Neue Zürcher Zeitung - 09.11.2019

(Ann) #1

Samstag, 9. November 2019 WIRTSCHAFT 29


Beider UBS in Krakausieht es ganz ähnlichaus wie in Zürich oder London. PD


Warschau
Lodz

Breslau

Krakau

Danzig

WEISSRUSSLAND

UKRAINE

RUSSLAND

TSCHECHIEN

SL OWAKEI

DEUTSCHLAND

POLEN

150Kilometer

Krakau ist führend bei Dienstleistungszentren
Mitarbeiter in polnischen Business-Service-Centern, 2018, inTausend

QUELLE: ASSOCIATION OF BUSINESS SERVICE LEADERS (ABSL) NZZ Visuals/efl.

Polen zieht westliche Konzerne an

Krakau Warschau Breslau Danzig Lodz

70
56,3
47,5

25,5 23,2

Die UBS ist auch polnisch


Drei Mitarbeiter aus Krakau sc hildern, wie polnische Dienstleistung szentren zunehmend komplexere Aufgaben übernehmen


MATTHIAS BENZ, KRAKAU


SylwiaRok-Rybinska wollte in ihre
Heimat zurückkehren. DiePolin hatte
nach dem Studium schon einigeJahre in
Dublin bei einer amerikanischen Invest-
mentbankgearbeitet.«Da wurde ich auf
die UBSaufmerksam.» Die Schweizer
Grossbank hatte imJahr 2008 in Krakau
ihr weltweit erstes Business-Service-
Center eröffnet. «SolcheJobs waren da-
mals völlig neu inPolen», sagt Rok-Ry-
binska. «Ich habe die Chance gepackt.»
Die resolutePolin übernahm ihr ers-
tes Team. Es ging noch umrelativ ein-
fache Tätigkeiten, man erstellteDaten-
analysen für die weltweitenVermögens-
verwaltungseinheiten der UBS. Mitt-
lerweile hat sich Rok-Rybinska die
Karriereleiter hochgearbeitet. Sie führt
jetzt einTeam mit rund neunzig Mit-
arbeitern, welches das Projektmanage-
ment überall in derBank unterstützt.
Häufig geht es umregulatorischeVor-
schriften,von denen es in den vergange-
nen Jahren sehr viele gegeben hat.Das
KrakauerTeam stellt für deren Umset-
zung die technischen und organisatori-
schen Instrumente bereit. «Ich bin den
ganzenTag in regem Kontakt mit UBS-
Kollegen in Zürich, London, NewYork
oder Mumbai», so beschreibt die Mitt-
dreissigerinihrenArbeitsalltag.Allesfi n-
det über Skype-Videokonferenzen statt.
«Es ist nicht wichtig,wojemand sitzt,
sondern wie man zusammenarbeitet.»


VieleHochschulabsolventen


Der Bürokomplex Eximius Nr.800
etwasausserhalb Krakaus ist nicht die
ZürcherBahnhofstrasse.Statt mondä-
ner Innenstadtatmosphäre herrscht die
Nüchternheit eines polnischenVororts.
Aber sonst ist hier alles UBS. In den
Grossraumbüros stehen die gleichen
Möbel und Sitzecken wie in Zürich oder
London.Auf denTüren prangen die drei
Schlüssel des UBS-Logos. Es gibtkeine
festen Arbeitsplätze,die Angestell-
ten räumen ihre Utensilien abends in
Schliessfächer. Leitsprüche an denWän-
den zeigen, dass die gleichenWerte gel-
ten wie überall im UBS-Konzern.
Vielleicht ist die Belegschaft etwas
jünger als anderswo. Rund 32Jahre be-
trägt dasDurchschnittsalter in Krakau.
Die meisten der Mitarbeitenden haben
einen Universitätsabschluss, die Hälfte
sind Frauen, 85% stammen ausPolen,
der Rest kommt aus 55 anderen Natio-
nen. Im Geschäftsalltag sprechen alle
englisch. Aber zu Mittag, wenn die jun-
gen Angestellten sich in der Kantine
zusammensetzen und ihr selbst mitge-
brachtes Essen auspacken, dominiert


