Handelsblatt - 31.10.2019

(Michael S) #1

„Quid pro quo“


Ob Trump, Giuliani und Top-
diplomaten korrupte Ab-
sichten hegten, ist eine
entscheidende Frage in
der Ukraineaffäre. Die
Ermittlungen könnten
zur Bedingung ge-
macht worden sein,
um bestimmte Gegen-
leistungen aus Washing-
ton zu erhalten: ein Tref-
fen des ukrainischen Präsi-
denten mit Trump, die Freigabe
der millionenschweren Militärhilfen so-
wie eine frische Lieferung von Panzer-
abwehrwaffen. William Taylor
(Foto unten), Geschäftsführer
der US-Botschaft in Kiew,
belastete Trump in die-
ser Hinsicht schwer.
Der 72-Jährige gilt als
glaubwürdiger Zeuge,
hat eine jahrzehnte-
lange Karriere im Mili-
tär und diplomatischen
Dienst hinter sich. Er
wurde extra aus dem Ru-
hestand geholt, um die Bot-
schaft in Kiew zu managen.
Taylor ist fest davon überzeugt, dass
das Weiße Haus die ukrainische Regie-
rung unter Druck setzte. Er stützt sich
unter anderem auf Konversationen mit

EU-Botschafter Gordon
Sondland. „Ich halte es
für verrückt, Militärhil-
fen für eine politische
Kampagne zurückzu-
halten“, schrieb Tay-
lor im Sommer per
SMS an Sondland. Die-
ser versicherte ihm zu-
nächst, Trump verneine
den Verdacht eines „Quid
pro quo“ glaubwürdig – aller-
dings distanzierte sich Sondland
später im US-Kongress von Trump und
meldete Zweifel an.
Auch Fiona Hill (Foto oben),
ehemalige Russlandexpertin
im Weißen Haus, geht von
einem „Quid pro quo”
aus. So habe Giuliani
dem ukrainischen Prä-
sidenten Selenski
klipp und klar gesagt,
dieser werde das Wei-
ße Haus erst dann be-
suchen dürfen, wenn
Kiew dem Wunsch nach
Ermittlungen nachkomme.
Tim Morrison, der Nachfolger
von Hill im Nationalen Sicherheitsrat
des Weißen Hauses, will US-Medienbe-
richten zufolge die Darstellungen von
Taylor und Hill stützen.

Wahlkampfhilfe aus dem Ausland


„Der Präsident der Vereinig-
ten Staaten nutzt die
Macht seines Amtes, um
bei den US-Wahlen
2020 Einmischung aus
einem anderen Land
zu erbitten“, heißt es
im Bericht des Whist-
leblowers. Das Papier
wurde wenige Wochen
nach dem umstrittenen
Telefonat zwischen Donald
Trump und dem ukrainischen
Präsidenten
Wolodimir Selenski verfasst. In dem An-
ruf drängte Trump seinen ukrainischen
Amtskollegen dazu, Ermittlungen gegen
Hunter Biden, Sohn des demokratischen
Präsidentschaftsbewerbers Joe Biden,
einzuleiten, wegen früherer Geschäftsbe-
ziehungen zum ukrainischen Gasunterneh-
men Burisma. Das mögliche Kalkül: Eine
Schmutzkampagne könnte Trump im
Wahlkampf helfen. Kurz vor dem Telefo-
nat fror Washington 391 Millionen US-Dol-
lar Militärhilfen für die Ukraine ein.
Dem Whistleblower zufolge hatte Trumps
Anwalt Rudy Giuliani (Foto) die Federfüh-
rung bei den Bemühungen. „Der persönli-
che Anwalt des Präsidenten, Rudolph W.
Giuliani, spielt eine zentrale Rolle“, heißt
es im Bericht.
Der frühere US-Sonderbeauftragte für die

Ukraine, Kurt Volker, war der
erste Zeuge, der dazu im Kon-
gress befragt wurde. Kurz
vor seiner Stellungnahme
gab er seinen ehrenamtli-
chen Posten auf. Der
54-Jährige gehörte zum
engen Zirkel an Topdiplo-
maten, die sich regelmä-
ßig mit Kiew austauschten.
So traf Volker den ukraini-
schen Präsidenten nur einen
Tag nach dem berüchtigten
Trump-Telefonat mit Selenski. In seiner
Aussage wehrte er sich gegen den Verdacht
eines Fehlverhaltens. „Zu keiner Zeit“ sei er
daran beteiligt gewesen, Ermittlungen ge-
gen Biden herbeizuführen.
Ein weiterer wichtiger Zeuge ist
Gordon Sondland, US-Botschafter für die
Europäische Union. Er betonte im Kon-
gress, er könne sich an keine Diskussionen
„speziell zu Biden“ im Weißen Haus erin-
nern. Trump habe lediglich verlangt, dass
die Ukraine grundsätzlich gegen Korrupti-
on vorgehe. Der Europadirektor im Weißen
Haus,
Alexander Vindman, stellte die Sache je-
doch anders dar. Ihm zufolge war es Sond-
land, der in zwei aufeinanderfolgenden Ge-
sprächen mit ukrainischen Vertretern klar
auf Ermittlungen gegen die Biden-Familie
drängte.

