Neue Zürcher Zeitung - 09.11.2019

(Ann) #1

Samsta g, 9. November 2019 FEUILLETON 39


Wo Unsicherheit herrscht,


haben prägende Charaktere leichtes Spiel SEITE 40


Kairo richtet dem Literaturnobelpreisträger


Nagib Machfus ein Museumein SEITE 42


Darf man denFeminismuszur Pflicht machen? Bild von einer #MeToo-Gesprächsrunde in Mumbai. DHIRAJ SINGH / BLOOMBERG

Frausein als Doktrin


Die Gender-Studies forschen nicht nur, sie formulieren auch politische Ziele. Welche Art vo n Feminismus ist das?Von Bi rgit Schmid


Die Meldung war klein, dieAussage
laut: ImAugust forderten dieJung-
sozialisten vonBasel-Stadt,Feminismus
zum Schulfach zu machen. Gleichstel-
lung müsse im Lehrplan verankert wer-
den, nur sokönne man langfristige ge-
sellschaftlicheVeränderungen erreichen
und das LebenvonFrauen verbessern.
Nun ist das weltoffeneBasel schon
jetzt die Stadt derFrauen. Die Universi-
tätBasel bot als erste Schweizer Hoch-
schule dasFach Gender-Studies an, das
seit 20 01 von Andrea Maihofer geleitet
wird. Die Soziologin gilt als Pionierin der
Geschlechterforschung in der Schweiz.
Sie sagte neulich in einemRadiointer-
view, worauf ihre Lehre gründet: «Unsere
Sozialisation teilt praktisch jeden Lebens-
bereich in weiblich oder männlich ein,
von Arbeiten im Haushalt über Berufs-
gruppen bis hin zu gewissen Charakter-
eigenschaften.»Dadurch würden nicht
nurFrauen diskriminiert, «sondern alle».
Und dann diePointe: In der «vorherr-
schenden patriarchalen Gesellschaft»
seien auch viele Männer unglücklich.
DieJuso und die feministischeWis-
senschaft vertreten dieselbeWeltsicht.
Also liegt es nahe, dass dieJungpolitiker
fordern, was im akademischen Betrieb
längst zumAngebot gehört – mit dem
Unterschied, dass man dort Gender-
Studies freiwillig studieren kann. Gleich-
zeitig macht die Geschlechterforscherin
Maihofer klar, dass die Gendertheorie
politische Ziele verfolgt: Sie strebt eine
andere gesellschaftliche Ordnung an.
Maihofer schwärmt vomFrauenstreik
vergangenenJuni, als in der Schweiz
Tausende vonFrauen auf die Strasse gin-
gen. Die Professorin als Aktivistin.
Gerade wegen dieserParteilichkeit
werden die Gender-Studies kritisiert.
Indem ihreVertreter am Stehpult für
die InteressenvonFrauen kämpften,
so der Einwand, gäben sie ihre Objek-
tivität auf.Wenn sich nun also ein Buch
kritisch mit demFach auseinandersetzt,


kann dieFrageimTitel nur rhetorisch
sein: «Gender Studies –Wissenschaft
oder Ideologie?» DieTexte von Natur-
und Geisteswissenschaftern, die die
Herausgeber Harald Schulze-Eisentraut
undAlexander Ulfig in einemBand ge-
sammelt haben, werfen den Gender-Stu-
dies genau das vor: Sie lehnten wissen-
schaftliche Ideale wie Ergebnisoffenheit
undAusgewogenheit ab und liessen sich
stattdessen politisch vereinnahmen.

