Neue Zürcher Zeitung - 09.11.2019

(Ann) #1

Samstag, 9. November 2019 WIRTSCHAFT 31


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Der Athene-Faktor


Von Milliardärinnen kontrollierte Firmen sind erfolgreich


OLGA SCHEER


Die dreireichsten Menschen derWelt
haben einiges gemeinsam: Sie sind Män-
ner,stammen aus den USA und führen
ein kotiertes Unternehmen.Laut einer
Liste des amerikanischenWirtschafts-
magazins «Forbes» handelt es sich da-
bei umJeff Bezos, Bill Gates undWar-
ren Buffett.Ihre Unternehmen heissen
Amazon,Microsoft und Berkshire Hatha-
way. Auch wenn Bill Gates mittlerweile
weitgehend dieKontrolle bei Microsoft
abgegeben hat, handelt es sich bei den
Firmen um Musterbeispiele des Erfolgs.
Laut der Untersuchung «Billionaires
insights 2019» von UBS und PwC ent-
wickeln sich Unternehmen, die von Mil-
liardärenkontrolliert werden, besser als
andere. Das zeigt die Entwicklung der
Börsenkurse. Die Studienautoren haben
herausgefunden,dass die Unternehmen
seit15 Jahren signifikant höhere Er-
träge erwirtschaften als der MSCI-All-
Country-World-Index,der fast die ganze
Marktkapitalisierung am Aktienmarkt
abbildet. Die Börsenkurse der von Mil-
liardärenkontrollierten Unternehmen
stiegen jährlich um17,8%, während der
Index nur um 9,1% zulegte. Die Kursent-


wicklung von Unternehmen,die von Self-
made-Milliardärenkontrolliert werden,
war noch um 1,4 Prozentpunkte besser als
die derFirmen von Milliardärsfamilien.
Die Anzahl Milliardäre steigt seitJah-
ren.Mittlerweile gibt es auch immer mehr
Milliardärinnen. In den letzten fünfJah-
ren nahm ihre Zahl um 46%,von 160 auf
233, zu. DieWachstumsrate der männ-
lichenMilliardärebeträgt 36%. Die Stu-
die sprichtvon einemAthene-Faktor, be-
nannt nach der griechischen Göttin für
Weisheit,MutundInspiration.Diehöhere
Wachstumsrate ist zwar auch der geringe-
ren Basis geschuldet, da es noch deutlich
weniger Milliardärinnen als Milliardäre
gibt. Dennoch ist der Anstieg insofern
bemerkenswert, als die allgemeineAn-
zahl von Milliardärskandidaten von Män-
nern dominiert wird. Schliesslich werden
immer noch die meisten Unternehmen
von Männern gegründet und geführt.
Im Gegensatz zumTrend der vorheri-
gen Jahre ist dasVermögen der Milliar-
däre 2018 gefallen.Das kann mit dem
Rückgang bei denAktienkursen weltweit
erklärt werden.DieAssets der Milliardä-
rinnen haben sich um mehr als einVier-
tel auf 871,2 Mrd. $ erhöht.In denvergan-
genen fünfJahren ist dasVermögen der
Selfmade-Milliardärinnen um 131% auf
162,8 Mrd. $ gestiegen und das von Gene-
rationen übertrageneVermögen von Mil-
liardärinnen um14% auf 708,4 Mrd. $.
Während in Europa das Bild vor allem
durch Milliardärsfamilien geprägt ist,gibt
es in Asien immer mehr Selfmade-Mil-
liardäre. Chinas Milliardäre treiben eine
ökonomischeTransformation voran. In
der Schweiz ist die Zahl der Milliardäre
2018 um 8% gesunken, von 36 auf 33. Ihr
Vermögen ist um14% auf 106,8 Mrd. $
gefallen. Dabei schnitten sie im vergan-
genenJahr um5Prozentpunkte schlech-
ter ab als der MSCI All CountryWorld.
Milliardäre nehmen mit ihrer Unter-
nehmertätigkeit, aber auch oft durch die
Gründung von Stiftungen Einfluss und
verf olgen des Öfteren philanthropische
Ziele. Ihr Vorteil ist es, dasssie nicht
kurzfristig erfolgsorientiert sind, son-
dern auch Projekte verfolgen, die mög-
licherweise gar nicht oder nur auf lange
Sicht zum Erfolg führen.Wenn in Zukunft
auch mehr Milliardärinnen Einfluss neh-
men,könnte aus dem Athene-Faktor ein
Athene-Effekt werden.

