Neue Zürcher Zeitung - 09.11.2019

(Ann) #1

Samstag, 9. November 2019 INTERNATIONAL 3


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Das Bild der Bidens erhält


in der Ukraine-Affäre Kratzer


Die Familie des ehemaligen US-Vizepräsidenten spielte eine undurchsichtigere Rolle als bish er angenommen


PETER WINKLER,WASHINGTON


Die Ukraine-Affäre hat von Anfang an
nicht nur ein schlechtes Licht auf den
amerikanischen Präsidenten Donald
Trump geworfen.Auch der demokrati-
sche Präsidentschaftsbewerber und frü-
hereVizepräsidentJoe Biden sah in der
Sache alles andereals gut aus,was schon
2015 zukritischenBerichtengeführthatte.
Schliesslich hatteVater Biden 2014 zuge-
lassen,dass sein Sohn Hunter in der gros-
sen ukrainischen Gasfirma Burisma ein
für stlich bezahltesAufsichtsratsmandat
annahm, während er die Ukraine-Politik
für dieRegierung Obama verantwortete.
Besserkönnte man einen Interessenkon-
flikt kaum definieren.
Die Optik ist das eine; aber das Bild,
das neuere Berichte von derRolle der
Bidens in der Ukraine zeichnen, geht
über «schlechtes Aussehen» hinaus.


Kernstück ist dieFrage, ob die ukrai-
nische Staatsanwaltschaft 2016 ihre
Untersuchungen in Bezug auf dieFirma
Burismabereits hatte einschlafen lassen
oder ob sie erst mit der Entlassung des
GeneralstaatsanwaltsWiktor Schokin
abgewürgt wurde. Diese Entlassung, so
brüstetesichJoe Biden später, war ent-
scheidend mit seiner Drohung durch-
gesetzt worden, die dringend benötigte
Kreditgarantie für eine Milliarde Dollar
zugunsten der Ukraine zu blockieren.

Aktiongerichtlichgedeckt


In denDarstellungen aus jener Zeit
sind meist folgende Elemente enthalten:
Schokin war bekanntermassenkorrupt,
Burismakonnte trotz einer zwielichti-
gen Vergangenheit nichts vorgewor-
fen werden, weshalb die Untersuchun-
gen lange vor Bidens Ultimatum einge-

schlafen waren.Folglichkonnte Scho-
kins Entlassung imFrühling 2016 auch
nichts mit Burisma zu tun gehabt haben.
Doch dem war offensichtlich nicht so.
Mehrere Berichte sowohl in linken als
auchrechten Medien legen nahe, dass
Schokins Justizbehörde dieFirma Bu-
risma und deren Besitzer Mykola Slot-
schewski damalskeineswegs aus den
Augen verloren hatte. Im Gegenteil:Wie
eine Meldung der Nachrichtenagentur
In terfax vom 2.Februar 2016 beweist,
liess Schokin an jenemTag vier Immo-
bilien und einenRolls-Royce Slotschew-
skis beschlagnahmen.
Die Aktion war gerichtlich gedeckt
und betraf denVorwurf der illegalen Be-
reicherung.Slotschewski war unter den
PräsidentenKutschma undJanukowitsch
Energieminister gewesen und hatte, so
lauteten dieVorwürfe, Unternehmen in
seinem Besitz Lizenzen zugeschanzt.Sol-

