Süddeutsche Zeitung - 31.10.2019

(Chris Devlin) #1
von christiane lutz

D


ie Wegweiser im Ostbahnhof
sind schon entfernt. Wo vor
Kurzem auf den Böden noch
große „Amélie“-Aufkleber
den Weg Richtung Werk 7 wie-
sen, ist jetzt Werbung für den Musicalieb-
ling der Deutschen „Der König der Löwen“
angebracht. Obwohl der nicht nach Mün-
chen kommt, er ist nach wie vor im prächti-
gen Theater am Hamburger Elbstrand zu
sehen. Mit „Die fabelhafte Welt der Amé-
lie“ jedenfalls war am 27. Oktober Schluss.
Das Musical wird nicht über die geplante
Laufzeit hinaus verlängert. Wieder waren
unterm Strich wohl zu wenige Menschen
gekommen, die die Geschichte der schüch-
ternen Kellnerin sehen wollten.
„Amélie“ lief seit dem 14. Februar 2019
im Münchner Werksviertel, rund 80 000
Besucher kamen in die 274 Vorstellungen.
Das sind noch mal deutlich weniger, als die
rund 100000, die 2018 das Musical „Fack
ju Göhte“ sahen, mit denen die Produkti-
onsfirma Stage Entertainment damals das
Werk 7 überhaupt in Betrieb nahm. Ein Ort
für Experimente sollte das vom Kartoffel-
speicher in ein Theater umgebaute Haus
sein, für neue Kompositionen und originel-
le Inszenierungen jenseits des Musical-Gla-
mours, wie ihn die Firma bei Produktionen
wie „Mamma Mia“ oder seit Neustem bei
„Paramour“ in Hamburg pflegt.
Für Stage Entertainment ist das Ende
von Amélie auch das Ende des Projekts
Werk 7. Der zweijährige Mietvertrag läuft


Ende November aus. Dass die Produktions-
firma den Vertrag nicht verlängern will,
liegt laut Pressesprecher Stephan Jaekel
an zweierlei Hürden: Zum einen brauche
das eigenwillige Werk 7 einen Stoff, der zu
ihm passe. Der Theaterraum ist eher klein
und wirkt improvisiert, die Nähe zum Pu-
blikum ist groß, der Stoff hingegen darf es
nicht sein. Für große Orchester und Musi-
cal-Bombast ist kein Platz, das macht na-
türlich auch den Charme des Hauses aus.
Geeignete Musicals zu finden sei schwie-
rig. Zum anderen brauche ein solch kleiner

Standort aber Namen, die Zuschauer anlo-
cken. Kleiner Ort und kein Name, das geht
nicht. Mit „Fack ju Göhte“ und eben bei
„Amélie“ hat man es mit der Bühnenadapti-
on von Kinohits versucht – mit mäßigem
Erfolg. Stage Entertainment habe nun,
sagt Jaekel, kein Musical gefunden, das
dem Werksviertel-Zuschnitt entspricht,
daher gibt die Firma den Standort auf. Soll-
te sich in der Zukunft etwas ergeben,
„dann möchten wir uns gern noch mal aus-
probieren“.
„Die fabelhafte Welt der Amélie“ war
die teilweise Übernahme des gleichnami-
gen Broadwaymusicals, angereichert mit
Themen aus dem Originalsoundtrack und
neu arrangiert von Ratan Jhaveri. „Fack ju
Göhte“ war eine komplette Neukompositi-

on, beide Stücke inszenierte Christoph Dre-
witz. Vor allem mit „Fack ju Göhte“ traute
sich Stage Entertainment etwas.
Den Grund, warum 2018 nicht genug Zu-
schauer kamen, suchte man damals in der
relativen Unbekanntheit des eben erst ent-
stehenden Werksviertels. Zudem konnte
Stage Entertainment zunächst keine Kar-
ten über Münchenticket verkaufen, was
auch nicht gerade zur Bekanntheit des Mu-
sicals beitrug. Auch war kaum Werbung
für die Produktion in der Stadt zu sehen,

vielleicht ein Marketing-Versäumnis. Für
„Amélie“ dann lernte die Produktionsfir-
ma aus einigen Fehlern und profitierte von
der natürlichen Weiterentwicklung des
Werksviertels, offenbar aber hat auch das
nicht gereicht. Zu „Amélie“ kamen trotz
mehr Vorstellungen weniger Zuschauer.
Man sei mit den Zahlen „zufrieden, aber
nicht jubelnd“, sagt Jaekel.
Was aus dem Werk7 in Zukunft wird, da-
zu hat die jetzt wieder zuständige Unter-
nehmensgruppe Werksviertel Mitte noch

