Neue Zürcher Zeitung - 09.11.2019

(Ann) #1

38 REFLEXE Samstag, 9. November 2019


BenjaminTriebe,London·Selbst in der Londoner
City, dem grösstenFinanzplatz Europas, ist die Un-
zufriedenheitüberhoheManagervergütungenbisin
die Chefetagen vorgedrungen.«Wir haben verstan-
den», lautet die implizite Botschaft der britischen
Bank Standard Chartered,die amFreitag eine Hal-
bierungderPensionsbeiträgevonCEOBillWinters
und des Finanzchefs bekanntgab. Freiwillig hat die
Bank allerdings nicht dazugelernt: 36% der Aktio-
näre wiesen imFrühjahr auf der Generalversamm-
lung denVergütungsbericht zurück,einer der gröss-
tenAnlegerprotesteamFinanzplatzseitJahren.Da-
malswollteStandardChartereddasPensionsmodell
anpassen,so dassnicht nurdasBasisgehalt, sondern
auch die Entlohnung inAktien zur Berechnung der
Vorsorgebeiträge herangezogen wird.Das Modell
wurde zwar angenommen, undWinters sprach von
«unreifer» Kritik – doch derVerwaltungsrat musste
dieWogen glätten und hat die beiden Spitzenmana-
ger nun zum «freiwilligen»Verzicht bewegt.
Auch HSBC und dieRoyal Bank of Scotland
haben in diesemJahr ihren CEO den Anteil der
Pensionsbeiträge am Gehalt gekürzt. BeiBarclays

wiesen im Mai fast30% derAnteilseigner denVer-
gütungsbericht zurück, aus Unzufriedenheit über
das Verhalten des Chefs. Und bei Lloyds muss sich
CEO Antonio Horta-Osorio immer lauterrecht-
fertigen, warum er vergangenesJahr 169 Mal mehr
verdiente als ein typischer Angestellter derBank.
Gleichzeitig werden branchenweit dieRufe lau-
ter, den Mitarbeitern am unteren Ende der Kar-
riereleiter und den weiblichenAngestellten höhere
Gehälter zu bezahlen, um dieSalärlücke zu ihren
männlichen Arbeitskollegen zu schliessen.
Aktionäre nutzen denWiderstand gegen die
Entlohnung der Manager als Druckmittel–sei es
wegen operativerFehlleistungen oder weil ein als
masslos empfundenes Gehalt heutzutage zuRecht
ein Reputationsrisiko darstellt.Das simple Argu-
ment, nur mit den exorbitant hohen Gehältern lies-
sen sich die bestenKöpfe anlocken, war noch nie
ein Ruhmesblatt für die Branche.Auch Masshal-
ten sollte eineKultur sein, die eineBank auszeich-
net. Es ist gut, dass immer mehrBankeigentümer
dies ebenfalls so sehen und ihren Einfluss geltend
machen – künftig gerne noch öfter.

Britische Kritik an Bankerlöhnen


Aktionäre sollten


ihre Macht öfter nutz en


Werner Grundlehner·Einen Monat später als an-
gekündigt und ziemlich leise hat das indonesische
Fintech-UnternehmenAchiko dieKotierung an
der SIX doch noch vollzogen.Vier Zeilen weist die
Medienmitteilung der Schweizer Börse SIX dazu
auf.Achiko hat in einem Direct Listing fast 90 Mil-
lionen Aktien platziert. Bei diesemVerfahren wird
kein frisches Kapital aufgenommen, dafür ist es
günstiger als ein IPO (Initial Public Offering). Zu-
dem wird das Börsenpublikum zuvor kaum einbe-
zogen, da auf eine Promotour bei wichtigen Inves-
toren und auf«Werbeunterlagen» für den breiten
Markt verzichtet wird.
Wieso der Börsengang, der ursprünglich auf den


