Neue Zürcher Zeitung - 09.11.2019

(Ann) #1

52 SPORT Samstag, 9. November 2019


Als Oliver Kahn explodierte: Der Vergleic h zwischen


Bayern und Dortmund ist reich an Historie SEITE 50


Fussba ll ist für Aiyegun Tosin die Chance seines Leben s –


wer ist der Nigerianer, der den FCZ so fasziniert? SEITE 51


Die Nummer 1 als Aussenseiter


Rafael Nadal plagen vor dem letzte n Tennisturnier der Saison körperliche Probleme – wieder einmal


DANIEL GERMANN


Wenn am Sonntag am Ende einer lan-
genTennissaison dieATP-Finals be-
ginnen, dann sind dieRollen klar ver-
teilt: Novak Djokovic ist derTopfavo-
rit wie zuletzt praktisch immer, wenn in
der Halle gespielt wurde. Daniil Medwe-
dew hat sich mit seiner starken zweiten
Saisonhälfte als sein wahrscheinlich här-
tester Gegner etabliert. Der 23-jährige
Russe schlug den Serben in der laufen-
den Saison bereits in Monte Carlo und
Cincinnati. Niemanden aber würde das
Publikum in der O2-Arena in den Lon-
doner Docklands lieber siegen sehen als
RogerFederer.


Der Mannder Saison


Zur Not allerdings gäben sich die Zu-
schauer wohl auch mitRafael Nadal als
Sieger zufrieden. Der 33-jährige Mallor-
quiner stehtFederer bezüglichPopula-
rität kaum nach. Nicht nur die Erfolge
auf demTennisplatz, sondern auch sein
Kampf mit dem eigenenKörper hat ihm
in den vergangenenJahren denRespekt
des Publikums eingetragen.
Nadal ist der Mann der Saison.Er
gewann inRoland-Garros und am US
Open seine Grand-Slam-Titel Nummer
18 und19, und seit letztem Montag führt
er dieWeltrangliste wieder an. SeinVor-
sprung auf Djokovic beträgt vor der
letztenTurnierwoche 640 Punkte. Seine
Chancen sind gut, dasJahr zum fünften
Mal nach 2008, 2010, 2013 und 20 17 als
Nummer 1 zu beenden und damit mit
Federer und Djokovic gleichzuziehen.
Selbst wenn Nadalkeinen Match gewin-
nen sollte, müsste der Serbe in London
mindestens denFinal erreichen, um ihn
noch abzufangen.
Doch momentan ist noch alles an-
dere als sicher,ob Nadal am Montag-
abend zu seinem erstenMatch gegen
den deutschenTitelverteidiger Alexan-
der Zverev wird antretenkönnen.Wie-
der einmal kämpft er mit einerVerlet-
zung.Vor einerWoche musste er sich in
Paris-BercywegeneinerBauchmuskel-
zerrung vor dem Halbfinal gegen den
Kanadier Denis Shapovalov zurück-
ziehen. Seither kämpft er gegen die
Zeit. Am Donnerstag trainierte Nadal
erstmals in der O2-Arena. Er habe erst-
mals seitParis-Bercywieder serviert, da-
bei aber noch nicht forciert,sagte er vor


den Medien. «Ich habe inParis bis zu
meinerVerletzung sehr gut gespielt.Das
weckt in mir die Hoffnung, hierkonkur-
renzfähig zu sein. Doch mein erstes Ziel
ist es nun einmal, bis zum Montag wie-
der 100 Prozent fit zu werden.»

Nur achtmal dabei


Diekörperlichen Probleme begleiten
Nadalseit dem Beginn seiner Karriere
ebensokonstant wie die Erfolge. Wäre
er nicht immer wieder vonRückschlä-
gen gebremst worden, hätte erFederer
wohl bereits als erfolgreichsten Spieler
der Geschichte abgelöst. Gerade gegen
Ende desJahres muss er immer wieder
Pauseneinlegen oder die Saison gar vor-
zeitig abbrechen. Seit dem Sieg in New
York hat Nadal nur noch vier Matches
bestritten. Sowohl amLaver-Cup in
Genf wie auch inParis-Bercykonnte er
nicht zu Ende spielen.

Der inoffizielleTitel desWeltmeisters
ist der einzig wichtige, der Nadal noch
fehlt. Zweimal erreichte er denFinal,
scheiterte dort aber anFederer (2010)
und Djokovic (2013). In den vergange-
nen 15 Jahren hat er sich immer für das
Finalturnier der besten acht qualifiziert.
Doch nur achtmalkonnte er auch wirk-
lich antreten. Bei der letztenTeilnahme
vor zweiJahren musste er sich nach dem
ersten Gruppenspiel gegenDavid Gof-
fin zurückziehen.
Federer und Djokovic sind in der
Halle allerdings selbst gegen einen fit-
ten Nadal favorisiert. Der extremeTop-
spin des Spaniers verliert in der Halle
an Effizienz. Nur drei seiner 84Titel
hat er indoor geholt. Und doch sind in
der Halle nurFederer (81,3 Prozentge-
wonnene Matches), Djokovic (78,7) und
Medwedew (69) erfolgreicher als Nadal
(68,9). Sollte er fit sein, ist auch in Lon-
don mitihmzurechnen.