che Praktiken waren in den postsowje-
tischenLändern damals gang und gäbe.
Das heisst nicht, dass Schokin nichtkor-
rupt gewesen wäre. Doch Bidens Erpres-
sungsmanöver erfolgte ausgerechnet in
einer Zeit, in der das Unternehmen mit
seinem Sohn imAufsichtsrat in Proble-
men steckte.Wie aus kürzlich freigegebe-
nen Dokumenten auch ersichtlich wird,
waren sich die zuständigen Stellen im
WashingtonerAussenministerium durch-
aus bewusst, dass Bidenjunior und ein
amerikanischer Geschäftspartner von
ihm im Burisma-Aufsichtsrat sassen.
E-Mails aus dem State Department,
die sich derJournalistJohn Solomon
mittels einer Klage beschaffte, legen
nahe, dassVertreter einer amerikani-
schen Lobbyfirma im Sold von Burisma
in jener ZeitKontakt mitWashing-
ton suchten, um dieKorruptionsvor-
würfe gegen Burisma zu erörtern – im
Klartext: um das Image derFirma auf-
zupolieren. In den Botschaften, die in
diesem Zusammenhang ausgetauscht
wurden, wurde dieRede auch auf zwei
«wichtigeAmerikaner» gebracht, die
mit derFirma verbandelt seien.

Plötzliche Hektik


Die Kampagne der amerikanischen
Regierung gegen den damaligen Gene-
ralstaatsanwalt hatte bereits früher be-
gonnen, im Herbst 2015. Zuerst hatte
der amerikanische Botschafter in Kiew,
Geoffrey Pyatt, dannseine Vorgesetzte
im Aussenministerium,Victoria Nuland,
und schliesslich auch Biden selber wäh-
rend eines Besuchs in der Ukraine den
Finger auf SchokinsRolle in der man-
gelhaftenKorruptionsbekämpfung ge-
legt. In einerRekapitulation derKon-
takte Bidens mitVertretern der ukrai-
nischenRegierungkommt der Aktivist
Williams Bowles zum Schluss, dass diese
Kontakte imFebruar 2016 plötzlich sehr
intensiv wurden, während in Kiew ein
eigentliches Schmierentheater um die
Entlassung Schokins begann.Aus der
Wissenschaft ist bekannt,dass Korrela-
tion (Zusammenhang) nicht mit Kausa-
lität (Ursache) verwechselt werden darf.
Aber die Häufung derKontakte Bidens,
falls sie sich als zutreffend herausstellen
sollte, in einem kritischen Zeitraum für
Burisma ist augenfällig und verdiente
mehrAufmerksamkeit.

JoeBidenliess zu, dasssein Sohn Hunter in der ukrainischen Gasfirma Burisma einAufsichtsratsmandatannahm.D. ACKER / BLOOMBERG


Pompeos fr eundlich formulierte Drohung


Die Nato laufe stets Gefahr, obsolet zu werden, sagt der amerikanische Aussenmin ister in Berlin


MARC FELIX SERRAO, BERLIN


In der politischenKommunikation ist
der kleineText unter der grossen Leucht-
schrift in derRegel derjenige, auf den
es ankommt. Ein Beispiel dafür bot der
amerikanische Aussenminister Mike
Pompeo an diesemFreitag in Berlin.
Beim «Global Leaders Dialogue» der
Körber-Stiftung wollte ihm die Mode-
ratorin eineFrage zur westlichen Mili-
tärallianz stellen. «Ist die Nato...», fing
sie an,da fiel ihrPompeo schon insWort.
«Ich bin dafür!», rief er, und viele der
etwa 500 Zuhörer lachten. In dem Saal
unweit des Brandenburger Tors hatten
sich die einflussreichenAussenpolitiker
und Mitglieder der transatlantischen Ge-
meinde der Hauptstadt versammelt, um
Pompeo über das 30-Jahr-Jubiläum des
Mauerfalls im Besonderen und dieWelt-
lage im Allgemeinenreden zu hören.
Amerika ist für die Nato: Das wardie
Leuchtschrift.Der Subtext folgte. Ob die
Nato «obsolet oder hirntot» sei, wollte
die Moderatorin wissen. Dieschrille
Wortwahl bezog sich auf einInterview,
welchesFrankreichs Präsident Emma-
nuel Macron tags zuvor dem «Econo-
mist» gegeben hatte. «Was wir derzeit er-


leben, ist der Hirntod der Nato», zitiert
ihn das Magazin. Europakönne sich
nicht länger auf dieVereinigten Staaten
verlassen und müsse sich künftig selbst
um seineVerteidigung kümmern.

