Neue Zürcher Zeitung - 09.11.2019

(Ann) #1

28 WIRTSCHAFT Samstag, 9. November 2019


1500 Flüge sindwegen der Arbeitsniederlegungen bereitsausgefallen. RONALD WITTEK / EPA

Flugbegleite r drohen mit neuen Streiks


(dpa)·Die Flugbegleitergewerkschaft
Ufo erhöht mit neuerlichen Streik-
drohungen den Druck auf die Lufthansa.
Vor einem Gespräch mit demKonzern
an diesemWochenende drohte Ufo da-
mit, denAusstand notfalls zu verlängern
und aufTochtergesellschaften auszuwei-
ten. AmFreitag fielen wie schon tags zu-
vor Hunderte Flüge aus,Zehntausende
Reisende blieben am Boden.
In den Sondierungen für eine mög-
liche Schlichtung müsse «eine völlige
Kehrtwende her», sagte Ufo-Sprecher
NicoleyBaublies der Deutschen Pres-
se-Agentur amFreitag bei Protesten
amFrankfurter Flughafen. «Entweder
wir haben eine Lösung, oder wir wer-
den eben verkünden, dass es eine mas-

siveAusweitung geben muss. Wenn das
noch nichtreicht, ja dann müssen mehr
Unternehmen streiken, und dann muss
es auch länger sein.» Am Montag werde
das weitereVorgehen bekanntgegeben.
DieUfo bestreikt seit Donnerstag die
Lufthansa-Kerngesellschaft. Die Air-
line hatte daher insgesamt 1500 Flüge
gestrichen und sprach von 20 0000 be-
troffenenPassagieren. Lufthansa-Mana-
ger KlausFroese bedauerte die Absa-
gen. Die Gewerkschaft hatte schon am
Montag mit weiteren Streiks gedroht.
Nach Urabstimmungen ist sie auch bei
vier weiteren Lufthansa-Flugbetrieben
dazu bereit – bei Germanwings, Euro-
wings Deutschland, LufthansaCityLine
und SunExpress Deutschland.

Die EU will nichts


von Libra wissen


sco. Brüssel· Es tönt schon fast ein biss-
chen verzweifelt: Die EU weiss nicht, wel-
cheVorschriften sie aufFacebooks Digi-
talwährung Libra anwenden muss. Das
steht im Entwurf einer gemeinsamen
Stellungnahme der EU-Mitgliedstaa-
ten und derKommission, der amFreitag
beimFinanzministertreffen in Brüssel zur
Debatte stand. Gutgeheissen werden soll
dasPapier allerdings erst im Dezember.
Facebook oder Libra werden zwar gar
nicht beim Namen genannt.Vielmehrist
vom Gattungsbegriff «Stablecoins»und
von «Einheiten, die vorhaben, Stable-
coins herauszugeben» dieRede. Doch es
ist klar, worum es geht. Denn es gibt der-
zeitkein anderes Projekt mit vergleichba-
rem Umfang. In der EU ist die Skepsis be-
züglich Libra gross. Doch nun haben sich
Mitgliedstaaten undKommissionprovi-
sorischaufeine gemeinsameLiniege-
einigt. Und diese ist für Libra nicht positiv.
ImPapier werden zunächst dieVorteile
eines solchen Projektes aufgelistet.Tech-
nologische Innovationenkönnten für
denFinanzsektor wirtschaftlichen Nut-
zen generieren, denWettbewerb fördern,
Finanzdienstleistungen einem bisher aus-
geschlossenen Publikum erschliessen, die
Wahl fürKonsumenten vergrössern, die
Effizienz erhöhen,Kostenersparnisse für
Banken und für dieWirtschaft bringen.
Darauf folgt jedoch eine Liste mit
Risiken, die mindestens so lange ist,
wenn nicht gar noch länger. in den Berei-
chen:Konsumentenschutz, Privatsphäre,
Besteuerung, Cybersicherheit, opera-
tiveWiderstandsfähigkeit, Geldwäsche,
Finanzierung vonTerrorismus,die Inte-
grität des Marktes, angemesseneFüh-
rungsstrukturen,Rechtssicherheit, geld-
politische Hoheit, Geldpolitik, Sicher-
heit und Effizienz vonZahlungssystemen,
Finanzstabilität und fairerWettbewerb.
Die Schlussfolgerung lautetwenig
überraschend: Solange nicht allerecht-
lichen, regulatorischen und aufsichtsbe-
zogenen Risiken identifiziert und aus-
geräumt sind, wirdkein Stablecoin in
der EU zugelassen.Das kommt im Prin-
zip einemVerbot einer Digitalwährung
gleich, die es noch gar nicht gibt. Man will
den Anschlussan das digitale Zeitalter
zwar nicht verpassen, aber wenn es dann
einmal an dieTüreklopft, fürchtet man
sich so sehr davor, dass man nicht öffnet.
Zwischen den Zeilen kann man her-
auslesen: So wie sich Libra heute präsen-
tiert, hat die Digitalwährung in der EU
keine Chance. Brüssel wünscht dringend
vollständige und angemessene Informa-
tionen, damit es überhaupt einschätzen
kann, wie Libra zuregulieren ist.Darüber
hinaus begrüsst die EU, dass National-
banken sowie die Europäische Zentral-
bank derzeit eigene Digitalwährungen
evaluieren. Man stimme mit denFinanz-
ministern der EU überein, dass Stable-
coin-Initiativen erst lanciert werden soll-
ten, wenn dieFragen und Bedenken der
Regulatoren ausgeräumt seien, schreibt
Dante Disparte,Verantwortlicher für
Kommunikation der Libra Association,
in einer Stellungnahme zum EU-Papier.

