Süddeutsche Zeitung - 31.10.2019

(Chris Devlin) #1
von michael zirnstein

D


as Grauen hat eine Adresse.
München, Auenstraße 34-36.
Dahin kamen die Aussätzi-
gen: ins Pesthaus. Das Gebäu-
de wurde später ein Militärla-
zarett. Dann zerlegte der Medizinprofes-
sor Leonhard Obermayer hier von 1752 an
in Anatomiekursen Tote – was eine junge
Reisende aus England in ihrem Tagebuch
als „Zergliederungskunst“ feierte. Die Lei-
chenschau inspirierte jene Mary Shelley
zum Horrorklassiker „Frankenstein“, was
zeigt: Des einen Leid, ist des anderen Gru-
seln. Oft ist Gruseln das, was von Schre-
ckensorten bleibt: Das Pesthaus wurde
1828 abgerissen, heute gibt es hier die Jo-
sef Bar, einen Backshop, ein Yogastudio.
Das ist der Pferdefuß am Buch „Die gru-
seligsten Orte in München“ (Gmeiner Ver-
lag): Viele Stätten des Grauens in den
zwölf Schauergeschichten von historien-
kundigen Autoren (wie dem „Die Wander-
hure“-Verfasserpaar mit dem Pseudonym
Iny Lonrentz) gibt’s nicht mehr: Der Fried-
hof der Salvatorkirche – plattgemacht wie
die Kalte Herberge, wo Gäste zu Sülze ver-
kocht wurden. Wo Frauen als Hexen ver-
brannt wurden, starten heute Busse an der
Hackerbrücke; aus dem Knast Neudeck in
der Au, wo die Gestapo widerständige Flug-
blattschmeißer folterte, wird ein Luxus-
wohnblock; wo der Scharfrichter aus Ge-
köpften das „Armesünderfett“ herstellte,
steht nun die Modeschule, nur die Spitze
des Fausttürmchens, die glühte, wenn ein
Unschuldiger hingerichtet wurde, ist noch
im Stadtmuseum zu sehen.
Zu den dunkelsten Kapiteln der Stadtge-
schichte gehört sicher das Attentat vom


  1. Juli 2016 im OEZ – das Einkaufszen-
    trum in die Anthologie der gruseligsten Or-
    te aufzunehmen, war aber falsch. Die An-
    gehörigen der Opfer trauern, dieser Hor-
    ror ist noch zu real – Grusel dagegen ist ei-
    ne Geisterbahnfahrt der Fantasie. An eini-
    gen Orten kann man dieses Frösteln noch
    bei einem Besuch erleben – drei Grusel-
    Tipps, nicht nur für Halloween.


Die Keltenschanze von Perlach


Obwohl auf einem Totenacker liegend,
dem Neuen Südfriedhof von Perlach, mu-
tet der quadratisch angelegte Erdwall mit
seinem Lindenhain idyllisch an. Lutz
Kreutzer, der zusammen mit Uwe Gardein
das Buch der gruseligen Orte herausgege-
ben hat, nimmt den Leser aber mit in eine
Zeit, als hier Schreckliches geschah. Wahr-
scheinlich. Denn er erzählt aus der späten
Eisenzeit, in der vieles im Dunkel der Früh-
geschichte liegt. So auch der von Amateur-
Ärchäologen hartnäckig behauptete Ein-
schlag eines Kometen-Brocken im Chiem-
gau, der den Himmel verfinstert, alles Ess-
bare vernichtet haben soll. Der überleben-
de Schmied Kian flieht mit seiner Familie
durch eine apokalyptische Welt zum heuti-
gen Altperlach, wo sein Bruder Raik einen
Hof inmitten eines Schutzwalls hat. Als ei-
ne Mörderbande von Streunern angreift,
zückt Kian das Langschwert, das er aus
hartem Kometenerz geschmiedet hat, und
massakriert die Feinde. Doch der Bruder
verblutet. Wie es die Riten wollten,
schmeißt man alle Getöteten – und den
noch lebenden Mörder des Bruders – in ei-
nen Wicker, einen riesigen Skelettmann
aus Weidenholz und opfert sie im Feuer
dem Donnergott Taranis.