  1. Oktober angesetzt gewesen war, wenige Stunden
    vor Handelseröffnung kurzfristig abgesagt wurde,
    ist weiterhin offen.Angeblich mussten nocheinige
    «nicht sehr grosse Lücken» für das Listing geschlos-
    sen werden.Nun legten die Aktien am Premieren-
    tag bei wenig Handelsumsatz einen wildenTanz
    hin. Der erstbezahlteKurs belief sich auf$1.52,
    dann ging es hinauf auf$1.80.Aus dem Markt ging
    der Titel dann mit$1.44. Mit einem Umsatz von


rund 100000 Aktien blieb dasVolumen aber be-
scheiden für einen ersten Handelstag.
Achiko will den Zahlungsverkehr über das
Smartphone und die App Mimopay in Südostasien
etablieren–auchfürPersonen,dieüberkeine Bank-
verbindungverfügen.DasGuthabenkannviaBank-
konto,amBancomatenoderaneinemKioskaufdas
SmartphonegeladenwerdenundanandereAnwen-
derüberwiesenwerden,welchedieAppverwenden.
IndiesemGeschäfttrifftdasUnternehmenaberauf
in-undausländischeKonkurrenten,diebereitsüber
eine grössereVerbreitung verfügen.
Dasindonesische Unternehmen hat es vorerst
verpasst, an der Schweizer Börse auf sich aufmerk-
sam zu machen. Die Inklusion – vernachlässigten
Bevölkerungsschichten mithilfe der Digitalisierung
die Integration zu ermöglichen – dürfte hiesigeAn-
leger noch wenig umtreiben.Vielleicht ist es dafür
aber auch noch zu früh. BevorAchiko nichtrele-
vante Erfolge im operativen Geschäft vermelden
kann,werden dieAktien sich umsatzmässig weiter-
hin unter den SIX-Zwergen bewegen, die auf dem
Parkett kaumLärm machen.

Neues Unternehmen an der Schweizer Börse


In Filzpantoffeln


aufs Börsenpark ett


MartinLanz,Washington·WerindenUSAnichtbe-
sonders begütert ist,darf nicht krank werden.Sonst
droht rasch der finanzielleRuin. Die demokrati-
schePräsidentschaftskandidatinundSpezialistinfür
Konkursrecht,ElizabethWarren,hatdasThemasel-
ber erforscht: Der Hauptgrund für Privatkonkurse
von Familien in den USA sind unbezahlbareRech-
nungen für Gesundheitsdienstleistungen.
Mit einerReihe weiterer Statistiken belegtWar-
ren, wieso das Gesundheitssystem in den USA in
seiner derzeitigenForm nicht tragbar ist: Eine
vierköpfige, viaden Arbeitgeber privat versicherte
Familie zahlt imDurchschnitt fast15 000 $ proJahr
an Prämien,Tendenz steigend. 27,5 Mio.Amerika-
ner haben garkeine Versicherung, und 87 Mio. gel-
ten als unterversichert. 37 Mio. haben im vergan-
genenJahr ausKostengründen aufrezeptpflichtige
Medikamente verzichtet. Und so weiter.
ElizabethWarren hatrecht: Solche Zustände
sind ein Skandal für einLand, das zu denreichs-
ten derWelt zählt. Die Grundidee, der gesamten
Bevölkerung einen besseren Zugang zu Gesund-
heitsdienstleistungen zu verschaffen, verdient des-

halb Unterstützung. UndWarrens Mut,konkrete
Vorschläge für dieFinanzierung einer staatlichen
«Medicare for All»vorzulegen,verdient Anerken-
nung, auch wenn viel kreative Zahlenakrobatik da-
hintersteckt.
Schade nur, dass ihreVorschläge soradikal sind
und damitTrumpund denRepublikanern in die
Händespielen.DasWortZwangfindetzwarbeiWar-
rennirgendsVerwendung.ImEndeffektwillsieaber
dieprivatenKrankenversichererabschaffenundalle
Amerikaner in ein staatliches Einheitssystem zwin-
gen. Und auch wennVersicherten wie Unversicher-
ten derSystemwechsel mit derAussicht aufgross-
zügige Leistungen schmackhaft gemacht wird: Die
Amerikaner zu etwas zwingen zu wollen, und seien
sie noch so bedürftig, ist politischer Selbstmord.
Vielversprechender wäre eineReform, die den
Amerikanern den Übertritt in eine staatliche Kran-
kenkasse erlaubt, indem die bewährte Medicare-
Versicherung einem grösseren Bevölkerungskreis
geöffnet wird.WarrensKonkurrentPete Buttigieg
nennt das «Medicare for AllWhoWant It» – das
klingt doch schon wieder viel amerikanischer.

Reform des US-Gesundheitswesens


Warren setzt auf Zwang –


das wird nicht funktionieren


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