es sorgt dafür, dass die Na-
se des Flugzeugs automatisch nach un-
ten gedrückt wird, wenn – wie es der
fehlerhaft kalibrierte Sensor offenbar
ankündigte – ein Strömungsabriss
droht. Die Piloten können das System
abstellen, taten dies aber nicht. Statt-
dessen versuchten sie immer wieder,
das Flugzeug nach oben zu ziehen. Dem
Bericht der Ermittler zufolge wird we-
der im Cockpit-Handbuch noch im Trai-
ning erwähnt, dass sich das MCAS deak-
tivieren lässt. Das MCAS war nach bis-
herigen Erkenntnissen auch der Grund
für den zweiten Absturz einer 737 Max
von Ethiopian Airlinesim März dieses
Jahres. Bei diesem Unfall starben 157
Menschen.
Es geht um viel für Boeing. Das Un-
ternehmen leidet immer stärker unter
dem 737-Max-Debakel. Im dritten Quar-
tal brach der Gewinn des Airbus-Riva-
len im Jahresvergleich um rund die
Hälfte ein, auf knapp 1,2 Milliarden Dol-
lar. Da die Auslieferung der Maschinen
derzeit gestoppt ist, fiel der Umsatz um
21 Prozent auf knapp 20 Milliarden Dol-
lar. Einige Analysten fürchten sogar,
dass die Folgen der 737-Abstürze nicht
auf Boeing beschränkt bleiben, sondern
die ganze amerikanische Wirtschaft he-
runterziehen.

US-Politiker


greifen


Boeing-Chef an


Manager macht bei


Anhörung keine gute Figur


A


irbus kann zum zweiten Mal in
Folge nicht so viele Flugzeuge
ausliefern wie zunächst ange-
kündigt. In diesem Jahr wird die Zahl
der neuen Flugzeuge voraussichtlich
von 800 auf nur rund 860 steigen. Das
wären 20 bis 30 Maschinen weniger als
geplant. Dies gab jetzt der seit Frühjahr
amtierende neue Konzernchef Guillau-
me Faury bekannt.

VON GERHARD HEGMANN

Sein Vorgänger Tom Enders hatte
2018 das Auslieferziel nur erreicht, weil
die Zählweise geändert und Flugzeuge
des zugekauften kanadischen Herstel-
lers Bombardier eingerechnet wurden.
Während Enders mit Lieferproblemen
bei den Triebwerken kämpfte, sind die
aktuellen Schwierigkeiten hausge-
macht. So sind der Einbau einer neue

Kabine, der Airbus Cabin Flex, und Än-
derungen am Rumpf für das neue Mo-
dell A321Neo und seine Langstreckenva-
riante komplizierter und zeitaufwendi-
ger als zunächst erwartet.
Der neue Airbus-Chef sieht dieses und
nächstes Jahr daher als Übergangsperi-
ode. Mit mehr Automatisierung und der
Beseitigung des derzeitigen „Flaschen-
halses Hamburg“ bei der Kabinenum-
stellung soll dann bis 2021 die Produkti-
on auf monatlich 63 Modelle der A320-
Familie deutlich steigen. Auf die Ertrags-
lage hätte die gekürzte Lieferprognose
für 2019 aber keine Auswirkungen, beru-
higte Airbus. „Unser Festhalten am Ge-
winnziel trotz der reduzierten Ausliefe-
rungen zeigt, wie profitabel wir mit den
Flugzeugen der A320Neo-Serie sind“,
sagte Finanzchef Dominik Asam.
Airbus kann somit ausgerechnet in
einer Phase seine Produktion nicht wie

geplant ausbauen, in der Boeing in einer
tiefen Krise steckt. Weil die Produktion
der A320Neo-Familie mit den umwelt-
freundlicheren Triebwerken praktisch
über Jahre ausgebucht ist, können die
Europäer der US-Konkurrenz zumin-
dest kurzfristig auch kaum Kunden ab-
jagen. Dabei kämpft Boeing nach zwei
Abstürzen und dem weltweiten Flug-
verbot für die Boeing 737Max – dem
Konkurrenzmodell zur A320Neo – mit
einem immensen Ansehensverlust und
Kosten in Milliardenhöhe.
Während Airbus auf einen Ausliefer-
rekord 2019 zusteuert und in den ersten
neun Monaten beim operativen Ergeb-
nis um 51 Prozent auf 4,1 Milliarden Eu-
ro zulegte, musste Boeing jüngst einen
Einbruch sowohl beim Ertrag als auch
bei den Auslieferungen melden – eine
Folge des Flugverbots für das Unglücks-
modell 737Max.

Boeing verzeichnet im Jahresverlauf
bislang per saldo sogar mehr Abbestel-
lungen als Neuaufträge. Airbus hinge-
gen bekam jetzt einen der größten Auf-
träge der Firmengeschichte. Die vor gut
zehn Jahren gegründete indische Billi-
gairline IndiGo bestellte 300 Modelle
aus der A320-Familie, darunter auch die
neue Langstreckenversion A321XLR.
Laut Listenpreis ein 33-Milliarden-Dol-
lar-Auftrag. Allerdings sind in der Bran-
che zweistellige Rabatte üblich.
IndiGo hatte schon in den Vorjahren
Riesenaufträge an Airbus vergeben und
kommt nunmehr auf insgesamt 720
A320Neo-Bestellungen. Zum Vergleich:
Die gesamte Lufthansa-Gruppe hatte
Ende 2018 gut 760 Flugzeuge im Einsatz.
IndiGo betreibt derzeit gut 240 Airbus.
Zu den Sorgen des Airbus-Chefs gehört
der Handelsstreit vor der WTO zwischen
den USA und Europa um Flugzeugfinan-

zierungen. Hier warnte Guillaume vor ei-
ner Eskalation. Die US-Regierung unter
Präsident Donald Trump belegt nach ei-
nem WTO-Schlichterspruch seit dem 18.
Oktober Airbus-Flugzeug-Importe in die
USA mit zehn Prozent Strafzoll. Im
nächsten Jahr wird aber der Schlichter-
spruch in einem Parallelverfahren wegen
illegaler Staatshilfe für Boeing erwartet,
sodass die Europäer dann auf Boeing-
Flugzeuge ebenfalls Strafzölle erheben
könnten. Bevor die Lage eskaliere, sollte
eine Verhandlungslösung erreicht wer-
den, sagte der Airbus-Chef.
Zu den Besonderheiten im Quartalsbe-
richt gehören die weiter gestiegenen
WWWertberichtigungen auf einen Riesenauf-ertberichtigungen auf einen Riesenauf-
trag von Saudi-Arabien zur Grenzsiche-
rung. Weil Deutschland eine früher erteil-
te Rüstungsexportlizenz immer noch
nicht freigibt, wird das Airbus-Ergebnis
nunmehr mit 221 Millionen Euro belastet.

Kabinen-Probleme bei Airbus sorgen für Auslieferungsdefizit


Zahl der bereitgestellten Maschinen fällt geringer aus als erwartet. Auf die Ertragslage soll die Lieferprognose keine Auswirkungen haben


DIE FUSION


WIRD KOMMEN


FERDINAND DUDENHÖFFER,


Automobilexperte


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