Süddeutsche Zeitung - 31.10.2019

(Chris Devlin) #1

Hate speech – seit Jahren wird diskutiert,
wiesich strafbare Hetze in sozialen Netz-
werken wie Facebook, Youtube oder Twit-
ter reduzieren ließe. Das Netzwerkdurch-
setzungsgesetz wurde beschlossen, und
seit einigen Monaten werden deutschland-
weit spezielle Einheiten bei Staatsanwalt-
schaften aufgebaut, die Online-Hetzer auf
die Anklagebank bringen sollen. Doch au-
ßerhalb der sozialen Netzwerke gibt es
noch ein anderes Netz an Seiten, auf denen
es viel extremer zugeht. Diese Internet-Fo-
ren tragen Namen wie 4chan, 8chan oder
Kiwi-Farms.
Antisemitismus, Rassismus, Homopho-
bie, Frauenfeindlichkeit und extreme Ge-
waltfantasien sind normal. Die Nutzer, die
hier schreiben, sind meist jung und männ-
lich. Nicht immer ist klar, was wirklich
ernst gemeint ist, doch Teile der Foren ha-
ben eindeutig ein geschlossenes ideologi-
sches Weltbild. Die Seiten ähneln sich in
Aufbau und Ästhetik, oft werden Bilder ge-
postet (und kommentiert), weshalb die Fo-
ren auch als „Image Board“ bezeichnet wer-
den. Moderiert oder gelöscht wird auf den
Seiten fast nichts.
Auch Stephan B., der Attentäter von Hal-
le, war offenbar in diesen Foren unter-
wegs. Nach allem was bisher bekannt ist,
führte er seine Tat zwar alleine aus, doch


schon die Sprache in seinem sogenannten
Manifest zeigt, dass er eingebettet ist in ei-
ner Szene ganz neuer Tätertypen.
Sein Vorhaben kündigt er in einem
Image Board mit dem Namen Meguca an.
Um 11.57 Uhr postet er dort am Tag der Tat
einen Link zu dem Account, auf dem er sei-
ne Verbrechen live im Internet überträgt.
Das zeigen archivierte Kopien des Posts.
Im Livestream begrüßt B. die Zuschauer
kurze Zeit später mit den Worten: „Hallo,
mein Name ist Anon. Und ich glaube, dass
der Holocaust niemals stattgefunden hat.“

Den Nutzern von Meguca ist damit sofort
klar, dass sie es mit einem Gleichgesinnten
zu tun haben. Wenige Stunden nach der
Tat, als Medien seinen Namen veröffentli-
chen, betiteln die Forennutzer Stephan B.
als „Saint“, als Heiligen. Und sie stellen ihn
in eine Reihe mit anderen rechten Attentä-
tern wie die Todesschützen von Christ-
church oder El Paso oder den norwegi-
schen Massenmörder Anders Breivik.
Die Szene der Image Boards funktio-
niert sehr anders als die rechtsextremer

Gruppen wie Combat 18. Die Ermittler
stellt das vor drei große Probleme – was
vielleicht auch erklärt, warum sie sich so
schwertun mit dem Typus von Tätern wie
Stephan B. oder dem Terroristen, der die
Moschee in Christchurch angegriffen hat.
Der hatte auf 8chan sein sogenanntes Ma-
nifest veröffentlicht.
Das erste Problem liegt schon darin,
dass die Szene der Foren groß und unüber-
sichtlich ist. Als neuseeländische Telefon-
unternehmen nach dem Anschlag von
Christchurch den Zugang zu 8chan sperr-

ten, wichen die Nutzer einfach auf andere
Foren aus. Das Forum Meguca.org, auf
dem Stephan B. seine Tat offenbar ankün-
digte, war selbst Szenekennern kein Be-
griff. Zudem sind längst nicht alle Teile der
Foren rechtsextrem oder auch nur poli-
tisch. Auf 4chan, dem am ältesten Image
Board, finden sich auch Unterforen zu Rei-
sezielen oder japanischen Animes.
Das zweite Problem für die Ermittler ist
die Anonymität der Seiten. Fast jeder Nut-
zer postet hier unter dem Namen „Anony-
mous“. Profile mit persönlichen Informati-