Der Turm vom Alten Peter


Schon einmal hätte der Teufel den Al-
ten Peter fast ausgelöscht. Nach seiner
Blitzattacke 1607 sah der Turm aus „wie
ein verfaulter Zahnstumpf“, so beschreibt
es Manuela Obermeier in ihrer Version der
Legende. Doch die abergläubischen Bür-
ger bauten ihr altes Wahrzeichen wieder
auf, was den „Gottseibeiuns“ erzürnte
und 1614 einen neuen Vernichtungsver-
such starten ließ (zumal man ihn bei der
Frauenkirche hereingelegt habe – andere
Geschichte). In einer Phalanx aus bleigrau-

en Wolken und Hagelkörnern „groß wie
Schneckenhäusern“ klemmt er sich „wie
eine Pestbeule“ ans Dach und lässt seinen
Bocksfuß zur Abrissbirne werden. „Sap-
pralot!“ Mit der Wehrhaftigkeit des Tür-
mers Korbinian hat er nicht gerechnet.
Der prügelt den gehörnten Zottel („Du
greisliger Uhu!“) mit einem Kruzifix win-
delweich und schlägt ihn in die Flucht. Mit
dem letzten Tritt allerdings hat der Teufel
die Turmspitze um ein Viertel gedreht. Bis
heute zeigt sie beim Alten Peter von Nord
nach Süd, und nicht wie bei Kirchen üblich
von Ost nach West.

Die Schwarze Frau der Residenz


„Der Mann ist tot. Wo ist das Problem?“,
blafft ein Privatdektiv seinen Vater an. Die-
ser will ihn im Kurzkrimi von Angela Esser
zur Aufklärung eines mysteriösen Todes-
falls in seinem Boule-Spielerkreis im Hof-
garten hinzuziehen. „Müller“ sei bei Reno-
vierungsarbeiten in der Residenz vom Ge-
rüst gestürzt, fatalerweise auf den Schä-
del. Der Fluch der Schwarzen Frau habe
ihn ereilt, so wie schon viele Wittelsbacher
(Müllers Mutter hatte mal was mit einem
Adligen). Er habe die Gestalt im bodenlan-

gen Tüllkleid gesehen, wie – um nur eini-
ge Beispiele zu nennen – Ludwig II. und
Max I. Joseph kurz vor ihrem Tod und der
Sohn von Prinz Albert 1969 vor dem Flug-
zeugabsturz. Nicht mal der Gang zu Herz-
urne nach Altötting konnte den abergläubi-
schen Müller retten. Vor dem Geist der
Kurfürstin Henriette Adelaide von Savoy-
en (es gibt noch mehr Verdächtige) oder
vor einem neidischen Boule-Spieler sei
mal offengelassen. Ein Besuch des reno-
vierten Königsbaus der Residenz ist auf je-
den Fall empfehlenswert und sicher – nur
Wittelsbacher haben etwas zu befürchten.

München– Eine geballte Ladung bester
Mozart im Herkulessaal: die letzten drei
Sinfonien des größten „Wiener Klassi-
kers“ mit der Sächsischen Staatskapelle
Dresden unter Philippe Herreweghe. Der
berühmte Belgier, der inzwischen, genau
wie seinerzeit Nikolaus Harnoncourt, sei-
nen Weg von Monteverdi und Bach zu
Beethoven und Mahler gegangen ist, setz-
te auf die dramatischen Potenziale der
Werke. Damit stiftete er etwas vom immer
wieder spekulativ unterstellten Zusam-
menhang dieser letzten Trias von Es-Dur,
g-Moll und „Jupitersinfonie“.
Schon in der Es-Dur Sinfonie untermi-
nierte er deren merkwürdiges Prädikat
als „Schwanengesang“ mit der Betonung
des Dramatischen im Allegro-Forte des
ersten Satzes und noch mehr im Finale
mit seiner stürmischen, wirbelnden
Schluss-Coda. In den Piano-Episoden des
Andante allerdings zeigte sich Herre-
weghes musikalische Herkunft von Early
Music und der historischen Aufführungs-
praxis. Er dämpfte nicht nur alle Passion


