Handelsblatt - 31.10.2019

(Michael S) #1

„Es ist schade, dass es keinen


Automatismus gibt, dass der Erfolg,


den wir zusammen hatten, nicht


auch für SPD und Bündnis 90/Die


Grünen gutgeschrieben worden ist.“


Bodo Ramelow, Thüringens Ministerpräsident, über die
Wahlverluste seiner Koalitionspartner bei der
Landtagswahl

„Dieser Schritt hat absolut


keinen Wert, und wir


erkennen ihn ohnehin


nicht an.“


Recep Tayyip Erdogan, türkischer
Präsident, über die Anerkennung des
Völkermords an den Armeniern durch das
US-Repräsentantenhaus

Stimmen weltweit


Zu den Impeachment-Ermittlungen gegen
US-Präsident Donald Trump schreibt die
italienische Zeitung „La Repubblica“:

T


rumps Verhalten war immer anomal,
leichtsinnig, provozierend und skrupellos
bis an die Grenzen der Gesetze. Warum ist
sein Mandat erst jetzt in Gefahr? Der unmittelba-
re Anlass ist das Telefongespräch, in dem Trump
den neuen ukrainischen Präsidenten Wolodimir
Selenski um „einen Gefallen“ bittet, gegen seinen
demokratischen Rivalen Joe Biden zu ermitteln.
Aber tatsächlich geht die Geschichte viel weiter
zurück: Sie ist die Frucht eines langsamen Pro-
zesses, in dem Trump jede Scham verloren hat.
Zu Beginn seines Mandats musste sich Trump
(...) mit Personen mit viel Erfahrung und einem
gewissen Format umgeben, um das Land und die
Republikaner im Kongress zu beruhigen. Da wa-
ren viele Generäle dabei (...). Diese Berater wur-
den als „erwachsene Aufsicht“ betrachtet, um
die Impulse Trumps zu bremsen. (...) In den ver-
gangenen 18 Monaten hat Trump aber systema-
tisch die „Erwachsenen“ torpediert (...). Trump,
der sich für ein „stabiles Genie“ hält, war immer
überzeugt, dass seine Instinkte allen Experten-
meinungen überlegen seien. Nachdem die Er-
wachsenen verschwunden waren, hat er eine im-
mer personalisiertere Präsidentschaft geschaffen.

Die niederländische Zeitung „De Telegraaf“
befasst sich mit der Strategie von Premier
Johnson und Labour-Chef Corbyn:

P


remierminister Boris Johnson glaubt, die
richtige politische Botschaft zu haben. Mit
seinem Brexit-Kompromiss kann er einen
garantierten Austritt aus der EU versprechen,
was der Brexit-Partei den Wind aus den Segeln
nehmen wird. Und indem für Polizei und das na-
tionale Gesundheitswesen Milliarden und Aber-
milliarden in Aussicht gestellt werden, sind die
von der Labour-Partei so verabscheuten Spar-
maßnahmen der letzten Jahre kein Thema mehr.
Es läuft auf einen Wettstreit hinaus zwischen
dem energischen Johnson und dem normaler-
weise trübseligen (Labour-Chef Jeremy) Corbyn,
der aber stets kämpferisch ist, wenn er an Türen
imago images/Christian Spicker, action press, APklopfen kann, um Stimmen zu gewinnen.

Die Londoner „Times“ kommentiert am
Mittwoch die für Dezember geplanten Wahlen
in Großbritannien:

B


oris Johnson setzt bei seinem Glücksspiel
darauf, dass die Wähler bei der Stimmab-
gabe in sechs Wochen die Opposition für
die Tatsache verantwortlich machen werden,
dass der Brexit nicht geliefert wurde. Dadurch,
so wird er immer wieder behaupten, sei das
Land zu weiteren drei Monaten einer lähmenden
Unsicherheit verurteilt worden. (...) Wie es aus-
sieht, wird das Land zu einer Zeit wählen, in der
es zerstrittener denn je ist und alle Brexit-Optio-
nen noch immer auf dem Tisch liegen. Wenn die
Aussicht auf eine Rückkehr der Abgeordneten
nach Westminster im Dezember mit der erneu-
ten Gefahr eines No-Deal-Brexits und weiter an-
haltender Unsicherheit die Wähler nicht dazu
veranlassen sollte, für ein klares Ergebnis zu sor-
gen, dann ist nur schwer vorstellbar, was sonst
dies bewirken könnte.