keine Pläne. Es bleibe aber als Veranstal-
tungsort erhalten.
Für Stage Entertainment war der Ver-
such, sich im Werksviertel mit Musicals zu
etablieren, auch der Versuch, die Stadt für
sich zu erobern. Zwar werden traditionell
Tourneeproduktionen am Deutschen The-
ater gezeigt, ein eigenes Haus aber bespielt
die Produktionsfirma in München nicht.
Wo manche Städte in den späten Achtziger-
jahren Musicalpaläste errichteten, pflegte
man in München lieber die sogenannten
Hochkultur, es kam nie zum Bau eines gro-
ßen Musicaltheaters.

Seit vielen Jahren schon versucht Stage
Entertainment, das zu ändern. Und wie es
scheint, rückt nach dem Werk-7-Experi-
ment das langfristige Projekt Musicalhaus
wieder ins Zentrum des Interesses. „Wir
sind in München auf der Suche nach einem
Standort für ein Theater für 1500 bis 1800
Zuschauer“, sagt Jaekel und spricht sogar
von einem „recht vielversprechenden
Standort“, den man derzeit im Blick habe.
Wo der sein soll, verrät er nicht. Nur so viel
sagt der Sprecher: Man wünsche sich ei-
nen Platz innerhalb des Mittleren Rings.
Somit kommt eine Übernahme des womög-
lich bald leer stehenden Equila-Showpa-
last in Fröttmaning schon mal nicht infra-
ge. Jaekel sagt: „Wir sind nicht unter Zeit-
druck. Ein schlüssiges Konzept vorausge-
setzt, freuen wir uns aber natürlich, wenn
sich die entsprechenden Pläne in absehba-
rem Zeitrahmen realisieren ließen. Kann
aber auch sein, dass bis dahin noch viel
Wasser die Isar runter muss.“

Schon wieder


Schluss


Nach „Fack ju Göhte“ ist nun auch für das
„Amélie“-Musical der letzte Vorhang gefallen.
Die Produktionsfirma will nicht
aufgeben – aber raus aus dem Werksviertel

Eine elfjährige Schülerin hat in einem
Treppenhaus in Neuperlach einen Brand
gelegt, bei dem fünf Personen verletzt
wurden. Als die Feuerwehr am Dienstag
gegen 13.50 Uhr eintraf, standen bereits
mehrere Personen in den oberen Stock-
werken an Fenstern und auf Balkonen. 17
Bewohner wurden über zwei Drehleitern
gerettet. Das Feuer war nach kurzer Zeit
gelöscht. Vier Kinder und eine erwachse-
ne Frau mussten mit Rauchvergiftungen
ins Krankenhaus. Bei der anschließen-
den Befragung durch die Brandermittler
der Münchner Polizei habe das elf Jahre
alte Mädchen eingeräumt, sie habe in ei-
nem Kinderwagen im Treppenhaus Pa-
pier angezündet, teilte die Polizei am
Mittwoch mit. Der Schaden wird auf
100000 Euro beziffert. anh

Es ist nicht ganz sieben Jahre her, da wähn-
te sich Rosa Marín im Restaurant Les Deux
schon einmal den Sternen nahe. Das war,
als Fabrice Kieffer und Johann Rappen-
glück gerade ihr Lokal im Schäfflerhof mit
großer Finesse gestartet hatten und tat-
sächlich wenig später mit einem Michelin-
Stern für ihr konstant hohes Niveau geehrt
wurden. Normalerweise wäre es das gewe-
sen – die SZ-Kostproben-Tester kehren
frühestens nach etwa zehn Jahren unter
Pseudonym für eine Neubewertung zu-
rück. Dass Rosa Marín aber nun so verhält-
nismäßig schnell wieder hier einkehren
durfte, hat sie dem Umstand zu verdan-
ken, dass es einen Wechsel in der Küche
gab. Rappenglück ist ausgestiegen, die Kü-
chenleitung ging über an Edip Sigl.
Ein riesiger Kulturwandel ist dies, so
zeigte der neuerliche Besuch, nicht. Denn
Sigl war bereits in den vergangenen sechs
Jahren Küchenchef im Les Deux. Er hat ei-
nen Karriereweg (Residenz, Amador, Ame-
sa) mit allerlei Hauben und Sternen hinter
sich, das verspricht viel und hält dies auch.
Dass das in warmen Schlammtönen de-
signte Lokal weiterhin eine der ersten
Adressen in München bleiben dürfte für
Menschen, denen sehr, sehr gutes Essen,
lieb und sehr teuer ist, dürfte somit garan-
tiert sein. Les Deux sind inzwischen Fabri-
ce Kieffer und seine Frau Katrin.
Sie sind Gastgeber auf zwei Ebenen,
dem Sterne-Restaurant oben und der Bras-
serie im Erdgeschoß. Letztere hat sich ein
wenig verändert in den Jahren. Für einen
Zwischenstopp vom Shoppen beispielswei-
se mit Kalbspflanzerl, Kartoffelmousse-
line und Zwiebeljus (16 Euro) oder Bouilla-
baisse (19) hat das geneigte Publikum
mehr Platz. Auf Beetle-Chairs, inmitten
grünem Samt – alles ist irgendwie luftiger,
großstädtischer geworden. Nur wenig ver-
ändert hat sich indes Fabrice Kieffer, dem
sein Ruf als charmantester Maître des Drei-