Der Streit wird zum Reputationsproblem


Die Fronten im Migros-Konflikt verhärten sich – bald entscheiden die Genossenschafter über die Abwahl des «Regionalfürsten»


NATALIE GRATWOHL


Was als Streit hinter denKulissen an-
gefangen hat, wird für die Migros zu-
nehmend zum Reputationsproblem.
Der Konflikt zwischen der Migros-Zen-
trale in Zürich und dem Präsidenten
der regionalen Genossenschaft Migros
Neuenburg-Freiburg (GMNF) verlagert
sich immer mehr in die Öffentlichkeit,
belastet die lokale Belegschaft und be-
schäftigt mittlerweile auch die Genos-
senschafter. Sie entscheiden darüber, ob
PräsidentDamien Piller im Amt bleibt
oder sofort wird zurücktreten müssen.


MedialeOffe nsive


Der Migros-Genossenschaftsbund
(MGB) hatte imJuli, gestützt auf zwei
Untersuchungsberichte, gegen Pil-
ler eine Strafanzeige wegenVerdachts
auf ungetreue Geschäftsführung einge-
reicht. Dieregionale Genossenschaft
soll an zweiImmobilienfirmen, die Pil-
ler gehören oder später in seinen Besitz
gelangt sind, 1,7 Mio. Fr. bezahlt haben,
für die siekeine Gegenleistungen erhal-
ten habe. Es sei nicht nachvollziehbar,
warum sich die Genossenschaft an Infra-
strukturkosten wie Maurerarbeiten an
einem Mehrfamilienhaus beteiligt habe,
wenn sie nur einenTeil alsLadenfläche
habe mieten wollen.
Auch die Direktion des GMNF hat
ihren Präsidenten in der gleichen Sache


angezeigt. Der«Re gionalfürst» sieht
sich als Opfer eines internen Macht-
kampfs. Er hat seinerseitsmehrere
Anzeigen wegen Ehrverletzung ein-
gereicht.Für beide Seiten gilt die Un-
schuldsvermutung.
In derFolge ging Piller in die mediale
Offensive und wehrte sich vehement
gegen dieVorwürfe. Die GMNF-Ver-
waltung hatte selbst ein Gutachten in
Auftrag gegeben undMitte Oktober
kommuniziert, dieses bestätige Pil-
lers Unschuld. Der Bericht fand zwar
keine Beweise für eine strafbare Hand-
lung, die Expertenkonnten aber auch
nicht abschliessend feststellen, welche
Gegenleistungen für die 1,7 Mio. Fr. im
Rahmen vonBauvorhaben geleistet
worden waren.
Zudem kam das Gutachten zum
Schluss,das Vorgehen bei derRealisie-
rung derBauvorhaben sei ungewöhn-
lich gewesen, und aufgrund der ver-
schiedenenFunktionen, die Piller aus-
geübt habe, hätten Interessenkonflikte
bestanden.Es sei auchkein wirksames
internesKontrollsystem eingerichtet
worden, um eine kritische Prüfung der
Transaktionen zu gewährleisten. Der
MGB wirft Piller gestützt auf die eige-
nen Untersuchungen ebenfalls einen
Interessenkonflikt vor. Er habe bei den
Verträgen für dieBauvorhaben gleich-
zeitig als Anwalt, Präsident derVerwal-
tung und (künftiger) Eigentümer der
Baufirmen fungiert.

DerFall beschäftigt auch dieJus-
tiz. Die StaatsanwaltschaftFreiburg hat
mittlerweile eine Untersuchung einge-
leitet,und noch im November wird Pil-
ler erstmals von derPolizei angehört
werden.
Wie aus der Migros verlautet,soll Pil-
ler jüngstbei einemTreffen mit MGB-
Vertretern seinen vorzeitigenRücktritt
angeboten haben, falls die Klagen gegen
ihn fallengelassen würden. Der MGB
habe sich jedoch nicht auf diesen Han-
del eingelassen und halte an den Anzei-
gen fest.Laut Pillers Anwalt Philippe
Leuba hatPillernie einen sofortigen
Rücktritt angekündigt,aber immerwie-
der Dialogbereitschaft gezeigt. Piller,
der die GMNF-Verwaltung während
langer Zeit präsidiert hat, will Mitte
2020 zurücktreten.

