Handelsblatt - 31.10.2019

(Michael S) #1

Anja Müller Düsseldorf


D


ie Spannung ist groß
bei Miele in Gütersloh.
Die Unternehmens-
und Strategieberatung
McKinsey durchleuch-
tete seit November 2018 den famili-
engeführten Hausgerätehersteller. In
diesem Jahr ist Miele 120 Jahre alt ge-
worden und will sich wieder neu er-
finden. Man denke in langen Zyklen
in Gütersloh, wolle aus einer Positi-
on der Stärke heraus das Unterneh-
men neu justieren, hieß es damals.
Nun, fast genau ein Jahr später
legt das Gütersloher Familienunter-
nehmen seine neue Strategie vor. Es
werden auch Stellen abgebaut, „aber
Miele-like“, wie die Eigentümer ver-
sichern. Doch so ganz klar wird die-
ser Weg noch nicht, weil erst jetzt
die Beratungen mit dem Betriebsrat
beginnen.
Zunächst die Fakten: Insgesamt
sollen jedes Jahr 190 Millionen Euro
eingespart werden. Um dieses Ziel
zu erreichen, würden neben gerin-
geren Sachkosten auch „Personalre-
duzierungen unumgänglich“. In
Deutschland könnten so bis 2021
rund 240 Mitarbeiter vor allem in
der Verwaltung in Gütersloh abge-
baut werden. Die restlichen 830 der
insgesamt 1 070 Stellen würden vor
allem im internationalen Vertrieb
wegefallen, erklärte das Unterneh-
men auf Nachfrage.

Zur neuen Strategie gehört auch,
dass Miele künftig in acht selbststän-
digen Einheiten geführt werden soll,
die völlig autark agieren und direkt
an die insgesamt fünfköpfige Ge-
schäftsführung berichten. So solle
die Verantwortung in den einzelnen
Bereichen gestärkt werden.
Darüber hinaus werden die Ver-
triebsstrukturen weltweit neu aufge-
stellt. Dabei werden die größten in-
ternationalen Märkte USA, China und
Kanada künftig als Chefsache behan-
delt. Eine wichtige Geschäftseinheit,
die sich um den Ausbau der Digital-
kompetenz in Marketing und Ver-
trieb für die gesamte Gruppe küm-
mert, wird nicht am Stammsitz in
Gütersloh wirtschaften, sondern in
Amsterdam, was Gütersloh durchaus
näher liegt als etwa Berlin.
Der Hintergrund der umfassenden
Neuaufstellung: Im abgelaufenen Ge-
schäftsjahr hatten sich bei Miele be-
reits erste Spuren einer Konjunktur-
abkühlung gezeigt: Der Umsatz er-
reichte 4,16 Milliarden Euro. Das
waren noch 1,5 Prozent mehr als im
vorigen Geschäftsjahr. Rechnet man
die erstmals konsolidierte koreani-
sche Saugroboter-Tochter Yujin Ro-
bot heraus, lag das Wachstum gerade
einmal bei 0,2 Prozent. In Deutsch-
land und China sei das Geschäft so-
gar rückläufig gewesen, heißt es.
Demgegenüber hatten sich Süd- und

Osteuropa, die USA und Schweiz po-
sitiv entwickelt. Miele erwirtschaftet
mittlerweile mehr als 70 Prozent sei-
nes Umsatzes außerhalb Deutsch-
lands. Im Vorjahr hatten die Ge-
schäftsführer noch ein Umsatzplus
von 4,3 Prozent verkünden können.
Auch aktuell rechnet Miele noch
mit einem Wachstum. Aber zugleich
müsse man auch den tief greifenden
Veränderungen des Marktes und der
Kundengewohnheiten Rechnung tra-
gen. Die Gemengelage ist nicht ein-
fach: Dringender Handlungsbedarf,
vor allem aber auch Chancen ergä-
ben sich aus den digitalen Kanälen,
die immer wichtiger werden bei den
Kaufentscheidungen der Kunden.
Hinzu kämen noch die immer
preisaggressiveren Marktauftritte
asiatischer Konzerne und die kon-
junkturelle Eintrübung in wichtigen
Märkten. Miele sieht sich auch als
Opfer der Handelsstreitigkeiten und
„geopolitischer Konflikte und Risi-
ken, deren Ende nicht absehbar ist“.
Weltweit beschäftigt Miele rund
20 000 Mitarbeiter, mehr als 11 000
davon in Deutschland. Bereits im
Sommer war bekannt geworden,
dass 770 Stellen im Bereich der
Waschmaschinenfertigung in
Deutschland bis 2025 wegfallen soll-
ten. Dieser Abbau sei aber von dem
aktuellen Innovationsprogramm ge-
trennt zu betrachten. Hier teilte das

Unternehmen mit, dass aufgrund
von natürlicher Fluktuation und Ver-
rentung die Zahl auf 670 gesunken
sei. Bislang hat Miele nach eigenen
Angaben in der gesamten Firmenge-
schichte am Standort Gütersloh und
in den heutigen deutschen Produkti-
onswerken noch nie betriebsbedingt
kündigen müssen. Miele verfüge da-
rüber hinaus seit 1909 über eine Be-
triebskrankenkasse, eine eigene Kita
und weitere freiwillige Leistungen.
Sonderzahlungen allerdings, das hat-
te Miele bereits im Sommer angekün-
digt, werde es 2019 nicht geben.

Kritik der IG Metall


Miele hat mit seiner Offensive ver-
sucht, Mitarbeiter und Öffentlichkeit
frühzeitig zu informieren. Gesamtbe-
triebsratsvorsitzender Andreas Bern-
stein sagte allerdings dem Handels-
blatt, dass er das Programm erst ein-
mal sichten müsse und eine
rechtzeitige Information vermisst ha-
be. Der zuständige Geschäftsführer
der IG Metall Gütersloh/Oelde, Tho-
mas Wamsler, geht allerdings „davon
aus, dass es noch nicht das Ende der
Fahnenstange ist und noch weitere
Strukturmaßnahmen folgen werden.“
Er sieht in vielen Maßnahmen die
Handschrift von McKinsey und ver-
misst die des Familienunternehmens
Miele. Allerdings war bereits vor dem
aktuellen Programm die Wäschepfle-
ge neu geordnet worden. Bis 2025
läuft die Produktion im polnischen
Ksawerow schrittweise an. In sechs
Jahren sollen die Stückzahlen der
Haushaltswaschmaschinen je zur
Hälfte in Gütersloh und in Polen pro-
duziert werden. „Man muss sehen,
was Miele aufs Spiel setzt, da wird ja
auch ein Image zerstört“, urteilt IG-
Metall-Geschäftsführer Wamsler. Die
Kunden kauften Miele, weil es „hier-
zulande unter anständigen Bedingun-
gen produziert wird“. Das Image sol-
le Miele nicht gefährden. „Dann ist
Miele nämlich ein Hersteller wie je-
der andere.“


Kommentar Seite 23



Haushaltsgeräte


Familienkonzern Miele


spart für die Zukunft


Das Unternehmen will sich fit für die digitalen Zeiten machen. Dabei


sollen mehr als 1 000 Stellen wegfallen, aber auch 470 neue entstehen.


Waschmaschinenfer-
tigung bei Miele:
Kürzungen standen
schon vor Innovati-
onsprogramm fest.

Daniel Pilar/laif

Man muss


sehen, was


Miele aufs


Spiel setzt,


da wird ja auch


ein Image


zerstört.


Thomas Wamsler
IG Metall

Unternehmen & Märkte


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DONNERSTAG, 31. OKTOBER 2019, NR. 210


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