Jahreszeit schuld


an höhererArbeitsl osigkeit


(awp)·Der langsamere Gang derWelt-
wirtschaft ist noch nicht auf dem Schwei-
zer Arbeitsmarkt angekommen. Die
Arbeitslosenquoteliegt weiterhin auf
einem historisch tiefen Niveau. Zwar stieg
diese im Oktober leicht auf 2,2%,nach-
dem sie im September noch 2,1% betra-
gen hatte.Bereinigt um saisonale Effekte
verharrte die Quote aber bei 2,3%. «Die
Zunahme ist alsorein saisonal bedingt»,
sagte Boris Zürcher, Leiter der Direktion
für Arbeit im Staatssekretariat fürWirt-
schaft (Seco), an einerTelefonkonferenz.
Schuldam leichtenAnstieg der Arbeits-
losigkeit ist also nicht dieKonjunktur,
sondern dieJa hreszeit. Dabei lassen der-
zeit zahlreicheFrühindikatoren auf eine
Eintrübung derWirtschaft rund um den
Globus schliessen. «In der Schweizist das
noch nichtauf dem Arbeitsmarkt ange-
kommen», erklärte der Seco-Direktor.


IN KÜRZE


Allianz hat zu kämpfen,
sieht sich aber auf Kurs
(dpa)·Europas grösster Versicherer,
Allianz, hat mit steigendenKosten zu
kämpfen. Der MünchnerKonzern mel-
dete amFreitag für das dritte Quartal
zwar einen kräftigen Anstieg der Um-
sätze um 8,1% auf 33,4 Mrd. €.Das ope-
rative Ergebnis aber schrumpfte leicht,
um 0,1% auf 2,9 Mrd. €.Das lag haupt-
sächlich an der wichtigsten Sparte, Scha-
den/Unfall, zu der unter anderem die Kfz-
und die Gebäudeversicherung gehören.
«Das Umfeld ist ein bisschen schwieri-
ger geworden», sagteFinanzchef Giulio
Terzariol. Das Unternehmen bekräftigte
denAusblick für diesesJahr: die obere
Hälfte des Zielkorridors von 11,5 Mrd. €
plus oder minus einer halben Milliarde.

Daimler-Chef Källenius plant,
Managerposten zu streichen
(dpa)·Daimler-Chef Ola Källenius setzt
mit seinem Sparprogramm bei denFüh-
rungskräften desAutobauers an.Laut Be-
triebsrat sollen weltweit 1100 Stellen auf
den verschiedenen Management-Ebenen
wegfallen. In Deutschland wäre es etwa
jede Zehnte, wie Gesamtbetriebsratschef
Michael Brecht amFreitag in einem Info-
Brief an die Mitarbeiter schrieb, der auch
der Deutschen Presse-Agenturvorliegt.
Zuvor hatten«Süddeutsche Zeitung»
und «Handelsblatt» darüber berichtet.
Daimler wollte das nichtkommentieren.
Källenius willkommendeWoche einen
Einblick in seine Strategie geben.