zum Feinklang, sondern retardierte den
musikalischen Fluss durch eine fast analy-
tische Feinarbeit, genauso wie im Andan-
te der g-Moll Sinfonie. Dadurch rückte er
sie in jenes spätere „romantische“ Ambi-
ente das man ihr seid Robert Schumanns
Würdigung immer nachgesagt hat.
Wie er aber ihre Schärfen und dramati-
schen Umschwünge immer wieder profi-
liert herausarbeitete und so weniger ei-
nen apollinischen, sondern eher einen im-
pulsiv-unberechenbaren Sanguiniker Mo-
zart präsentierte, war ein Geheimnis, dass
sich weniger aus seinem kryptischen Diri-
gierstil erschloss als womöglich aus der
musikalischen DNA der wunderbaren
Sächsischen Staatskapelle aus Dresden.
In ihr scheint so viel Know-how von Hein-
rich Schütz bis Richard Strauss und Chris-
tian Thielemann aufgespeichert. Mit ihr
wurde dann auch Mozarts sinfonisches
Schlusswort in strahlendem C-Dur zu je-
ner Apotheose des „Jupiterhaften“, die
alle g-Moll-Abgründe ins Schattenreich
verwies. klaus p. richter

Viele Fragen, keine Antworten: Nástio
Mosquito fordert im Boxring sein Publi-
kum heraus. FOTO: JUDITH BUSS


München– Die Zeiten ohne Haltung sind
vorbei. Man kann Pfandbecher für saube-
res Wasser spenden, hinten in der Tonhal-
le wirbt ein Info-Stand dafür, Geflüchte-
ten menschenwürdigen Wohnraum zur
Verfügung zu stellen. Und in einer der An-
sagen geht es darum, den Schmarrn der
Rechten nicht mitzumachen. Das unter-
scheidet eine Band wieVon Wegen Lisbeth
von den naiv textenden NDW-Groß-
vätern, an deren unbedarfte Heiterkeit
sie stellenweise lustvoll anknüpfen.
Natürlich geht es ihnen in erster Linie
um die Irrungen und Wirrungen des stu-
dentisch Pubertären im urbanen Lebens-
raum, um alte Lieben, neue Freunde und
den manchmal irritierend komplexen All-
tag, der von Matthias Rohde in pfiffig
pointierte Texte gegossen wird. Darüber
hinaus aber vermitteln die fünf Berliner
vor allem die Unmittelbarkeit des Ge-
fühls, zum einen als Band, die seit Schul-
zeiten unter verschiedenen Namen es
nun in die erste Liga des deutschen Pop
geschafft hat und noch immer voll freund-

schaftlichem Elan auf der Bühne zusam-
mensteht. Aber eben auch als Lebensge-
fühl, das in klaren Worten und kurzen,
überwiegend fröhlichen Liedern die Origi-
nalität des Augenblicks einfordert.
Die Botschaft kommt an, Von Wegen
Lisbeth haben die Tonhalle zweimal aus-
verkauft und sind für die nächste Tour-
nee ins Zenith gebucht. Sie überträgt sich
außerdem von den ersten Tönen an auf
das Publikum. Auch das ist Haltung, Phil-
anthropie in Zeiten der Empörung, Fei-
ern mit dem Anspruch, sich nicht die Kan-
te zu geben, sondern Spaß am Miteinan-
der zu haben. Und eben nicht über den an-
deren herzuziehen, sondern sich zu ihm
hinziehen zu lassen. Kein Wunder, dass
Von Wegen Lisbeth mit „Wenn du tanzt“
eines der schönsten und zugleich knuf-
figsten Liebeslieder des vergangenen
Pop-Jahrzehnts im Programm haben.
Und in der Zugabe zusammen mit der Vor-
bandBlond„Nur ein Wort“ covern, den
Proto-Song der neuen deutschen Ehrlich-
keit. ralf dombrowski

