von julia hippert und helena ott
N
ori steigt widerwillig in den
schwarzen Toyota Tundra
XXXL auf dem Gehweg. Die Mo-
torhaube glänzt in der Sonne.
Betont gelangweilt guckt der
blonde Junge über das Lenkrad. Sein Groß-
vater, Wolfgang Drescher, weiße Haare,
blaue Handwerkerhose, steht mit leuchten-
den Augen daneben. „Na Nori, wie gefällt
dir der?“, fragt er erwartungsvoll. Von Nori
kommt: nichts. „Heute keine Sprechstun-
de, was?“, schäkert der Großvater. 50 Kilo-
meter ist der 66-jährige Gas- und Wasserin-
stallateur an diesem Samstagmorgen nach
Hildesheim gefahren, um seinem Enkel ein
Auto zu kaufen. Nori ist gerade sechs gewor-
den und vor Fremden ein wenig scheu.
Neben dem Jungen und seinem Opa
steht in abgeklärter Verkäuferpose Kinder-
autohändler Andreas Albe. Den Arm hat er
in die Hüfte gestemmt, das hellblaue
T-Shirt steckt in der Jogginghose. „Zwei
mal 200 Watt Leistung, 24 Volt-Batterie,
EAV-Reifen, echte Autolackierung und
Kunstledersitze“, referiert er. Der Toyota
ist das größte Modell, das Albe derzeit in sei-
nem Laden hat. Daneben funkeln ein indi-
goblau lackierter Mercedes SUV und ein
Roadster McLaren mit Schwungtüren. Der
Akku der kleinen Elektromobile hält 45 bis
90 Minuten, nach etwa zwölf Stunden Lade-
zeit an der Haushaltssteckdose.
Auf dem Hildesheimer Gehweg ist alles
etwas kleiner als auf der Straße, aber egal:
Das erste eigene Auto! Für viele ist das ein
Moment, der sich nach Freiheit, Erwachsen-
sein und Rebellion anfühlt – trotz Klima-
protesten, SUV-Bashing und Carsharing.
Es ist erstaunlich: Warum gibt es gerade
jetzt immer mehr Kindergarten- und
Grundschulkinder, die mit elektrischen
Mini-SUVs beschenkt werden?
Die seifenkistengroßen Plastikmobile
haben kleine Motoren und werden per Bat-
terie angetrieben. Drei- bis Achtjährige kön-
nen je nach Größe auf den sportlich ge-
schnittenen Autositzen Platz nehmen. Sie
können lenken, zwischen drei Gängen hin
und her schalten und das Radio anknipsen.
Das war’s an Bewegung. Statt sich mit dem
Kettcar die Einfahrt hochzukämpfen oder
mit dem Laufrad taumelnd Balance zu fin-
den, können sich Kinder hier entspannt im
Sitz zurücklehnen.
Eine Forschergruppe aus Sportpädago-
gen und Ernährungswissenschaftlern ist
nicht begeistert: Deutsche Kinder bewegen
sich viel zu wenig. In ihrer Studie „Bewe-
gungszeugnis“ haben sie Deutschland
2018 eine Vier minus gegeben. Nicht ein-
mal jedes fünfte Kind würde die Empfeh-
lung der Weltgesundheitsorganisation
(WHO) einhalten, sagt Ernährungswissen-
schaftlerin Antje Hebestreit vom Leibniz-
Institut für Präventionsforschung und Epi-
demiologie in Bremen, die an der Studie be-
teiligt war. Nach Angaben der WHO brau-
chen Kinder mindestens eine Stunde „mo-
derate“ oder „intensive körperliche Aktivi-
tät pro Tag“, sagt Hebestreit. „Also Bewe-
gung, sodass man ins Schwitzen kommt
und der Puls hochgeht.“
Im Phänomen Kinderautos sieht sie ein
weiteres Spielgerät, das Kinder davon ab-
hält, sich zu bewegen. Mit Videospielen
möchte sie die Autos aber nicht verglei-
chen. „Computerspiele sind besonders
krass, sie ziehen teilweise so rein, dass es
schon bei Grundschulkindern zu Sitzzeiten
von zwei Stunden kommen kann.“ Dass Kin-
der mehr als 30 Minuten in einem Elektro-
auto sitzen bleiben, hält Hebestreit für un-
wahrscheinlich, zu wenig Action, zu lang-
weilig. „Jedes Kind hat einen natürlichen
Bewegungsdrang“, sagt sie. Für Kinder sei
Bewegung aber nicht nur für die körperli-
che, sondern auch für die soziale und kogni-
tive Entwicklung sehr wichtig. „Nur wenn
sie ihre Umgebung mit den Händen greifen
und zum Beispiel rausgehen und klettern,
können sie auch räumliches Denken ler-
nen“, sagt Hebestreit. Das Spielen mit ande-
ren sei zudem das beste Training für die
Entwicklung von Sozialverhalten.
