Handelsblatt - 31.10.2019

(Michael S) #1
Ebit-Marge
in Prozent

Automobil-
Absatz
in Millionen
5,

4,
3,

4,


Quellen: Unternehmen, Bloomberg, Focus2move


trifizierung und Digitalisierung sorgten in der Auto-
mobilbranche für Konsolidierungsdruck. Der Welt-
automarkt schrumpft, während die Kosten im Zuge
des Hochlaufs von Elektromodellen explodieren.
„Es geht langfristig ums Überleben“, erklärte Ste-
fan Bratzel, Leiter des Center of Automotive Ma-
nagement (CAM). Während VW allein stark genug
sei, wüssten sowohl PSA als auch FCA, dass sie hö-
here Stückzahlen brauchen, um im Massenmarkt
auf Dauer bestehen zu können. Insbesondere Fiat
Chrysler benötige dringend einen Partner. „Der
Konzern ist bei allen Zukunftsthemen, also Elektro-
mobilität, Konnektivität und autonomes Fahren, äu-
ßerst dünn aufgestellt“, konstatiert Bratzel.
Im Gespann mit PSA könnten die Italo-Amerika-
ner von den vergleichsweise verbrauchsarmen Mo-
toren der Franzosen und deren Fahrzeugplattfor-
men profitieren, mit denen auf einer Linie sowohl
Benziner, Diesel als auch Stromer gefertigt werden
können. Für FCA ist der Zugang zu diesen Techno-
logien womöglich existenziell wichtig. Denn derzeit
stößt die Fiat-Chrysler-Neuwagenflotte in Europa im
Schnitt 119 Gramm des klimaschädlichen CO 2 pro Ki-
lometer aus. Bis 2021 muss der Konzern aber den
CO 2 -Wert in seiner Flotte auf 90 Gramm drücken,
andernfalls drohen hohe Strafzahlungen.
PSA könnte im Gegenzug die größte Schwäche
ausmerzen. Der Konzern schleppt seit jeher ein geo-
grafisches Klumpenrisiko mit sich herum. Während
die deutschen Autoschwergewichte VW, Daimler
und BMW in allen drei großen Fahrzeugmärkten
der Welt (Europa, China, USA) stark vertreten sind,
verkauft PSA deutlich mehr als 80 Prozent seiner
Modelle in Europa. Besonders bitter: In China und
Südostasien, der Region mit dem größten Potenzial,
setzen die Franzosen von Januar bis September nur
93 500 Fahrzeuge ab. Das entspricht einem Ein-
bruch um 55 Prozent. Das Drama in Fernost könnte
PSA zwar nicht ganz beenden, aber dafür gelänge
der Sprung nach Übersee.
In Amerika ist FCA eine Macht. Allein in den ers-
ten neun Monaten verkaufte der Konzern mit Mar-
ken wie Jeep, Ram, Dodge oder Chrysler mehr als
1,6 Millionen schwere Pick-ups, SUVs und Limousi-
nen. Der Marktanteil von Fiat Chrysler in den USA
liegt bei gut 12,6 Prozent. Genau diese starke Prä-
senz in Amerika ist für PSA attraktiv. Die Konzerne
ergänzen sich mit ihren unterschiedlichen geografi-
schen Stärken gut, die industrielle Logik eines Mer-
gers scheint daher bestechend.
Gleichzeitig müssten nicht nur kulturelle Unter-
schiede überwunden werden. „Wo ist am Ende das
Machtzentrum?“, fragt Autoexperte Bratzel: „Ist es
eine Übernahme oder eine Fusion unter Gleichen?“
Nur wenn vorab klar definiert wird, wer das Sagen
habe, könne ein Zusammenschluss funktionieren.
Gleichzeitig müssten die Konzerne aufpassen, dass
die DNA ihrer Marken fortbestehe und kein völliger
Wirrwarr entstehe.
Insbesondere in Europa konkurrieren die PSA-
Marken Peugeot, Citroën, Opel und DS direkt mit
den FCA-Marken Fiat, Alfa Romeo, Jeep und Lancia,
vorwiegend im schrumpfenden Kleinwagen-
und Limousinen-Segment. Die Gefahr einer
Kannibalisierung sei hoch. Eine Bestands-
garantie für einzelne Logos gibt es nicht,
Lancia könnte beispielsweise aussortiert
werden. „Die Marke ist klinisch tot“, at-
testiert Bratzel. Und auch für Opel
dürften schwere Zeiten anbre-
chen.
„Das wird übel für uns“, heißt
es in Rüsselsheimer Konzern-
kreisen. In Europa käme das fu-
sionierte Unternehmen hinter
Volkswagen auf einen Marktan-
teil von rund 22 Prozent. Das
Problem: Die Fiat-Fabriken in
Italien sind nur etwa zur Hälfte
ausgelastet, in Rüsselsheim wird
zudem wegen der geringen Nach-
frage nach dem Opel-Flaggschiff
Insignia das nächste halbe Jahr kurzge-
arbeitet. „Wir werden der Weltmeister