Polnisch die Geräuschkulisse, bisweilen
durchbrochen von einem spanischen
oder ukrainischen Gruss.
Für eine Arbeit in Krakau hat sich
auch der Schweizer Grégoire Iseli ent-
schieden. Nach dem Doktorat in Genf
war er zunächst mit einemForschungs-
stipendium nachParis gegangen. «Ich
hatte dann Angebote auch aus Zürich,
aber Krakau war für mich ersteWahl.»
Der jungeWissenschafter wollte inter-
nationale Erfahrungen bei einem füh-
rendenFinanzinstitut machen, und vor
allem strebte er eineinteressanteTätig-
keit an. Bei der UBS in Krakau kann
er nun seinWissen aus derForschung
auf praktische Probleme anwenden.Die
Bank unterhält hier eine achtzigköpfige
Abteilung für Methoden zur Risiko-
analyse. Iseli feilt an den Risikomodel-
len, mit denen die UBS ihr laufendes
Geschäftsrisiko abschätzt.
Der Schweizer arbeitet in einem
hochspezialisierten Team, das auch
Experten für IT-Lösungen umfasst.«Ich
spreche viel mit Leuten in Zürich, New
York oder London. Manchmal habe ich
mehr mit ihnen zu tun als mit meinen
Büro kollegen in Krakau», sagt der zu-
rückhaltendeWissenschafter. Das polni-
sche Zentrum ist mithin längstkeinAus-
senposten des Mutterkonzerns mehr.
Bei den Risikomodellen geht es um das
Kerngeschäft:Nach derFinanzkrise von
2008 ist für dieBanken das Messen von
Geschäftsrisiken noch wichtiger als frü-
her geworden. Iseli hatte sich in seinem
Doktorat mitFinanzmarktstabilität be-
fasst. Jetzt benützt er ähnliche statisti-
sche Verfahren für dieVerfeinerung der
bankinternen Risikoanalyse.
Als die UBS imJahr 2008 nach Kra-
kau kam, wurde sie bisweilen noch mit
dem Paketzusteller UPS verwechselt.Es
war die Zeit, als erste westliche Gross-
konzerne Geschäftsprozesse in polni-
sche Shared-Service-Center (SSC) aus-
lagerten. Anfangs ging es dabei umre-
lativ einfache Tätigkeiten wieRech-
nungsstellung, Lohnbuchhaltung oder
IT-Support. Aber nach derFinanzkrise
setzte ein Boom ein, und dieKomplexi-
tät derAufgaben stieg.
Aus derFinanzwelt kamen neben der
UBS die angelsächsischenFinanzfirmen
State Street, HSBC oder Citibank nach
Krakau. Die Schweizer Credit Suisse
hatte bereits 2007 ein Dienstleistungs-
zentrum im dreiFahrstunden entfern-
ten Breslau (Wroclaw) eröffnet.Aus der
übrigenWirtschaft siedelten sich etwa
Lufthansa, Electrolux, Shell, Heineken
oder ABB in Krakau an. Eine wichtige
Rolle spielten dabeiKostenüberlegun-
ge n. Gerade dieBankenbranche geriet
nach derFinanzkrise unter so starken

regulatorischen und finanziellen Druck,
dass sie nach StandortenAusschau hal-
ten musste, wo man guteArbeitrelativ
kostengünstig erhaltenkonnte. In der
Krakauer SSC-Branche verdienen Ein-
steiger derzeit ungefähr so viel wie den
polnischenDurchschnittslohn (5000Zl.,
1200Fr.), Teamleiterkönnen auf bis zu
22 000 Zl. (5500Fr.) kommen.
Die UBS beschäftigt in Krakau heute
3500 interne und externe Mitarbeiter
und in Breslau weitere 1600. Polen ge-
hört zu dengrössten Standorten der
Bank. «Es ist immer noch ökonomisch
attraktiv, in Polen zu sein», sagt dazu
Harald Egger, der Leiter Corporate
Services der UBS. «Aberentscheidend
is tfür uns der Zugangzum grossenTa-
lentpool inPolen.Wir findenIT-E xper-
ten und wissenschaftliche Mitarbeiter
für quantitative Analysen.Das brau-
chen wir alsBank im 21.Jahrhundert.»
Die UBS ist offensichtlich nachPolen
ge kommen, um zu bleiben. In einein-
halbJahren wird die Bank in ein top-
modernesBürogebäude in der Kra-
kauer Innenstadt umziehen.

