Handelsblatt - 31.10.2019

(Michael S) #1

Michael Brächer Zürich


L


ange schien es, als würde
sich Tidjane Thiam nur
seinem Lieblingsthema
widmen: den Zahlen.
Doch nachdem der Chef
der Credit Suisse am Mittwoch über
Eigenkapitalrenditen, Buchwerte und
Sparanstrengungen referiert hat, setzt
er noch einmal neu an.
„Ich möchte einige Bemerkungen
zu den jüngsten Entwicklungen ma-
chen“, sagt Thiam. Was folgt, ist eine
Verteidigungsrede. Zum ersten Mal
äußert sich der Bankchef zur Affäre
um die Überwachung seines ehemali-
gen Untergebenen Iqbal Khan. Der Te-
nor: Dessen Bespitzelung durch De-
tektive sei unverhältnismäßig gewe-
sen. Thiam will von der Sache aber
nichts gewusst haben. Und auch dem
Geschäft soll die Affäre nicht gescha-
det haben. Tatsächlich konnte die Cre-
dit Suisse mit ihren Zahlen für das
dritte Quartal trotz der Überwa-
chungsaffäre positiv überraschen.
Ganz ausgestanden ist das Thema für
die Bank und ihren CEO aber wohl
noch nicht.
Was war geschehen? Knapp zwei
Wochen lang hatten Privatdetektive
den Banker Iqbal Khan observiert.
Khan, langjähriger Leiter der CS-Ver-
mögensverwaltung, wechselte zum
Erzrivalen UBS. Bei der Credit Suisse
fürchtete man offenbar, dass Khan
Kunden oder Mitarbeiter abwerben
könnte. Doch die Detektive agierten
reichlich glücklos. Im September flog
die Überwachung mitten in der Züri-

cher Innenstadt auf. Der Fall brachte
die Credit Suisse international in die
Schlagzeilen. Kein Wunder: Eine
Großbank, die einen ihrer Topmana-
ger von Detektiven überwachen lässt –
das gab es am Finanzplatz Zürich
noch nie.
Nach einer eilig anberaumten Un-
tersuchung durch eine Züricher An-
waltskanzlei mussten zwei Mitarbeiter
das Unternehmen verlassen, darunter
der Thiam-Vertraute Pierre-Olivier
Bouée. Verwaltungsratschef Urs Roh-
ner sprach von einem „schwerwie-
genden Reputationsschaden“ für die
Bank, stärkte seinem CEO aber den
Rücken. Laut der Untersuchung soll
Thiam nicht in die Überwachung in-
volviert gewesen sein.
Trotzdem geriet der Credit-Suisse-
CEO in die Defensive. Denn wie sich
bald zeigte, befand er sich mit Khan
persönlich im Streit. Die beiden Top-
banker hatten sich im Januar auf einer
Cocktailparty im Haus von Thiam an
der Züricher Goldküste gestritten – ein
Freudenfest für Schweizer Boulevard-
medien.

Keine Rücktrittsgedanken
Thiam sprach am Mittwoch von einer
regelrechten „Medienkampagne“ ge-
gen seine Person, wollte die Hinter-
männer aber nicht beim Namen nen-
nen. Zugleich ging der Credit-Suisse-
Chef auf Distanz zu seinem
ehemaligen Wegbegleiter Bouée, der
Khans Überwachung angeordnet ha-
ben soll. Thiam und Bouée galten als

enge Vertraute, die jahrelang bei un-
terschiedlichen Arbeitgebern zusam-
mengearbeitet hatten. Umso distan-
zierter mutet Thiams Statement über
seinen langjährigen Wegbegleiter an:
„Ich weiß nicht, ob ich ihn einen
Freund nennen würde“, sagte Thiam.
Während der viereinhalb Jahre bei der
Credit Suisse habe man vielleicht ein-
mal gemeinsam zu Abend gegessen.
Er trenne Berufliches und Privates
stets, beteuerte der Credit-Suisse-Chef


  • und zeigte sich angesichts der Kritik
    betont gelassen: „Ich habe nie an ei-
    nen Rücktritt gedacht.“


Rückhalt der Aktionäre


Bislang kann Thiam auf die Treue sei-
ner Aktionäre bauen. Und auch die
jüngsten Zahlen dürften für Rücken-
wind sorgen. In den Sommermonaten
kletterten die Erträge der zweit -
größten Bank der Schweiz um neun
Prozent auf 5,3 Milliarden Franken
(4,8 Milliarden Euro). Unterm Strich
weist die Credit Suisse einen Reinge-
winn von 881 Millionen Franken (798
Millionen Euro) aus, das war mehr als
doppelt so viel wie im selben Quartal
des Vorjahres. Das gute Ergebnis er-
klärt sich allerdings auch mit einem
Einmaleffekt. Die Bank hatte ihre An-
lageplattform namens Investlab ver-
kauft.
Im Geschäft mit der vermögenden
Kundschaft konnte die Credit Suisse
im Sommer Boden gutmachen. Wenn
man den Investlab-Verkauf außer Acht
lässt, stieg der Vorsteuergewinn in der

internationalen Vermögensverwal-
tungsparte um acht Prozent, die Net-
toerträge kletterten um fünf Prozent.
Die Sparte wird nach dem Abgang von
Iqbal Khan von dem Manager Philipp
Wehle geführt.
Positiv überraschen konnte auch
die Handelssparte. Die Division na-
mens „Global Markets“ machte einen
Vorsteuergewinn von 272 Millionen
Franken (246 Millionen Euro) und ver-
diente damit deutlich mehr als im
gleichen Quartal des Vorjahres. Impo-
sant fällt das Plus im Anleihehandel
aus, wo die Erträge um 72 Prozent auf
903 Millionen US-Dollar kletterten.
Beim Beratungsgeschäft und auf dem
Schweizer Heimatmarkt vermochten
die Ergebnisse der Bank dagegen
nicht zu überzeugen. Die Affäre um
die Überwachung von Iqbal Khan
soll dem Geschäft aber nicht ge-
schadet haben, beteuerte Thi-
am: „Es ist vielleicht schwierig
zu glauben, aber die Medienkam-
pagne hat keine Auswirkungen
auf unsere Kunden.“
Ganz ausgestanden ist die Affä-
re aber noch nicht: Die Finanz-
aufsicht Finma verfolgt den
Fall, zudem ermittelt die Züri-
cher Staatsanwaltschaft. Ihre
Untersuchung soll sich auch
gegen Mitarbeiter der Bank
richten. Das Thema dürfte
Thiam also weiter verfolgen


  • auch wenn der lieber
    über die Zahlen reden
    würde als über Detektive.


Credit Suisse


Tidjane und die Detektive


In der Affäre um die Bespitzelung eines Topbankers beteuert der Credit-Suisse-Chef seine Unschuld.


Zentrale der Credit Suisse in Zürich:
Die Überwachungsaffäre hat dem
Geschäft offenbar nicht geschadet.

Bloomberg/Getty Images

Bankchef Tidjane
Thiam: „Ich habe nie
an einen Rücktritt
gedacht.“

Bloomberg

Finanzen & Börsen
DONNERSTAG, 31. OKTOBER 2019, NR. 210

28

Free download pdf