in Überkapazitäten“, übt sich ein Opel-Insider in
Galgenhumor. Die Sorge: In Hessen könnte aber-
mals eine Rosskur anstehen.
Dabei hat Opel seit der Übernahme durch PSA im
Sommer 2017 bereits den Abbau von 6 800 Stellen
besiegelt, ein Drittel der einstigen deutschen Beleg-
schaft. Für die Marke mit dem Blitz, die nach fast 20
Jahren unentwegter Verluste wieder Gewinne
schreibt, wäre eine Fusion von PSA und FCA ein
„Super-GAU“, konstatiert Ferdinand Dudenhöffer,
Direktor des Center Automotive Research: „Der Job-
abbau bei Opel ginge unvermindert weiter.“
Um Synergieeffekte zu heben, müsste PSA-Chef
Tavares noch stärker als zuvor Doppelstrukturen
streichen und die Werke auf Effizienz trimmen. Da-
bei wirft die Gewerkschaft IG Metall Opel-Chef Mi-
chael Lohscheller schon heute vor, „unzureichend“
in die deutschen Standorte in Rüsselsheim, Eisen-
ach, Kaiserslautern und Bochum zu investieren.
Ein Gespräch zwischen Arbeitnehmervertretern
und Lohscheller am Montag brachte keine Klärung.
Bestandserhaltene Investitionen für das Getriebe-
werk, Teilelager, Werkzeugbau, Prototypenbau,
Presswerk, Schmiede und Engineering würden
nach wie vor fehlen, kritisierte die Gewerkschaft
und zog eine rote Linie: „Einen weiteren Personal-
abbau bei Opel werden die IG Metall und die Be-
schäftigten nicht akzeptieren.“ Opel beteuert, sich
an alle Vereinbarungen zu halten. Bis 2023 gelte zu-
dem ein Kündigungsschutz.

Opel-Betriebsrat ist in Sorge


In einem Rundschreiben an alle Beschäftigten, das
dem Handelsblatt vorliegt, zeigt sich der Opel-Be-
triebsrat besorgt: „In Anbetracht der heute bekannt
gewordenen und bestätigten Fusionsgespräche zwi-
schen PSA und FCA erscheint die zurückhaltende
Investitionsbereitschaft von Opel und PSA in einem
anderen Licht.“ In Rüsselsheim steht mit dem ITEZ
das größte Entwicklungszentrum des PSA-Kon-
zerns, der insgesamt 18 000 Entwickler rund um
den Globus beschäftigt. FCA betreibt an 46 Standor-
ten weltweit Einrichtungen, in denen zusammenge-
rechnet ebenfalls 18 000 Ingenieure forschen.
Dass alle Werke und Entwicklungsabteilungen
fortbestehen, hält Dudenhöffer für illusorisch. Auf
Basis der Lohnkosten hätten die deutschen Stand -
orte absehbar schlechte Karten. „Für Opel würde
das einen traurigen Weg bedeuten“, sagt der Volks-
wirt: „Opel wäre dann der Verschnitt zwischen ei-
nem Fiat und Peugeot – wer sollte so etwas kaufen?“
Noch ist der Zusammenschluss aber nur Theorie.
Die geplante Fusion könnte jederzeit scheitern – et-
wa aufgrund politischer Einflussnahme. Der franzö-
sische Staat hält über die öffentliche Investment-
bank Bpifrance schließlich 12,23 Prozent des Kapi-
tals von PSA. Einen offiziellen Kommentar zu der
möglichen Fusion mit FCA lehnte die französische
Regierung zwar ab. Quellen aus dem französischen
Wirtschaftsministeriums bestätigten dem Handels-
blatt aber: „Der Staat beobachtet mit Aufmerksam-
keit die Eröffnung der Diskussionen zwischen PSA
und FCA.“ Frankreich wolle einen Platz in der
internationalen Konsolidierung der Auto -
industrie einnehmen. Die Bedingung dafür
lautet allerdings, dass soziale Faktoren wie
Arbeitsplätze berücksichtigt werden. „Der
Staat wird besonders aufmerksam über den
Erhalt der Industrie, die Führung des
neuen Ensembles und Interessen der
BPI wachen.“
Die italienische Politik hält sich
dagegen bislang zurück. „Wir be-
obachten, was passiert. Es han-
delt sich ganz klar um eine Ope-
ration des freien Markts. Ich den-
ke, es ist richtig, zu diesem
Zeitpunkt keine Erklärung zu
diesem Thema herauszulassen“,
sagte der Minister für Wirt-
schaftsentwicklung, Stefano Pa-
tuanelli. Anders als in Frank-
reich hält die italienische Regie-
Bloomberg, French Select/Getty Images rung keinen Anteil an FCA.

In


Anbetracht


der heute


bekannt


gewordenen


und


bestätigten


Fusionsge -


spräche


zwischen


PSA und FCA


erscheint die


zurückhalten -


de Investitions -


bereitschaft


von Opel und


PSA in einem


anderen Licht.


Opel-Betriebsrat
Rundschreiben an alle
Beschäftigten

PSA-Chef Carlos
Tavares (links),
FCA-Boss John
P. Elkann:
Intensive Gespräche
bestätigt.

Unternehmen & Märkte


DONNERSTAG, 31. OKTOBER 2019, NR. 210


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