onen, wie sie auf Facebook üblich sind, ha-
ben die Nutzer nicht. Die Betreiber der
Image Boards inszenieren sich gerne als
Anhänger einer radikal-libertären Idee
von Redefreiheit und versprechen, keine
Daten an Strafverfolgungsbehörden zu
übermitteln. Tatsächlich heißt es von deut-
schen Ermittlern, dass man in der Vergan-
genheit nur in Einzelfällen Daten über Nut-
zer von Image Boards erhalten habe. Er-
schwerend kommt hinzu, dass die Betrei-
ber meist im Ausland leben.
Das dritte und vielleicht größte Pro-
blem für die Ermittler ist jedoch die Spra-
che der Szene. Die Nutzer kommunizieren
in einem ganz eigenen Slang, der für Au-
ßenstehende kaum zu verstehen ist. Häu-
fig deuten sie Ausdrücke aus der Netzkul-
tur in ihrem Sinne um. So liest man in letz-
ter Zeit häufig, dass man auf Electric Boo-
galoo warte – der Name des zweiten Teils
eines Hip-Hop-Films aus den Achtzigerjah-
ren. Im Kontext der Image Boards meint
Boogaloo allerdings einen zweiten Teil des
amerikanischen Bürgerkriegs.
Für Miro Dittrich von der Amadeu Anto-
nio Stiftung gegen Rassismus und Antise-
mitismus ist diese Sprache eine Konse-
quenz der ideologischen Ausrichtung der
Nutzer von Image Boards. „Diese Szene
möchte sich als Elite gegenüber anderen

rechten und rechtsextremen Online-Sze-
nen fühlen“, sagt Dittrich. Es gehe darum,
nicht nur zu reden, sondern zur Tat zu
schreiten. Die Boards trügen entscheidend
zur „Legitimierung von Gewalt“ bei. Auch
die Sicherheitsbehörden merken inzwi-
schen, dass sie sich nicht nur soziale Netz-
werke wie Facebook anschauen sollten,
sondern auch die Image Boards. Anders als
Facebook allerdings trifft etwa 8chan
nicht das Netzwerkdurchsetzungsgesetz;
die Betreiber können also nicht mit hohen
Geldstrafen verfolgt werden, wenn sie
strafbare Inhalte durchlaufen lassen.
Und trotz aller extremer Inhalte stehen
die Ermittler stets vor der Frage: Ist das
wirklich ernst gemeint, was da zu lesen ist?
Mit nur wenigen Klicks lassen sich auf den
Seiten weiterhin Nutzer finden, die Amok-
läufe und den Mord an Juden verherrli-
chen. Doch sind die Autoren potenziell
Mörder? Für Dittrich darf das die Ermittler
nicht davon abhalten, sich die Szene in Zu-
kunft genauer anzuschauen. Allein schon
wegen der Vernetzung und des Inhalts der
Boards spricht er von „organisiertem Ter-
rorismus“. Nach Anschlägen wie in Halle
beobachtet er: „Die Debatte in den Boards
ist nicht, ob so etwas noch mal passieren
wird, sondern die Frage, ‚wie können wir
es besser machen?‘.“ max hoppenstedt

von georg mascolo
und ronen steinke

I


n den Referaten 5 und 5a der Bundes-
anwaltschaft herrscht in diesen Ta-
gen Hochbetrieb, die Vorbereitun-
gen für gleich zwei Anklagen wer-
den getroffen. Die für Rechtsterroris-
mus zuständigen Strafverfolger wollen
noch bis zur Jahreswende das Ermittlungs-
ergebnis gegen Stephan E. zu Papier brin-
gen, den mutmaßlichen Mörder des Kasse-
ler Regierungspräsidenten Walter Lübcke.
Parallel laufen die Vorbereitungen im Fall
Stephan B., der ein Massaker in der Synago-
ge in Halle anrichten wollte, zwei Men-
schen erschoss und zwei weitere verletzte.
Beide Fälle gelten juristisch als ver-
gleichsweise unkompliziert. Die Täter ha-
ben ein umfassendes Geständnis abgelegt,
Stephan B. in Halle tat dies vier Stunden
lang vor dem Ermittlungsrichter, er nann-
te sich einen „unzufriedenen weißen
Mann“ und brachte es fertig, Juden für al-
les verantwortlich zu machen. Irgendwie
sogar dafür, dass er keine Frau gefunden
habe. Mitleid hatte er für sich selbst, er sei
ein Versager und habe es nicht geschafft,
dass die Polizei ihn erschießt.
Der mutmaßliche Mörder von Walter
Lübcke, Stephan E., redete sogar mehr als
acht Stunden mit der Polizei, es existiert
ein Video, es ist eine regelrechte Lebens-
beichte. Die Behauptung, er sei von den
Beamten unter „Druck“ gesetzt worden,
hält er nicht mehr aufrecht. Auch die Erklä-
rung, er habe bei der Aussage unter Psycho-
pharmaka der Marke Tavor gestanden, gilt
inzwischen durch die Vernehmung der An-
staltsärztin als widerlegt.