S


chleswig-Holstein bringt immer wieder interes-
sante politische Persönlichkeiten hervor. Man
denke nur an Wolfgang Kubicki oder Ralf Stegner.

Beide sind eher die Enfants terribles in ihren Parteien.


Ministerpräsident Daniel Günter will sich da wohl ein-


reihen. Vor nicht allzu langer Zeit versuchte er, seine


CDU in Richtung Linkspartei zu trimmen. Er hatte kein


Problem, mit einem älteren Herrn namens Bodo Rame-


low ein Doppelinterview zu führen und für die Öffnung


zur SED-Nachfolgepartei zu werben. Mit den älteren


Herren aus der CDU ist er nicht so gnädig. Jetzt wirft er


ihnen vor, keine Parteiarbeit zu leisten.


Das trifft zumindest auf den 63-jährigen Friedrich


Merz nicht zu. Im Gegensatz zu Kanzlerin Angela Mer-


kel nahm er bei den ostdeutschen Wahlen reihenweise


Termine wahr, was man von der Kanzlerin nicht sagen


kann. Merz hat sich nicht „vom Acker gemacht“, wie


Günther es ihm unterstellt. Dass jetzt gerade Günther


versucht, CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer zu


verteidigen, entbehrt nicht der Ironie. Nach seinem Ro-


te-Socken-Vorstoß musste sie ihm in einem Vieraugen-


gespräch den Kopf waschen. Günther liegt auch in sei-
ner Analyse falsch: Die Parteimitglieder sind überwie-
gend auch ältere Männer und teilweise auch Frauen,
die hat er bei seinem Rundumschlag gleich mal mitbe-
leidigt. Außerdem hatte die CDU in Thüringen bei der
Wählerschaft ein Ü-60-Problem. Jetzt auf die Älteren
einzuprügeln wird sicherlich keinen Wähler zurückbrin-
gen. Übrigens: Ob sich der fast 60-jährige Armin La-
schet angesprochen fühlt, ist nicht bekannt.
Es ist zwar in der Politik Mode geworden, immer
nach den jungen und jüngsten Wählern zu schauen.
Aber die Alten und Mittelalten stellen die große Masse
der Bürger dar. Das müsste auch Günther wissen. Seine
Aussagen grenzen fast an Altersdiskriminierung. Die Po-
litik hat beschlossen, dass die Menschen bis ins Alter
von 67 Jahren arbeiten sollen. Aber politisch sollen sie
entmündigt werden. Auch so kann man Daniel Gün-
thers Einlassungen lesen. Er wird sicherlich von der lin-
ken Seite mit Blick auf seine Vorwürfe recht bekom-
men. Die wählt aber nie und nimmer CDU.
Was besonders erstaunt: In seinem Interview mit
dem ZDF ist er sogar inhaltlich gar nicht so weit von
Merz entfernt. Er sieht die Schwäche der Bundespolitik,
die die Wahlergebnisse der CDU mit in den Keller ge-
trieben habe. Günther will aber erst „sorgsam analysie-
ren“. Das ist klassischer Politsprech, der darauf hindeu-
tet, dass er ein Weiter-so will. Das kann nicht mal der
CDU-Chefin recht sein, die mit dem Versprechen ange-
treten ist, die Partei zu erneuern. In der CDU dürfte es
eigentlich kein Erkenntnisproblem mehr geben. Sie hat
offenbar ein Umsetzungsproblem.

CDU


Daniel Günthers Feindbilder


Der schleswig-holsteinische
Ministerpräsident nimmt sich die
älteren Herren zur Brust. Dabei
sind sie das Rückgrat der CDU,
findet Thomas Sigmund.

Der Autor ist Ressortchef Politik.
Sie erreichen ihn unter:
[email protected]

Wirtschaft & Politik


DONNERSTAG, 31. OKTOBER 2019, NR. 210


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