Die Welt Kompakt - 31.10.2019

(Brent) #1

12 WIRTSCHAFT DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT DONNERSTAG,31.OKTOBER


V

ielleicht hatte Rober-
to Giolito einfach nur
einen schlechten Tag,
als er das „sechsäugi-
ge Monster“ schuf: den Fiat
Multipla. Mit sechs Scheinwer-
fern und einer Speckfalte unter
der Frontscheibe testete der
heute 57-Jährige die Ge-
schmacksgrenzen auf Deutsch-
lands Straßen weit aus. So weit,
dass der deutsche Autoclub
ADAC das schon 20 Jahre alte
Fahrzeug erst in diesem Jahr
zum hässlichsten Auto der Welt
kürte. Das heißt: In den vergan-
genen zwei Jahrzehnten sah
kein neueres Modell so grau-
sam aus.

VON FLORIAN GEHM

Nicht allzu oft macht Fiat
Chrysler (FCA), der Konzern,
der 2014 aus der Fusion der ita-
lienischen und amerikanischen
Unternehmen Fiat und Chrys-
ler entstand, mit Autos und Ab-
satzzahlen Schlagzeilen – was
nicht zuletzt auch an solchen
Design-Irrungen liegen könnte.
Der Marktanteil von FCA ist in
Deutschland im Vergleich zur
Konkurrenz gering. Auch des-
halb war die Nachricht, dass der
italienisch-amerikanische Her-
steller nun mit dem französi-
schen Opel-Mutterkonzern
PSA Gespräche über einen
möglichen Zusammenschluss
bestätigt hat, wenig überra-
schend. „Es gibt laufende Dis-
kussionen, die darauf abzielen,
eine der führenden Mobilitäts-
gruppen der Welt zu schaffen“,
schrieb FCA in einer kurzen
Meldung am Mittwochmorgen.
Gegenwärtig habe man aber
nichts hinzuzufügen. Eine
gleichlautende Mitteilung gab
es von PSA, eine Pressekonfe-
renz sei zunächst nicht geplant.
Mit dem Zusammengehen
entstünde ein Schwergewicht
mit aktuell 190 Milliarden Euro
Umsatz pro Jahr, 8,7 Millionen
verkauften Fahrzeugen und
410.000 Beschäftigten. Gemes-
sen am Absatz wäre es der
viertgrößte Autokonzern nach
Volkswagen, Toyota und Re-
nault-Nissan, nach Umsatz die
Nummer drei. In Deutschland
führte die Marke Volkswagen
die Liste der Pkw-Neuzulassun-
gen im September dieses Jahres
mit einem Marktanteil von 16,
Prozent an. Dahinter lagen
Mercedes, BMW und Ford –
erst dann folgte mit Opel die
erste Marke aus der potenziel-
len Fusion mit einem Marktan-
teil von 7,6 Prozent. Aus dem
FCA-Portfolio schafft es nur Fi-
at mit einem Marktanteil von
2,9 Prozent in die Liste der Top


  1. Auch im heimischen US-
    Markt belegt Fiat Chrysler mit
    einem Marktanteil von nur 12,
    Prozent den vierten Platz, muss
    sich neben General Motors und
    Ford auch Toyota geschlagen
    geben.
    Der Zusammenschluss wäre
    der vorläufige Höhepunkt einer
    Konsolidierungswelle, die die
    Branche seit Langem prägt. Die
    Devise der Fusion ist deshalb