Alles geklärt also? Bei den Terrorermitt-
lern in Karlsruhe werden zumindest keine
besonderen Schwierigkeiten erwartet, kei-
ne langwierigen Prozesse mit monatelan-
ger Beweisaufnahme. Für alle anderen Si-
cherheitsbehörden haben die Probleme
nach den beiden Taten allerdings erst be-
gonnen. Es herrscht, wie es ein Ermittler
einräumt, „die große Ratlosigkeit“ und ei-
ne wachsende Beunruhigung.
Denn beide Verdächtige standen vor
den Morden unter keinerlei Beobachtung,
gegen keinen wurde ermittelt. Polizei und
Nachrichtendienste hielten sie für keine
Bedrohung, die Ermittler wurden von bei-
den Männern kalt erwischt. Ihre Karriere
und Vita sind so unterschiedlich, dass sich
auch daraus kein Muster ergibt. Der mut-
maßliche Mörder von Walter Lübcke hatte
zahlreiche Vorstrafen, noch 2009 hielt ihn
der Verfassungsschutz in Hessen für einen
„brandgefährlichen“ Neonazi. Aber in den
Jahren danach galt er als jemand, der sich
aus der Szene gelöst hat. Mit festem Ar-
beitsplatz, Frau und Kindern. Die Behör-
den waren beruhigt, sie schauten nicht
mehr intensiv hin.
Dass er anhand einer noch aus früheren
Zeiten vorliegenden DNA-Probe überführt
werden konnte, war pures Glück. Eigent-
lich lag die Spurenakte bei der hessischen
Polizei schon auf dem Stapel der zu ver-
nichtenden Dossiers. Nur weil sich die Ar-
beit verzögerte, war sie nach dem Mord an
Walter Lübcke noch verfügbar. Auf Glück
will das Bundesinnenministerium sich in
Zukunft nicht mehr verlassen, das ist eine
erste Konsequenz aus diesem schreckli-


chen Fall: Dossiers über Extremisten sol-
len länger gespeichert werden, gerade
wird eine Verlängerung der Löschfrist von
zehn Jahren auf 25 Jahre geprüft.
Der Synagogen-Attentäter Stephan B.
aus Halle indessen fiel von vornherein nie
auf, weder in seiner Zeit bei der Bundes-
wehr, wie Befragungen des Militärischen
Abschirmdienstes ergaben, noch danach.
In den Computern von Polizei und Nach-
richtendiensten fand sich nichts über ihn,
er war „komplett unter dem Radar“, wie
ein Ermittler sagt, ein unbeschriebenes
Blatt selbst für Verfassungsschützer. So
macht dieser Fall den Sicherheitsbehör-
den nun noch viel mehr Sorgen.
Zu dem mutmaßlichen Mörder von Wal-
ter Lübcke wurden inzwischen sogar abge-
schaltete Quellen des Verfassungsschut-
zes befragt. Man will herausfinden, was
man übersehen hat. In einer Großaktion
wurden zudem weitere vermeintlich aus
der Szene ausgestiegene rechte Gewalttä-
ter überprüft – man suchte nach einem
Muster. Heraus kam, wie Verfassungs-
schutzpräsident Thomas Haldenwang un-

längst nach Berlin meldete, nichts. Das ist
ein dramatisches Eingeständnis.
Es ist offen, wie es nun weitergeht, es be-
ginnt eine dringende Suche nach neuer Ori-
entierung. Man wird künftig anders, ge-
nauer hinsehen müssen im rechten Spek-
trum, so viel ist klar. Dazu gehört die Idee,
alle Waffenbesitzer vorsorglich mit einer
sogenannten Regelanfrage beim Verfas-
sungsschutz zu überprüfen, wie es das Ka-
binett am Mittwoch beschlossen hat. Rei-
chen wird das aber nur, wenn die Sicher-
heitsbehörden überhaupt überblicken,
was für eine Gefahr von Männern wie Ste-
phan E. und Stephan B. ausgeht.
Beide mutmaßlichen Attentäter hatten
nach eigenen Angaben schon seit langer
Zeit einen Tatplan. Stephan E. will nach
der inzwischen berühmt gewordenen Re-
de Lübckes bei einer Bürgerversammlung
im Jahr 2015 „fassungslos“ gewesen sein
„und einen Hass bekommen“ haben. Er
fuhr mindestens einmal bewaffnet zu Lüb-
ckes Haus. Gleichzeitig will der Synagogen-
Attentäter Stephan B. schon nach den Mor-
den im neuseeländischen Christchurch im