München– Irgendwann beschloss Nás-
tio Mosquito, eine soziale Skulptur zu
werden. Vor vier Jahren verließ er Luan-
da, lebt jetzt in Gent, war bei der Venedig-
Biennale, drehte Filme, darunter einen,
der „Fuck Afrika“ heißt und den man
gern mal sehen würde, und ist bei „Spiel-
art“ im Keller. Im Boxkeller MTV, wo, be-
vor Mosquito herumschwirrt, man zwei
Trainingskämpfe anschauen kann, ein-
mal zwei Frauen, dann zwei Männer,
ganz friedlich. Schließlich reklamiert Nás-
tio Mosquito einen Boxring für sich und
überrollt einen mit Fragen ohne Antwor-
ten, mit Aufrufen und viel breiter, großer,
elektrischer, pathetischer Musik, zu der
er singt, als verkörpere er allein eine Oper
des schwarzen Kontinents.
Man weiß bei ihm nicht genau, ist er ag-
gressiv (eher nicht), neugierig (sehr), eine
Diva (ja!) oder einfach jemand, mit dem
man stundenlang reden könnte, käme
man selbst zu Wort. Letzterer Eindruck
stellt sich vor allem im Festivalzentrum
vor der Philharmonie ein, wo „Spielart“,
ohnehin ein extrem niederschwelliges
Festival, zu dem sozialen Ereignis wird,
in das die lebensstrotzende Skulptur Mos-
quito gut hineinpasst. Besonders lustig:
seine hartnäckige Weigerung, ein Utopist
zu sein, obwohl er sehr tief an das Gute im
Menschen glaubt.
Woran Krsitóf Kelemen und Bence Gy-
örgy Pálinkás glauben, ist ebenfalls klar:
an die Kraft eines grandiosen Blödsinns.
Im HochX widmen sich die beiden ungari-
schen Theaterleute einem Baum, der
„Hungarian Acacia“, der nationalheiligen
Akazie also, die als Einwanderin nach Un-
garn kam. In diesem post- oder eher sati-
refaktischem Dokutheater huldigen
dann auch Fidesz-Politiker dem einge-
reisten Baum, obwohl die Partei sich ja
eher an allem stört, was sich nicht im Zen-
trum ihres engen, nationalkonservativen
Weltbilds steht. Also an praktisch allem,
dabei sind die Ungarn doch eigentlich so
einsam, weil sie kein anderes Volk ver-
steht. Nur auf dem Theater, da läuft’s.


Dann gibt es da noch eine völlig bizar-
re Geschichte, die auf der Insel Nauru,
östlich von Papua-Neuguinea situiert ist.
Anfang der Siebzigerjahre war sie die
reichste Insel der Welt, weil sie den Phos-
phor, den viele Vögel Jahrtausende lang
dort hinterlassen hatten, nun selbst ab-
baute. Davor hatten sich verschiedene Ko-
lonialherren auf ihr abgewechselt, zuerst
waren die Deutschen gekommen.
Doch der Reichtum implodierte, die In-
sel war zerstört, pleite – und sie lebt heu-
te davon, dass Australien Flüchtlinge, die
es nicht im Land haben will, dort inter-
niert. Diese Geschichte konnte einem be-
reits im Sommer beim Zürcher Theater-
spektakel begegnen, dargestellt von aus-
tralischen Jugendlichen unter der Anlei-
tung von Samara Hersch und Lara
Thoms. Nun zeigen sie Silke Huyamans
und Hannes Dereere aus Belgien, zeigen
ihre heimlichen Recherchen mittels
Smartphone, zeigen weniger Historie,
mehr politischen Irrsinn. „Pleasant Is-
land“ ist ein szenischer Essay mittels Han-
dy-Oberfläche. egbert tholl