Allesvon Gender durchwirkt


DieFrauenforschung «als verlängerter
Arm der politischenFrauenbewegung»
sei schon immer anfällig für ideologische
Inhaltegewesen, schreiben die Heraus-
geber. Denn zum Selbstverständnis der
Frauenforschung gehört es, die «männ-
liche», patriarchaleWissenschaft zu de-
konstruieren. Die feministischeWissen-
schaftsollalsoPartei fürFrauen ergreifen.
Mit dem Genderfeminismus bekommt
das Genre einen neuen Dreh. Denn nun
wird schon das Geschlecht für politisch
erklärt. Und allen, dieesnoch nicht be-
griffen haben, wird doziert: Biologie und
Gene sind vernachlässigbar, erstKultur
und Sozialisation machen uns zuFrauen
und Männern.Obwohl eskeinen wissen-
schaftlichen BelegfürdieseTheorie gibt,
wird alles zur sozialenKonstruktion um-
gedeutet: das Geschlecht, die Gefühle. Für
Judith Butler, die Ikone der Gender-Stu-
dies, gilt das sogar für denKörper. Damit
wird das Geschlecht zu einem politischen
Projekt und zur wichtigsten Kategorie
inForschung, Politik und Gesellschaft –
noch vorAlter, EthnieoderReligion.
Die Gender-Studies liefern dabei die
theoretische Grundlage für das, wasman
Gender-Mainstreaming nennt.Konkret
äussert sich das im Alltag, wenn in amt-
lichen Schreiben das Gendersternchen
verwendet wird, umkeine sexuelle Iden-
tität auszuschliessen. OderFirmen ge-
schlechtsneutrale WC installieren. Und

warum erst in der Schule damit begin-
nen? In amerikanischen Kindergärten
werden schon dieKleinen über verschie-
dene Geschlechtsidentitäten aufgeklärt.
Das sind Beispiele dafür,wie derKul-
turwandel von den Universitäten aus-
geht:DasThema Gender soll von oben
nach unten in allen gesellschaftlichen
Bereichen verbreitet werden und päd-
agogisch in unseren Alltag hineinwirken.
DieserProzess ist in vollem Gang, seine
Wichtigkeit sogar staatlich anerkannt.
In der Schweizräumte der Bundesrat
diesen Sommer der Gleichstellung von
Frauund Mann in allen Lebensberei-
chen «politische Priorität» ein.
Die deutsche Bundesregierung wie-
derum hat imJuli auf eine Anfrage der
Grünen zumThema Gender geantwortet,
dass sie «der Gender- bzw. Geschlechter-
forschung eine grosse Bedeutung» bei-
messe – die sie in unzähligen Projekten
unterstützt. Bereits 20 16 hiess es in einem
Abschlussbericht unter demTitel «Gen-
derforschung und die neue Governance
derWissenschaft»: «Demnach ist die Gen-
derforschung also in gewisserWeiseTeil
des Staatsfeminismus.»Gefördertwurde
der Bericht mit Mitteln des Bundesminis-
teriums für Bildung undForschung.
Bei einem staatlich verordneten
SchulfachFeminismus, wie es denBasler
Juso vorschwebt,liefe jeder Lehrer Ge-
fahr, zum Aktivisten zu werden. Denn es
wärekeineFrage,welche Art vonFemi-
nismusvermittelt würde.Weil dasFach
keine andere Prämisse vorsähe als jene
der unterdrücktenFrau. Genau das ma-
chen nämlich die Gender-Studies vor: Da
ihreForschung politisch-aktivistisch ge-
prägt ist, kann sie ihren Gegenstand nicht
wertfrei analysieren und widerspricht da-
mit dem Gebot derWissenschaftstheorie.
Wie zwingend das Kämpferische
zum Selbstverständnis der Geschlech-
terforschung gehört, hörte man aus den
Worten von Professorin Maihofer her-
aus, die vomFrauenstreik auch deshalb

