Die Welt Kompakt - 31.10.2019

(Brent) #1
lassen: Im Gegenteil – im Wahl-
kampf ging der ehemalige Re-
gierungskoordinator deutlicher
als andere auf Distanz zu den
Rechtsnationalen.
Elisabeth Köstinger, die einzi-
ge Frau in Kurz’ innerstem
Kreis, verkörpert einen in der
von Kurz umgekrempelten ÖVP
hochgeschätzten Wert: Tüchtig-
keit. Aufgewach-
sen auf einem
Kärntner Bauern-
hof, machte sie
sich zunächst als
EU-Parlamenta-
rierin einen Na-
men und stieg
bald in den Füh-
rungszirkel der
Partei auf. 2014
wwwurde sie außer-urde sie außer-
dem Vizepräsidentin des Ökoso-
zialen Forums, das sich der „Ba-
lance zwischen freiem Wettbe-
werb, sozialer Gerechtigkeit
und Umweltschutz“ verschrie-
ben hat. Unter Kurz wurde Kös-
tinger erst Generalsekretärin,
dann kurzfristig Nationalrats-
präsidentin. In der Koalition mit
den Freiheitlichen war sie für
Landwirtschaft, Tourismus und
Umwelt zuständig. In dieser
Funktion musste sie im Mai ein-
räumen, dass Österreich wegen
der Verfehlung seiner Klimazie-
le mit Straf- und Nachzahlungen
in Milliardenhöhe rechnen müs-
se. Man kann also davon ausge-
hen, dass die Grünen im Falle ei-
ner Regierungsbeteiligung den
Bereich Umwelt nicht länger der
ÖVP überlassen würden.
Auch die „Neuen“ im Ver-
handlungsteam, Margarete
Schramböck und August Wö-
ginger, werden in der kommen-
den Legislaturperiode wieder
zentrale Rollen spielen: Bei Wö-
ginger, der seiner Partei auch
als Sozialsprecher diente, steht
schon fest, dass er Fraktions-
chef bleibt. Und auch Schram-
böck, die das teilstaatliche
Kommunikationsunternehmen
A1 Telekom Austria leitete, be-
vor Kurz sie 2017 zur Wirt-
schaftsministerin machte,
scheint davon auszugehen, dass
sie dem Kabinett Kurz II wieder
angehören wird.
Geht es um Kurz’ innersten
Kreis, werden Schramböck und
Wöginger jedoch seltener ge-
nannt – ganz im Gegensatz zu
drei Herren, die im Hinter-
grund die Fäden ziehen: Kurz’
ehemaliger Kabinettschef Bern-
hard Bonelli hat laut „Kronen-
Zeitung“ bereits seinen Job in
der Übergangsregierung aufge-
geben, um wie vor zwei Jahren
die inhaltliche Koordination
der Regierungsgespräche zu
übernehmen.
Die parteiinterne Abstim-
mung orchestriert ÖVP-Ge-
schäftsführer Axel Melchior, die
Kommunikation nach außen
überwacht Kurz’ ehemaliger
Pressesprecher Gerald Fleisch-
mann. Er gilt als Erfinder jenes
strengen Kommunikationsre-
gimes, das auch jetzt dafür
sorgt, dass keine Silbe über die
Koalitionspräferenzen der Par-
teispitze nach außen dringt.

Ex-Kanzler
Sebastian Kurz
nimmt am
Donnerstag
ernsthafte
Sondierungs-
gespräche mit
den Grünen
auf

S

ebastian Kurz ist ein
RRRudeltier. Das sagt derudeltier. Das sagt der
Chef der österrei-
chischen Konservati-
ven gerne über sich selbst, und
viele, die ihn schon seit Jahren
beobachten, geben ihm recht.
Jedenfalls gilt das eingespielte
Team, das seinen Aufstieg zum
damals jüngsten Regierungschef
der Welt begleitet hat, als einer
der Schlüssel zu seinem Erfolg.
Es ist eine Gruppe von fast aus-
schließlich Männern zwischen
3 0 und 45: Juristen, Philoso-
phen, Kommunikationsexper-
ten. Kurz hat einige von ihnen
schon in der Jugendorganisati-
on der ÖVP kennengelernt, mit
den meisten arbeitet er zusam-
men, seit er 2011 als Integrati-
onsstaatssekretär sein erstes
Regierungsamt übernahm.


