Neue Zürcher Zeitung - 09.11.2019

(Ann) #1

Samstag, 9. November 2019 LITERATUR UND KUNST 43


Unser gallig es Gelächter


Es liegt mir fern, die Bundesrepubl ik mit der DDR zu vergleiche n.Von Monika Maron


Es gabnicht viel , was ich vermisst habe,
nachdem die DDR im Orkus der Ge-
schichte versunken war.Und was ich
hätte vermissenkönnen, den Bautze-
ner Senf zum Beispiel, gibt es ja heute
noch. Nur eins schien mir für immer
verloren zu sein, weil es einem an die-
sen Ort und diese Zeit gebundenen,
unentrinnbaren und demütigenden
Gefühl der Ohnmacht entsprungen
war: unser galliges Gelächter.
Wenn Menschen aus demWesten
mir erzählen,was sie in der DDR erlebt
haben – meistens sind es Geschichten
vom Grenzübergang, wo sie ein Ohr-
läppchen herzeigen mussten, oder von
Gaststättenbesuchen, wo sie schlecht
behandelt wurden und über dasWort
Sättigungsbeilage gelacht haben –,
wenn sie mir also diese Geschichten er-
zählen,frage ich:Und waren Sie auch in
Wohnungen? Denn wenn sie nicht in
Wohnungen waren,wissensie nichts. In
den Wohnungen sassen wir am Abend
und bis in die Nacht, tranken schlech-
ten Wein und lachten auf diese beson-
derebittere Art.
Wir hatten viel Zeit,warenseltenver-
reist, und weilvielekein Telefon hatten,
klingeltensie abends an denTüren ihrer
Freunde und waren einfach da. Und
dann erzählte man, was man erlebt hatte
auf demWohnungsamt, mit derPolizei,
im Betrieb oder Institut, mit einemPar-
teisekretär, dem Chefredakteur, den
Handwerkern, denTaxifahrern, beim
Schuhekaufen für die Kinder, und fast
alle diese Geschichtenwaren so absurd,
dass man darüber nur verzweifeln, vor
Wuttoben oder darüber lachenkonnte,
wütend und verzweifelt lachen.
Dieses Gelächter war eine Form
des Widerstands, es einte uns und zog
ein e Wand zumRest der kleinen, für
uns bestimmtenWelt. Dann ö ffnete
sich dieWelt und damit verstummte
auch dieses Gelächter. Jeder, der spre-
chen wollte, konnte nun sprechen, wer
schreiben wollte,konnte schreiben,
und wer für oder gegen etwas kämp-
fen wollte, konnte das öffentlich und
ungefährdet tun. DieErinnerung an


unser galliges Gelächter habe ich be-
wahrtwie die Erinnerung an alles,was
schön war in dieser Zeit: dieJugend,
Liebe, Freundschaft.
Aber seit einigenJahren höre ich
es wieder, ein böses, hilflosesLachen,
von mir und von anderen, von Ostdeut-
schen und vonWestdeutschen auch.In-
zwischen haben wir alleTelefone, sogar
mobile, wir haben weniger Zeit und sind
oft verreist,wir klingeln nicht einfach
bei Freunden, sondern verabreden uns,
wir schicken unsArtikel per E-Mail,und
wenn wir sie gelesen haben,telefonieren
wir, fragen uns gegenseitig, ob die alle
irre sind oder wir selbst,und weil wir uns
nicht erklärenkönnen, warum das alles
passiert, warum uns eine genderisierte
Sprachverstümmelung zugemutet wird,
warum Hunderttausende Windräder
gebaut werden sollen, die den Energie-
bedarf nicht werden sichernkönnen,
gleichzeitig aber auf Elektroautos und
-roller gesetzt wird, warum Hundert-
tausende Einwanderer insLand gelas-
sen werden, von denen man weiss, dass
sie nicht bleiben dürften, man sie aber
auch nicht wieder ausser Landes brin-
gen kann, warum uns nun täglich mit
demWeltuntergang gedroht wird, ob-
wohl niemand wissen kann, ob er statt-
finden wird, weil wir uns das alles trotz
ehrlichem Bemühen einfach nicht erklä-
ren können, verfallen wir nach einigem
Stöhnen undratlosen Sätzen in dieses
besondere, gallige Gelächter.
Ich habe nicht für möglich gehalten,
dass mir das noch einmal passiert. Als
ich 1988 aus Ostberlin nach Hamburg
gezogen bin und bei Zarrentin zum ers-
ten Mal über die Grenze fuhr und das
Schild mit dem Bundesadler sah, brei-
tete sich in mir dasWort Freiheit zu
einem Glücksgefühl aus. Und so war
es auch. Ich war frei; frei zu schreiben,
zu sprechen, zu leben. Und als ich bin-
nen kürzester Zeit mit den Hamburger
Grünen undFeministinnen zusammen-
prallte, war das eine lehrreiche Erfah-
rung, mehr nicht. Ich ahnte nur, dass das
keine wunderbareFreundschaft werden
könnte.Aber sie waren nicht dasLand,

