Der Stern - 30.10.2019

(やまだぃちぅ) #1

M


einen hart ersparten SUV lass
ich mir doch nicht von diesen
Kids vermiesen.“ So schrieb
sichtlich erbost ein Herr na-
mens Eberhard Ochs kürzlich
in Reaktion auf einen Artikel
von mir in der „Zeit“, in dem ich ein Verbot von SUVs
vorgeschlagen habe. Natürlich bin ich längst nicht mehr
der Einzige, der den Bundesbürgern ihre gefühlten Men-
schenrechte auf grenzenlosen Konsum, immer riesi-
gere Autos und immer mehr Kreuzfahrten madig macht.
Der Konsumbürger fühlt sich daher ganz zu Recht an-
gegriffen – genauso wie die CDU-Parteivorsitzende
Annegret Kramp-Karrenbauer, wenn sie glaubt, die Mas-
senfleischesser und Urlaubsflieger gegen Anhänger
von Veganismus und Flugscham in Schutz nehmen zu
müssen. Es ist schon erstaunlich, welche Aggressionen
die Fridays-for-Future-„Kids“, die Herrn Ochs in Rage
bringen, hervorrufen. Ich glaube nicht, dass sich irgend-
ein harter Intensivkonsument vor zehn oder fünfzehn
Jahren vor einer veganen Schülerin gefürchtet hätte –
aber heute werden sofort panische Verteidigungs-
stellungen eingenommen, wenn irgendetwas an der
universellen Fettlebe infrage gestellt wird.
Ein Beispiel, das den dafür mittlerweile offenbar
nötigen psychischen und argumentativen Aufwand
klarmacht, entnahm ich gerade der „Frankfurter All-
gemeinen Zeitung“, in der ein Autor namens Tobias
Piller eine flammende Verteidigung der SUVs gegen
die, wie er sie nennt, „Neider“ vorträgt. Diese gipfelt in

folgendem Argument: „Zwar sollte moderne Technik
auch im SUV Zusammenstöße mit Fußgängern verhin-
dern oder lindern. Wenn es aber so weit kommen sollte,
dann bietet es wegen seiner größeren Bodenfreiheit
einem auf dem Boden liegenden Menschen oder Kind
vielleicht noch Raum und damit eine höhere Über-
lebenschance.“ Besser überfahren werden mit dem SUV.
Wem nur noch so etwas einfällt, der hat längst verloren.
Wenn sich tief greifende gesellschaftliche Verände-
rungen ankündigen, geht das immer von kleinen Grup-
pen aus, meistens jungen Menschen, die am ehesten
ein Sensorium dafür entwickeln, dass die Dinge nicht
so weitergehen können wie bislang. Wenn es also, wie
gerade jetzt, um eine Gerechtigkeitsfrage zwischen den
Generationen geht, fürchten die Älteren aus gutem
Grund um ihre Privilegien. Die Jüngeren fordern ihr
Recht auf eine eigene Zukunftsgestaltung ein, die
ihnen der gefährliche Klimawandel zu verweigern
droht. Um einen Satz von Lenin abzuwandeln: Epochen-
wechsel kündigen sich immer dann an, „wenn die oben
nicht mehr können und die unten nicht mehr wollen“.
Früher lief diese Konfliktlinie entlang sozialer,
ethnischer oder geschlechtsbezogener Ungerechtig-
keit – das Ergebnis waren Arbeiter-, Bürgerrechts- und
Frauenbewegung, die jeweils die Gesellschaft tief
veränderten, und zwar zu deren eigenem Vorteil. Dass
heute ein Land wie Deutschland in jeder Hinsicht freier,
wohlhabender, sicherer und zivilisierter ist als vor zwei,
drei Generationen, ist das Ergebnis von Konflikten, in
denen die einen Privilegien abgeben mussten und die
anderen mehr Gerechtigkeit bekamen.
Das geht nicht gleich und vor allem nicht ohne Wider-
stände. Genau diese Lage haben wir jetzt. Wenn man
sortiert, welche gesellschaftlichen Gruppen den Wan-
del registrieren und sich darauf einstellen und welche
ihn nicht zur Kenntnis nehmen oder gar verhindern
wollen, zeigt sich ein erstaunliches Bild. Man ist über-
rascht, wie intensiv in der Finanzwirtschaft neuerdings
nachhaltige Investments nicht nur diskutiert, sondern
auch angeboten und umgesetzt werden. Man staunt,
welche Dynamik in Sachen Nachhaltigkeit mittler-
weile in der Architektur entfaltet wird und wie weit
die Forderungen der Fridays-for-Future-Bewegung
direkt in die Familien hineinwirken und dort Konsum-
entscheidungen und Urlaubspläne durchkreuzen.
Während sich fast überall ein Bewusstsein über die
Notwendigkeit einer Veränderung der wirtschaftlichen
und kulturellen Praxis breitmacht, bleibt eine Gruppe
seltsam entrückt von alldem, und das ist die Regie-
rungspolitik. Mir scheint, es hat in der Geschichte der
Bundesrepublik noch nie eine Phase gegeben, in der die
politische Klasse so sehr den Kontakt zur Gesellschaft
verloren hatte, wie man es heute jederzeit beobachten
kann. Kein denkender Mensch hat noch Lust, sich
mit Inszenierungen von Nachtsitzungen veralbern zu
lassen, als deren Ergebnis ein grotesk realitätsfernes
Klimapaket präsentiert wird. Niemand mag es noch
akzeptieren, dass die Politik der GroKo im Setzen von
Zielen statt im wirksamen Handeln besteht. Und
keiner mag sich mehr, Entschuldigung, solchen Scheiß
anhören, wie den, dass man jetzt in Richtung eines
„Entscheidungskorridors“ weitergekommen sei. 2

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KOLUMNE


AUF DEM WEG NACH MORGEN


Harald Welzer


Der 61-jährige Sozialpsychologe
und Bestsellerautor lehrt an
der Universität Flensburg und leitet
die Stiftung Futurzwei in Berlin

FOTO: JENS STEINGÄSSER
An dieser Stelle schreiben im wöchentlichen Wechsel unsere Kolumnisten
Luisa Neubauer, Richard David Precht, Harald Welzer und Aleida Assmann
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