Ausweichende Antwort


«So viele gute Antworten, so viele Kame-
ras», begannPompeos Antwort.Nach
70 Jahren müsse das Bündnis wachsen
und sich verändern. Die Gegenwart sei
anders als die Zeit, in der deutsche Sol-
daten in der «Lücke vonFulda» patrouil-
liert hätten.Der Begriff beschrieb im Kal-
ten Krieg dieRegion rund um das gleich-
namige hessische Städtchen, das sich in
unmittelbarer Nähe zum westlichsten Zip-
fel desWarschauer-Pakt-Territoriums be-
fand. Die Nato laufe stets Gefahr, obso-
let zu werden, fuhrPompeo fort.Das sei
etwa dann derFall, «wenn Nationen glau-
ben , sie könnten die Sicherheitsvorteile
erhalten,ohne die nötigenRessourcen zur
Verfügung zu stellen». Man dürfe nichts
als selbstverständlich ansehen, nicht die
Infrastruktur und auch nicht das «wun-
derschöne Gebäude in Brüssel».
Diefreundlich formulierte Drohung
war nicht wirklich überraschend. Ameri-

kas Präsident DonaldTrump hat in die-
ser Frage,wie es seineArt ist, schon deut-
lich schroffereFormulierungen gewählt.
TrotzdemkönntePompeosAntwort den
europäischen Anhängern destransatlan-
tischen Bündnisses zu denken geben:Da
sitzt derAussenminister der führenden
westlichen Nation amTag vor dem Mauer-
fall-Jubiläum wenige hundert Meter vom
BrandenburgerTor entfernt auf einer
Bühne und antwortet auf dieFrage nach
demAus der Nato ausweichend und mit
ein er Wenn-dann-Konstruktion. Echten
Widerspruch zu Macron, den sich viele
der Zuhörer in Berlinsicherlich erhoff-
ten, hatte es tags zuvor nur von der deut-
schen Kanzlerin gegeben.
DerrestlicheAuftritt des amerikani-
schenAussenministers bei derKörber-
Stiftung war geprägt von harscher Kritik
an den autoritären Grossmächten China
undRussland und warmenWorten für
die Gastgeber. Pompeo erinnerte sich an
seine Zeit als Soldat inWestdeutschland
Ende der achtzigerJahre. Er sprach von
seinemRespekt für die ostdeutschen De-
monstranten, die sich ihreFreiheit mutig
erkämpft hätten. «Gott segne das grosse
Land Deutschland», sagte er. Bei einem
späterenTreffe nmit Kanzlerin Angela

Merkel versicherte ihm diese, dass
Deutschland beimVersuch, die Konflikte
in derWelt zu lösen, eine aktiveRolle
spielenwolle. Pompeo bezeichnete die
Regierungschefin daraufhin als «grosse
Freundin derVereinigten Staaten».Ihr
Land bleibe ein enorm wichtigerPartner.

«Angemessene»Worte


Einer, der selbst täglich an dieserPart-
nerschaft arbeitet, äusserte sich nach
demAuftrittPompeosbei derKörber-
Stiftung betont zurückhaltend.Thomas
Kleine-Brockhoff, Leiter des Berliner
Büros des German MarshallFund, fand
die freundlichenWorte desAmerikaners
lediglich «angemessen».Ererinnerte im
Gespräch an eineRede, die derAussen-
minister im Dezember 2018 in Brüssel
auf Einladung seinesThink-Tanks gehal-
ten hatte. Damals hattePompeo scharfe
Kritik an verschiedenen internationalen
Organisationen geübt und angesichts des
Brexit-Votums gefragt, ob die EU denn
dafür sorge, dass die Interessen der Bür-
ger vor denen der «Bürokraten hier in
Brüssel» kämen. Er, so Kleine-Brock-
hoff, frage sich:«Welches Gesicht von
Pompeo soll ich angucken?»