klar: Nur gemeinsam können
beide Konzerne weiter überle-
ben. Zumindest an der Börse
hätten die Unternehmen ge-
meinsam deutlich mehr Schlag-
kraft. Peugeot-Chef Carlos Ta-
vares soll den Konzern nach
Angaben des „Wall Street Jour-
nals“ als Vorstandsvorsitzender
führen, der FCA-Verwaltungs-
ratsvorsitzende John Elkmann,
Enkel des langjährigen Fiat-
Bosses Giovanni Agnelli, würde
dieselbe Rolle beim neuen Un-
ternehmen einnehmen. Als
zentrale Marken würde Fiat
Chrysler neben den genannten
Produktreihen auch Alfa Ro-
meo, Chrysler, Dodge, Jeep,
Lancia und Maserati mit in die
Auto-Hochzeit einbringen.
Laut eines Insiders könnten
die Unternehmen schon am
Donnerstag eine Vereinbarung
zur Fusion ankündigen. Das sei
vom Ergebnis der Verwaltungs-
ratssitzung bei PSA am Mitt-
woch abhängig, sagte eine mit
dem Vorgang vertraute Person
der Nachrichtenagentur Reu-
ters. Auch der französische
Staat, der nach früheren Unter-
nehmensangaben 12,23 Prozent
der Anteile von PSA und 9,
Prozent der Stimmrechte hält,
könnte den Deal abnicken –
man verfolge die Gespräche
„besonders wachsam“, hieß es
von Seiten des Pariser Finanz-
und Wirtschaftsministeriums.
Dort bestätigte man auch „die
Entwicklung hin zu einer Kon-
solidierung in der Automobilin-
dustrie, die notwendig ist und
in der Frankreich seinen Platz
einnehmen will“. Beide Auto-
hersteller stehen unter großem
Druck, sind besonders gezwun-

gen, in autonomes Fahrenund
Elektromobilität zu investie-
ren. Bisher besteht hier, etwa
im Vergleich zu Volkswagen
und BMW, großer Nachholbe-
darf. Fiat Chrysler sucht bereits
seit Langem nach einem Part-
ner, um Investitionen schultern
zu können und wollte sich in
diesem Jahr bereits mit Renault
zum drittgrößten Autoherstel-
ler zusammenschließen. Doch
die Gespräche scheiterten.
Nach monatelangen Verhand-
lungen zog Fiat Chrysler im Ju-
ni seine Offerte zurück. Die
Schuld schoben sich Renault
und FCAgegenseitig zu – die
Franzosen hätten sich zu zöger-
lich gezeigt, die Italiener und
Amerikaner hätten zu viel
Druck gemacht und ihre Part-
ner übergangen.
AAAber dieses Mal stehen beideber dieses Mal stehen beide
Konzerne unter noch größerem
Druck. „Die Fusion wird kom-
men“, ist sich Automobilexper-
te Ferdinand Dudenhöffer si-
cher. „Fiat braucht die Fusion
unbedingt, sonst erliegt man
drohenden CO 2 -Strafzahlun-
gen. Der Hersteller hat schließ-
lich kaum ein Elektroangebot“,
so Dudenhöffer gegenüber
WELT. Peugeot hingegen sei
bisher nur in Europa aktiv und
wolle mit den USA einen zwei-
ten großen Markt erschließen.
Das Zusammenwachsen zweier
Milliarden-Konzerne müsste
allerdings zunächst von inter-
nationalen Wettbewerbs-
hütern genehmigt werden.
„„„Wenn sich beide Konzerne ei-Wenn sich beide Konzerne ei-
nig werden, muss die Fusion
zunächst angemeldet werden –
sowohl bei der EU-Kommissi-
on als auch bei den US-Behör-

den“, erklärt Wettbewerbs-
rechtler Georg Jochum.
Üblicherweise erfolge eine
Anmeldung sogar weltweit; al-
lerdings wären Europa und die
USA die am stärksten vom Zu-
sammenschluss betroffenen
Märkte. Wenn die Marktwäch-
ter keine marktbeherrschende
Stellung erkennen würden, gä-
be es grünes Licht für die Fusi-
on. „Da der drittgrößte Auto-
hersteller der Welt entstehen
soll, wäre auch eine Fusion un-
ter Auflagen denkbar“, so Jo-
chum. Das könnte verhindern,
dass FCA und PSA in bestimm-
ten Marktbereichen ein Über-
gewicht entwickeln. Dennoch:
Der Automarkt ist ohnehin von
wenigen großen Herstellern
geprägt, die ihre Geschäfte
weltweit führen. „Deswegen
gehe ich davon aus, dass in den
wesentlichen Segmenten keine
marktbeherrschende Stellung
entstehen wird“, erklärt Jo-
chum. Rechtlich stünde der
Fusion dann nichts mehr im
WWWege.ege.
AAAuch intern könnten sichuch intern könnten sich
die Verhältnisse zwischen den
einzelnen Marken verschie-
ben. Der Verlierer, befürchtet
AAAutoexperte Dudenhöffer:utoexperte Dudenhöffer:
Opel. „Die neue Formation
wird für große Überkapazitä-
ten in Europa sorgen“, erklärt
der Chef des Center Automo-
tive Research (CAR) in Duis-
burg. So verfügten Fiat und
Peugeot auf dem Kontinent
bereits über eigene Entwick-
lungszentren, eine zusätzliche
Dependance in Rüsselsheim
brauche es nicht mehr. Das
gelte auch für Fabriken und
Fertigungsanlagen.