Dass seine Autos Bewegung verhindern,
davon möchte Andreas Albe in Hildesheim
nichts wissen. „Das ist doch total die Er-
wachsenenperspektive“, sagt er. Die Kin-
der würden schließlich nicht primär fah-
ren, sondern mit den Autos spielen. „Da
muss der Teddy eingeladen werden, man
klettert ja auch rein und raus“, sagt Albe
und fachsimpelt weiter mit Opa Wolfgang
Drescher, ob es sich bei EAV-Reifen nun um
Gummi oder Kunststoff handelt, der Enkel
steht stumm daneben. Als Albe aber die
Steuerung freischaltet und der Geländewa-
gen unter seinem Sitz anfährt, blitzt dem
blonden Jungen dann doch ein Lächeln
über die Wangen, und er rollt los.
Zuvor hat Albe das Gefährt vorgeführt,
ohne Kind auf dem Sitz – und per Fernbe-
dienung. Er steuerte den Toyota den Bord-
stein hinauf und herunter und lenkte dann
den Geländewagen mit LED-Scheinwer-
fern rückwärts zwischen den Ladenbesu-
chern durch. Sind die Autos am Ende nur
ein ferngesteuertes Spielzeug für Eltern?
Branchenvertreter betonen, dass die Fern-
bedienung eigentlich nur dazu da sei, im
Notfall einzugreifen. „Das ist schon wich-
tig, wenn der Lüttsche mal auf eine Garten-
mauer zufährt“, sagt Autohändler Albe.
Zugelassen sind die Mini-Autos nur auf
Privatgrund. „Für diese Kraftfahrzeuge
bräuchte man eigentlich einen Führer-
schein, weil sie motorisiert sind“, sagt Ron-
ny Ledwoch, Sprecher des Münchner Poli-
zeipräsidiums. Die geringe Geschwindig-
keit sei dabei unerheblich. In der Realität
sieht man die kleinen Elektromobile aber –
zumindest in kleineren Städten – immer
wieder auf Gehwegen und in Parkanlagen.
Auch beim Umsatz scheint die Gesetzes-
lage keine Rolle zu spielen. Der Händler Mi-
weba aus Breitengüßbach hat 2014 rund
1200 Autos verkauft, 2018 waren es schon
mehr als zwanzig Mal so viele. Ein Händler
aus Nürnberg gibt an, dass sich sein Um-
satz im Jahr 2019 im Vergleich zum Vorjahr
verdoppeln wird.
Dabei ist der gesellschaftliche Trend ge-
rade genau gegenläufig, sagt Sybille Dorn-
dorf, Chefredakteurin des Fachmagazins
Toys, die den Spielemarkt seit Jahrzehnten
beobachtet. Für Spielwaren werde zwar im-
mer mehr Geld ausgegeben, aber ein Groß-
teil der Eltern besinne sich auf „pädago-
gisch wertvolles“ Spielzeug, sagt sie. „Passi-
ve Spielgeräte“, die zu viel vorgeben, wür-
den Eltern vermehrt ablehnen. Der Trend
gehe zu bunten Holzklötzchen mit Natur-
lack, aus denen sich Kinder ihre eigene Fan-
tasiewelt bauen können.