Exil-Pol itiker


scheitert


an Thai Airways


Sam Ra insy von Rückkehr
nach Kambodscha abgehalten

MANFRED RIST, SINGAPUR

Der kambodschanische Oppositions-
führer SamRainsy ist am Donnerstag-
abend auf demPariser FlughafenRoissy
am Abflug nach Bangkok gehindert
worden. DieWeigerung der Fluggesell-
schaftThai Airways, denseit fünf Jahren
im französischen Exil lebendenRainsy
an Bord zu lassen, geht offenbar auf eine
Weisung des thailändischen Minister-
präsidenten Prayuth Chan-ocha zurück.
SamRainsy ist der frühere Gegen-
spieler des kambodschanischen Macht-
habers Hun Sen,dessen Oppositionspar-
tei, die Cambodia National RescueParty
(CNRP), 2017 verboten wurde. In der
Folge gewann dieRegierungspartei von
Hun Sen bei denWahlen 2018 alle Sitze
im Parlament. Hun Senkontrolliert auch
alle Institutionen.König Sihamoni, das
formelle Staatsoberhaupt, ist im Gegen-
satz zu seinem 2012 verstorbenenVater
Norodom Sihanouk völlig machtlos. Seit
bekannt ist, dass SamRainsy insLand
zurückkehren will, sind die Sicherheits-
kräfte in Alarmbereitschaft.

Symbolikdes 9. Novembers


Der70-jährigeRainsy, der für aufsehen-
erregende Aktionen bekannt ist, wollte
diesen Samstag mit Anhängern zuFuss
vonThailand nach Kambodscha gelan-
gen. Klar ist, dass er und seine Mitstrei-
ter dort sogleichverhaftet würden. Un-
klar war, ob esRainsy bis in die Heimat
schaffen würde – und wie ernst es dem
ewigen Oppositionsführer damit über-
haupt war. Der 9.November, so e rklärte
er kürzlich, sei nicht nur derJahrestag
desFalls der Berliner Mauer, sondern
auch der Unabhängigkeitstag Kambo-
dschas. Mit seinerRückkehr wolle er
einenRegimewechsel in PhnomPenh
bewirken.
Der Plan, der aufgrund der Macht-
verhältnisse chancenlos war,deutetauf
die VerzweiflungRainsys und der Oppo-
sition hin. Er zeugt von Selbstaufopfe-
rung und der Suche nach Publizität. Der
hochgebildete und sanft auftretende
Rainsy gilt zwar auch imAusland als
Stimme der Demokratie, doch er steht
auf verlorenem Posten. NebenThai-
land hat ihn inzwischen auch Malaysia
zur unerwünschtenPerson erklärt; in
Vietnam, einem anderen Nachbarstaat,
ist Rainsy gar einrotes Tuch. Die Soli-
darität unter denRegierenden Südost-
asiens,die etwas feige als Grundsatz der
«Nichteinmischung» bezeichnet wird,
funktioniert in solchenFällen gut.

Oppositiongilt als Hochverrat


Selbst Malaysia,wo2018ein demokra-
tischerWandel stattgefunden hat, macht
bei der Isolierung der kambodschani-
schenDissidenten mit. Am Donners-
tag ist dieVizepräsidentin der CNRP,
Mu Sochua, inKuala Lumpur vorüber-
gehend festgenommen worden.Die
65-Jährige, die auch die amerikani-
sche Staatsbürgerschaft besitzt, soll in
ein Drittland ausgewiesen werden. Die
neben SamRainsy wichtigste Opposi-
tionsfigur in Kambodscha, der CNRP-
VorsitzendeKem Sokha, wurde 20 17
verhaftet und sitzt seither wegen Hoch-
verrats im Gefängnis.

Nächstes Seminar in Zürich:

Dienstag, 26. November 2019
Geldwäschereigesetz(GwG)

Leitung: Prof. Dr. Othmar Strasser,
Prof. Dr. Brigitte Tag

Weitere Informationen und Anmeldung:

Europa Institut an der Universität Zürich,
http://www.eiz.uzh.ch, Telefon +41 44 634 48 91
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