Geo - 11.2019

(Ann) #1

»Dinosaurier haben


keinen Charakter. Wir lieben


Säugetiere« ALFONs KENNis


Menschen verwandelt hat", sagt Adrie. "Das war
faszinierend." Alfons fä hrt dazwischen: "Die Sil­
houetten der Köpfe waren gezeichnet." Die Brüder
fallen einander beherzt ins Wort, manchmal reden
beide gleichzeitig oder wechseln vom Englischen
ins Niederländische, und fast immer diskutieren
sie lautstark.
Adrie: "Wir zeichneten und versuchten, Modelle
zu basteln. Von prähistorischen Menschen. Nicht
von Dinosauriern."
Alfons: "Dinosaurier haben keinen Charakter.
Wir lieben Säugetiere."

SO GEHT ES I-I IN UND HER bei den beiden. Und
dabei kommentiert einer den anderen mit wildem
Noooo oder Yeessss.
Alfons und Adrie manövrierten sich durch die
Schule und absolvierten beide eine Ausbildung
zum Kunstlehrer. Stellen fanden sie nicht. Sie
zeichneten weiter Menschen und Tiere. Durch
eine Ausstellung wurde ein Verlag auf sie auf­
merksam. Sie illustrierten das Buch "De Oermens",
der Urmensch. "Bei diesem Buch haben wir ange­
fangen, zuerst dreidimensionale Modelle aus Ton
herzustellen", sagt Alfons, als Vorlage für ihre
Zeichnungen. Sie konnten so die Köpfe in Lebens­
größe drehen und wenden, die Lichtverhältnisse
beobachten und die Urmenschen ausdrucksstark
zu Papier bringen.
Einige der Frühwerke stehen heute noch bei
Adrie auf einem Sideboard. Zum Beispiel der "alte
Mann von La Chapelle". So hatte noch niemand
einen Neandertaler dargestellt: Glatze, eine po­
ckennarbige Nase, Schnauzbart, ein herzliches
Lachen, das den einzigen verbliebenen Zahn ent­
blößt. Adrie und Alfons begeistern sich nach wie
vor fü r ihre Werke: "Wir mögen Charaktere mit
einem Schuss Humor."
Sie schickten ihre Bilder an die Zeitschrift "Na­
tional Geographie" und bekamen prompt einen
Auftrag: Australiens ausgestorbene Megafauna zu
rekonstruieren. Bizarre Kreaturen, einen Beutel­
löwen, einen Riesenwombat, eine Art Tapir. Auch

GEO 11 2019


Gut versteckt
im kreativen
Chaos zwischen
Schädelab­
güssen, einem
Torso und einem
ausgestopften
Rotfußseriema:
die Büste von
Charles Darwin

diesmal nahmen sie beim Zeichnen Schädelmo­
delle zuhilfe. Schließlich entdeckten Museen, die
sich der Menschheitsgeschichte widmen, die bei­
den Virtuosen. Die gaben das Illustrieren auf, per­
fektionierten die Rekonstruktion und wechselten
vom zwei- ins dreidimensionale Fach.

A


LS WERKSTATT dient dem Duo
Adries Doppelhaushälfte. Wer dar­
an vorbeikommt und einen Blick
durch die große Panoramascheibe
wirft, dürfte sich verwundert fragen,
wer da wohnt. Quer durchs Haus
reihen sich auf Regalen Hunderte Schädel anein­
ander, kleine und große, Schädel von Nagern, von
Hunden, von Ottern, von Bären, Schädel von Affen
und von Menschen. Auf ihren Reisen zu Museen
und Instituten haben die Zwillinge den Forschern
Abgüsse von Homininen-Schädeln abgeschwatzt.
Australopithecus africanus, Australopithecus sedi­
ba, Homo erectus, Homo heidelbergensis, Homo flo­
rensis, Neandertaler sowieso- ein Griff genügt.
"Ich liebe es, zu vergleichen", schwärmt Adrie.

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