Stolzauf Vorzeigeprojekte


Das Dienstleistungszentrum in Kra-
kau war das erste der UBS, aber inzwi-
schen ist ein weltweiterVerbund solcher
UBS-Zentren entstanden. Erreicht von
Nashville in den USA über die polni-
schen Standorte bis nach Schanghai in
China und deckt alle Zeitzonen ab. Kra-
kau und Breslau kümmern sich in die-
sem Verbund vor allem um die europäi-
schen Märkte. In der Schweiz hat die
UBS jüngst drei Dienstleistungszentren
in Schaffhausen, Biel und Manno eröff-
net, die hauptsächlich den Schweizer
Einheiten zuarbeiten.
SeitdenAnfängeninKrakaudabeiist
LukaszWita.«Ichhabepersönlichdavon
profitiert, dass mit den Shared-Service-
Centern Arbeitsplätze nachPolen ge-
kommen sind, die es sonst nicht gegeben
hätte», sagt der Ökonom.Wita begann
2008inderAktienanalyseundsuchteIn-
for mationen aus Unternehmensberich-
ten zusammen. Heute leitet derPole das
lokaleTeam des EvidenceLab, auf das
man in der UBS besonders stolz ist.«Wir
beschreiten neueWege imResearch»,
sagt Wita. Man wolle denKunden neu-
artige undrelevanteDatenanalysen bie-
ten, die sonstkeine andere Investment-
bank vorzeigenkönne. Zum Beispiel hat
man einen Algorithmus entwickelt,der
aus Aussagen inFirmen-Telefonkonfe-
renzen die Stimmungslage des Manage-
ments herausfiltert, was für Investoren
eine wertvolle Information sein kann.
DasLabhatauchausgerechnet,wieviele

Ladestationen der Elektroauto-Herstel-
ler Tesla eigentlich in den USA aufstel-
lenmüsste,ummitherkömmlichenTank-
stellen gleichzuziehen.
Das EvidenceLab gehört zu denVor-
zeigeprojekten der UBS.Wita ist stolz
darauf , dass es auch in Krakau voran-
getrieben wird.«Vor zwölfJahren wusste
noch kaum jemand in derBank, dass es
eine Einheitin Polen gibt. Heute begeg-
net man uns aufAugenhöhe.Wir sind
ein vollwertigerTeil der UBS wie jeder
andere auch.»
Die Aktivitäten der UBS in Krakau
sind wie eine Bank unter dem Mikro-
skop. Man unterstütze hier fast alle
Tätigkeiten, die nicht mitKundenkon-
takt verbunden seien, sagtPolen-Chef
Michal Stepien. Zum diesemBackoffice
gehören etwa interneRevision,Rechts-
dienst,Personalverwaltung, Compliance,
Risikoanalyse,Projektmanagementoder
Softwareentwicklung.InderIT-Entwick-
lunghatdieUBSindenletztenJahrendie
Zusammenarbeitmitsogenanntenexter-
nen Vendorenreduziert und in grossem
StilwiederPersonalinternangestellt.Mit
diesem Insourcing will man wertvolles
Wissen stärker imKonzern halten.
DerAufstieg der Dienstleistungszen-
tren ist einParadebeispiel dafür, wie sich
das ehemals sozialistischePolen im welt-
weitenWirtschaftsgefüge nach oben ge-
arbeitet hat. Nach derWende vor dreis-
sig Jahren siedelten zunächst viele west-
licheKonzerne Produktionswerke in
Polen an.Das Land an derWeichsel
wurde so zu einer«verlängertenWerk-
bank» desWestens, und es vermochte
sich in die internationalen Netzwerke

etwa derAutomobilindustrie zu inte-
grieren. Im vergangenenJahrzehnt sind
dann auch Arbeitsplätze im Dienstleis-
tungsbereich dazugekommen,die den
Vergleich mit anspruchsvollen Bürojobs
imWesten nicht zu scheuen brauchen.

Wachstumsbranche fürPolen


«Die Shared-Service-Center werden für
Polen eineWachstumsbranche bleiben»,
sagt Andrew Hallamvon der Branchen-
organisationAspire in Krakau.Seit 2008
hat sich die Zahl der SSC-Mitarbeiter
allein in Krakau auf rund 70000 ver-
sechsfacht, in ganzPolen sind in diesem
Sektorderzeitgut300000Menschenbe-
schäftigt. Bedenken, dass der Boom in-
folge vonAutomatisierung und steigen-
den Löhnen zu einem Endekommen
könnte,habensichbisjetztnichtbewahr-
heitet. «Krakau ist zu einem Magnet ge-
worden.JedesJahrkommteinwestlicher
Grosskonzern dazu, und es ist nochviel
Potenzial fürWachstum vorhanden»,
meintHallam.DieBranchehabegezeigt,
dass sie immerkomplexereTätigkeiten
und Prozesse bewältigenkönne.
Die Dienstleistungszentren sind in
der malerischen KönigsstadtKrakau
mithin zu einem wichtigenFaktor ge-
wo rden. An der altehrwürdigen, 1364
gegründeten Jagiellonen-Universität
wurde eigens ein Lehrgang eingerichtet.
Mit den zahlreichen Zuzügern aus dem
Ausland und mit vielen internationalen
Restaurants strahlt Krakaukosmopoli-
tisches Flair aus.Polen steht hier mit-
tendrin im internationalenWirtschafts-
leben – nicht nur bei der UBS.
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