München –Die letzten Überreste einer
Burgruine. Ein König wie aus dem Bilder-
buch, mit langem Haar, dunklem Bart,
goldener Krone und tapferem, weitsichti-
gem Blick. In den Händen hält er ein Buch
mit leuchtendem Pentagramm auf dem
Umschlag. Dazu: die Klänge von E-Gitar-
ren, Bass, Schlagzeug, Flöten und Gei-
gen. Und Thomas Lindners tiefe, manch-
mal fast sonore Stimme: „Ein Ort – ge-
heimnisvoll umwoben und sehr wohl /
verborgen tief im Nebel. Hort von My-
then und Symbol ...“ Affalon – die sagen-
hafte Insel, auf der das magische Schwert
Excalibur geschmiedet worden sein soll,
ist der Ort des Geschehens inSchand-
maulsMusikvideo „Die Insel – Ynys Yr Af-
falon“. Mystisches und Mythisches spie-
len eine zentrale Rolle bei der Band.
„Wir möchten die Menschen entfüh-
ren“, Leadsänger Thomas Lindner klingt
entspannt und routiniert, als er das sagt.
Bereits seit 21 Jahren machen die Münch-
ner eine Mischung aus Rock und Folk, ge-
paart mit ungewöhnlichen, mittelalterli-
chen Instrumenten. Zehn Platten hat die
Band schon veröffentlicht, ihre neueste –
„Artus“ – stürmte unmittelbar Platz zwei
der deutschen Albumcharts. Die sechs-
köpfige Musikgruppe ist mehrfach ausge-
zeichnet worden, dreimal war Schand-
maul für den Echo Pop nominiert.

Für Thomas Lindner ist der Erfolg sei-
ner Truppe aber kein Wunder, sondern
eher logische Konsequenz: „Ich glaube,
dass die Zeit, in der wir uns befinden,
eigentlich viel zu schnell für uns ist und
uns überfordert.“ Die Menschen bräuch-
ten Zufluchtsorte, Nischen zum Durchat-
men, sei es mit „Herr der Ringe“, „Game
of Thrones“ oder eben Schandmaul. Den
Anforderungen des Alltags entkommen
für die Dauer eines Konzertes, einer CD
oder auch nur eines Songs: „Wir drehen
die Zeit zurück, für einen Augenblick / zu
unbeschwerten Tagen, ein Haufen voller
Narren, Schritt für Schritt ...“ Dass dieses
romantisierte Mittelalter mit dem histori-
schen nicht viel gemein hat, das ist der
Band durchaus bewusst. Aber darum
geht es auch gar nicht. „Wir sind Ge-
schichtenerzähler“, sagt Lindner. Und sie
erschaffen in ihren Songs Welten, in de-
nen Elfen und Ritter gegen das Böse
kämpfen und das Gute immer gewinnt.
Auf ihrem neuen Album, mit dem sie
im Rahmen ihrer Tournee am 3. Novem-
ber auch im Circus Krone Halt machen
werden, haben sie sich nun einer zentra-
len Sagengestalt der europäischen mittel-
alterlichen Literatur gewidmet: König Ar-
tus, jenem großen, unbesiegbaren Herr-
scher auf Schloss Camelot, der die edels-
ten Ritter des Landes um sich versammel-
te. „Artus und seine Tafelrunde stehen ja
auch für was: für Einheit und Zusammen-
halt – alle ziehen an einem Strang.“
Für Lindner und seine Band war das ge-
rade in den letzten Jahren eine ermutigen-
de und elementare Botschaft. Denn dass
die Band heute mitten in ihrer Albumtour-
nee steckt, ist alles andere als selbstver-
ständlich. Trauerfälle, schwere Krank-
heit und ein Bandaustritt ließen die Zu-
kunft von Schandmaul lange Zeit unge-
wiss aussehen: „Es stand tatsächlich eini-
ge Male Spitz auf Knopf, ob wir uns nicht
auflösen. Nicht, weil wir uns nicht mehr
mögen, sondern weil es uns einfach zer-
bröselt“, erinnert sich Lindner.
Doch die fünf Musiker haben sich zu-
rückgekämpft, auch mit Hilfe der neu da-
zu gewonnen Violinistin Saskia Krokert.
„Denn es heißt, er kehrt zurück, / genau
in jenem Augenblick, / wenn die Welt in
Flammen steht ...“, singt Thomas Lindner
im vorletzten Song des Albums. Für die
Münchner steht fest: „Artus ist das per-
fekte Album für uns, das ist unser Befrei-
ungsschlag.“ bernadette rauscher