Kampf gegen den eigenenKörper: Rafael Nadalzollt vor dem Saisonende oft den StrapazenTribut. IAN LANGSDON / EPA

Eine Woche Kur bei Dottor Petkovic


Dem Fussball-Nationaltea m fehlen Stützen wie Sha qiri für die entscheidend en Partien Richtun g EM – und andere wie Xhaka reisen mit Sorgen an


MICHELE COVIELLO, ZÜRICH


Nicht alle trauen ihm das zu, aber Vla-
dimirPetkovic ist ein Mann mit Humor.
Und obwohl sich der Schweizer Natio-
naltrainer weder in dereigenenMutter-
sp rache noch in seinem zweitstärksten
Idiom, dem Italienischen, ausdrücken
kann, lässt erkeine Gelegenheit aus,
um an Pressekonferenzen eine lockere
Pointe zu riskieren. Als er amFreitag in
Zürich dasAufgebot für die letzten zwei
Partiender EM-Qualifikation bekannt-
gab und fast mehr über die Abwesenden
als über die Anwesenden Spielerreden
musste, da sagtePetkovic: «Zum Glück
bin ich selber nicht verletzt.»


NochkeinTrainingin Liverpool


Ganz lustig hat esPetkovic aber nicht.
Die letzten zwei Gegner auf demWeg
an die EM sind Pflichtaufgaben. Mit
zwei Siegen gegen Georgien amkom-
menden Freitag in St. Gallen sowie


dreiTage späterinGibraltar haben die
Schweizer die Qualifikation auf sicher.
Doch es gibtTücken:Das Schweizer
Team geht nicht in besterVerfassung in
die entscheidendenPartien.
Wenn manPetkovic so zuhört, da
hat man das Gefühl, er sei in den letz-
tenWochen weniger Nationaltrainer
als vielmehr Arzt, Psychologe und Leis-
tungsdiagnostiker inPersonalunion ge-
wesen. Nach dem wichtigen Siegim
Oktober gegen Irland sei in der Öffent-
lichkeit zwarRuhe eingekehrt, sagtPet-
kovic. Er selber habe eine sehr bewegte
Zeit erlebt. Zu viele Spieler sind ver-
letzt oderrekonvaleszent:Admir Meh-
medi, Breel Embolo, Mario Gavranovic,
Fabian Schär und Steven Zuberkonnte
Petkovic nicht aufbieten. Andere wie
RicardoRodriguez haben in ihren Klubs
den Stammplatz verloren, und ein be-
sonderer Fall wie Granit Xhaka fordert
Empathie undFingerspitzengefühl.Pet-
kovic musste viel telefonieren, beobach-
ten, abhören, einschätzen.

Es habe bis am Donnerstag um 19
Uhr gedauert, ehe er sich aufs 23-Mann-
Kader habe festlegenkönnen.Bis zu-
letzt sei er mit Spielern inKontakt ge-
standen, vor allemmit Xherdan Shaqiri,
seinem kreativsten Element. Doch auch
dieser wird einmal mehr fehlen und so-
mit die gesamte EM-Qualifikation ver-
passen. Shaqiri muss sich immer noch
von zwei aufeinanderfolgendenVerlet-
zungen an seinen so wuchtigen wie an-
fälligenWaden erholen. In Liverpool
konnte er noch nicht mit der Mann-
schafttrainieren. Das werde wohl erst
nach derLänderspielpause wieder der

Fall sein. Shaqiri habe nichtsunversucht
gelassen. «Das Risiko wäreaber zu gross
gewesen», sagtPetkovic.
Vor den Oktober-Terminen hatte
gerade die Abwesenheit Shaqiris hohe
Wellen geschlagen. Es war unklar, ob
di e Motivation fehlte oder Probleme
zwischen ihm und dem Nationaltrai-
nerbestanden. Deshalb fügte Petkovic
auch diesen Satz hinzu:«Es war positiv,
zu sehen, mit welchemWillen und Ehr-
geiz Shaqiri zumTeamkommen wollte.»

