Der Stern - 30.10.2019

(やまだぃちぅ) #1
FOTOS: SUSANNE BAUMANN/STERN; DAVID CAULKIN/AP/PICTURE ALLIANCE

Koob arbeitete als
Lehrerin in Iowa,
ehe sie Beamtin im
US-Auslandsdienst
wurde. 1979 ging
sie als Direktorin
des Iran-American-
Center nach Tehe-
ran. Vier Monate
später wurde sie
zur Geisel: Während
der Islamischen
Revolution war der
Schah aus dem
Land geflohen, er
hielt sich in den

USA auf. Eine
Gruppe iranischer
Studenten besetzte
die US-Botschaft in
Teheran und forder-
te seine Ausliefe-
rung. Nach langen
Verhandlungen und
mithilfe algerischer
Vermittlungen
kamen Koob und
ihre Mitgefangenen
im Januar 1981 frei
(o. auf dem Flug-
hafen in Algier:
Koob in der Mitte).

V


or 40 Jahren, am 4. November
1979, begann die Geiselnahme
von Teheran, bei der 52 US-Bürger
und -Diplomaten für 444 Tage in
ihrer eigenen Botschaft gefan-
gen genommen wurden. Wie
haben Sie den Tag erlebt?
Ich war im Iran-American-Center etwa
drei Meilen von der US-Botschaft entfernt,
als ich einen Anruf von einem Kollegen
bekam. Er sagte, wir sollten uns auf eine
Demonstration vorbereiten, die Lage vor
der Botschaft spitze sich zu. Ich rief einen
weiteren Kollegen in der Botschaft an,
doch am anderen Ende hörte ich nur eine
fremde Stimme sagen: „Die Botschaft ist
besetzt.“ Da wusste ich, dass es ernst war.
Wir flüchteten ins Goethe-Institut, doch
später ging ich zurück ins Iran-American-
Center, um die Stellung zu halten. Kurz
darauf blockierten Demonstranten alle
Ausgänge. Ich wurde dann zu den anderen
Geiseln in der Botschaft gebracht.
Und in ein Zimmer gesperrt, gemeinsam
mit Ihrer Kollegin Elizabeth „Ann“ Swift.

Ja, das war eine seltsame Situation, Ann
und ich kannten uns kaum, aber wir ent-
wickelten schnell eine tiefe Freundschaft.
Hatten Sie Kontakt zur Außenwelt?
Zwar schrieben uns Schulkinder aus ganz
Amerika Briefe, bei uns kamen diese aber
nur geschwärzt an. Auch in Magazinen, die
wir zur Unterhaltung hin und wieder lesen
durften, fehlten die Politikberichte. Es gab
allerdings einen Wächter, der kooperierte
ein wenig mit uns: Einmal überreichte er
mir einen Brief eines Kindes, in dem stand:
„Es tut mir leid, dass der Befreiungsver-
such schiefging.“
Da wussten Sie immerhin, dass es Befrei-
ungsversuche gab.
Ja, das machte uns Hoffnung! Dann er-
fuhren wir aber, dass acht US-Soldaten da-
bei ums Leben gekommen waren – sie sind
mit dem Helikopter abgestürzt. Es war
furchtbar, wir fühlten uns schuldig. Später
hatten wir die Gelegenheit, die Familien der
Verunglückten zu treffen. Das hat sehr ge-
holfen. Ansonsten gab es während der Ge-
fangenschaft mehrere Mittel, um mit der
Situation zurechtzukommen. Das wichtigs-
te davon war Humor, auch viel schwarzer.
Wie war das am Tag Ihrer Befreiung?
Ach, wissen Sie, das ist 40 Jahre her ... Aber
ich kann mich speziell an die Durchsage
im Flugzeug erinnern: „Es sind alle hier, es
geht allen gut.“ Was für eine Erleichterung!
Sehen Sie Ihre Kollegen heute noch?
Hin und wieder. Da wir aber alle getrennt
voneinander gefangen gehalten wurden,
haben wir keine tiefe Beziehung. Meine
Mitgefangene Ann ist 2004 leider bei einem
Reitunfall ums Leben gekommen.
2012 kam der Film „Argo“ ins Kino, ein
Thriller mit Ben Affleck, der die Flucht
von sechs Gefangenen thematisiert.
Ein faszinierender Film! Da gibt es eine
Szene, in der die Geiselnehmer in einer
wilden Verfolgungsjagd das Flugzeug fast
noch stoppen konnten. Das ist so nie pas-
siert, aber es gab tatsächlich ein Problem
beim Abflug. Allerdings ist es schwierig,
20  Minuten angespannte Stille im Film
darzustellen. Deshalb finde ich diese
kleine Übertreibung durchaus angebracht.
Wie schätzen Sie die aktuelle Lage in der
Beziehung zwischen den USA und dem
Iran ein?
Dazu möchte ich mich nicht äußern.
Was machen Sie jetzt, in der Rente?
Ich reise, engagiere mich in der Kirche und
liebe es zu lesen. Ich bin in fünf Buchklubs!
Denken Sie noch oft an die Zeit in Gefan-
genschaft?
Selten. Ich habe damit abgeschlossen.
Ich verspüre auch keinen Hass auf meine
Geiselnehmer. 2 Interview: Gabriel Prödl

Die Amerikanerin wurde 1979 bei der Geiselnahme von
Teheran in der US-Botschaft gefangen gehalten

Kathryn Koob


Kathryn Koob,
82, zu Besuch
im US-Konsulat
in Hamburg.
Sie lebt in
Waterloo, Iowa


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