März entschlossen gewesen sein, etwas
Ähnliches anzurichten. Er hetzte im Netz,
in anonymen Chats auf Plattformen wie
8chan, und er kündigte seine Tat wenige
Minuten zuvor in einem obskuren Forum
namens Meguca an, in einer Welt, die vie-
len Ermittlern fremd ist. Soziale Netzwer-
ke wie Facebook und Twitter sollen jetzt
zwar verpflichtet werden, schärfer hinzuse-
hen. Sie sollen Volksverhetzung und Belei-
digung zentral an das Bundeskriminalamt
melden, so hat es die Bundesregierung ge-
rade beschlossen. Die dunkle Welt von
8chan und Co. durchdringt man damit
aber noch nicht.
Auf einer Sitzung der Generalstaatsan-
wälte wurde jüngst bereits deutlich, wie
gründlich die Sicherheitsbehörden alles
neu bewerten, was mit der Gefährlichkeit
von Rechtsextremen zu tun hat. Es gibt al-
len Grund dazu. Nur 43 Rechtsextremisten
werden mit Stand vom 15. Oktober von den
Polizeien als sogenannte Gefährder einge-
stuft, das heißt, aus Sicherheitsgründen
überwacht. Der Staat kontrolliert diese Per-
sonen, denen er Terrortaten zutraut, teils

mit großem Aufwand, er hört ihre Telefone
ab, observiert sie im Extremfall auch rund
um die Uhr. 43, das ist eine äußert niedrige
Zahl, im Bereich des Islamismus hat der
Staat knapp 700 Personen auf dem
Schirm. 43, das ist offensichtlich zu wenig,
der mutmaßliche Täter von Kassel war
nicht unter den Überwachten, der mut-
maßliche Täter von Halle auch nicht.
Klar ist, dass die Behörden noch viel
mehr Rechtsextreme ins Visier nehmen
könnten, wenn sie sich dies vornehmen
würden. Der Begriff des Gefährders ist
nicht juristisch definiert, es liegt allein an
der Polizei, wen sie darunter fasst. Die
Ermittler könnten mehr Personen in diese
Überwachung mit hineinnehmen, allein in
Berlin zum Beispiel stehen etwa 160
Rechtsextremisten in der Gewalttäterdatei
der Polizei, das ist der harte Kern der Sze-
ne. Und es gibt auch noch andere, längere
Listen, von mehr als 12 000 gewaltorien-
tierten Rechtsextremisten spricht zum Bei-
spiel das Bundesamt für Verfassungs-
schutz. Warum beobachtet man nur 43 von
ihnen auf die Gefahr von Anschlägen hin?

Wo zieht man die Grenze?
Im Kern der aktuellen Debatte unter
den Sicherheitsbehörden steht eine schwie-
rige Erkenntnis. Würden die Behörden an
die Gefährlichkeit von Rechtsextremen die-
selben strengen Maßstäbe anlegen wie an
die Gefährlichkeit von Islamisten, dann lä-
ge die Zahl längst viel höher als 43. Obwohl
dem Rechtsstaat eigentlich egal sein sollte,
welcher Couleur die Extremisten sind, von
denen eine Gefahr ausgeht, schreitet er bei
Rechten bislang nicht so früh ein.
Lange nahm man an, dass von Rechtsex-
tremen nicht dieselbe Gefahr der Terror-
taten im großen Stil ausgehe wie von Dschi-
hadisten. Spätestens nach Halle ist man da-
bei, diese Annahme zu revidieren. Aber
selbst wenn die Zahl der als Gefährder
eingestuften Rechtsextremen inzwischen
praktisch jede Woche steigt, kann man
nicht sicher sein, dass man damit auch die
Täter von morgen auf dem Schirm hat.