Sterne-Universums aus seiner früheren
Wirkungsstätte in Heinz Winklers Resi-
denz in Aschau vorausgeeilt war. Seine
Schläfen sind zwar etwas ergraut und, nun
ja, auf der Facebook-Seite stellt er sich als
„Fabrice, alias der James Bond unter den
Restaurantleitern“ vor. Ob dies eine Alters-
erscheinung ist, mag Rosa Marín nicht be-
urteilen. Wagemut jedoch bescheinigt sie
ihm. Zum einen stand sie mal inkognito in
der Schlange hinter Kieffer, bevor sich die-

ser kopfüber im „Blue Fire Megacoaster“
in den Europa-Park Rust stürzte. Und zum
anderen ist es wagemutig, selbst in einer
betuchten Stadt wie München, auf so ho-
hem personal- und qualitätsintensivem
Niveau als Gastronom durchzuhalten. Das
gelingt den Kieffers, das Lokal ist stets gut
besucht, Reservierung empfohlen, das Pu-
blikum ist jedoch wie in den meisten Ster-
nerestaurants in die Jahre gekommen.
Wenn man wissen will, was Perfektion
beim Service bedeutet, muss man nur Al-
berto de Val und Vincent Leblond, die Res-
taurantleiter, beobachten. Beim Servieren
des wunderbaren Grauburgunders Jahr-
gang 2017, Schwarzer Adler vom Kaiser-
stuhl (55 Euro), lassen sie unaufdringlich
fallen, dass der Tropfen ja vom Weingut
des neuen DFB-Präsidenten stamme und
der kürzlich hier diniert habe. Dann geht
es Schlag auf Schlag mit Grüßen aus der
Küche, die sind so hübsch dekoriert, dass
man sie kaum mit der Gabel antasten mag.
Etwa Baisergebäck in Form von Macaron
Limette, raffiniert wird hier die Yuzu-
Frucht aus der traditionellen japanischen
Küche eingesetzt. Dies gibt den ersten Hin-
weis darauf, dass Sigl und sein Team wei-
ter französische Küche mit japanischem
Akzent pflegen. Der zweite Gruß besteht
aus Beeftatar auf einem grünen Spiegel
von Algenjus, hübsch auf Porzellan wie
auf einer kleinen Bühne präsentiert. In ei-
ner länglichen Schale lockt hausgemach-
tes Sauerteigbrot mit Fleur de Sel und Ros-
marin, frisch, geschmackvoll, knusprig.
Als Entrée wählte Rosa Marín Entenle-
berparfait, es kam in Form eines relativ
großen Runds auf einem Spiegel von ei-
nem Granny-Smith-Apfel und Bergamot-
te an Nori-Alge (39 Euro) an, die süßliche
Pastete kontrastierte aufs Feinste mit dem
säuerlichem Apfel. Wunderschönst ge-
schmiegt auf dunkelgrauem Porzellan er-
schienen die Ravioli von Hokkaido-Kürbis