Nicht imTeam in London


Die AnrufePetkovics haben sich vor
allem auf derAchse Liverpool–Lon-
don bewegt – also Shaqiri–Xhaka.Wäh-
rend der quirligste Spieler fehlt, reist der
klügste Stratege seinesTeams mit einem
Rucksack voller Sorgen an und fordert
Petkovics psychologisches Geschick
heraus. Granit Xhaka hat gerade einen
Zwist mit denFans seines Klubs ausge-
tragen und musste die Captainbinde bei

Arsenal abgeben. Sein LondonerTr ai-
ner Unai Emery verkündete amFrei-
tag, dass Xhaka nicht imAufgebot für
diePartie vom Samstag in Leicester ste-
hen werde. Der Spieler habeihmmitge-
teilt, sich noch nicht genuggutzu fühlen.
Zum Nationalteamkommt Xhaka
aber gern, vielleicht auchweil es so etwas
wie eineKur ist, weit weg vondenTur-
bulenzen. Petkovic sagte, er stehe voll zu
seinem Spieler und habe ihm jede Hilfe
angeboten.Dazu gab es aberauch eine
väterliche Zurechtweisung. «Er sollte
die Emotionen besser im Griff haben»,
sagtePetkovic.
Er ist sich aber sicher, dass Xhaka
daran wachsen werde. Und die Situation
istauch eine Chance fürPetkovic. Neu-
lich sagte er in einem Interview mit CH
Media, er hätte nach der Doppeladler-
Affäre «ein besserer Psychologe sein
müssen». Gerade Xhaka kam danach
an der WM und besonders imAchtel-
final nicht auf sein Niveau. DottorPet-
kovic, übernehmen Sie bitte.

VladimirPetkovic
Fussball-
PD Nationaltrainer

HERAUSGEGRIFFEN


Die Di mension


Wembley


Frank Hellmannn·London ist sündhaft
teuer. Der Orangensaft im Hotelkostet
zehn Pfund, derToast aus dem Super-
markt sechs Pfund. So ist es strategisch
klug, dass der englischeFussball-Verband
(FA) dasTestspiel zwischen denFrauen-
Nationalteams von England und Deutsch-
landam Samstag imWembley-Stadion
mit verbilligten Preisen beworben hatte.
Das Ziel: Alle 90 000 Tickets an den Mann
und dieFrau zu bringen.Jugendliche bis
16 Jahre zahlten nur ein Pfund, um dem
heiligenRasen nah zu sein. Und siehe da:
Bereits seit einem Monat ist dasTestspiel
ausverkauft.Für denFrauenfussball ist
das ein neuer Massstab.
Die «Lionesses», wiedasenglische
Team genannt wird, sind die neuen
Lieblinge auf der Insel, nachdem sie
im Sommer an der WM im Halbfinal
so tapfer am späterenWeltmeister USA
gescheitertsind–1:2.Fast zwölfMillio-
nen Briten hatten amFernseher zuge-
sehen.Wenn das Gros der Karteninha-
ber heute die Eingangstore ins Heilig-
tum des englischenFussballs passiert,
fällt der Europarekord im weiblichen
Bereich von 80 203Fans beimFinal des
Olympischen Fussballturniers 2012,
ebenfalls imWembley. Weltrekordfür
dieFrauen stellen jene 90185 Fans dar,
die1999 zumWeltmeisterschaft-Finale
USA gegen China in dieRose Bowl
vonPasadena strömten.
England jedenfalls stimmt sich mit
demTestspiel auf dieFrauen-Europa-
meisterschaft 2021 ein.Für denVer-
band, dieVereine, die Sponsoren und
die Medien ist der Match eine weitere
Möglichkeit, imFussball derFrauen eine
nächste Entwicklungsstufe zu erreichen.
Auf vielen gesellschaftlichen Ebenen ist
der Anker für denFrauenfussball längst
ausgeworfen.
Der DeutscheFussballbund (DFB)
zieht mitund schickteine hochrangige
Delegation mit dem neuen Präsiden-
tenFritzKeller an dieThemse, um sich
Impulse in Marketing,Kommunikation
und Eventoperation einzuholen. Mehr
Kompliment für die emsigen englischen
Kollegen geht nicht. Und mittendrin ist
die ehemalige Schweizer Nationaltrai-
nerin Martina Voss-Tecklenburg,die
seitJahresanfang die DFB-Frauen trai-
niert. Sie sagt, sie habe ihre Spielerin-
nen vorsorglich angewiesen, an derTr ai-
nerbank bitte nur auf Blickkontakte und
Zeichensprache zu achten. 90 000 Men-
schenkönnen sehr vielLärm machen.

Umden 7. Titel


gen.· SechsmalhatRogerFederer das
ATP-Finalturnier der acht Saisonbesten
bereits gewonnen. Nun strebt er in Lon-
don den siebentenTitel und den ersten
seit 2010 an.Weil der 38-jährigeBasel-
bieter in dieser Saison zwar vierTurniere
(Dubai, Miami, Halle undBasel), aber
nochkeinen wirklich grossenTitel ge-
wonnen hat, verzichtete er auf dieTeil-
nahme am Masters-10 00 -Turnier von
Paris-Bercyund schonte sich stattdes-
sen für den Gipfel in London.Federer
beginnt dasTurnier am Sonntag gegen
DominicThiem (21 Uhr MEZ). Seine
übrigen Gruppengegner sind Novak
Djokovic und Matteo Berrettini. In der
anderen Gruppe treffenRafael Nadal,
Daniil Medwedew, Stefanos Tsitsipas
und Alexander Zverev aufeinander.
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