Geo - 11.2019

(Ann) #1

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DIE FEINEN BRÜCHE SIND ES, die ihre Figu­
ren so plastisch, so realistisch wirken lassen. Das
Faible der Brüder für die kleinen Irritationen regt
Museumsdirektoren aber auch immer wieder auf.
Als Adrie und Alfons die Rekonstruktion des 1984
in Kenia gefundenen Turkana-Jungen, eines ju­
gendlichen Homo erectus, ablieferten, riefen die
Museumsleute- Adrie ahmt das laut nach-, der
sei ja total beschädigt. Dabei steckte Absicht hin­
ter den Ratschern an den Beinen: Auf einer Reise
nach Tansania begegneten die Künstler Jägern
des Hadza-Volkes. Dabei beobachteten sie, wie
Dornen beim Gang durch den Busch weiße Strei­
fen auf der dunklen Haut hinterließen. "Das habe
ich nachgeahmt", sagt Adrie.
Wer bei Kennis & Kennis die Rekonstruktion
eines menschlichen Vorfahren in Auftrag gibt, der
muss mit Überraschungen leben können. Sie sind
eigenwillige Persönlichkeiten - sie lassen sich
nicht in ihre Arbeit hineinreden. Wissenschaftli­
cher Input: ja. Aber keine Vorschriften zur künst­
lerischen Gestaltung.

Makellose
Körper finden
die Künstler
todlangweilig:
Die Java-Frau
hat Falten
und ungleich
geformte
Brüste. Sie
befindet sich
im Naturalis­
Museum in
Leiden. Dort
liegt auch
ihr originales
Schädeldach

Ein potenzieller Konflikt ist Nacktheit. "Eltern
beschweren sich", erzählt Adrie entrüstet, "wie das
Museum es wagen könne, einen nackten aJten Mann
zu zeigen. Das könnten sie ihren Kindern nicht zu­
muten." Für die Illustration einer jagenden Nean­
dertalerin bestand der Auftraggeber darauf, dass der
Speer so weit nach oben zeigte, dass der Busen ver­
deckt wurde. "Jetzt sieht es aus, aJs ob sie in der Luft
nach Vögeln stochert", empört sich Adrie und fuch­
telt mit einem Besenstielgen Decke.
Manches Museum greift zur Selbsthilfe: Nana und
Flint, eine Doppel-Skulptur einer Neandertalerfrau
plus Kind, lieferten Kennis & Kennis nackt ab. In­
zwischen hält Flint Vogelfedern in der Hand, die
Nanas Geschlecht verdecken.

AS MÖCHTE das Duo mit sei­
nen Rekonstruktionen beim Be­
trachter auslösen? "Gemischte
Gefühle", sagt Adrie. Für ihn
und seinen Bruder steht nicht
im Vordergrund, dass Menschen
von der Realitätsnähe ihrer Geschöpfe verblüfft sind
und sie anfassen wollen. Für Adrie ist es vielmehr
"das größte Vergnügen, wenn Leute nicht wissen, was
sie von der Spezies halten sollen". Sich fragen, wie
viel Affe in ihr steckt, wie nahe sie uns modernen
Menschen steht. "Es ist ein bisschen wie im Zoo.
Man überlegt, ob das Wesen, das man beobachtet, ei­
gentlich hinter die Gitterstäbe gehört oder davor."
Die Zeit drängt. Adrie und Alfons sind mit der Java­
Frau in Verzug. Wenn sie monatelang an einer Figur
arbeiten, die Gedanken Tag für Tag um sie kreisen -
keimt da nicht eine emotionale Bindung? Geben sie
dem Geschöpf keinen Namen? Alfons, sonst impul­
siv, bleibt kühl: "Nein, es ist nur ein Projekt. Wir hof­
fen, einen schönen Charakter zu schaffen, ein schö­
nes Individuum." "Manchmal bin ich sogar froh",
gesteht er, "wenn die Figur rausgeht Nach so langer
Zeit mag man sie nicht mehr sehen." Es ist halt wie
mit den eigenen Kindern, die müssen auch irgend­
wann ausziehen. Ihr eigenes Leben führen. �

GEO-Reporter KLAUS BACHMANN fände es
großartig, alle Rekonstruktionen der Kennis-Srüder
einmal an einem Ort bei einer .,Familienfeier"
versammelt zu sehen (digital sind sie zu bewundern
unter http://www.kenniskennis.com). Den Pariser
Fotografen VINCENT FOURNIER berührte die
intime Komplizenschaft der Zwillingsbrüder.

GEO 11 2019
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