So ist das Schreckensszenario der
Sicherheitsbehörden in diesen Tagen, dass
es nicht bei den beiden Fällen bleibt. Der
Druck der Politik ist groß, die Sorge der
Verantwortlichen in den Sicherheitsbehör-
den auch. Verfassungsschutzchef Halden-
wang sagte demSpiegel, es sei „fast schon
ein internationaler Wettbewerb“ unter
Rechtsextremisten ausgebrochen, es brau-
che keine „tiefe Ideologie“ mehr, es reich-
ten Emotion, Hass, Hetze und „dieses Sich-
Aufpeitschen im Netz“. Wie findet man her-
aus, wer im Netz seine Worte ernst meint –
und wer sich nur wichtigmacht?
Mit einem Bündel an Maßnahmen soll
die Suche nach potenziellen Rechtsterroris-
ten nun verstärkt werden, gezieltere Über-
wachung im Internet, die verstärkte Über-
wachung von bekannten Gewalttätern,
null Toleranz innerhalb der Justiz, auch bei
kleineren Delikten. So wie in den vergange-
nen Jahren die Abteilungen für die Be-
kämpfung des islamistischen Terrorismus
ausgebaut wurden, so gehen jetzt Geld und
Personal in die für rechts zuständigen
Staatsschutzstellen.
Nur wonach sie suchen sollen, ist un-
klar. Das Bundeskriminalamt will ein Com-
puterprogramm zur Bewertung der Ge-
fährlichkeit von Rechtsextremisten entwi-
ckeln, ähnlich dem für Islamisten benutz-
ten Programm Radar. Dort müssen die
Ermittler 72 Fragen beantworten, nach Vor-
strafen, Erfahrungen mit Waffen, Famili-
ensituation, psychischen Erkrankungen,
am Ende stehen eine Gesamtpunktzahl
und ein Farbcode: Rot steht für die höchste
Gefährlichkeit. Auf die rechte Szene lässt
sich dieses Schema aber nicht einfach über-
tragen, die einzelnen Faktoren könnten
dort ein ganz anderes Gewicht haben.
Rechtsextremisten fahren nicht nach Sy-
rien oder in den Irak, was man überwachen
kann. Sie kommunizieren auch nicht mit
dem sogenannten Islamischen Staat, was
vor allem mithilfe der US-Geheimdienste
ebenfalls feststellbar war. Rechtsextremis-
ten tummeln sich in einschlägigen Foren,
dies tun jedoch Tausende. Wer aber ent-
scheidet sich dann zur Tat? Wie würde
man einen der beiden Täter – Kassel oder
Halle – mit Radar-Rechts finden? Es fehlt
bislang an klaren Parametern.
Nach Kassel und Halle sei klar gewor-
den, „dass wir die Nadel im Nadelhaufen
suchen“, sagt ein Ermittler.

In einer Großaktion wurden
vermeintlich ausgestiegene
rechte Gewalttäter überprüft

Facebook will deutsche Staatsanwälte
und Polizisten bei der Suche nach Verfas-
sern strafbarer Beiträge besser unterstüt-
zen. Nach Informationen derSüddeut-
schen Zeitungsagte der Konzern demBun-
desinnenministerium andiesem Mittwoch
zu,aufAnfragen imBereich Hasskriminali-
tät deutlich schneller zu reagieren. Dazu
will der Konzern eigenen Angaben zufolge
seine internen Prozesse ändern. Anfragen
sollen nun innerhalb weniger Tage beant-
wortetwerden. Sokönnten Facebook-Nut-
zer, die volksverhetzende Inhalte gepos-

tet, den Holocaust geleugnet oder Haken-
kreuze veröffentlicht haben, schneller
identifiziert werden. Bisher gab der Kon-
zern Ermittlern meist keine direkte Aus-
kunft. „Zukünftig werden wir die deut-
schen Strafverfolgungsbehörden bei Aus-
kunftsersuchen zu Hasskriminalität nicht
länger an das internationale Rechtshilfe-
verfahren MLAT verweisen“, erklärte eine
Facebook-Sprecherin. Dieses Verfahren
ziehtsich oft überMonate hin.DasBundes-
innenministerium bestätigte die Ankündi-
gung von Facebook. HPP

Es ist, sagt ein Ermittler,
wie die Suche nach
der Nadel im Nadelhaufen

Galt bereits als „brandgefährlich“, dann verloren die Ermittler ihn aus den Augen: der mutmaßliche Lübcke-Mörder Stephan E. nach seiner Festnahme. DECK/DPA

Wider die Hetze


2 THEMA DES TAGES Donnerstag/Freitag, 31. Oktober/1. November 2019, Nr. 252 DEFGH


Kalt erwischt


Der Mord an Walter Lübcke, die Schüsse vor der Synagoge von Halle – die Täter hatte keiner im Visier.
Jetzt wollen die Sicherheitsbehörden bei den Rechten genauer hinschauen. Fragt sich nur, wie

Viele Foren sind
nur einemkleinen Kreis
von Insidern bekannt

43 Rechtsextremisten gelten als so gewaltbereit, dass die Sicherheitsbehörden sie besonders überwachen. Nur 43.


Bei den Islamisten sind es dagegen fast 700. Spiegelt das Verhältnis wirklich die reale Bedrohung wider?


RECHTE GEFÄHRDER


In aller Offenheit


Extremisten nutzen Foren im Internet, um sich auszutauschen oder gar Verbrechen anzukündigen. Sie können das, weil Ermittler die Sprache der Szene oft nicht verstehen

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