Ein Novumbei der Migros


In einem Unternehmen, in dem die Mut-
tergesellschaft ihreTochterfirmenkon-
trolliert, wärePiller im Zuge des durch
die Klage erschüttertenVertrauensver-
hältnisses schon längst beurlaubt oder
entlassen worden. Die Migros funktio-
niert aufgrund ihrer Struktur jedoch ganz
anders als einKonzern mit verschiede-
nen Tochtergesellschaften. Der MGB ist
den zehnregionalen Genossenschaften
faktisch unterstellt und hatkeine Kom-
petenz, die «Regionalfürsten» in den
lokalen Genossenschaften abzusetzen.

Bei der GMNF entscheiden nun
die 124000 Genossenschafter an einer
Urabstimmung über die Abwahl von
Damien Piller und den drei weiteren
verbliebenen Mitgliedern derVerwal-
tun g. «Wollen Sie mit sofortigerWir-
kung alle Mitglieder derVerwaltung
der Migros-Genossenschaft Neuen-
burg-Freiburg absetzen?»,lautet die im
«Migros-Magazin» publizierte Abstim-
mungsfrage.Die Genossenschafterkön-
nen bis am16.November brieflich ab-
stimmen. Erstmals in der Geschichte be-
finden damit die Migros-Kunden über
eine Abwahl derVerwaltung.
Vor dem Hintergrund der Urab-
stimmung erstaunt es nicht,dass sich
der Streit verschärft und dieKonflikte
öffentlich ausgetragen werden. Es gilt,
die Genossenschafter zu überzeugen. So
tratPiller AnfangWoche erneut vor die
Medien, um zwei weitere Gutachten zu
präsentieren, die seine Unschuld bewei-
sen sollen. Der MGB hält dagegen, dass
es sich dabei nicht um neue Zahlen und
Fakten handelte. Mittlerweile haben sich
in Freiburgauch Gruppen gebildet, die
Piller unterstützen oder die sich gegen
die Urabstimmung wehren, weil sie sich
zur Ausübung einesPersonalentscheids
instrumentalisiert sehen.
Piller ist nicht nur seit 23Jahren
Präsident der lokalen Migros-Genos-
senschaft, sondern auch ein bekannter
Unternehmer inFreiburg. Er besitztFir-
men in der Immobilienbranche, einen

Innovationspark und ist Patron von
Lokalsendern. Zudem ist er Anwalt.
Im Streit gegen den MGB schöpfter
alle juristischen Mittel aus; er hat zahl-
reiche Klagen eingereicht und super-
provisorische Verfügungen erwirkt.
So durfte sich der MGB etwa anfäng-
lich nicht zumFall äussern. Unlängst
hat eine von Piller angestrengte super-
provisorischeVerfügung dazu geführt,
dass die Stellungnahme des MGB und
des Genossenschaftsrats, der die Urab-
stimmung beantragt hat, im «Migros-
Magazin» geschwärzt und eine Gegen-
darstellungder Verwaltung abgedruckt
wurde. Damit wird in der Publikation
für die Migros-Kunden schwarz auf
weiss sichtbar, wie stark der Streit mitt-
lerweile eskaliert ist und mit welchen
hartenBandagen kurz vor der Abstim-
mung gekämpft wird.

Noch keinEnde in Sicht


DerAusgangder Urabstimmung ist
offen. Doch bereits jetzt zeichnet sich ab,
dass der Streit auch nach der Bekannt-
gabe des Ergebnisses wenigeTage nach
dem16.November nicht so einfach bei-
gelegtsein dürfte. Pillers Anwalt spricht
jedenfalls von Unregelmässigkeiten im
Zusammenhang mit der Abstimmung
und zieht die Möglichkeit einer Anfech-
tung in Betracht. Nach der Urabstim-
mung dürfte bei der Migros wohl noch
keine Ruhe einkehren.

BeiVontobel setzen wirauf Talent
undWillensstärke.DennÜber-
ragendes entsteht,wennMenschen
über sich selbsthinauswachsen.

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