Ex-Bankmanager
in Italie n verurteilt
(dpa)·Ein Gericht in Mailand hat am
Freitag frühereManager der italienischen
Problembank Monte deiPaschi di Siena
(MPS), der DeutschenBank und der japa-
nischenBank NomurazuGefängnisstra-

Dass der Schweizer Arbeitsmarkt dem
Konjunkturumfeld trotzt, ist laut Zür-
cher insbesondere den Inland-orientier-
ten Dienstleistungs-Sektoren zu verdan-
ken. Eine klareTr endwende lasse sich erst
in der Industrie ablesen.

HERAUSGEGRIFFEN


Immer mehr Lohnabzüge


und andere Katastrophen


Hansueli Schöchli· Schlimme Nachrichten für Schweizer Lohn-
empfänger: Die Nettolöhne werden gegen null fallen.Das
war der Einladung einesKomitees zu entnehmen, das am
Freitag dasReferendum gegen denVaterschaftsurlaub lan-
cierte. «Immer mehr Lohnabzüge von allen für Gratisferien
von wenigen» hiess derTitel zur Einladung. Nimmt man dies
wörtlich, werden die Lohnabzüge irgendwann gegen 100%des
Bruttolohns erreichen. Und eskommt noch schlimmer: Die
Arbeitnehmer werden den Stress nicht mehr aushaltenkön-
nen. Denn es gibt «immer mehr Stress», wie die Gewerkschaft
Tr availsuisse dieserTage verkündete.
Die Schweizer Mediendatenbank hat seit AnfangJahr
dieWortfolge «immer mehr» über 40 000 -mal erfasst (auch
di e NZZ hat gesündigt). Im gleichen Zeitraum desVorjah-
res waren es unter 36 000 Erwähnungen, und vor dreiJah-
renunter2 8000 .Gemäss gängiger Praxis genügen diesedrei
Datenpunkte, um zu behaupten: «Die Medien produzieren
immer mehr Unsinn.» So stellen zum BeispielBanken«immer
mehr»Teilzeitkräfte an, «immer mehr» junge Leute ziehen in
die Städte, «immer mehr» Menschenkönnen die Kranken-
kassenprämien nicht mehr bezahlen und, und, und.
DieFormulierung «immer mehr» ist meist falsch. EinTr end
über zwei, drei oder auch zehnJahrereicht bei weitem nicht
zurRechtfertigung. «Immer» heisst «immer» – bezogen auf
dieVergangenheit wie auf die Zukunft.Aussagen wie «Es gibt
immer mehr Menschen» oder «Die Menschen werdenimmer
älter» mag man ohne Puristenbrille vielleicht akzeptieren,weil
si e sehr lange stimmten und auch für eine absehbare Zukunft
noch stimmendürften. Aber die meisten «Immer-mehr»-Be-
hauptungen beruhen auf weit wenigerDatenpunkten.Typi-
sche Sünder sindLobbyisten undJournalisten, die damit eine
alarmistische Stimmung und Interesse erzeugen wollen oder
ein Opfer der Denkfaulheit geworden sind. Hier eine kleine
Lebenshilfe für Medienkonsumenten:Wer auf dieFormulie-
rung «immer mehr» stösst,sollte den gesamtenText mit be-
sondererVorsicht geniessen – oder gleich sofort abschalten.

fen verurteilt.DieDeutscheBankAG,
ihre LondonerFiliale und Nomura er-
hielten ausserdem Geldstrafen zwischen
3,0 und 3,4 Mio.€,wie die Nachrichten-
agentur Ansa meldete.Die Deutsche
Bank kündigte eine Prüfung des Urteils
an. Bei dem seit fast dreiJahren laufen-
den Prozess ging es umVorwürfe unter
anderem wegen Bilanzfälschung sowie
der Behinderung derBankenaufsicht.
Hintergrund wardieÜbernahme der
Bank Antonveneta durch MPS 2008. Der
frühere MPS-Präsident Giuseppe Mus-
sari erhielt laut Ansa nun siebeneinhalb
Jahre Haft, Ex-GeneraldirektorAnto-
nioVigni siebenJahreund drei Monate,
Ex-Finanzchef GianlucaBaldassarri vier
Jahre und acht Monate und Ex-Finanz-
direktorDaniele Pirondini fünfJahre und
drei Monate. Gegen die Urteile ist Be-
rufung möglich. Sechs frühere Manager
der DeutschenBank wurden laut Ansa
zuFreiheitsstrafen zwischen dreieinhalb
Jahren und vierJahren und acht Monaten
verurteilt. Zwei frühere Nomura-Mana-
ger erhielten Urteile von dreiJahren und
fünf Monaten beziehungsweise vierJah -
ren und acht Monaten.

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