„Ich gehe davon aus, dass es
ein neues Jobabbau-Programm
geben wird“, so der Branchen-
kenner. Da Personal in Italien
leichter einzusparen sei, dürfte
sich Opel Anpassungen auf For-
schungs-, Entwicklungs- und
Fertigungsseite unterwerfen
müssen. Gleichzeitig zögen mit
Alfa und Maserati zwei Premi-
um-Marken in den neuen Kon-
zern ein. „Diese würden Opel in
das Volumengeschäft drängen –
und dort wartet bereits Fiat mit
seinem Ange-
bot als inter-
ner Konkur-
rent“, prophe-
zeit Duden-
höffer. Trotz-
dem reagier-
ten die Märkte begeistert auf
die Pläne: In Paris und Mailand
legten die Kurse von PSA und
Fiat Chrysler zeitweise um je-
weils mehr als acht Prozent zu.
Die Aktie der französischen
Opel-Mutter kletterte sogar auf
den mit 27,06 Euro höchsten
Stand seit elfeinhalb Jahren.
Der Kurs von Konkurrent Re-
nault gab um gut vier Prozent
nach. „Eine solche Kombinati-
on beider Unternehmen würde
ein Unternehmen mit wahr-
scheinlich dem besten oder ei-
nem der besten Autogeschäfte
in Nordamerika, Lateinamerika
und Europa schaffen“, kom-
mentierten die Analysten der
US-Bank JP Morgan.
Führen dürfte die Umstruk-
turierung PSA-Chef Tavares als
neuer starker Mann. Er mache,
was notwendig sei, so Bran-
chenexperte Stefan Bratzel. „Er
ist sich auch nicht zu fein, die
Brechstange auszupacken.“
Möglich wird das aber nur,
wenn der Pariser Konzern die
Führung im neuen Unterneh-
men übernehmen könnte. „Ei-
ne Fusion unter Gleichen wür-
de nicht funktionieren“, erklär-
te der Direktor des Centers of
Automotive Management
(CAM). Gemeinsame Plattfor-
men, Werksschließungen oder
das mögliche Ende von „Zom-
bie-Marken“ wie Lancia seien
sonst nicht durchsetzbar.
Lediglich kulturell könnte der
Zusammenschluss an solchen
Personal- oder Richtungsent-
scheidungen scheitern – wie
schon die gegenseitigen Schuld-
zuweisungen beim Verhand-
lungs-Aus mit Renault offenbar-
ten. Denn was bei der geplanten
Fusion entstehen würde, wäre
nicht weniger als ein kaum zu
steuernder, multilateraler Rie-
senkonzern. Fiat Chrysler hat
seinen Sitz in den Niederlan-
den, seine operative Zentrale in
London. Im Konzern aufgegan-
gen sind 2014 ein italienisches
und ein US-amerikanisches Un-
ternehmen. Die französische
Groupe PSA schluckte im Au-
gust 2017 die deutsche Automar-
ke Opel und mit ihr die britische
Tochter Vauxhall. Wer die gera-
de genannten Länder addiert,
der erkennt das Ergebnis der
Fusion: Es droht ein sechsäugi-
ges Monster – der Fiat Multipla
der Auto-Welt.

WWWurde vom ADACurde vom ADAC
zum hässlichsten
Auto der Welt ge-
wählt: Der Fiat
Multipla

FIAT

Hübscherdurch


Hochzeit


Fiat Chrysler und PSA wollen fusionieren. Daraus würde


einer der größten Autohersteller der Welt entstehen

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