nicht die Zeitungen, nicht derRund-
funk, auch wenn sieda gewiss sassen,
aber sie beherrschten sie nicht.

*

Mit demVerschwinden der DDR war
ich von ihr auch literarisch befreit und
schrieb einenRoman über die Liebe,
danachdie Geschichte meinerFamilie;
ich holte nach, wozu mir die Umstände
meines Lebens zuvorkeinen Atem ge-
lassen hatten. Meine politischen Inter-
ventionen und Zwischenrufe, vor allem
zu denAsymmetrien der deutschenVer-
einigung, schrieb ich für Zeitungen.
Als ich 2010 begann, mich für den
Islam zu interessieren, ging es mir weni-
ger um den Islam als um den Um-
gang mit seinen Kritikern, in dem ich
ein Muster wiederzuerkennen glaubte.
Islamkritiker wie Necla Kelek wur-
den plötzlich als «heilige Krieger» und
«Hassprediger» beschimpft,als s tünde
es ihnennicht zu, sichmitihrer eigenen
Herkunft undKulturauseinanderzuset-
zen. Sie wurden ihrer eigenenKonflikte
beraubt, die nun von der westdeutschen
Linken als deren eigeneAngelegenheit
übernommen wurden, so wie auch die
Ostdeutschen von ihrenKonflikten ent-
eignet wurden, indem jedes Problem,
das sie miteinander hatten, in dasKon-
fliktpotenzial westdeutscherParteien
integriert wurde und fortan als Ost-
West-Konflikt galt, als wären die Ost-
deutschen vierzigJahrelang eine homo-
gene Masse gewesen.
In denJahren 2014, als diePegida
zum ersten Mal auf die Dresdener
Strassen ging, und 2015, als eine Mil-
lion Flüchtlinge und Einwanderer un-
kontrolliert die deutschen Grenzen pas-
sierten,verw andelten sich dieseKon-
fliktfelder in Kampfzonen, in denen die
Begriffe links undrechts endgültig be-
deutungslos wurden.Werdie bis dahin
selbstverständlichenForderungen der
Linken wie dieAufklärung, den säkula-
ren Staat und dieFrauenrechte vertei-
digte, fand sich plötzlich auf demrech-
ten Kampffeld wieder;und meine linken,