«überwältigt» war, weil nebenFrauen-
anliegen ebenso Homophobie,Trans-
phobie und Rassismus thematisiert
wurden, also miteinander verwandte
Formen der Diskriminierung. Deran-
gesagte theoretische Begriff dafür: In-
tersektionalität, Mehrfachdiskriminie-
rung. Das ganze Programm.
Diese opferfeministische Sicht des
Genderfeminismus bestimmt die gesell-
schaftliche Debatte. Sie erhieltAuftrieb
durch die #MeToo-Bewegung,die die
Frauen noch stärker auf eine schwache
Position zurückverwies. Kritik am Opfer-
narrativ wird als internalisierteFrauen-
verachtung wegpsychologisiert. Wer
einen liberalenFeminismus vertritt und
diesen nicht in erster Linie als Staatsauf-
gabe sieht, verrät gemäss den Gender-
Theoretikerinnen, wovon er profitiert.
Dabei würde man derFrauenforschung
an unseren Universitäten nicht einmal
die Berechtigung absprechen – es gibt
viele Gründe für sie.Aber sie istkein
Lautsprecher für Opferfeminismus.
Betroffenheit trägt wenig zur Be-
freiung von als Zwang erlebtenRollen-
bildern bei.Das zeigt die Gendermedi-
zin, ein jüngerer Zweig der Geschlech-
terforschung. Es stimmt:Die Medizin
hat sich langeaneinem Menschenbild
orientiert,das vom Mann ausging, wo-
durchFrauen oft falsch behandelt wur-
den. Doch die androzentrische Sicht, die
sich nun auch dank besserer Diagnostik
zu ändern beginnt, beruhtkeineswegs
auf einer generellenFrauenfeindlichkeit.
Sondern sie ergab sich, weil Ärzte und
Mediziner vorwiegend Männer waren.

Wie manFördergeldererhält


Gegen Kritik bleibt die feministische
Wissenschaftreflexartig immun. Siekon-
tert diese mit demVorwurf, die Kritiker
würden einenrechtspopulistischen Anti-
genderismus betreiben. Oft wehren die
Gender-Studies die Angriffe damit ab,

dass ihreMacht so gross nicht seinkönne,
da es sich um ein kleinesFach handle.
EineDatenerhebung vom Oktober 20 18
ergibt für die deutschsprachigen Hoch-
schulen insgesamt 219 Professuren, da-
von193 in Deutschland, 20 in Österreich
und 6 in der Schweiz. Doch obwohl ihre
sperrigenForschungsthemen zum Glück
auf den Campus beschränkt bleiben, ist
die Definitionsmacht der Gendertheorie
beachtlich angewachsen. Dies auch dank
dem Netzwerk innerhalb der Universität.
Ihr grösster Erfolg liege darin, schreibt
Harald Schulze-Eisentraut, dass prak-
tisch alleForschungen, die sich mit ge-
schlechtsspezifischenFragestellungen be-
schäftigten, von den Gender-Studies ver-
einnahmt würden: «seien es nunReihen-
untersuchungen zur unterschiedlichen
Wirkung von Aspirin auf weibliche und
männlichePatienten oder die geschlechts-
spezifische Zuordnung von Grabbei-
gaben in mittelalterlichenFriedhöfen».
Weil reichlichFördergelder fliessen, so-
bald ein Antrag «Gender» im Beschrieb
führt, werdenWissenschafter andererFä-
cher plötzlich «gendersensibel».Wichti-
gereFragen zuWissenschaftsbetrieb und
Lehre haben das Nachsehen.
Bei aller berechtigten Kritik an die-
semFrausein als Doktrin muss man den-
noch sagen: Oft wirken auch die Gegner
rechthaberisch und damitkleinlich. Ihre
Wut auf die Überempfindlichen wirkt
unsouverän. Manches amKritisierten
ist so offensichtlich absurd, dass eskei-
nes höhnischenTitels wie«Wie Gen-
dern unsere Sprache verhunzt» bedürfte.
Auch wenn man Buben als die Abge-
hängten im feminisierten Schulbetrieb
darstellt, führt man den Opferdiskurs
bloss am männlichen Geschlecht fort.
Und so logisch die grammatikalische
Herleitung für das generische Maskulin
ist, nervt es gleichwohl, wenn eineAuto-
rinkonsequent von «Feministen»redet.
Darin wenigstens werden sich alle
Feministinnen einig sein.
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