Die Preisschilder in Albes Laden fangen
bei 250 Euro an. „Die dürfen ja auch nicht
untermotorisiert sein“, sagt er. Für Kinder
über drei Jahren empfiehlt er mindestens
zwei Mal 45-Watt-Motoren und einen Zwei-
sitzer, wegen mehr Beinfreiheit. Die Gro-
ßen wie der Toyota Tundra kosten von
500 Euro aufwärts. Leben kann Albe vom
Verkauf der Kinderautos nicht, er arbeitet
40 Stunden pro Woche für den lokalen Ent-
sorgungsbetrieb. Aber im Frühjahr will er
eine neue Halle mieten. Seine Autos will er
dann auf mehr als 300 Quadratmetern aus-
stellen. Inklusive Teststrecke.
Für Spieleexpertin Dorndorf sind die Au-
tos ein „typisches Vätergeschenk“, von
Männern, die so etwas früher auch gern ge-
habt hätten und dann auch selbst damit
spielen. Mittlerweile seien Weihnachtsge-
schenke von 120 bis 200 Euro pro Kind
nicht unüblich. Auch hier klaffe die Schere
zwischen Arm und Reich auf: Während die
einen nicht mal das Geld für die Schulsa-
chen ihrer Kinder zusammenkriegen, kau-
fen die anderen kleine BMWs mit echter La-
ckierung und eingebautem Radio.
Chinesische Fabrikanten fertigen die
Elektromobile nach Vorgaben der deut-
schen oder amerikanischen Automarken
und bezahlen für Lizenzen. „Oft ist es so,
dass die Automarken auf die Hersteller der
Kinderautos zugehen, dass die Miniaturen
zeitgleich auf den Markt kommen“, sagt
Michael Weichert, Geschäftsführer des
Kinderautohändlers Miweba. Pro Stück be-
kommen die Autokonzerne acht bis zwölf
Prozent von den Kinderautoherstellern.
Großvater Wolfgang Drescher ist einer
der leichteren Kunden, er kann seine eige-
ne Begeisterung für die Mini-Luxuskarren
schwer verbergen. Doch als Andreas Albe
den Preis nennt, rollt er dann doch kurz mit
den Augen. „Aber“, sagt Albe. Vernünftige
Qualität würde sich bei den Autos absolut
rechnen. Damit hat er ihn. Wolfgang Dre-
scher blättert die mitgebrachten Scheine
nacheinander auf Albes Tresen. 578 Euro.
von jan schmidbauer
D
er Dodge Ram 1500 ist eines der
Autos, mit denen der amerika-
nisch-italienische Konzern Fiat
Chrysler sein Geld verdient: 5,8 Meter
lang und gut 2500 Kilo schwer. Sein
5,7-Liter-Motor leistet 401 PS und hat ei-
nen entsprechenden Durst. Mit 15 Litern
auf 100 Kilometern sollte man rechnen.
In den USA verkauft sich das Auto prima,
vor allem dank einer Eigenschaft: Größe.
Auf Größe setzt Fiat Chrysler aber
nicht nur bei seinen Autos für den US-
Markt, sondern auch ganz allgemein.
Noch immer sucht das Unternehmen
nach einem Partner, um gemeinsam ei-
nen der weltgrößten Autokonzerne zu for-
men. Im Mai hatte Fiat Chrysler es beim
französischen Hersteller Renault ver-
sucht, musste den Plan aber schon einen
Monat später wieder aufgeben. Jetzt, ge-
rade einmal vier Monate später, folgt der
nächste Versuch. Fiat Chrysler verhan-
delt mit dem französischen Peugeot-Mut-
terkonzern PSA, zu dem auch Opel
gehört, über einen Zusammenschluss.
Doch der Plan ist auch diesmal alles ande-
re als überzeugend. Denn Größe ist nicht
alles.
Auf den ersten Blick mag das Vorha-
ben vielleicht sinnvoll erscheinen. Ein
amerikanisch-italienisch-französischer
Autogigant, der seine Entwicklungen
gleich für mehrere Modelle und Marken
nutzen kann, kann die Entwicklungskos-
ten stärker umlegen. So wird jedes Auto
ein bisschen günstiger und damit konkur-
renzfähiger. Das war schon das Mantra,
das der inzwischen verstorbene Fiat-
Chrysler-Chef Sergio Marchionne aus-
gab, als er 2015 eine legendäre Präsentati-
on hielt. Titel: „Bekenntnisse eines Kapi-
talsüchtigen“.