Justizbehinderung


Eine Spur, die die Demo-
kraten verfolgen, ist die
Frage, wann die Sorge
über Trumps Ukrai-
nepolitik im Weißen
Haus aufflammte –
und warum über
Wochen offenbar
nichts geschah. Viele
Stränge liefen beim
Nationalen Sicherheits-
rat des Weißen Hauses zu-
sammen.
Ein Schlüsselzeuge könnte deshalb
John Bolton sein. Als Trumps Chef-
Sicherheitsberater hatte Bolton di-
rekte Einblicke in die Ukrainepolitik
und vertrauliche Konversationen.
Die einst gute Beziehung zu Trump
endete im September im Zerwürfnis,
Bolton verließ die Regierungszentra-
le. Aktuell arbeitet Bolton an einem
Buch über seine Zeit im Weißen
Haus. Ob er im Kongress aussagen
will, ist aber noch unklar.
Laut der Ex-Beamtin Fiona Hill soll
Bolton im Juli eine Sitzung gereizt
abgebrochen haben. Der Anlass:
die Bemühungen Trumps, Kiew
für eine politische Schmutzkampa-
gne nutzen zu wollen. Laut Hill be-
zeichnete Bolton die mutmaßlichen
Machenschaften zwischen
Washington und Kiew als „Drogen-
handel“ und Giuliani als „Handgra-
nate, die alle in die Luft jagen wird“.
Glaubt man der Aussage von Diplo-
mat William Taylor, war Bolton sehr

irritiert über „irreguläre
diplomatische Kanäle“
in die Ukraine.
Boltons damaliger
Stellvertreter
Charles Kupperman,
der nicht mehr im
Weißen Haus arbei-
tet, lehnte eine Zeu-
genaussage ab. Doch
Alexander Vindman (Fo-
to), amtierender Europadi-
rektor im Sicherheitsrat, belas-
tete Trump im Kongress schwer. Er
hat das berüchtigte Telefonat mit Se-
lenski mitgehört und war anschlie-
ßend so besorgt, dass er einen An-
walt einschaltete. Vindman erklärte
in dieser Woche in der Anhörung
des Kongresses, das Weiße Haus ha-
be ein Protokoll des Anrufs nur lü-
ckenhaft veröffentlicht. Dies würde
den Vorwurf der Justizbehinderung
zusätzlich befeuern. Trump betont
bisher immer wieder, alles Relevante
könne man in dem Protokoll nachle-
sen.
Gordon Sondland, US-Botschafter
für die EU, könnte mit Blick auf
mögliche Verschleierung ein weite-
res Mal befragt werden. Er sagte im
Kongress aus, es habe „nie jemand
Bedenken“ zur Ukrainepolitik ange-
meldet. Allerdings erklärte Fiona
Hill, die ehemalige Russlandexpertin
im Weißen Haus, in ihrer Aussage,
sie habe sich mit ihren Sorgen direkt
an Sondland gewandt.

Schatten-Diplomatie


Im US-Außenministerium von
Mike Pompeo (Foto oben)
tummeln sich viele Beam-
te, die sich beunruhigt
zeigten, weil sie glaub-
ten, in der Außenpolitik
übergangen zu werden.
Nun packen sie aus: Vie-
le Zeugen werfen Trump-
Anwalt Rudy Giuliani vor,
er habe eine Schatten-Au-
ßenpolitik gelenkt.
So soll Giuliani darauf hingearbeitet
haben, die damalige US-Botschafterin in
Kiew, Marie Yovanovitch (Foto unten),
im Mai von ihrem Posten zu entfernen.
Sie selbst spricht von einer Kampagne:
Trump-Verbündete hätten das falsche
Gerücht der Befangenheit über sie
verbreitet. Im Kongress warnte
sie davor, das US-Außenmi-
nisterium werde „von in-
nen ausgehöhlt“.
Der Diplomat Philip Ree-
ker, der die Abteilung für
Europa und Eurasien lei-
tet, gehörte zu einer
Gruppe im Außenministe-
rium, die eine Absetzung
der Botschafterin verhindern
wollte. Seine Aussage im Kon-
gress zeigte, dass sich hochrangige
Beamte Giulianis Einfluss bewusst waren


  • obwohl der Anwalt des Präsidenten
    kein Regierungsamt innehat. Der Diplo-
    mat Michael McKinley trat als leitender
    Berater Pompeos zurück und zeichnete
    im Kongress das Bild eines „demoralisier-


ten Apparates“. Yovanovitchs
Absetzung habe ihn beson-
ders empört. Aus welchen
Motiven Pompeo die Di-
plomatin abberufen ließ
und warum er der Kritik
seiner Mitarbeiter kein
Gehör schenkte, ist nicht
vollständig geklärt.
Ein weiterer interessanter
Zeuge könnte Pompeos Top-
berater Ulrich Brechbuhl sein.
Ob Pompeo selbst aussagen wird,
steht nicht fest, er gilt als loyaler Verteidi-
ger des Präsidenten. Womöglich wollen
die US-Demokraten auch Rick Perry be-
fragen, den scheidenden Energieminis-
ter. Perry führte eine US-Delegation im
Mai in der Ukraine an, als der da-
mals neu gewählte Präsident
Selenski sein Amt antrat.
Dass er geschickt wurde
und nicht etwa Vizepräsi-
dent Mike Pence, sorgte
in Washington für Irrita-
tionen. Die Ukraine ist
für die USA auch ener-
giepolitisch interessant,
weil das Land als poten-
zieller Großabnehmer für
amerikanisches Flüssiggas gilt.
Perry, Ex-Gouverneur des Öl- und
Gas-Bundesstaats Texas, schien für
Trump offenbar die richtige Person zu
sein, um die Beziehungen nach Kiew zu
pflegen. Der Energieminister hat seinen
Rücktritt angekündigt – offiziell, weil er
sich neuen Aufgaben widmen will.

Das sind die Vorwürfe gegen Donald Trump


AFP, Getty Images News/Getty Images, action press, Bloomberg, imago images/ZUMA Press, AFP


Wirtschaft & Politik


DONNERSTAG, 31. OKTOBER 2019, NR. 210


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