(29), abgeschmeckt mit Ingwer und Senf-
früchten samt Fourme d’Ambert, jener
Edelschimmelkäsesorte aus der Auver-
gne. Die Portionen nicht zu groß und nicht
zu klein, immer wieder finden sich Deko-
Kunstwerke aus Wildkräutern am Rand.
Anstatt das hochpreisige 120-Gramm-
Filet vom Ozaki-Wagyu-Rind für 79 Euro
zu wählen, entschied sich die Runde für
die günstigere Variante: Rinderfilet für 49
Euro, das unglaublich mürbe und weich
war, es zerging auf der Zunge, schmeckte
tatsächlich fantastisch. Die Sauce war an-
genehm scharf, aber nicht überwürzt.
Reichlich schwarzer Trüffel war darüber
gehobelt, kunstvoll türmten sich die Kori-
anderblätter. Süßkartoffeln zu Pommes
geschnitzt zierten diesen perfekten Teller
wie ein Gitter. Nicht ganz so selig war Rosa
Marín mit der Tranche vom bretonischen

Sechs-Kilo-Steinbutt Finkenwerder Art
mit Büsumer Krabben, pochiert in einer
Kavier-Schnittlauch-Nage. Der Fisch war
etwas zu unnachgiebig und hart. Trotz
großzügigen Trüffel-Kaviar-Kartoffel-De-
kors mit 69 Euro auch zu teuer.
Rosa Marín fühlte sich dennoch im Les
Deux verwöhnt: Für ein Dessert, etwa Bay-
erische Creme (17) war zwar wahrlich kein
Platz mehr. Dennoch gestaltete sich das Fi-
nale des Restaurantbesuchs ähnlich der
Ouvertüre: Ein (Abschieds-)Gruß aus der
Küche folgte dem nächsten – etwa Napfku-
chen mit Sahne im bauchigen Glas, auch
die Toffifees waren wie von einem ande-
ren Stern. Das Les Deux ist derzeit mit ei-
nem Michelin-Stern und 17 Punkten im
Gault Millau ausgezeichnet. Auch hier wie-
der eine vorsichtige Prognose: Da dürfte
noch mehr drin sein. rosa marìn

Erneut haben falsche Polizeibeamte eine
Rentnerin in München bestohlen. Dies-
mal kamen die Betrüger aber gleich per-
sönlich vorbei, statt ihr Opfer erst am Te-
lefon zu bearbeiten. Als die 85 Jahre alte
Frau am Montag gegen 12.45 Uhr die Tür
zu einem Mehrfamilienhaus in Berg am
Laim öffnete, gaben sich zwei Männer als
Polizeibeamte aus und gingen mit ihr ins
Haus. Sie zeigten der Rentnerin Ausweise
im Scheckkartenformat und erklärten, in
einer der Wohnungen sei eingebrochen
worden. Während einer der falschen Poli-
zisten die Frau in ein Gespräch verwickel-
te, durchsuchte der andere ihr Schlafzim-
mer. Als die Männer dann wieder gegan-
gen waren, fiel der Rentnerin auf, dass
Schmuck im Wert von mehreren tausend
Euro fehlte. anh

Das Musical „Die
fabelhafte Welt der
Amélie“ (oben) sahen
rund 80 000 Besucher,
für „Fack ju Göhte“
(unten links) kauften
sich 100 000 Menschen
eine Karte. Nun wird es
vorerst keine Musicals
mehr im Werk 7 geben.
FOTO: FRANZISKA HAIN, CATHERINA
HESS, FLORIAN PELJAK

Elfjährige legt Feuer:


Fünf Verletzte


Stage Entertainment sucht
nach einem neuen Standort
innerhalb des Mittleren Rings

K

O

S
T
P
RO

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Oben Fine Dining, unten Brasserie: Das „Les Deux“ im Schäfflerblock hat ein zweitei-
ligesKonzept, was ja auch ganz gut zum Namen passt. FOTO: STEPHAN RUMPF

Falsche Polizisten


stehlen Schmuck


Als andere Städte
Musicalpaläste bauten, pflegte
München lieber die Hochkultur

Davon will man gerne mehr


Der neueKüchenchef im „Les Deux“ kocht auf, als wäre der Name des Restaurants Programm für die anstehende Sterne-Vergabe


Qualität: ●●●●●
Service: ●●●●●
Ambiente: ●●●●○
Preis/Leistung: ●●●●○

Maffeistraße 3A
Telefon: 089 – 710 40 7373
http://www.lesdeux-muc.de

Öffnungszeiten
Montag bis Freitag ab 12 und ab
18.30, Samstag ab 18.30 Uhr.
Sonn- & feiertags geschlossen

RESTAURANT
LES DEUX

R4 MÜNCHEN Donnerstag/Freitag, 31. Oktober/1. November 2019, Nr. 252 DEFGH

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