Geo - 11.2019

(Ann) #1
Den Alpenforscher
Jean-Louis Giraud­
Soulavie preist
Humboldt anfangs
noch als Begründer
der Pflanzengeografie.
Später wird ihm
selbst diese Ehre
zugeschrieben

Bereits 1783 skizziert
Giraud-Soulavie dieses
Profil eines Alpen­
gipfels. Humboldt
kopiert die Idee am
Chimborazo -und gilt
damit heute als
Erfinder der Infografik


Pflanzengeografie gepriesen, dessen Methode ei­
nen neuen Zugang zur Natur bedeute. Tatsächlich
hat Giraud-Soulavie 1783 die Vermessung der Na­
tur zum Programm erhoben und dies nicht nur
am Beispiel der Bergvegetation im französischen
Zentralmassiv in der Ardeche vorgeführt; er hat die
Höhenzonen der Vegetation auch in einer drei­
dimensionalen Grafik dargestellt, wobei das Berg­
profil -wie bei Humboldts Andenquerschnitt -
von barometrischen Höhendaten eingerahmt ist.
Mehr noch: Giraud-Soulavie begriff die Natur als
Einheit, in der belebte und unbelebte Faktoren
vernetzt sind.
Was heute geradezu als die Humboldt-Formel
gilt- der Blick auf das große Ganze, die Erkennt­
nis, dass alles mit allem verbunden ist und alles
Wechselwirkung-, geht also im Kern auf Giraud­
Soulavie zurück. Das neue wissenschaft-

tischer Naturdarstellung- in Wahrheit eine zeich­
nerische Abstraktion ist, die mit den Pflanzen
vom Antisana in Höhen, die Humboldt am Chim­
borazo nie besammelt hatte, auf falschen Daten
und irreführenden Angaben beruht.

Die Vorträge
BERLIN - 3. NOVEMBER 1827

NACH ABSCHLUSS DER einjährigenDurchque­
rung Mexikos gelangen Humboldt und Bonpland
im August 1804 wieder nach Paris. Hier hat Hum­
boldtwährend der zwei fo lgenden Jahrzehnte mit
der Aufarbeitung seiner Reise zu tun. Die Heraus­
gabe seines Werks verschlingt sein Ve rmögen. Auf
Drängen des preußischen Königs, der ihm ein Sa-
lär als Kammerherr zahlt, kehrt Hum­
liche Zeitalter begann bereits mit den
Höhenmessungen von La Condamine in
Nach der
boldt im Mai 1827 in das "kleine, geis­
tig verödete" Berlin zurück. Dort feiert
er Erfolge mit seinen "Kosmos-Vorträ­
gen". "Tout Berlin", vom Arbeiter bis
zum Hofadel, will den als genial gelten­
den Humboldt hören, der im Winter
1827 /1828 mit seinem Vo rlesungszyklus
eine neuartige Form der Öffentlichkeit
schafft. Es sind Sternstunden der Po­
pularisierung von Wissenschaft, die

den Anden, mit Ramond de Carbonnie­ Rückkehr
res in den Pyrenäen, mit Saussure und fe iert
Giraud-Soulavie in den Alpen- Jahr­
zehnte vor Humboldts "Ideen zu einer
Geographie der Pflanzen", in der er es
noch dazu mit der Herkunft und der
Höhenverteilung der Vegetation nicht
allzu genau nahm. Marktbeherrschend

Berlin den
alsgenial
geltenden
Ilumboldt
unter seinem Namen wird diese neue
Wissenschaft erst durch Humboldts Selbstzuschrei­
bung und durch seine Praxis des Verschweigens
wichtiger Vorgänger; und weillange Zeit niemand
genau hinschaut.
In Humboldts Jubiläumsjahr stellt sich nun
heraus, dass seine weltberühmt gewordene Gra­
fik - der vermeintliche Inbegriff einer Verbindung
von exakter Vermessung und Empirie mit ästhe-

Humboldt zu Recht zu einem Begrün­
der moderner Wissenskultur machen.
In dieser Zeit, im Frühjahr 1827 , bricht Darwin
sein Medizinstudium in Edinburgh ab und ver­
bringt verliebt den Sommer mit einer dunkeläu­
gigen jungen Schönheit, bevor er - auf strenge
Weisung des um seine Zukunft besorgten Vaters -
Anfang 1828 zum Theologiestudium nach Cam­
bridge geht, um Pastor zu werden.

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MEHR ALS DREI JahrzehntenachderRückkehr
aus Südamerika erscheint der letzte Band von
Humboldts Reisewerk "Voyage aux regions equi­
noxiales du Nouveau Continent". Er ist jetzt der
betagte Kammerherr in Diensten des preußischen
Königs und organisiert für diesen die Naturwis­
senschaft in Berlin. "Ich habe den tollen Einfall,
die ganze materielle Welt, alles, was wir heute von
den Erscheinungen der Himmelsräume und des
Erdenlebens, von den Nebelsternen bis zur Geo­
graphie der Moose auf dem Granitfelsen wissen,
alles in einem Werke darzustellen, und in einem
Werke, das zugleich in lebendiger Sprache anregt

GEO 11 2019
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