grünen Feministinnen aus Hamburg ver-
teidigten vermutlich leidenschaftlich das
islamischeKopftuch und fordertenVer-
ständnis auch für die hartgesottensten
muslimischenFrauenverächter,was für
mich bedeutet: Sie waren zuReaktionä-
rinnen mutiert,also rechts.
Der Ostenavancierte in denJah-
ren danach von der Mitleids- undWitz-
figur der Medien zu ihrer Hassfigur.
Die dummen Ostdeutschen, die eben
keine Fremden kannten, obwohl sie
seit einemVierteljahrhundert selbst
durch dieWelt reisten, auch in Dresden
ARD und ZDF sehenkonnten und die
seit 1990 Hunderttausende Spätaussied-
ler ausRussland und Kasachstan aufge-
nommen hatten. Sie hatten erlebt, wie
ihre gut ausgebildeten Kinder in den
Westen abwanderten,weil sie im Osten
keine Arbeit fanden, und liessen sich
nun erzählen, dass schlecht ausgebil-
dete, fremde junge Männer als Arbeits-
kräfte gebraucht würden.
Seit 1990 sind fünf Millionen Ost-
deutsche in denWesten gezogen. Die
Jugend, die dem Osten fehlt, lebt im
Westen.Auch danach hätte man fragen
können, ehe man ganz Sachsen zum
Nazisumpf erklärt und, wie eineJour-
nalistin kürzlich stolz verkündete, kei-
nen sächsischen Apfelsaft mehr kauft.
Man hätte fragenkönnen,was die Men-
schen plötzlich auf die Strasse treibt,
bevor man sie als «besorgte Bürger»
lächerlich macht, als «Abgehängte» dif-
famiert und über den Umwegrechts-
radikal undrechtsextrem als Nazis über
eine Grenze schiebt, die sie vielleicht
nie hatten übertreten wollen.
AberRechte fragt man nicht, mit
Rechtenredet man nicht, Bücher von
Rechten liest man nicht,Rechten darf
man ihre Stände auf Buchmessen ver-
wüsten,Rechten hört man nicht zu und
antwortet ihnen nicht – und wer oder was
rechts ist, entscheidet jeder, der sich für
links hält.Schon dieFrage,ob der Klima-
wandel wirklich nur menschengemacht
ist oder wie viel Einwanderung eine Ge-
sellschaft verträgt,ohne schwerwiegen-
den Schaden zu nehmen, oder ob die-

ses Genderkauderwelsch wirklich den
Frauen nutzt, kann ausreichen, um rech-
ter Gesinnungsartverdächtigt zu werden.
Wie es scheint, hat die grün-linke
Seite,verstärkt durch eine gewandelte
CDU, den Kampf um die Deutungs-
hoheit gewonnen um den Preis, dass die
AfD zu einerkonstanten politischen
Kraft geworden ist.Was für ein Sieg!

*

Kürzlich erzählte ich einemFreund, ich
fühlte mich beim Schreiben zuweilen wie
früher, als ich mein erstes Buch, «Flug-
asche», geschrieben habe, wieder ge-
drängt insPolitische, weil es mich jeden
Tag umtreibt , und bedrängt von dem
Gedanken, was ich mir wohleinbro-
cke, wenn ich einen Protagonisten mei-
nes Buches diesen oder jenen Satz sa-
gen lasse. Der Freund war empört:Wie
ich die Bundesrepublik mit der DDR
vergleichenkönne und ob ich noch ganz
bei Verstand sei. Es liegt mir fern, die
Bundesrepublik mit der DDR zu ver-
gleichen.Weder fürchte ich, mein Buch
könnte wie in der DDR verboten wer-
den, noch halte ich für möglich, dass ich
juristisch belangt werdenkönnte.
Und trotzdem habe ich dieses Gefühl.
Natürlich, Deutschland ist ein
Rechtsstaat; darum werden Bücher
nicht verboten und Schriftsteller nicht
verhaftet.Aber es gibt auch in einem
Rechtsstaat Möglichkeiten, Menschen
wegen unerwünschter Meinungen die
Existenz zu erschweren oder sogar zu
zerstören.Wenn Zweifel schonverdäch-
tig sind, wennFragen als Provokationen
wah rgenommen werden, wenn Beden-
ken als reaktionär gelten,wenn im Streit
nur eine Partei immerrecht hat,können
einen alte Gefühle ebenüberkommen.
Und dann kann man darüber verzwei-
feln,vorWut toben oder darüber lachen,
unser schönes galliges Gelächter.

Von der SchriftstellerinMonika Maronist zu-
letzt der Roman «Munin oder Chaos imKopf»
im S.-Fischer-Verla g, Frankfurt amMain,
2018, erschienen.

Als dasWort «Freiheit» sichzueinem Glücksgefühl ausbreitete–Szene nachder Maueröffnungin Berlin am Grenzübergang Sonnenallee. PAUL LANGROCK / LAIF /KEYSTONE
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