VON ELISALEX HENCKEL
AUS WIEN

Österreichische Medien nen-
nen diesen Machtzirkel „Kurz’
Küchenkabinett“, „die Kanzler-
macher“ oder seine „Apostel“,
während politische Gegner wie
Werner Kogler von den Grünen
bis vor Kurzem in Anspielung
auf die ÖVP-Parteifarbe über
die „türkise Schnöseltruppe“
lästerten. Der klare Sieg von
Kurz’ „neuer Volkspartei“ bei
der Wahl vor vier Wochen hat
diesem Team allenfalls eine kur-
ze Verschnaufpause beschert,
denn nun braucht der Chef ei-
nen Koalitionspartner. Der öf-
fentliche Druck, es erstmals mit
den Grünen zu versuchen, ist
groß, die inhaltlichen Gräben
zwischen den beiden Parteien,
die bei der Wahl zugelegt haben,
aber ebenso. Und die Grünen
selbst haben zwar Gesprächsbe-
reitschaft signalisiert, aber auch
klargemacht, dass es mit ihnen
nicht jene „ordentliche Mitte-
rechts-Politik“ geben werde, die
Kurz sich wünscht.
Alternativen hat Kurz zur
Zeit jedoch nicht: Die liberalen
Neos sind zu klein für eine
Zweier-Koalition, SPÖ und
FPÖ sind noch mit der Aufar-
beitung ihrer schweren Wahl-
schlappen beschäftigt und aus
den Sondierungsrunden ausge-
stiegen. Die FPÖ beteuert so-
gar, dass eine Regierungsbetei-
ligung erst dann wieder in Fra-
ge komme, wenn die Verhand-
lungen mit allen anderen ge-
scheitert seien.
Bleibt der Austausch mit den
Grünen, für den beide Seiten
bisher nur lobende Worte ge-
funden haben. Nach einem
Vier-Augen-Gespräch am
Dienstag werden die Partei-
chefs ab Donnerstag bis Ende
kommender Woche im baro-
cken Winterpalais des Prinzen
Eugen weiterverhandeln – dann
aber wieder in Begleitung ihrer
erfahrensten Mitstreiter.
Im Unterschied zu Grünen-
Chef Werner Kogler hat Kurz
drei Vertraute im Team, mit de-
nen er schon einmal eine Koali-
tion auf Bundesebene ausge-
handelt hat: Strategie-Berater
Stefan Steiner, Ex-Kanzler-


amtsminister Gernot Blümel
und Ex-Landwirtschaftsminis-
terin Elisabeth Köstinger stan-
den ihm schon während der
Gespräche mit der FPÖ vor
zwei Jahren zur Seite. Neu in
der Runde sind Ex-Wirtschafts-
ministerin Margarete Schram-
böck und August Wöginger, der
Fraktionschef und Sozialspre-
cher der ÖVP. Unter ihnen gilt
Steiner als der wichtigste Ein-
flüsterer von Kurz. Als Kurz
2011 Integrationsstaatssekretär
wurde, machte er den fließend
Türkisch sprechenden Juristen
zu seinem Büroleiter. Während
der Flüchtlingskrise im Jahr
2015 soll Steiner seinem Chef,
inzwischen zum Außenminis-
ter avanciert, zu jenem Kurs in
Asyl-, Migrations- und Integra-
tionsfragen geraten haben, der
Kurz auch international be-
kannt machte. Der Integrati-
onsexperte gilt aber auch als

Mastermind der lange vorbe-
reiteten Machtübernahme in
der ÖVP.
Nach Sebastian Kurz’ Einzug
ins Kanzleramt legte der dreifa-
che Vater Steiner alle offiziellen
Funktionen nieder und dient
seinem Regierungschef seither
als externer Berater. Der 41-Jäh-
rige beschreibt sich als libera-
len Pragmatiker und gläubigen
Katholiken, seine Funktion als
die eines „Sparringpartners“
für Kurz. „Wenn der Kanzler et-
was braucht, ruft er mich an,
auch weit nach Mitternacht“,
sagte er einmal dem „Kurier“.
Die ÖVP überweist dafür laut
Recherchen des „Falters“
33.000 Euro pro Monat an Stei-
ners Ein-Mann-Unternehmen.
Als im Mai das „Ibiza-Video“
die Korruptionsbereitschaft
von Kurz’ Koalitionspartner,
FPÖ-Chef Heinz-Christian
Strache, enthüllte, begleitete

Steiner seinen Chef zur Kon-
frontation mit Strache und dem
damaligen Innenminister Her-
bert Kickl. Steiner soll danach
für einen klaren Schnitt mit der
FPÖ plädiert haben, der nicht
nur Straches, sondern auch
Kickls Rücktritt beinhalte, und
damit den Bruch der Koalition
befördert haben. Als gut gilt da-
gegen Steiners Draht zum ehe-
maligen grünen Kommunikati-
onschef Lothar Lockl.
Der berät nicht nur den am-
tierenden Bundespräsidenten,
sondern wird auch als mögli-
cher Minister im Falle einer
grünen Regierungsbeteiligung
gehandelt.
In der Öffentlichkeit deutlich
präsenter als Steiner sind die
anderen Mitverhandler: Gernot
Blümel war als Kanzleramtsmi-
nister für die Europa-, Kultur-
und Medienpolitik zuständig
und Kurz’ engster Vertrauter in
der Regierung. Wenn es dem
Kanzler an Zeit oder Lust auf
Kritik mangelte, war Blümel
stets zur Stelle, um für ihn im
Parlament, in Brüssel oder in
Fernsehinterviews die Kasta-
nien aus dem Feuer zu holen.
Der studierte Philosoph und
Ökonom ist außerdem Chef der
Wiener Landespartei. In dieser
Funktion muss er nächstes Jahr
bei der Wien-Wahl die rot-grü-
ne Stadtregierung herausfor-
dern. Sollte er aus diesem
Grund auf Bundesebene eine
Neuauflage der Koalition mit
der FPÖ bevorzugen, hat er es
sich öffentlich nicht anmerken

DPA

/ HELMUT FOHRINGER

Wagt Kurz das


Experiment


Schwarz-Grün?


Ab heute verhandelt der ÖVP-Chef


mit den Grünen über eine Regierung


für Österreich. Der Erfolg hängt auch


von seinen engsten Beratern ab


18 REPORT DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT DONNERSTAG,31.OKTOBER

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