Doch Märkte haben sich verändert. Es
geht nicht nur darum, wer der Größte ist
in der Welt der Autos. Es geht jetzt auch
und vor allem darum, wer die überzeu-
gendsten und schnellsten Lösungen lie-
fert, um den Klimawandel zu bremsen,
und die Wünsche junger Leute erfüllt, für
die Autos kein Statussymbol mehr sind
und die es nicht mehr besitzen wollen.
Fiat Chrysler ist bei den Themen Elek-
trifizierung und Mobilität noch weiter
hintendran, als die deutschen Hersteller
es lange waren. Der Konzern hat nach An-
sicht von Experten bis heute keine nen-
nenswerte Elektrostrategie. Durch eine
Kooperation mit dem PSA-Konzern, der
weiter ist, könnte man Know-how gewin-
nen. Doch das große Problem ist: Dafür
bliebe bei so einem Zusammenschluss
erst mal keine Zeit und Energie.
Eine Fusion, bei der französische, itali-
enische, amerikanische und auch deut-
sche Interessen abgewogen werden müs-
sen, ist eine gigantische Kraftanstren-
gung. Bevor auch nur ein gemeinsames
E-Auto vom Band rollt, müssen etliche
Entscheidungen getroffen werden: Wel-
che Werke sollen bleiben, welche nicht?
Wo bündelt man die zukunftsfähigen Be-
reiche? Wo produziert man die Autos, die
bald vielleicht keiner mehr braucht? Und
- auch das ist bei Fusionen immer ein
Thema – wo fallen Arbeitsplätze weg?
Der geplante Zusammenschluss mit
Renault scheiterte im Ansatz, vermutlich
auch an solchen Fragen. Dass Fiat Chrys-
ler trotzdem weitermacht mit der Part-
nersuche, zeugt nicht nur von Hartnäckig-
keit, sondern auch von Verzweiflung. Der
PSA-Konzern sollte sich gut überlegen,
ob er da mitmachen möchte. Zwar könnte
Konzernchef Carlos Tavares sein Ziel, auf
dem US-Markt stärker zu werden, ge-
meinsam mit Fiat Chrysler leichter errei-
chen. Doch in Sachen Elektroautos käme
er so nicht viel weiter. Hier macht derzeit
ausgerechnet VW und dessen Chef Her-
bert Diess vor, wie es gehen könnte. Er
hat die Zeichen der Zeit erkannt und setzt
voll auf das Elektroauto. Es ist der besse-
re Weg, als sich mit Fusionen zu überneh-
men, die mehr Probleme als Nutzen brin-
gen können.
DEFGH Nr. 252, Donnerstag/Freitag, 31. Oktober/1. November 2019 23
WIRTSCHAFT
Gelogen wird im Büro täglich. Die Frage ist:
Wasist erlaubt, was ist fragwürdig –
und welche Lügen schaden der Firma? Seite 25 Der Verleger Michael Faber übers
Prassenohne Geld und das
schöne Leben ohne Bank Seite 32
Jan Schmidbauer fährt
einen Oldtimer– der ist
älter als er selbst.
Weil Frauen oft deutlich weniger
verdienen, droht ihnen Altersarmut –
doch das lässt sich ändern Seite 24
Unabhängig mit 65
Der sechsjährige Nori aus Niedersachsen bei der Probefahrt mit dem neuen Toyota Tundra XXXL. FOTO: RICHARD HEINICKE
Mit Karacho
in die Kita
Elektroautos für Kinder sind ein glänzendes Geschäft.
Davon profitieren auch die Konzerne.
Schließlich spielen hier die Kunden von morgen
„Toller Vortrag!“
Reden wir über Geld
AUTOKONZERNE
Größe ist
nicht alles
Gefragt sind Antworten auf
den Klimawandel und Städte,
die vor dem Kollaps stehen
Spieleexperten haben eine
einfache Erklärung:
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