Schandmaul, So., 3. Nov., 19.30 Uhr, Circus Krone,
Marsstraße 43

München–Nach dem Tod ihres Sängers
Demba Nabé weiterzumachen, war für die
Berliner Dancehall-FormationSeeedbe-
stimmt keine leichte Entscheidung. Im-
merhin wird das auch auf ihrem ersten
Studioalbum seit sieben Jahren insofern
thematisiert, als die Vergänglichkeit ins
Partybewusstsein gerückt ist: „Irgend-
wann ist alles vorbei. Doch so sieht der
Deal aus. Ich würde ihn wieder nehmen“,
singt Peter Fox, ein weiterer Sänger der
Band, in „Ticket“.
Damit eröffnen Seeed das erste der drei
ausverkauften Konzerte in der Olympia-
halle. Binnen weniger Takte tanzen dazu
fast alle Zuschauer: „Die Sonne kommt.
Es geht von vorne los. Einfach so“, ergänzt
der einst dritte Sänger Frank Dellé die Vo-
cals, die auch die eigene Trauerarbeit be-
gleiten. Später wird zu „You & I“ der auf
der Bühne frei gewordene Platz des Ver-
storbenen ausgeleuchtet. Hier würde er
stehen. In Ermangelung von Kerzen las-
sen die Zuschauer semi-andächtig ihre
Smartphones leuchten. Trauer als party-

taugliches Gemeinschaftserlebnis eben.
Schnell ist da die Rede von Gänsehaut.
Die Band indes hat wirklich mit Nabés
Fehlen zu kämpfen, zumal sie ihn nicht
von einem neuen Sänger ersetzen lassen
mag. Stattdessen gibt es drei Zusätzliche,
die wie ein Chor seitlich stehend Nabés Ge-
sang übernehmen. Bisweilen dürfen sie
sich auch der Choreografie der verbliebe-
nen Frontmänner anschließen, so dass
nun fünf Sänger die schon bei denBlues
Brothersbewährten Synchronbewegun-
gen in einem Schülerband-erprobten
Ska- und Reggae-Kontext anwenden. An-
getrieben von einer dreiköpfigen Bläser-
gruppe, die in ihren besten Momenten ge-
radezu jazzt. Ähnlich wie Rüdiger Kusse-
rows Gitarrensolo auch mal wunderbare
Blueslicks bedient. Als würde die perfekt
aufeinander eingespielte Band in solchen
Momenten ihrer eigenen Routine entkom-
men, wirkt sie dann tatsächlich am leben-
digsten. Der Rest ist bewährter Off-Beat,
der in vielen Off-Szenen mindestens ge-
nauso gut geboten wird. dirk wagner

Impulsiv


Philippe Herreweghe dirigiert Mozart


Liebenswert


„Von Wegen Lisbeth“ in der Tonhalle


Lebensstrotzend


Wie das „Spielart“-Festival
zum sozialen Ereignis wird

Mit König Artus


in die Zukunft


„Schandmaul“ präsentieren ihr
neues Album im Circus Krone

Routiniert


„Seeed“ in der Olympiahalle


Wem die letzte Stunde schlägt


DasBuch „Die gruseligsten Orte in München“ führt in zwölf schauerlichen Erzählungen durch


die dunkelsten Kapitel der Stadtgeschichte. Drei Tipps zum Fürchtenlernen, nicht nur an Halloween


Die Band drohte zu zerfallen,
hat sich aber zurückgekämpft

Abgründige Geschichten werden über den Alten Peter erzählt. Der Teufel persönlich soll zwei Mal versucht haben, den
Glockenturm zu zerstören. Spuren davon lassen sich noch heute an der Spitze erkennen. FOTO: ALESSANDRA SCHELLNEGGER

Ein szenischer Essay


mittels Handy-Oberfläche


KURZKRITIK



R18 KULTUR Donnerstag/Freitag, 31. Oktober/1. November 2019, Nr. 252 DEFGH

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